Urteil des BPatG vom 01.04.2015

Rauch, Befangenheit, Bedürftigkeit, Beteiligter

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
7 W (pat) 89/14
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2009 050 008.1
wegen Antrag auf Weiterbehandlung; Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bun-
despatentgerichts am 1. April 2015 durch den Vorsitzenden Richter Rauch, die
Richterin Püschel und die Richterin Dr. Schnurr
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beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts
– Prüfungsstelle für Klasse B65D –
vom 28. August 2014 aufgehoben.
2.
Die Weiterbehandlung der Patentanmeldung
10 2009 050 008.1 wird angeordnet.
3.
Den Beschwerdeführern zu 1 und zu 2 wird Verfahrenskos-
tenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechts-
anwalt G… in B…, als Verfahrensbevollmächtigter für das
Beschwerdeverfahren beigeordnet.
G r ü n d e
I.
Die Anmelder reichten am 21. Oktober 2009 beim Deutschen Patent- und Mar-
kenamt
eine Patentanmeldung mit der Bezeichnung „Verfahren und Anordnung
zum Öffnen von verschlossenen Behältern (Flaschen) Der universelle Korken
Münchhausen“ ein. Ihre Anmeldung umfasste eine Zusammenfassung, eine Be-
schreibung, eine Bezugsliste, 13 Patentansprüche und eine Zeichnung. Mit Be-
schluss vom 18. März 2010 wurde den Anmeldern antragsgemäß Verfahrenskos-
tenhilfe für das Patenterteilungsverfahren bewilligt und die Beiordnung eines noch
zu benennenden Patentanwalts in Aussicht gestellt.
Mit Prüfungsbescheid vom 22. Februar 2012 wies das Patentamt die Anmelder mit
näherer Begründung darauf hin, dass die bislang eingereichten Patentansprüche
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unklar seien und eine Patenterteilung mit den bisherigen Unterlagen nicht in Aus-
sicht gestellt werden könne. Die Anmelder erhielten Gelegenheit zur Einreichung
neuer Patentansprüche.
In seiner Erwiderung vom 27. Juni 2012 erläuterte der den Anmeldern inzwischen
als Vertreter beigeordnete
Rechtsanwalt G… den Erfindungsgegenstand, bei
welchem es sich um einen Verschlusskorken handele.
Mit Prüfungsbescheid vom 19. August 2013 wies das Patentamt mit näherer Be-
gründung erneut darauf hin, dass die bislang eingereichten Patentansprüche auch
unter Berücksichtigung der Eingabe vom 27. Juni 2012 - die keine neuen Pa-
tentansprüche beinhaltete - unklar seien und eine Patenterteilung mit den bisheri-
gen Unterlagen nicht in Aussicht gestellt werden könne. Die Anmelder erhielten
Gelegenheit zur Einreichung neuer Patentansprüche binnen vier Monaten.
Mit Bescheid vom 28. Januar 2014 setzte ihnen das Patentamt zur Erwiderung auf
den Bescheid vom 19. August 2013 erneut eine Frist von einem Monat.
Mit Beschluss vom 7. April 2014 wies es schließlich die Patentanmeldung aus den
Gründen des Bescheides vom 19. August 2013 gemäß § 48 PatG zurück. Der Be-
schluss wurde den Anmeldern am 10. April 2014 zugestellt.
Daraufhin stellten die Anmelder mit Schriftsatz vom 12. Mai 2014 einen am selben
Tag beim Patentamt per Telefax eingegangenen Antrag auf Weiterbehandlung
und setzten sich inhaltlich mit dem Prüfungsbescheid vom 19. August 2013 ausei-
nander.
Das Deutsche Patent- und Markenamt
– Prüfungsstelle für Klasse B65D – hat
durch Beschluss vom 28. August 2014 den Antrag auf Weiterbehandlung mit der
Begründung zurückgewiesen, die versäumte Handlung sei nicht nachgeholt wor-
den. Innerhalb der mit Bescheid vom 19. August 2013 bestimmten Frist von vier
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Monaten hätten die Anmelder nicht die geforderten neuen Ansprüche mit klaren
technischen Merkmalen eingereicht. Die in den Schriftsätzen vom 27. Juni 2012
und 12. Mai 2014 enthaltenen Erläuterungen zum Anmeldegegenstand stellten
keine neuen Patentansprüche dar. Dieser Beschluss wurde den Anmeldern am
1. September 2014 zugestellt.
Hiergegen wenden sich die
durch Rechtsanwalt G… vertretenen Anmelder mit
ihrer an diesem Tag zugleich beim Patentamt eingegangenen Beschwerde vom
1. Oktober 2014.
Sie beantragen sinngemäß die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, die
Anordnung der Weiterbehandlung und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
für das Beschwerdeverfahren unter Bei
ordnung von Rechtsanwalt G… .
Ergänzend wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.
II.
Der Beschwerde sowie den Anträgen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe
für das Beschwerdeverfahren sowie der Beiordnung eines Rechtsanwalts ist statt-
zugeben. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1.
Die Beschwerde, die sich gegen einen Beschluss richtet, mit dem eine Wei-
terbehandlung im Sinne von § 123a PatG verweigert worden ist, ist gemäß § 73
Abs. 1 PatG statthaft und insbesondere fristgerecht eingelegt.
2.
