Urteil des BPatG vom 22.04.2015

Stand der Technik, Integrierte Schaltung, International Telecommunication Union, Itu

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
35 W (pat) 437/12
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
22. April 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
- 2 -
betreffend das Gebrauchsmuster 202 04 265
(hier: Löschungsantrag)
hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentge-
richts auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2015 durch die Vorsitzende
Richterin
Werner
sowie
die
Richter Dipl.-Ing. Univ.
Albertshofer
und
Dipl.-Geophys. Dr. Wollny
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss
der Gebrauchsmusterabteilung II des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 30. August 2012 aufgehoben.
2.
Es wird festgestellt, dass das Gebrauchsmuster 202 04 265
von Anfang an unwirksam war, soweit es über die folgende
Fassung von Schutzanspruch 1, auf die sich die eingetrage-
nen Schutzansprüche 2 und 3 rückbeziehen, hinausgegan-
gen ist:
„Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnitt-
stelle nach Spezifikation ITU-T I.430, dadurch gekenn-
zeichnet, dass für die Sendeschaltung eine rein digitale
integrierte Schaltung mit nur zwei Tristate-Ausgängen
und externer Beschaltung verwendet wird.“
3.
Die Beschwerde der Antragstellerin und deren weitergehen-
der Feststellungsantrag werden zurückgewiesen.
4.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzenzügen wer-
den gegeneinander aufgehoben.
- 3 -
G r ü n d e
I.
Die Antragsgegnerin, Beschwerdeführerin 1) und Beschwerdegegnerin 2) (im Fol-
genden: Antragsgegnerin) ist die eingetragene Inhaberin des Gebrauchsmusters
202 04 265 (im Folgenden: Streitgebrauchsmuster), das am 17. März 2002 ange-
meldet und am 16. Mai 2002 mit 3 Ansprüchen in das Register eingetragen wor-
den ist. Es hat die Bezeichnung
„Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle
nach Spezifikation ITU-
T I.430“.
Die eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 3 lauten:
„1. Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle
nach Spezifikation ITU-T I.430
dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte
Schaltung mit nur zwei Ausgängen und externer Beschaltung
verwendet wird.
2.
Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle
nach Anspruch 1,
dass die externe Schaltung aus zwei Spannungsfolgern [1]
und zwei zusätzlichen Transistoren [2] besteht, wobei diese
zur hochohmigen Abschaltung der nichtaktiven Sendeschal-
tung führen.
- 4 -
3.
Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle
nach Anspruch 1,
dass die Ausgangsbuffer des Chips an die externe Schaltung
wechselseitig die Digitalpegel
‘1‘ und ‘0‘ anlegt und zum Ab-
schalten kurzzeitig beide Seiten durch den Pegel
‘0‘ ange-
steuert werden. Danach wird zur Abschaltung der Sende-
stufe auf beiden Seiten der Zustand tristate (hochohmig) er-
zeugt.“
Mit Ablauf der maximalen Schutzdauer von zehn Jahren ist das Streitgebrauchs-
muster am 31. März 2012 erloschen.
Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 hat die Antragstellerin, Beschwerdeführerin
zu 2) und Beschwerdegegnerin zu 1) (im Folgenden: Antragstellerin) die Teillö-
schung des Streitgebrauchsmusters im Umfang der eingetragenen Schutzansprü-
che 1 und 2 wegen fehlender Schutzfähigkeit i. S. v. § 15 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1
bis 3 GebrMG beantragt.
Dieser Antrag ist der Antragsgegnerin am 17. Januar 2011 zugestellt worden. Ihr
Widerspruch dagegen ist am 17. Februar 2011 beim Deutschen Patent- und Mar-
kenamt (DPMA) und damit rechtzeitig eingegangen.
In der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung II am
17. April 2012 hat die Antragsgegnerin das Streitgebrauchsmuster mit einem
Hauptantrag und 3 Hilfsanträgen verteidigt.
Schutzanspruch 1 nach verteidigtem neuen Hauptantrag vom 17. April 2012 lau-
tete:
- 5 -
„1. Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle
nach Spezifikation ITU-T I.430,
dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte
Schaltung mit nur zwei Ausgängen, die Tristate-Ausgänge
sind, und externer Bescha
ltung verwendet wird.“
Die Unterstreichung kennzeichnet die Änderung im Vergleich zum eingetragenen
Schutzanspruch 1.
Die mündliche Verhandlung vom 17. April 2012 vor der Gebrauchsmusterabtei-
lung II endete ohne eine Entscheidung und das Verfahren wurde im Einverneh-
men mit den Verfahrensbeteiligten im schriftlichen Verfahren fortgesetzt.
Mit Beschluss vom 30. August 2012 hat die Gebrauchsmusterabteilung II festge-
stellt, dass das Streitgebrauchsmuster unwirksam gewesen sei, soweit es über
den Gegenstand nach Hilfsantrag 3 der Antragsgegnerin aus der mündlichen Ver-
handlung vom 17. April 2012 hinausginge. Der weitergehende Feststellungsantrag
wurde zurückgewiesen.
Die Gebrauchsmusterabteilung II hat festgestellt, dass der Gegenstand des
Schutzanspruchs 1 nach dem dort vorgelegten Hauptantrag, der denselben Ge-
genstand wie der Hauptantrag der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren be-
trifft, nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Für den Fachmann habe es
ausgehend von der DE 196 01 824 C2 (D6) nahegelegen, eine rein digitale inte-
grierte Schaltung mit zwei Tristate-Ausgängen zu verwenden. Der Fachmann
habe erkannt, dass er zur Realisierung der in D6 gezeigten Schaltung auf ein Field
Programmable Gate Array (FPGA) zurückgreifen könne, wie es in dem Datenblatt
der Fa. Xilinx vom Mai 1999 (D5) beschrieben sei. Ein solcher integrierter Schalt-
kreis enthalte Tristate-Buffer als Ausgänge, die vom Nutzer so programmiert wer-
den könnten, dass sie als Open-Drain-Ausgang funktionierten.
- 6 -
Gegen die Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung II haben beide Verfah-
rensbeteiligten Beschwerde eingelegt. Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antrag-
stellerin weiterhin die Feststellung der teilweisen Unwirksamkeit des Streitge-
brauchsmusters im Umfang des ursprünglichen Löschungsantrages.
