Urteil des BPatG vom 26.07.2016

Stand der Technik, Pct, Patentanspruch, Spiegel

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 9/15 (EP)
verbunden mit
3 Ni 21/15 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
26. Juli 2016
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 0 880 702
(DE 596 09 417)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Schramm
und
der
Richter
Dipl.-Chem. Dr. Egerer,
Kätker,
Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 0 880 702 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig er-
klärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- 3 -
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 26. November 1996 beim Euro-
päischen Patentamt in deutscher Sprache angemeldeten und mit Wirkung für die
Bundesrepublik Deutschland erteilten Patents 0 880 702 (Streitpatent), das die
Priorität der deutschen Anmeldung 196 00 875 vom 12. Januar 1996 in Anspruch
nimmt und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 596 09 417
geführt wird.
Das Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit zwei Hilfs-
anträgen verteidigt wird,
trägt die Bezeichnung „Diagnostisches Verfahren zur Be-
stimmung der Ätiologie entzündlicher Prozesse
“ und umfasst 11 Patentansprüche,
deren Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
1. Diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ätiologie ent-
zündlicher Prozesse, dadurch gekennzeichnet, dass man in
einer Probe einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten den
Gehalt des Peptids Procalcitonin (PCT) und/oder eines daraus
gebildeten Teilpeptids, das nicht das reife Calcitonin ist, be-
stimmt und aus der festgestellten Anwesenheit oder Abwe-
senheit des bestimmten Peptids auf eine infektiöse oder
nichtinfektiöse Ätiologie der Entzündung zurückschließt.
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprü-
che 2 bis 11 wird auf die Patentschrift EP 0 880 702 B1 verwiesen.
Die Klägerinnen, die das Streitpatent in vollem Umfang angreifen, machen die
Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der mangelnden Ausführ-
barkeit geltend. Dazu führen beide Klägerinnen einen weitgehend identischen
Stand der Technik an. In der folgenden Übersicht sind von den Klägerinnen einge-
reichte Dokumente jeweils voranstehend mit der Kurzbezeichnung
„NK“ angege-
ben, wie sie von der Klägerin zu 1. verwendet wird und vom Senat und den ande-
- 4 -
ren Parteien übernommen worden ist. Zusätzlich sind von der Klägerin zu 2: ein-
gereichte Dokumente mit deren
Bezeichnungsweise „MW“ angegeben.
NK6 MW12
DE 42 27 454 C1
NK6a MW12a
EP 0 656 121 B1
NK7
Auszüge aus Pschyrembel, 255. Auflage, Walter de Gruyter
1986, S. 448, 449, 1245, 1246
NK8
MW16 F. M. Brunkhorst et al., Clin. Intens. Care 6/3, 1995
NK9 MW17
F. M. Brunkhorst et al., Chir Gastroenterol 1995: 11 (Suppl. 2):
42-46
NK10 MW14
M. Assicot et al., The Lancet, Vol. 341, Feb. 27, 1993,
515-518
NK11
MW19 M. D. Smith et al., Clinical Infectious Diseases 1995; 11
(Suppl. 2): 641-645
NK12 MW20
H. B. Reith et al., Chir Gastroenterol 1995:11 (Suppl. 2): 47-50
NK13 MW15
C. Bohoun et al., Suppl. to Clin. Intens. Care (1994), Vol. 5,
No. 2, S. 88
NK14 MW18
F. M. Brunkhorst et al., GUT 34, Suppl. 2:111 (1995), 1012
NK15
Y. Gérard et al., Infection 23 (1995) No. 5: 310-311
NK16
Urteil LG Düsseldorf v. 12. Juni 2015 (4c O 17/15)
NK17 MW22
Urteil OLG Düsseldorf v. 10. Dezember 2015 (I
– 2 U 35/15)
NK18 MW21
P. P. Ghillani et al., Cancer Research 49 (1989) 6845-6851
NK19
Schreiben des Karger Verlags v. 7. Mai 2015
NK20
Auszug
aus
der
Internetseite
www.karger.com/...
v.
