Urteil des BPatG vom 15.12.2016

Stand der Technik, Rechtsschutzinteresse, Gebrauchsmuster, Zustellung

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
35 W (pat) 431/13
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
- 2 -
betreffend das Gebrauchsmuster 20 2007 016 090
hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentge-
richts am 15. Dezember 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Metternich und der Richter Dipl.-Ing. Schlenk und Dr.-Ing. Krüger
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss
der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 7. Juni 2013 aufgehoben. Der Löschungs-
antrag wird als unzulässig verworfen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
G r ü n d e
I.
Das am 14. November
2007 unter der Bezeichnung „Wärmespeicherelement“ un-
ter Inanspruchnahme der inneren Priorität 20 2007 003 438 vom 6. März 2007
32 Schutzansprüchen eingetragen und am 20. März 2008 bekanntgemacht wor-
den. Es ist nach einer Schutzdauer von acht Jahren am 1. Juni 2016 erloschen,
nachdem die Inhaberin und Antragsgegnerin die Aufrechterhaltungsgebühr nicht
gezahlt hat.
Gegen das Streitgebrauchsmuster hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom
24. November 2011 Löschungsantrag in vollem Umfang gestellt und sich neben
- 3 -
den im Rahmen einer amtsseitigen Recherche ermittelten Entgegenhaltungen
E1
– E7 auf die weiteren, von ihr eingeführten Entgegenhaltungen D1 – D8 und
S1
– S7 als vorveröffentlichten Stand der Technik berufen. Diesem am
26. Januar 2012 zugestellten Löschungsantrag hat die Antragsgegnerin am
31. Januar 2012 widersprochen.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in welcher die Antragsgegne-
rin die Zurückweisung des Löschungsantrags als Hauptantrag und hilfsweise die
Aufrechterhaltung des Streitgebrauchsmusters in den Fassungen gemäß ihren
Hilfsanträgen 1 und 2 beantragt hat, hat die Gebrauchsmusterabteilung mit Be-
schluss vom 7. Juni 2013 die Löschung des Streitgebrauchsmusters verfügt, weil
der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber dem
maßgebenden Stand der Technik sei, der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß
Hilfsantrag 1 nicht ursprünglich offenbart gewesen sei und der Gegenstand des
Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhe.
Der Beschluss ist der Antragstellerin am 29. Juni 2013 zugestellt worden.
Dagegen hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 22. Juli 2013, per Fax ein-
gegangen am gleichen Tage, Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhe-
bung des angefochtenen Beschlusses „das Streitgebrauchsmuster in vollem Um-
fang aufrechtzuerhalten“ (Bl. 29 d. A.). Mit weiterem Schriftsatz vom
25. März 2014 hat sie Hilfsanträge 1 und 2 mit geänderten Schutzansprü-
chen 1 - 30 bzw. 1
– 29 eingereicht. Die Antragstellerin hat mit Schriftsätzen vom
17. Januar 2014 bzw. 31. Juli 2014 zur Beschwerdebegründung bzw. den Hilfsan-
trägen der Antragsgegnerin Stellung genommen. Sie hat keinen ausdrücklichen
Sachantrag gestellt, aber sich konkret mit der Beschwerde und Beschwerdebe-
gründung der Antragstellerin auseinandergesetzt und die Auffassung vertreten,
dass die Gebrauchsmusterabteilung die Löschung des Streitgebrauchsmusters
aufgrund richtiger Beurteilung der fehlenden Neuheit beschlossen habe und es
weitere Argumente gebe, „warum die Beschwerde abzuweisen“ sei (Bl. 36 d. A.).
- 4 -
Einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat keine der Be-
teiligten, auch nicht hilfsweise, gestellt.
Mit eingehendem Senatshinweis vom 15. September 2016 (Bl. 103/104 d. A.) ist
die Antragstellerin darauf aufmerksam gemacht worden, dass nach aktuellem Re-
gisterstand das Streitgebrauchsmuster erloschen sei, so dass der Löschungsan-
trag nur noch im Wege eines Feststellungsantrags weiterverfolgt werden könne
und insoweit die Darlegung eines individuellen Rechtsschutzinteresses erforder-
lich sei. Ihr ist eine Stellungnahmefrist von einem Monat ab Zustellung eingeräumt
worden.
Die
vorgenannten
Hinweise
sind
der
Antragstellerin
am
19. September 2016 zugestellt worden (Bl. 105 d. A.).
Die Antragstellerin hat sich innerhalb der vorgenannten Frist nicht geäußert. Ins-
besondere hat sie weder geänderte Anträge eingereicht, noch zum Vorliegen ei-
nes individuellen Rechtsschutzinteresses vorgetragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Ge-
brauchsmusterabteilung, die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Aktenin-
halt verwiesen.
II.
Das Löschungsbegehren der Antragstellerin ist unzulässig, so dass der ange-
fochtene Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung aufzuheben und der be-
schwerdegegenständliche Löschungsantrag zu verwerfen ist.
1. Die Antragstellerin hat in Bezug auf ihr Löschungsbegehren kein Rechts-
schutzinteresse.
- 5 -
a) Das Streitgebrauchsmuster ist erloschen, nachdem die Antragsgegnerin die
Aufrechterhaltungsgebühr für das neunte und zehnte Jahr des Gebrauchsmuster-
schutzes nicht rechtzeitig gezahlt hat (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 GbmG i. V. m. §§ 3
Abs. 2, 7 Abs. 1 PatKostG). Mit dem Erlöschen des Streitgebrauchsmusters ent-
fällt das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin für die Weiterverfolgung des
Löschungsantrags (§§ 15, 16 GbmG) i. S. e. Popularantrags (vgl. BGH GRUR
1983, 725, 728
– Ziegelsteinformling). Hierbei handelt es sich um ein in jeder Lage
des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigendes Erfordernis für die Zuläs-
sigkeit des Löschungsantrags.
b) Bei dieser Sachlage wäre der beschwerdegegenständliche Löschungsantrag
nur dann zulässig, wenn die Antragstellerin ein eigenes, individuelles Rechts-
schutzinteresse
geltend
machen
könnte
(vgl.