Die Antragstellerin ist der Meinung, dass aus dem Stand der Technik Schaltungen
mit zwei mittels digitaler Signale ansteuerbaren Eingängen bekannt seien, die eine
normgerechte Lieferung der Signale einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation
ITU-T I.430 bereitstellten. Da dem Fachmann die Verwendung von Tristate-Buf-
fern geläufig sei, könne die Verwendung von bekannten Tristate-Buffern zur An-
steuerung der bekannten Schaltungen keinen erfinderischen Schritt begründen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung II des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 20. August 2012 aufzuheben,
festzustellen, dass das Streitgebrauchsmuster von Anfang an un-
wirksam war, soweit es über den eingetragen Schutzanspruch 3
hinausgeht,
und die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung II des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 20. August 2012 aufzuheben,
den Feststellungsantrag der Antragstellerin insoweit zurückzuwei-
sen, als dieser Antrag auch gegen das Streitgebrauchsmuster in
der mit Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 9. Februar 2015
- 7 -
(Bl. 125, 126 d. A.) mitgeteilten Fassung der Schutzansprüche 1, 2
und 3 gerichtet ist,
und die weitergehende Beschwerde der Antragstellerin zurückzu-
weisen.
Schutzanspruch 1 nach diesem Antrag lautet:
„Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle nach
Spezifikation ITU-T I.430,
dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte Schal-
tung mit nur zwei Tristate-Ausgängen und externer Beschaltung
verwendet wird.“
Darauf sind die eingetragenen Schutzansprüche 2 und 3 rückbezogen.
Die Antragsgegnerin hält den Gegenstand des verteidigten Schutzanspruchs 1
und der darauf rückbezogenen eingetragenen Schutzansprüche 2 und 3 für neu
und meint, dieser Gegenstand beruhe auf einem erfinderischen Schritt, § 15
Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 bis 3 GebrMG.
Die Antragstellerin hat in das Verfahren u.a. eingeführt:
D1
S-Interface Protection Recommendations for the Am79C30A
Digital Subscriber Controller, Advanced Micro Devices, 1990
D2
Datenblatt Am79C30A, 1998, Seiten 1 bis 23
D3
NAKANO, S.; NAGAI, N.: Design and Electrical Characteristic
Evaluation for Interface Circuit in ISDN Bus Wiring System. In:
Electronics and Communications in Japan, Part 1, Vol. 73,
No. 12, 1990, Seiten 9 bis 20.
D4
DE 196 30 515 A1
- 8 -
D5
Datenblatt zu FPGA XI LI NX XC4000E, 1999, Seiten 5 bis 26
D6
DE 196 01 824 C2
D7
DE 34 02 257 A1
D8
DE 31 25 017 A1
D9
US 3 154 777 A
D11
YAMAHA LSI, YTD423, Application Manual, 1998. S. 1 bis 3, 5
bis 11, 13 bis 15 und 35 bis 40
D17
TIETZE, Ulrich; SCHENK, Christoph: Halbleiter-Schaltungstech-
nik, 7., überarbeitete Auflage. Berlin: Springer, 1985. S. 207.
ISBN 3-540-15134-6
D18
HOROWITZ, Paul; HILL, Winfield: The Art Of Electronics.
2. Auflage, New York: Cambridge University Press, 1989. S. 487,
488.
– ISBN 978-0-521-37095-0
D19
Prof. Dr. Stefan Heinen, Gutachten vom 17. Dezember 2012 in
der Sache OLG Düsseldorf I-2 U 126/10
D20
JP 2001016277 A
D21
YAMAHA LSI, YTD421B Application Manual, 1998.
D22
JP 63237617 A
D23A
SCHNELL, Gerhard; HOYER, Konrad: Interfaces und Daten-
netze. Braunschweig: Vieweg, 1989, S. 34.
– ISBN 978-3-528-
24248-0
D23B
BORUCKI, Lorenz: Digitaltechnik. 5. Auflage. Wiesbaden:
Springer, 2000, S. 229, 230 und 262.
– ISBN 978-3-663-05781-9
D23C
REISCH, Michael: Elektronische Bauelemente. Heidelberg:
Springer, 1998, S. 721.
– ISBN 978-3-662-06988-2
D23D
WUPPER, Horst; NIEMEYER, Ulf: Elektronische Schaltungen 2.
Berlin: Springer, 1996. S. 203, 204, 242, 243.
– ISBN 978-3-642-
64844-1
D23E
KELLER/PAUL:
Hardware
Design.
2. Auflage.
Stuttgart:
Teubner, 1997. S. 276 bis 279. - ISBN 978-3-8154-2304-2
- 9 -
D23F
KLAR, Heinrich: Integrierte Digitale Schaltungen MOS /
BICMOS. 2. Auflage. Heidelberg: Springer, 1996. S. 101, 102.
ISBN 978-3-662-07938-6
D23G
LIEBIG, H.: Logischer Entwurf digitaler Systeme. 4. Auflage.
Berlin: Springer, 1973 und 1980. S. 120, 123, 188.
– ISBN 978-3-
540-26026-4
D23H
KASSING, Rainer: Mikrocomputer Struktur und Arbeitsweise.
Braunschweig: Vieweg, 1984, S. 48 bis 50.
– ISBN 978-3-528-
04217-2
D23I
ELLWEIN, Ch.: Programmierbare Logik mit GAL und CPLD,
R. Oldenbourg Verlag, München, 1999. S. 3, 50, 53, 54.
ISBN 3-486-24610-0
D23J
FÄRBER, Georg: Prozessrechentechnik. 2. Auflage. Berlin,
Springer, 1992, S. 60, 61.
– ISBN 978-3-540-55198-0
D23K
LAGEMANN, Klaus: Rechnerstrukturen. Berlin: Springer, 1987.
S. 273.
– ISBN 978-3-540-17618-3
D23L
EBNER, Dieter: Technische Grundlagen der Informatik. Berlin:
Springer, 1988. S. 293, 294.