Das Patentamt hat den Antrag auf Weiterbehandlung zu Unrecht zurückge-
wiesen. Das Erfordernis der Nachholung der versäumten Handlung ist erfüllt.
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Nach der am 1. Januar 2005 neu in das Patentgesetz eingeführten Bestimmung
des § 123a PatG kann der Anmelder die Weiterbehandlung der Anmeldung bean-
tragen, wenn nach einer vom Patentamt bestimmten Frist die Patentanmeldung
zurückgewiesen worden ist, mit der Folge, dass der Beschluss wirkungslos wird,
§ 123a Abs. 1 PatG. Voraussetzung hierfür ist, dass die versäumte Handlung in-
nerhalb der Antragsfrist von einem Monat nachgeholt wird, § 123a Abs. 2 Satz 2
PatG.
Wie der Senat in seiner kürzlich ergangenen Entscheidung
„Weiterbehandlung III“
vom 19. Februar 2015, 7 W (pat) 52/14, ausgeführt hat, ist als nachzuholende
Handlung im Sinne von § 123a PatG jede Handlung zu verstehen, die sich als
sachliche Stellungnahme zu den im vorangegangenen patentamtlichen Bescheid
enthaltenen formellen oder inhaltlichen Beanstandungen darstellt, sei es allein
durch eine Erwiderung, sei es durch die Einreichung geänderter Unterlagen. Auf
die inhaltliche Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Stellungnahme kommt es im
Rahmen des § 123a Abs. 2 Satz 2 PatG nicht an. Die Mängelfreiheit oder Ertei-
lungsreife der insoweit eingereichten Unterlagen ist damit keine Voraussetzung für
die nachzuholende Handlung, sondern vielmehr erst in dem weiter zu führenden
(Formal-) Prüfungsverfahren zu prüfen (vgl. zur Wiedereinsetzung Schulte/Schell,
PatG, 9. Aufl., § 123 Rdn. 40).
Werden daher im patentamtlichen Bescheid formelle Mängel gerügt, ist es ausrei-
chend, dass sich die als nachzuholende Handlung eingereichte Stellungnahme
sachlich damit befasst, d. h. sich mit diesen formellen Mängeln auseinander setzt
(ebenso Schulte, Weiterbehandlung und Wiedereinsetzung, GRUR Int. 2008, 710,
712), etwa in Form der Einreichung geänderter Unterlagen. Wird das Fehlen von
Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit gerügt, ist es ebenfalls ausreichend, dass
sich die Stellungnahme sachlich damit befasst. Ob die versäumte und nunmehr
nachgeholte Stellungnahme auch ihrem Inhalt nach zum Erfolg führt, ist dagegen
Gegenstand des
– nach Erfüllung aller Voraussetzungen für die Weiterbehandlung
– weiter zu führenden (Formal-) Prüfungsverfahrens. Stellt der Prüfer dann fest,
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dass nicht alle Mängel behoben worden sind, ist er
– ggf. nach einem weiteren
Hinweis - nicht gehindert, die Patentanmeldung erneut zurückzuweisen.
Hiervon ausgehend haben die Anmelder vorliegend die versäumte Handlung im
Sinne von § 123a Abs. 2 Satz 2 PatG nachgeholt. Mit Amtsbescheid vom
19. August 2013 hat das Patentamt Mängel der Anmeldung gerügt, und die An-
melder haben mit Schriftsatz vom 12. Mai 2014 eine auf diesen Bescheid bezo-
gene inhaltliche Stellungnahme abgegeben. Dass es sich bei dieser Stellung-
nahme wie auch bei ihren vorhergehenden schriftsätzlichen Äußerungen nicht um
die vom Patentamt geforderten neu einzureichenden Patentansprüche handelte,
ist unschädlich, denn auf eine Beseitigung der festgestellten Mängel kommt es
aus den oben genannten Gründen im Rahmen der Nachholung der versäumten
Handlung nicht an.
3.
Da auch die weiteren Voraussetzungen für die Weiterbehandlung erfüllt
sind, ist die Weiterbehandlung der vorliegenden Patentanmeldung anzuordnen.
Mit der Anordnung der Weiterbehandlung ist der Zurückweisungsbeschluss vom
28. August 2014 von Gesetzes wegen wirkungslos, weshalb dieser keiner geson-
derten Aufhebung bedarf, § 123a Abs. 1 PatG.
Die Beurteilung der Frage, inwieweit die von Rechtsanwalt
G… mit Schriftsatz
vom 12. Mai 2014 vorgetragenen Argumente ein Abweichen vom Inhalt des Prü-
fungsbescheids vom 19. August 2013 rechtfertigen, bleibt der Beurteilung der
Prüfungsstelle im Rahmen der Fortführung des Erteilungsverfahrens vorbehalten.
4.
Da die Beschwerde Erfolg hat, nicht mutwillig erscheint und die
Beschwerdeführer ihre Bedürftigkeit glaubhaft gemacht haben, ist ihnen Verfah-
renskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gemäß §§ 129, 130 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 114 Satz 1, 118 Abs. 2 ZPO zu bewilligen und auf Antrag Rechtsanwalt
Gratzki als Verfahrensbevollmächtigter beizuordnen.
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III.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nur gege-
ben, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einer beim Bundesgerichtshof zugelasse-
nen Rechtsanwältin oder von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe
eingereicht werden. Die Frist kann nicht verlängert werden.
Rauch
Püschel
Dr. Schnurr
prö