BGH,
a. a. O.
und
Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 8. Aufl., § 16 GbmG, Rn. 16). Ein solches
Rechtsschutzinteresse hat die Antragstellerin
– auch nach eingehendem gerichtli-
chen Hinweis vom 15. September 2016 - weder geltend gemacht noch in sonstiger
Weise Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein entsprechendes Rechts-
schutzinteresse ergeben könnte.
c) Die Antragsgegnerin hat das Streitgebrauchsmuster schriftsätzlich auch in vol-
lem Umfang verteidigt. Da, wie ausgeführt, das Vorliegen eines individuellen
Rechtsschutzinteresses eine von Amts wegen zu berücksichtigende Vorausset-
zung für die Zulässigkeit des vorliegenden Löschungsantrags ist, ist dem Senat
eine sachliche Überprüfung von Löschungsgründen i. S. d. § 15 Abs. 1 GbmG
verwehrt.
Nach alledem waren der angefochtene Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung
aufzuheben und der beschwerdegegenständliche Löschungsantrag als unzulässig
zu verwerfen.
2. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 18 Abs. 2
Satz 1 GbmG i. V. m. § 78 PatG).
- 6 -
a) Einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 18 Abs. 2
Satz 1 GbmG i. V. m. § 78 Nr. 1 PatG) hat keine der Beteiligten gestellt.
b) Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war auch aus sonstigen
Gründen, insbesondere aus Gründen der Sachdienlichkeit (§ 18 Abs. 2 Satz 1
GbmG i. V. m. § 78 Nr. 3 PatG) nicht angezeigt.
Für eine analoge Anwendung der Bestimmungen des Nichtigkeitsverfahrens über
die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung ist hier kein Raum (vgl. BGH
Mitt. 1996, 118, 119
– Flammenüberwachung). Der BGH hat es dementsprechend
nicht beanstandet, dass der Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat ohne mündliche
Verhandlung über die Beschwerde einer Löschungsantragstellerin gegen den ih-
ren Löschungsantrag zurückweisenden Beschluss entschieden hat, nachdem we-
der Terminsantrag gestellt worden noch aus Sicht des Senats eine Beweisauf-
nahme angezeigt war (BGH, a. a. O.).
Soweit Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 8. Aufl., § 18 GbmG, Rn. 15 und
Kubis in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar, 4. Aufl., § 18 GbmG,
Rn. 11 die Auffassung vertreten, dass in Löschungsbeschwerdeverfahren Durch-
führung einer mündlichen Verhandlung i. d. R. als notwendig bzw. sachdienlich zu
erachten sei, ergibt sich hieraus keine andere Beurteilung der Frage, ob im vorlie-
genden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten war. Die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung wäre sachdienlich gewesen, wenn
Tat- und/oder Rechtsfragen zu klären gewesen wären, die der Erörterung in einer
mündlichen Verhandlung bedurft hätten. Dies wird z. B. bei der Erörterung und
Klärung von Neuheit und erfinderischem Schritt bei mehreren, sachlich zu prüfen-
den Anträgen (Haupt- und Hilfsanträgen) unter Berücksichtigung mehrerer Entge-
genhaltungen auch regelmäßig der Fall sein. Hier liegt der Fall aber anders.
Nachdem der Antragsteller eingehend auf das Erfordernis einer Umstellung seines
Antrags und der Geltendmachung eines individuellen Rechtsschutzbedürfnisses
hingewiesen worden ist und hierauf nichts vorgetragen hat, liegen Sach- und
Rechtsfragen, die der Erörterung in einer mündlichen Verhandlung bedurft hätten,
- 7 -
nicht vor. Hieran ändern auch die von der Antragsgegnerin eingereichten Haupt-
und Hilfsanträge nichts, denn an einer inhaltlichen Befassung mit diesen Anträgen
ist der Senat
– wie ausgeführt – mangels eines zulässigen Löschungsantrags ge-
hindert.
c) Der Senat konnte nach alledem entscheiden, ohne dass ein
– weiterer – Hin-
weis an die Antragstellerin geboten gewesen wäre. Sie ist, wie bereits ausgeführt,
eingehend auf die infolge des Erlöschens des Streitgebrauchsmusters eingetre-
tene Änderung der Sach- und Rechtslage hingewiesen worden. Nach diesen Hin-
weisen und ausgehend von den vorgenannten Bestimmungen und der vorge-
nannten Rechtsprechung musste die Antragstellerin damit rechnen, dass der Se-
nat, nachdem die Antragstellerin innerhalb der gesetzten Frist auf den Hinweis
nichts vorgetragen und auch keine Fristverlängerung erbeten hat, ohne mündliche
Verhandlung entscheiden kann.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 18 Abs. 2 Satz 2 GbmG i. V. m. §§ 84
Abs. 2 PatG, 91 ZPO. Eine abweichende Kostenentscheidung aus Billigkeitsgrün-
den ist nicht angezeigt.
III.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
- 8 -
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Be-
schlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch ei-
nen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten
schriftlich oder in elektronischer Form einzulegen.
Metternich
Schlenk
Dr. Krüger
Bb