– ISBN 978-3-540-18701-1
Die Antragsgegnerin hat in das Verfahren eingeführt:
Lö-1
International Telecommunication Union, ITU-T I.430, (11/95),
Seite 29, Auszug aus der Spezifikation ITU-T I.430 bezüglich der
Hochohmigkeit der Sendeschaltung (TE transmit output impe-
dance)
Lö-2
International Telecommunication Union, ITU-T I.430, (11/95),
Seite 31, Auszug aus der Spezifikation ITU-T I.430 bezüglich der
Amplitudenbegrenzung der Sendeschaltung bei einem Lastwi-
derstand von 5,6 Ohm
- 10 -
Lö-3
International Telecommunication Union, ITU-T I.430, (11/95),
Seite 30, 32, Auszug aus der Spezifikation ITU-T I.430 bezüglich
der Pulsmasken für die Belastung mit 50 Ohm und 400 Ohm
Lö-4
International Telecommunication Union, ITU-T I.430, (11/95),
Seite 8, Auszug aus der Spezifikation ITU-T I.430 bezüglich der
verwendeten Liniencodes
Lö-5
Ausschnittvergrößerung mit Spannungsangaben der Fig. 6 der
Entgegenhaltung D3
Lö-6
TÜV Rheinland, Dipl.-Ing. Klaus Jauernik, gutachterliche
Stellungnahme 21178935_001 vom 13. Januar 2012
Zu dem Streitgebrauchsmuster gibt es eine parallele Patentanmeldung vom
17. März 2002, die zur Erteilung des deutschen Patents 102 11 642 geführt hat.
Dieses Patent war Gegenstand eines Nichtigkeitsverfahrens, für dessen Verlauf
Bezug genommen wird auf das erstinstanzliche Urteil des Bundespatentgerichts
vom 29. Februar 2012 mit dem Aktenzeichen 5 Ni 58/10, veröffentlicht in der fort-
laufenden
Entscheidungssammlung
des
Patentgerichts
auf
und auf das Berufungsurteil des Bundesgerichts-
hofs vom 18. Dezember 2013 mit dem Aktenzeichen X ZR 66/12, veröffentlicht in
der
fortlaufenden
Entscheidungssammlung
des
Bundesgerichtshofs
auf
Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten.
- 11 -
II.
A.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet, weil der
Feststellungsantrag der Antragstellerin auf Grund der Beschwerde der Antrags-
gegnerin in einem deutlich größeren Umfang zurückgewiesen worden ist als im
patentamtlichen Löschungsverfahren.
1.
Der Feststellungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Das Streit-
gebrauchsmuster ist bereits am 31. März 2012 erloschen. Danach war der ur-
sprüngliche Löschungsantrag auf einen nur auf die Vergangenheit gerichteten
Feststellungsantrag umzustellen (vgl. Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz
7. Auflage, 2013, § 16 GebrMG Rn 12 mit weiteren Nachweisen). Das für einen
solchen Feststellungsantrag erforderliche konkrete Rechtsschutzinteresse der An-
tragstellerin folgt daraus, dass die Antragstellerin von der Antragsgegnerin vor den
Zivilgerichten auf Verletzung des Streitgebrauchsmusters in Anspruch genommen
wird.
2.
Soweit die Antragsgegnerin das Streitgebrauchsmuster nur noch in der be-
schränkten Fassung nach dem aktuellen Hauptantrag verteidigt hat, war die Un-
wirksamkeit der darüber hinaus gehenden eingetragenen Fassung des Streitge-
brauchsmusters ohne Sachprüfung in entsprechender Anwendung von § 17
Abs. 1 Satz 2 GebrMG festzustellen.
3.
Der weitergehende Feststellungsantrag der Antragstellerin war in dem aus
dem Tenor ersichtlichen Umfang zurückzuweisen, weil der Gegenstand des
Streitgebrauchsmusters in der zuletzt verteidigten Fassung neu ist und auf einem
erfinderischen Schritt beruht, §§ 1 bis 3 GebrMG.
- 12 -
3.1 Das Streitgebrauchsmuster betrifft eine Schnittstellenschaltung zur Realisie-
rung einer S/T-Schnittstelle eines genormten Basis-Anschlusses an ein digitales
Telekommunikationsnetzwerk nach dem internationalen Standard für ein In-
tegrated Services Digital Network (ISDN).
In der Beschreibung wird eingangs ausgeführt, dass in der einschlägigen Spezifi-
kation ITU-T I.430 eine S/T-Schnittstelle für das ISDN beschrieben ist, die einen
ISDN-Basis-Zugang mit 2 x 64 kBit/s und 1 x 16 kBit/s ermöglicht. Aus der deut-
schen Offenlegungsschrift DE 196 30 515 A1 (D4) sei eine Schnittstellenschaltung
nach der genannten Spezifikation bekannt, die jedoch vier Chip-Ausgänge zur
Realisierung der Sendestufe benötige. Weiter sei aus der deutschen Patentschrift
DE 196 01 824 C2 (D6) eine Schaltung bekannt, bei der zwei Open-Drain-Chip-
Ausgänge zur Realisierung der Sendestufe benötigt würden. Da die benötigten
Pins (Ausgänge der integrierten Schaltung) verhältnismäßig teuer seien, sei es
wünschenswert, die Zahl der notwendigen Pins auf ein Minimum zu reduzieren.
Das Streitgebrauchsmuster bezeichnet als Aufgabe, die Zahl der notwendigen
Pins für die Sendeschaltung auf ein Minimum zu reduzieren. Berücksichtigt man
jedoch, dass das technische Problem durch Auslegung aus dem zu entwickeln ist,
was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet (vgl. BGH,
Urteil vom 4. Februar 2010
– Xa ZR 36/08 – „Gelenkanordnung“; BGH, Urteil vom
11.11.1980
– X ZR 58/79 – „Spinnturbine II“), so ist diese Aufgabe an die von
Schutzanspruch 1 beanspruchte Lehre deshalb anzupassen.
Vor diesem Hintergrund besteht das technische Problem darin, eine normgerechte
Schnittstelle unter Einhaltung der für verschiedene externe Lasten erforderlichen
Pulsmasken verbindlich mit einfachen und kostengünstigen Mitteln zu verwirkli-
chen.
- 13 -
3.2 Zur Lösung dieser Aufgabe wird in der zuletzt verteidigten Fassung vom
9. Februar 2015 (Bl. 125, 126 d. A.) des Streitgebrauchsmusters eine Schaltung
vorgeschlagen, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1.
Es handelt sich um eine Interfaceschaltung zur Realisierung einer
S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430;
2.
die Interfaceschaltung weist eine Sendeschaltung auf;
3.
für die Sendeschaltung werden verwendet:
3.1
eine rein digitale integrierte Schaltung,
3.2
mit nur zwei Tristate-Ausgängen und
3.3
eine externe Beschaltung.
3.3 Der zuständige Fachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere
für die Auslegung der Merkmale des Streitgebrauchsmusters und für die Beurtei-
lung des Standes der Technik ankommt, ist nach Auffassung des Senats ein Inge-
nieur mit Hochschulausbildung der Fachrichtung elektrische Nachrichtentechnik,
der mit der Realisierung von Schnittstellenschaltungen für die Nachrichtenübertra-
gung vertraut ist und gute Kenntnisse im Bereich der analogen und digitalen
Schaltungs- und Systemtechnik besitzt.