18. Mai 2015
MW11
„Schema zur PCT-Bestimmung mit einem PCT-Assay“
MW13
Römpp Chemie Lexikon, 9. Aufl. (1992), S. 4122
MW23
EP 2 084 545 B1
MW24
M. Christ-Crain et al., The Lancet, Vol. 363, Feb. 21, 2004,
600-606
MW25
M. Christ-Crain et al., Am J Respir Crit Care Med, Vol. 174
(2006), S. 84-93
- 5 -
MW26
Urteil LG München I v. 23. Oktober 2015 (21 O 9110/15)
MW27
Schriftsatz der Nichtigkeitsbeklagten (Verletzungsklägerin) v.
24. März 2016 im Verfahren 6 U 4339/15 vor dem OLG
München
(ohne Nr.) R. C. Bone et al., Chest (1992), 101 (6), 1644-1655
Nach Auffassung der Klägerinnen ist die Erfindung nicht so deutlich und vollstän-
dig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Das Streitpatent offenbare
nicht, wie der Fachmann im letzten Verfahrensschritt die An- oder Abwesenheit
des bestimmten Peptids Procalcitonin (PCT) feststellen und hieraus auf eine in-
fektiöse oder nichtinfektiöse Ätiologie der Entzündung rückschließen könne. Das
Patent lehre keine konkreten PCT-Werte bzw. Grenzwerte, die dem Fachmann
eine sichere Unterscheidung zwischen den möglichen Ursachen einer Entzündung
ermöglichen würden.
Selbst wenn man die Begriffe „Anwesenheit und Abwesen-
heit
des bestimmten Peptids“ im Patentanspruch 1 i. S. v. „Normalbereich“ bzw.
„normalem oder leicht erhöhtem Wert“ gegenüber „erhöhtem PCT-Wert“ verstehen
würde, so ermöglichten die in den Beispielen des Streitpatents angegebenen, völ-
lig unterschiedlichen PCT-Werte, die sich zudem über einen breiten Zahlenbereich
erstreckten, keine Unterscheidung zwischen den Ursachen einer Entzündung.
Dem Gegenstand des Streitpatents fehle auch die Patentfähigkeit. Insbesondere
sei er nicht neu. Die Druckschriften NK6 bzw. NK6a und NK8 bis NK15 offenbar-
ten jeweils sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1, wobei jeweils anhand ei-
ner spezifischen Anwendung für bestimmte Erkrankungen das streitpatentgemäße
Verfahren beschrieben werde. Hierbei offenbarten sie teilweise sogar die gleichen
Daten, wie sie auch in den Beispielen des Streitpatents aufgeführt seien. Jede der
beschriebenen spezifischen Anwendungen des streitpatentgemäßen Verfahrens
stehe daher der Neuheit des Patentanspruchs 1 mit seinem verallgemeinernden
Wortlaut entgegen. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellten die Druck-
schriften NK9 und NK12 Stand der Technik dar, der vor dem Prioritätsdatum des
Streitpatents veröffentlicht worden sei, was aus der Auskunft des Verlags hervor-
gehe.
- 6 -
Jedenfalls beruhe das Streitpatent nicht auf erfinderischer Tätigkeit. In den o. g.
Druckschriften werde für eine Mehrzahl von Entzündungsformen (Sepsis, ARDS,
Pankreatitis, Meningitis) immer wieder betont, dass Procalcitonin ein Marker für
eine mikrobielle Infektion sei. Der Fachmann habe daher gewusst, dass der durch
mikrobielle Infektionen verursachte Anstieg des PCT-Spiegels nicht auf bestimmte
Krankheitsbilder beschränkt sei. Vielmehr könne er universell verwendet werden,
um das Vorhandensein einer mikrobiellen Infektion zu bestätigen oder auszu-
schließen.