3.4 Zur Auslegung der Merkmale des verteidigten Schutzanspruchs1
Der Gegenstand des verteidigten Schutzanspruchs 1 des Streitgebrauchsmusters
ist nach der Überzeugung des Senats identisch mit dem Gegenstand von Patent-
anspruch 1 des parallelen deutschen Patents 102 11 642 in der Fassung, in der
dieser Patentanspruch im Nichtigkeitsverfahren in der Berufungsinstanz vor dem
Bundesgerichtshof zuletzt nach Hauptantrag verteidigt worden ist. Identisch sind
weiter die verteidigten Schutzansprüche 2 und 3 mit den parallelen Patentansprü-
chen 2 und 3, die in der Streitgebrauchsmusterschrift und in der parallelen Patent-
schrift enthaltenen Zeichnungen sowie die Beschreibungen in der Streitge-
brauchsmusterschrift und in der parallelen Patentschrift mit Ausnahme der Aufga-
- 14 -
benstellung. In seinem Urteil vom 18. Dezember 2013, hat der Bundesgerichtshof,
a. a. O., Seite 5 ff., zur Auslegung des parallelen Patentanspruchs 1 folgende
Ausführungen gemacht, denen dieselbe Merkmalsgliederung zugrundeliegt wie
oben unter 3.2 für den hier verteidigten Schutzanspruch 1 bestimmt:
„Unter einer Interfaceschaltung (Schnittstellenschaltung) ist eine Schal-
tungsanordnung zu verstehen, die der Verbindung zweier Netzwerkkom-
ponenten dient. Das Streitpatent befasst sich mit einer S/T-Schnittstelle
eines ISDN-Basisanschlusses nach der Spezifikation ITU-T I.430. Diese
bezieht sich auf einen ISDN-Basisanschluss. Die Schaltung umfasst eine
Empfangs- und eine Sendeschaltung; nur mit dieser befasst sich das
Streitpatent. Die an das ISDN-Netz angeschlossenen Geräte, insbeson-
dere Telefone, arbeiten digital. Die Übertragung über das (Telefon-)Kabel
erfolgt jedoch mittels analoger Signale. Daher ist eine Schnittstelle erfor-
derlich, die die zu sendenden digitalen Signale in analoge Signale um-
wandelt.
Die vorgeschlagene Sendeschaltung besteht aus zwei Komponenten: Sie
umfasst einmal eine rein digitale und integrierte Schaltung, über die weiter
gesagt wird, dass sie nur zwei Tristate-Ausgänge aufweist. Zum anderen
besteht sie aus einer externen Beschaltung. Die Fassung des Patentan-
spruchs 1 scheint zunächst dafür zu sprechen, dass die externe Beschal-
tung als Teil der rein digitalen integrierten Schaltung zu verstehen ist
("dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte Schaltung mit
nur zwei Tristate-Ausgängen und externer Beschaltung verwendet wird").
Aus Absatz 5 der Beschreibung ergibt sich jedoch, dass die externe Be-
schaltung von der digitalen integrierten Schaltung über nur zwei Tristate-
Ausgänge angesteuert wird, was voraussetzt, dass die externe Beschal-
tung kein Bestandteil der digitalen integrierten Schaltung ist, sondern, wie
auch das Patentgericht angenommen hat, zwischen diese und den S/T-
Line-Abschnitt geschaltet ist. Für den Fachmann, einen Ingenieur mit
- 15 -
Hochschulausbildung der Fachrichtung elektrische Nachrichtentechnik,
der mit der Realisierung von Schnittstellenschaltungen für die Nachrich-
tenübertragung vertraut ist, ergibt sich dies aber auch und vor allem
daraus, dass eine rein digitale integrierte Schaltung nicht sämtlichen An-
forderungen genügt, die sich aus der ITU-T I.430 ergeben. Sie ist insbe-
sondere nicht in der Lage, die erforderliche Strombegrenzung zu gewähr-
leisten und einen kontinuierlichen Spannungswert einzustellen. Um diesen
Anforderungen zu genügen, ist eine zusätzliche externe Beschaltung er-
forderlich, die analoge Schaltungstechnik umfasst. Aus fachlicher Sicht ist
Merkmal 3.3 (
) mithin so zu verstehen,
dass die vorgeschlagene Schnittstellenschaltung neben der rein digitalen
integrierten Schaltung eine externe Beschaltung aufweist, die über die oh-
nehin stets erforderlichen Elemente (Transformator, Schutzbeschaltung)
hinaus zusätzliche Schaltungselemente umfasst, insbesondere solche, die
die zur Einhaltung der Spezifikation erforderliche Strombegrenzung er-
möglichen.
Unter einer rein digitalen integrierten Schaltung ist eine Schaltung zu ver-
stehen, die ausschließlich zeit- und wertdiskrete Signale verarbeitet. Im
Gegensatz zu einer gemischt aufgebauten analog/digital Schaltung ist sie
ausschließlich aus digitalen Teilschaltungen zusammengesetzt.
Die rein digitale integrierte Schaltung weist nach Merkmal 3.2 nur zwei
Tristate-Ausgänge auf. Unter einem Tristate-Ausgang einer digitalen
Schaltung ist dabei ein Ausgang zu verstehen, der so eingerichtet ist, dass
er beim Sendebetrieb nicht nur die Ausgangszustände Niedrig (
„Low“ [L]
oder 0) und Hoch (
„High“ [H] oder 1) annehmen kann, sondern auch einen
dritten, hochohmigen Zustand (Z). Dieses Merkmal dient der Abgrenzung
zur D6
, die bereits eine solche
- 16 -
Schaltung mit zwei durch Tristate-Buffer angesteuerten Open-Drain-Aus-
gängen nahelegte. Demgegenüber beschreibt Anspruch 1 eine Schaltung,
bei der für die Sendeschaltung eine digitale integrierte Schaltung verwen-
det wird, bei der die beiden nach Absatz 5 der Beschreibung über Tristate-
Ausgangsbuffer angesteuerten Ausgänge im Sendebetrieb drei Zustände
ausgeben können. Diesem Verständnis des verteidigten Hauptanspruchs
stehen weder Anspruch 3 noch Anspruch 2 entgegen. Anspruch 3 be-
schränkt sich nicht darauf, lediglich Tristate-Ausgänge zu beschreiben, die
drei Pegel ausgeben können, sondern gibt eine Schaltung an, bei der der
hochohmige Zustand auf eine bestimmte Weise erzeugt wird. Er legt da-
her nicht den Schluss nahe, dass Anspruch 1 auch Schaltungen mit Aus-
gängen umfasst, die zwar drei Pegel ausgeben können, aber so ange-
steuert werden, dass sie im Sendebetrieb nur zwei Pegel ausgeben. An-
spruch 2 erläutert eine bestimmte Form der externen Beschaltung und
enthält keine näheren Angaben zur Funktionalität der Tristate-Ausgänge.
Auch in Anspruch 2 wird aber die hochohmige Abschaltung angespro-
chen, was das erläuterte Verständnis von Anspruch 1 nahelegt.
Die Ausgangszustände sind als feste, erlaubte Spannungsbänder defi-
niert, so dass es nicht möglich ist, einen gewünschten Zwischenwert ein-
zustellen. Merkmal 3.2, wonach die rein digitale integrierte Schaltung nur
zwei Tristate-Ausgänge aufweist, ist dabei dahin zu verstehen, dass die
Schaltung überhaupt nur zwei Ausgänge aufweist und es sich bei diesen
beiden Ausgängen um Tristate-Ausgänge handelt. Damit wird die ange-
strebte einfache und kostengünstige Ausgestaltung der rein digitalen inte-
grierten Schaltung erreicht, mit der die externe Beschaltung angesteuert
wird. Über die Zahl und Art der Ausgänge der Sendeschaltung als solcher
trifft Patentanspruch 1 keine Aussage.
Die externe Beschaltung kann nach Patentanspruch 2 aus zwei Span-
nungsfolgern und zwei zusätzlichen Transistoren bestehen, die zur
- 17 -
hochohmigen Abschaltung der nicht-aktiven Sendeschaltung führen. Fer-
ner wird, wie die Beschreibung (Rn. 10) (
) erläutert,
auch bei einer Rückspeisung der Sendestufe im Zustand ohne Versor-
gungsspannung ein Stromfluss verhindert, was zur Erfüllung der Spezifi-
kation I.430 erforderlich ist. Wie die Beklagte bereits in der Klageerwide-
rung erläutert hat, müssen die Schnittstellenanschlüsse sowohl bei feh-
lender Versorgungsspannung der Schnittstelle als auch bei inaktiver
Schnittstelle mit anliegender Versorgungsspannung hochohmig sein.
Daraus und aus der Abgrenzung zur D6, deren Open-Drain-Chip-Aus-
gänge nur die Pegel 0 und Z ermöglichen, ist abzuleiten, dass erfindungs-
gemäß die Tristate-Funktionalität der Ausgänge erforderlich ist und die
externe Beschaltung hierauf ausgelegt sein muss, damit mit der Sen-
deschaltung insgesamt die Anforderungen der Spezifikation erfüllt wer-
den.“
Der Senat hält diese Ausführungen für überzeugend und macht sie sich deswegen
für die Auslegung der identischen Merkmale des verteidigten Schutzanspruchs 1
des Streitgebrauchsmusters zu eigen.
3.5 Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters in seiner zuletzt verteidigten
Fassung ist zulässig. Er entspricht dem Gegenstand des Streitgebrauchsmusters
nach dem letzten Hauptantrag der Antragsgegnerin im patentamtlichen Verfahren.
Der Gegenstand nach diesem Hauptantrag war zulässig, weil danach der einge-
tragene Schutzanspruch 1 beschränkt werden sollte durch die im 6. Absatz auf
Seite 1 der Beschreibung des Streitgebrauchsmusters genannte Gestaltung der
nur zwei Ausgänge als Tristate-Ausgänge.
- 18 -
3.6 Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters in seiner zuletzt verteidigten
Fassung ist gegenüber dem zu berücksichtigenden Stand der Technik neu (§§ 1
und 3 GebrMG).
Die Neuheit der vorliegend beanspruchten Interfaceschaltung zur Realisierung ei-
ner S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430 ist gegeben, denn in keiner
der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen ist eine entsprechende Inter-
faceschaltung offenbart, die neben den Merkmalen 1 und 2 eine rein digitale inte-
grierte Schaltung mit nur zwei Tristate-Ausgängen und einer externen Beschaltung
gemäß den Merkmalen 3.2 und 3.3 des geltenden Schutzanspruchs 1 aufweist.
Dies hat die Antragstellerin weder in ihren Schriftsätzen noch in der mündlichen
Verhandlung in Frage gestellt. Die Antragstellerin ist vielmehr der Meinung, dass
sich der Gegenstand in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben
würde.
3.7 Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters in seiner zuletzt verteidigten
Fassung beruht gegenüber dem zu berücksichtigenden Stand der Technik auf ei-
nem erfinderischen Schritt (§ 1 Abs. 1 GebrMG), da er sich für den Fachmann
nicht in naheliegender Weise aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Tech-
nik ergibt.
a)
Der Gegenstand von Schutzanspruch 1 ist auch durch das Anwendungs-
handbuch zu dem 421B von Yamaha (D21)
nicht nahegelegt.
Das Anwendungshandbuch D21 offenbart in der Figur 2.1 auf Seite 5 (siehe auch
Abbildung unten) im Blockdiagramm eine Sendeschaltung
(„Driver“) zur Ansteue-
rung einer S/T-Schnittstelle (Ausgänge LO1, LO2; vgl. Tabelle auf Seite
9, „Pin
No.
12“ und „Pin No. 14“), welche kompatibel mit der Spezifikation ITU-T I.430 ist
(vgl. Seite
3, „1.2 Features“, Punkt 1, „
“).
- 19 -
Gemäß dem Anwendungsbeispiel auf Seite 21 des Anwendungshandbuchs D21
wird diese Sendeschaltung des Bausteins YTD421B über die beiden Eingänge
HTD und LTD mittels einer rein digitalen Schaltung des Bausteins YTD423B mit
zwei Ausgängen (HTD, LTD) angesteuert (vgl. Seite 3, .
„1.2 Features“, Punkt 2,
„...“).