Dementsprechend fehle auch den Gegenständen der Unteransprüche, soweit sie
nicht bereits vom Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen seien,
die erfinderische Tätigkeit. Denn es könne nicht mit einer erfinderischen Leistung
verbunden sein, die aus dem Stand der Technik gewonnenen Erkenntnisse auf
andere Arten von Entzündungen, wie sie etwa in den Unteransprüchen 2 und 5
bis 11 des Streitpatents definiert seien, zu übertragen.
Die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit und der mangelnden Pa-
tentfähigkeit gälten ebenso für die Gegenstände der Hilfsanträge. Die in Patentan-
spruch 1 gemäß (erstem) Hilfsantrag gleichwertig nebeneinander stehenden Al-
ternativen seien bereits durch den Stand der Technik, insbesondere NK13 und
NK15 vorweggenommen. Die Merkmale des zweiten Hilfsantrags stellten nur eine
Zweckbestimmung, aber keine Einschränkung dar, wobei die frühzeitige Bestim-
mung der Ätiologie entzündlicher Prozesse mehrfach im Stand der Technik, etwa
in der NK6, offenbart sei. Im Übrigen zeige der im Verfahren befindliche Stand der
Technik in seiner Gesamtschau, dass Procalcitonin unabhängig vom Krankheits-
zustand als ein nützlicher Parameter zur Unterscheidung zwischen einer infektiö-
sen und nicht-infektiösen Ursache einer Entzündung herangezogen werden
könne. Ein Fachmann, der vor dem Problem stehe, zu bestimmen, ob eine ein
Krankheitsbild begleitende Entzündungsreaktion durch eine Infektion verursacht
worden sei oder nicht, werde daher für alle in den Unteransprüchen und in den
Hilfsanträgen aufgeführten Krankheiten den Parameter PCT anwenden.
- 7 -
Die Klägerinnen beantragen übereinstimmend,
das europäische Patent 0 880 702 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen,
hilfsweise die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass das
Streitpatent die Fassung des Hilfsantrags gemäß Schriftsatz vom
15. April 2016,
weiter hilfsweise die Fassung des zweiten Hilfsantrags, übergeben
in der mündlichen Verhandlung, erhält.
Gemäß Hilfsantrag 1 lautet Patentanspruch1 wie folgt:
Diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ätiologie entzünd-
licher Prozesse, dadurch gekennzeichnet, dass man in einer
Probe einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten den Gehalt
des Peptids Procalcitonin (PCT) und/oder eines daraus gebildeten
Teilpeptids, das nicht das reife Calcitonin ist, bestimmt und aus
der festgestellten Anwesenheit oder Abwesenheit des bestimmten
Peptids auf eine infektiöse oder nichtinfektiöse Ätiologie der Ent-
zündung zurückschließt, weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass
man
a) bei einem Patienten nach erfolgter Organtransplantation, bei
dem postoperativ oder im späteren Verlauf entzündliche Erschei-
nungen auftreten, durch Bestimmung des Procalcitoninspiegels
- 8 -
erkennt, ob die Entzündung durch eine Organabstoßung oder
durch einen Infektionsherd verursacht ist;
b) durch Bestimmung des PCT-Spiegels bei onkologischen Pati-
enten unterscheidet, ob das auftretende Fieber durch Tumorzellen
oder durch eine bakterielle Infektion verursacht wird;
c) durch die Bestimmung des PCT-Spiegels die infektiöse von
der nicht-infektiösen Ursache der Verbrauchskoagulopathie von
Patienten mit Leberzirrhose unterscheidet;
d) durch Bestimmung des PCT-Spiegels chronisch-entzündliche
Darmerkrankungen von bakteriell-infektiösen Darmerkrankungen
unterscheidet;
e) durch die Bestimmung des PCT-Spiegels einen entzündlichen
Schub einer Autoimmunerkrankung von einer Infektion unter-
scheidet;
f) durch die Bestimmung des PCT-Spiegels Medikamentenindu-
ziertes Fieber von einer bakteriell-infektiv bedingten Ursache un-
terscheidet;
g) durch die Bestimmung des PCT-Spiegels eine bakterielle oder
Pilzinfektion als Ursache des hypodynamen Kreislaufverhaltens
und der Verbrauchskoagulopathie bei Patienten mit kardialen Un-
terstützungspumpen frühzeitig erkennt;
oder
- 9 -
h) durch die Bestimmung des PCT-Spiegels im Aszites von Pati-
enten mit Leberzirrhose oder postoperativen Patienten eine Infek-
tion frühzeitig erkennt.