Die beiden Ausgänge HTD, LTD der rein digitalen Schaltung gemäß dem Baustein
YTD423B liefern
– wie die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung darge-
- 20 -
legt hat
– digitale Signale, welche entweder die Werte „0“ und „1“ (aus fachmänni-
scher Sicht als „push pull“ bezeichnet) oder die Werte „0“ und „Z“ (aus fachmänni-
scher Sicht
als „open drain“ bezeichnet) annehmen können. Für den Fall, dass der
Ausgang des YTD423B als „open drain“ betrieben wird, ist ein „pull-up“ Wider-
stand erforderlich (vgl. D21, Seite
21, „
). Damit erkennt der Fachmann unmittelbar und eindeutig,
dass an den beiden Eingängen HTD und LTD des Bausteins YTD421B immer nur
die Signale
„0“ oder „1“ anliegen, da ein verwendeter „open drain“ Ausgang „Z“
über den „pull-up“ Widerstand auf den Wert „1“ gesetzt wird. Dass die Ausgänge
alle drei Zust
ände („0“, „1“ und „Z“) annehmen könnten, lässt sich weder dem
Handbuch noch dem Vortrag der Antragstellerin entnehmen.
Mithin geht aus dem Handbuch D21 gemäß der Figur A.1 auf Seite 21 (siehe auch
obenstehende Abbildung) eine Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-
Merkmal 1
Merkmal 2
Merkmal 3.1
Merkmal 3.2
teilw
) und eine externe Beschaltung (vgl. Fig. 21,
Merkmal 3.3
Diese bekannte Schaltung unterscheidet sich vom Gegenstand nach Schutzan-
spruch 1 somit dadurch, dass es sich bei den beiden Ausgängen der rein digitalen
nicht Merkmal 3.2
rest
).
Weder dem Vortrag der Antragstellerin noch der Druckschrift D21 lässt sich ent-
nehmen, woraus der Fachmann die Anregung erhalten haben sollte, die in der
D21 gezeigte Vorrichtung derart weiter zu entwickeln, dass eine rein digitale
Schaltung mit zwei Tristate-Ausgängen verwendet wird.
- 21 -
Es mag zutreffen, dass die Verwendung von Tristate-Buffern dem Fachmann prin-
zipiell geläufig ist, wozu die Antragstellerin auf einschlägige Lehrbücher gemäß
den Anlagen D17, D18 und D23A bis D23L verweist. Dies führt aber zur Überzeu-
gung des Senats nicht dazu, dass deren Verwendung bei einer Interfaceschaltung
zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430 ausgehend
von der Druckschrift D21 keinen erfinderischen Schritt begründet. Denn aus den
Ausführungen im Streitgebrauchsmuster ist
– wie oben unter 4.4 zur Auslegung
ausgeführt
– abzuleiten, dass erfindungsgemäß zum einen die Tristate-Funktiona-
lität der Ausgänge erforderlich ist und zum anderen die externe Beschaltung
hierauf ausgelegt sein muss, damit mit der Sendeschaltung insgesamt die Anfor-
derungen der Spezifikation erfüllt werden. Letzteres ist jedoch nicht der Fall, denn
die gemäß dem Handbuch D21 offenbarte externe Beschaltung kann nur die Sig-
nale
„0“ und „1“, nicht aber das dritte Signal eines Tristate-Ausgangs „Z“ als Ein-
gangssignal verarbeiten. Der einschlägige Fachmann wird daher ausgehend von
dem Stand der Technik nach dem Handbuch D21 eher davon abgehalten, einen
Tristate-Ausgang zur Ansteuerung der externen Beschaltung zu verwenden, da
die bekannte externe Schaltung nicht dafür ausgelegt ist, und in diesem Fall ein
Ressourcen-Überschuss von einem Ausgangssignal vorliegen würde, der in Ver-
bindung mit der dort gezeigten externen Beschaltung überhaupt nicht benötigt
wird. Die Verwendung eines Tristate, bei dem nur zwei Ausgangspegel benutzt
werden, würde für den Fachmann
– was die Antragstellerin in der mündlichen
Verhandlung selbst bestätigt hat
– somit tatsächlich keinen Vorteil mit sich brin-
gen. Insofern liegt der Fokus entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch
nicht nur auf der Verwendung von Tristate-Ausgängen, denn der erfinderische
Schritt liegt darin, alle möglichen Tristate-Ausgänge im Zusammenspiel mit einer
hierfür geeigneten externen Beschaltung zu verwenden.
An dieser Sichtweise ändert auch der Hinweis der Antragstellerin nichts, dass ge-
mäß der Druckschrift JP 63237617 A (D22) eine Schaltung bekannt sei, wonach
ein AMI-Code mittels eines einzigen Tristate-Ausgangs erzeugt werden könne,
wozu sie auf die folgende Figur 3a der Druckschrift D22 verweist:
- 22 -
Figur 3a aus der D22
Bei einem AMI-Code handelt es sich aus fachmännischer Sicht um einen pseu-
doternären Leitungscode zur Übertragung von Daten, d.h. es werden bei diesem
Code dre
(−, 0, +) benutzt, um die 2 Zustände einezu codieren.
Der Fachmann weiß, dass dieser Code allgemein zur Signalübertragung dient, bei
der eine Gleichstromkomponente vermieden werden soll, und nicht speziell für
eine S/T-Schnittstelle nach dem Standard ITU-T I.430 entwickelt wurde. Der
Druckschrift ist weder zu entnehmen, dass mit der dort gezeigten Schaltung eine
normengerechte Interfaceschaltung realisiert werden könnte, noch liefert sie eine
Anregung, weshalb diese hierfür in Betracht gezogen werden sollte. Der Fach-
mann kann mithin dieser Druckschrift auch keine Anregung entnehmen, Tristate-
Ausgänge für die Realisierung einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T
I.430 zu verwenden.
b)
Der Gegenstand von Schutzanspruch 1 ist durch die Druckschrift
DE 196 01 824 C2 (D6) nicht nahegelegt.
- 23 -
Figur 1 der D6
Die Druckschrift D6 zeigt zwar eine Interfaceschaltung zur Realisierung einer der
Merkmal 1
Merkmal 2
Merkmale 3, 3.1 und 3.3
gezeigten Vorrichtung wird die externe
Beschaltung jedoch nur über zwei Aus-
gänge (A1, A2) angesteuert, bei denen es
sich um Open-Drain-Ausgänge handelt.
Dies sind Ausgänge, bei denen an die
Stelle eines aktiven Pull-Up-Transistors
ein externer, d.h. außerhalb des integrier-
ten Schaltkreises angeordneter, Pull-Up-
Widerstand tritt. Ein solcher Ausgang kann
nur die Pegel 0 und Z ausgeben. Damit ist
Merkmal 3.2 nicht offenbart.
Die Gebrauchsmusterabteilung II des Deutschen Patent- und Markenamts hat an-
genommen, dass der Fachmann erkennen würde, dass er zur Realisierung der in
Druckschrift D6 gezeigten Schaltung auf ein Field Programmable Gate Array
(FPGA) zurückgreifen könne, wie es in dem Datenblatt der Fa. Xilinx vom
Mai 1999 (D5) beschrieben sei. Ein solcher integrierter Schaltkreis enthalte
Tristate-Buffer als Ausgänge, die vom Nutzer so programmiert werden könnten,
dass sie als Open-Drain-Ausgang funktionierten
.
Wie der Bundesgerichtshof im
Fall des parallelen Patents (BGH a. a. O., Seite 12, Rz. 32) meint der Senat, dass
dies nicht die Annahme rechtfertigt, es habe für den Fachmann zum Prioritätszeit-
punkt nahegelegen, eine solche integrierte Schaltung für die Sendeschaltung einer
standardkonformen S/T-Schnittstelle in der Weise zu verwenden, dass die
Tristate-Ausgänge mit Tristate-Funktion eingesetzt werden, also so, dass sie - an-
ders als Open-Drain-Ausgänge - nicht nur die zwei Pegel 0 und Z, sondern drei
Pegel 0, 1 und Z ausgeben können. Der einschlägige Fachmann wird auch aus-
gehend von dem Stand der Technik nach der Druckschrift D6 eher davon abge-
- 24 -
halten, einen Tristate-Ausgang zur Ansteuerung der externen Beschaltung zu
verwenden, da in diesem Fall ein Ressourcen-Überschuss von einem Ausgangs-
signal vorliegen würde, der in Verbindung mit der dort gezeigten externen Be-
schaltung überhaupt nicht benötigt wird.
Auch der Hinweis der Antragstellerin, dass unter Verweis auf die Druckschriften
D3, D6, D7, D8, D11 und D21 aus dem Stand der Technik eine Reihe von Sen-
deschaltungen für eine standardkonforme S/T-Schnittstelle bekannt seien, wobei
die Sendeschaltungen rein digitale integrierte Schaltungen mit zwei Ausgängen
aufwiesen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Allen diesen Druckschriften ist je-
weils eine externe Schaltung zu entnehmen, die dafür ausgelegt ist, mit nur zwei
Zuständen des Eingangssignals zu arbeiten. Der Fachmann wird deshalb auch
durch keine dieser Druckschriften dazu angeregt, alle möglichen Tristate-Aus-
gänge 0, 1 und Z im Zusammenspiel mit einer hierfür geeigneten externen Be-
schaltung zu verwenden.
Soweit die Antragstellerin die Meinung vertritt, dass die Druckschrift D1 in der Fi-
gur 1 auf Seite 3 die Verwendung eines logischen Tristate-Ausgangs zeige, so
kann ihr der Senat nicht folgen. Bei der Vorrichtung handelt es sich um eine ge-
mischte analog-digitale Schaltung, bei der die Ausgänge zwar alle möglichen
Spannungswerte ausgeben können, die zwischen 0 und 2,326 Volt liegen (vgl. D1,
S. 3, linke Spalte, letzter Abs.), jedoch wird mittels dieser Spannungswerte keine
externe Schaltung angesteuert. Entsprechend weist die Vorrichtung auch keine
digitalen Tristate-Ausgänge (0, 1 und Z) zur Ansteuerung einer externen Schal-
tung auf. Auch dieser Druckschrift kann somit keine Anregung entnommen wer-
den, alle möglichen Tristate-Ausgänge im Zusammenspiel mit einer hierfür geeig-
neten externen Beschaltung zu verwenden.
c)
Der Gegenstand von Schutzanspruch 1 ist auch durch die Druckschrift
DE 196 30 515 A1 (D4) nicht nahegelegt.
- 25 -
Die D4 zeigt ebenfalls eine Interfaceschaltung zur Realisierung einer der ITU-T
Merkmal 1
Merkmal 2
Merkmale 3, 3.1 und 3.3
gezeigten Vorrichtung wird die externe Beschaltung über vier Ausgänge der rein
digitalen integrierten Schaltung angesteuert; siehe die nachfolgende Zeichnung:
Figur 1 der Druckschrift D4
Bei den beiden in der D4 mit der Bezeichnung "TRIBUF" versehenen Komponen-
ten handelt es sich nicht um Ausgänge, sondern um Ausgangsbuffer, mit denen
jeweils ein Ausgang angesteuert wird. Dabei handelt es sich jedoch nicht um
Tristate-
Ausgänge, sondern um „open-drain“ Ausgänge, die nur die Zustände 0
und Z annehmen können. Die Antragstellerin hat hierzu nichts Gegensätzliches
vorgetragen. Damit ist Merkmal 3.2 nicht offenbart.
- 26 -
Falls sich der Fachmann ausgehend von diesem Stand der Technik die Aufgabe
stellt, eine normgerechte Schaltung mit nur zwei Eingängen zu schaffen, so findet
er hierzu im Stand der Technik eine Reihe von Anregungen (vgl. Ausführungen
unter a) zur Druckschrift D21 und unter b) zur Druckschrift D6). Bei all diesen be-
kannten Schaltungen werden die externen Schaltungen jedoch jeweils mit digita-
len Schaltungen mit Ausgängen angesteuert, die zwei digitale Schaltungspegel
aufweisen (0 und 1 bzw. 0 und Z). Der Fachmann wird deshalb durch den Stand
der Technik allenfalls dazu angeregt, die Schaltung nach der Druckschrift D4
ebenfalls in diese Richtung weiterentwickeln.
Bei den Folgerungen der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 8. April 2015,
wonach die in der D4 gezeigte Schaltung aus fachmännischer Sicht derart betrie-
ben werden könne, dass einerseits die Anschlüsse A und B und andererseits die
Anschlüsse C und D über jeweils genau einen Tristate-Buffer angesteuert werden
könnten (vgl. Schriftsatz vom 8.4.2015, S. 12, Absatz 6.8, Unterstreichung senats-
seitig hinzugefügt) und dieses Vorgehen deshalb nahelag, handelt es sich zur
Überzeugung des Senats um eine rückschauende Betrachtungsweise aus der
Sicht und Kenntnis der Lehre des Streitgebrauchsmusters. Dies ist jedoch unzu-
lässig, denn es kommt bei der Beurteilung des erfinderischen Schritts vielmehr
darauf an, welche Anregungen für den Fachmann dem Stand der Technik zum
Anmeldezeitpunkt ohne Kenntnis der Lehre der Erfindung zu entnehmen waren.
Aus dem Stand der Technik ist jedoch kein Anlass und keine Anregung für den
Fachmann ersichtlich, gerade in der beanspruchten Richtung vorzugehen (vgl.
BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009
– X ZR 65/05 – „Einteilige Öse“). Zudem ist zu
beachten, dass es für die in Schutzanspruch 1 angegebene Lösung, welche sich
erst bei rückschauender Betrachtungsweise erschließt, auch alternative Lösungen
gibt, die zu anderen Ergebnissen geführt hätten (vgl. BGH, Urteil vom 2. Mai 2006
– X ZR 24/03 – „Mikrotom“, Leitsatz b). Die von der Antragstellerin beschriebenen
Maßnahmen erfordern indessen eine Reihe von Überlegungen, die als geistig
selbständige Schritte insgesamt als eine erfinderische Leistung zu bewerten sind.
- 27 -
d)
Der Gegenstand von Schutzanspruch 1 ist auch durch die Druckschrift
JP 2001016277 A (D20) in Verbindung mit der Druckschrift D4 nicht nahegelegt.
Die Druckschrift D20 bezieht sich auf einen Sende-Empfangs-Schaltkreis (Trans-
mission Reception Circuit) zum Senden und Empfangen von Signalen mit ternären
Pulsen (vgl. D20, Titel, Figur
5, Bezz. „Vg“). Die entsprechende Schaltung ist in
der nachfolgend dargestellten Figur 1 offenbart:
Zwar handelt es sich um eine Schaltung zur Verwendung in einem ISDN-System
(vgl. D20, Abs. [0002]), dass es sich um eine Interfaceschaltung zur Realisierung
einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430 handelt, ist der Druckschrift
jedoch nicht zu entnehmen. Bei dem in der Figur 1 dargestellten Ausführungsbei-
spiel ist ein erster Ausgangsbuffer durch die Bufferelemente B11 bis B1n und ein
zweiter Ausgangsbuffer durch die Elemente B21 bis B2n verwirklicht (vgl. D20,
Fig. 1, Anspruch 2), wobei es sich bei den Bufferelementen jeweils um Tristate-
Buffer handelt (vgl. D20, S. 9, 2. Absatz). Dass sich diese Tristate-Buffer in einem
rein digitalen Schaltkreis befinden, offenbart die D20 genauso wenig wie eine ex-
terne Schaltung, die mittels der Tristate-Buffer angesteuert wird. Die Anzahl der
Bufferelemente der beiden Ausgänge der Schaltung werden dazu verwendet, den
- 28 -
Strom, der zum Antrieb der symmetrischen Übertragungsleitungen L1 und L2 er-
forderlich wird, einzustellen, in dem diese parallel geschaltet werden (vgl. D20,
S. 15, Abs. [0029]). Dadurch kann eine Schaltung ohne Verwendung von ver-
gleichsweise großen diskreten Elementen wie Transistoren realisiert werden (vgl.
D20, Abs. [0030]). Mithin geht aus der Druckschrift D20 hervor (die durchgestri-
chenen Passagen sind in der D20 nicht offenbart):
1.
Es handelt sich um eine Interfaceschaltung zur Realisierung einer
S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430;
2.
die Interfaceschaltung weist eine Sendeschaltung auf;
3.
für die Sendeschaltung werden verwendet:
3.1
eine rein digitale integrierte Schaltung,
3.2
mit nur zwei Tristate-Ausgängen und
3.3
eine externe Beschaltung.
Damit liegt diese Druckschrift wesentlich weiter ab als z. B. die vorgenannten
Druckschriften D4, D6 und D21 und es erscheint fraglich, ob der zuständige
Fachmann überhaupt von diesem Stand der Technik ausgehen würde, um eine
Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-
T I.430 zu realisieren, zumal derartige Schaltungen aus dem weiteren Stand der
Technik
– wie ausgeführt – bereits bekannt sind. Aber selbst wenn er ausgehend
von dieser Druckschrift eine derartige standardkonforme Schaltung realisieren
würde, so müsste er
-
eine rein digitale integrierte Schaltung mit Tristate-Ausgängen
verwenden;
-
erkennen, dass hierzu eine spezielle externe Beschaltung erforder-
lich ist, um eine standardkonforme Lösung gemäß ITU-T I.430 zu er-
reichen.
- 29 -
Falls er dies vorsehen würde und zur Realisierung auf die Druckschrift D4 zurück-
greifen würde (obwohl diese keine Tristate-Ausgänge zur Ansteuerung der exter-
nen Schaltung verwendet), so müsste er weiter erkennen, dass
-
die aus der Druckschrift D4 bekannte externe Schaltung mit nur zwei
statt der vorgesehenen vier Ausgänge realisiert werden kann;
-
die externe Schaltung nach der Druckschrift D4 auch mit Tristate-
Ausgängen der rein digitalen Schaltung betrieben werden kann.
Gerade die Umgestaltung der Schaltung nach der Druckschrift D4 ist jedoch zur
Überzeugung des Senats für den Fachmann
– wie unter c) ausgeführt – nur bei
Kenntnis der vorliegenden Erfindung nach dem Streitgebrauchsmuster möglich, da
der Fachmann weder der Druckschrift D20 noch der Druckschrift D4 (ebensowe-
nig wie den übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften) eine Anregung zur
Verwendung einer externen Schaltung, die alle drei Zustände eines Tristate-Aus-
gangs verwendet, entnehmen kann. Somit beruht der Gegenstand des Schutz-an-
spruchs 1 auch gegenüber einer Zusammenschau der Druckschriften D20 und D4
auf einem erfinderischen Schritt.
Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften liegen weiter ab und kön-
nen das Fehlen eines erfinderischen Schritts ebenfalls nicht begründen. Diesbe-
züglich hat die Antragstellerin auch nichts vorgetragen.
B.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist im Umfang der zuletzt
verteidigten Fassung des Streitgebrauchsmusters begründet, weil der Löschungs-
antrag in diesem Umfang zurückzuweisen war. Die Gründe dafür ergeben sich aus
den vorstehenden Ausführungen unter A.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 18 Abs. 2
Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 Satz 1 und 2 PatG. In der Sache folgt sie aus
- 30 -
der Beurteilung des Senats, wonach der Gegenstand des eingetragenen Streitge-
brauchsmusters im Zuge des Löschungsverfahrens im Ergebnis in etwa um die
Hälfte beschränkt worden ist.
III.
- 31 -
Werner
Albertshofer
Dr. Wollny
Pr