Die weiteren erteilten Patentansprüche entfallen.
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht dem erteilten Patentanspruch 1
mit dem Unterschied, dass er wie folgt eingeleitet wird:
„1. Diagnostisches Verfahren zur frühzeitigen Bestimmung der
Ätiologie entzündlicher Prozesse zur Auswahl therapeutischer
Maßnahmen, dadurch gekennzeichnet, dass
…“
Hieran schließen sich die erteilten Patentansprüche 2 bis 11 an.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie
verweist auf folgende Dokumente:
VP1 Konkordanztabelle
VP2 Chirurgische
Gastroenterologie,
Supplement 2
zu
Band 11,
Dezember 1995, Deckblatt und S. 2
VP3 www.amazon.de, Ausdruck v. 2. Juni 2015, Artikelbeschreibung von:
„Chirurgische Gastroenterologie, Suppl. 2, Immunmonitoring bei septi-
schen Abdominalerkrankungen, Taschenbuch -
1995“
VP4 www.amazon.com, Ausdruck v. 2. Juni 2015, Artikelbeschreibung von:
„Immunmonitoring Bei Septischen Abdominalerkrankungen (German
Edition) (German) Paperback
– March 11, 1996“
VP5 Schreiben der ZB MED v. 21. April 2015
VP6 E-Mail-Verkehr v. 21. April 2015
VP7 E-Mail-Verkehr v. 20. Mai 2015
VP8 Urteil LG München I v. 23. Oktober 2016 (21 O 9110/15)
- 10 -
Nach Auffassung der Beklagten ist die Klage nicht begründet.
Die Lehre des Streitpatents sei ausführbar offenbart. Dies gelte auch für den letz-
ten Verfahrensschritt, in dem die An- oder Abwesenheit des bestimmten Peptids
festgestellt und hieraus auf eine infektiöse oder nichtinfektiöse Ätiologie der Ent-
zündung geschlossen werde. Die Patentschrift offenbare in den Beispielen die
gemessenen Procalcitoninwerte bei diagnostizierten entzündlichen Prozessen.
Dabei kreisten die Procalcitonin-Werte bei infektiöser Ursache um die Mittelwerte
36,6 ng/ml bzw. 81 ng/ml herum, während sie bei nicht-infektiöser Ursache im Be-
reich der Mittelwerte 0,6 ng/ml bzw. 1,2 ng/ml lägen. Diese offensichtlich deutli-
chen Wertabweichungen ließen das relative Verhältnis zwischen niedrigem PCT-
Wert bei nicht-infektiöser Ätiologie einer Entzündung und erhöhtem PCT-Wert bei
infektiöser Ätiologie stets erkennbar werden und befähigten den Fachmann, die
Erfindung auszuführen. Zudem zeigten die auf dem Markt befindlichen PCT-As-
says, wie sie etwa auch von den Klägerinnen angeboten würden, dass die Fach-
welt ohne weiteres Schwellenwerte für PCT-Konzentrationen ermitteln könne. So-
weit dabei möglicherweise falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse aufträ-
ten, sei dies eine Frage der Genauigkeit des jeweiligen diagnostischen Assays,
nicht aber der Ausführbarkeit.
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents sei auch patentfähig, ins-
besondere sei es neu. Keine der Entgegenhaltungen offenbare ein diagnostisches
Verfahren, mit dem verlässlich die Ätiologie eines jeden, nicht oder noch nicht ab-
schließend diagnostizierten und daher in seiner Art noch unbekannten entzündli-
chen Prozesses mittels Messung des Procalcitonin-Gehalts bestimmt werden
könne. Die Entgegenhaltungen, von denen die NK9 und NK12 nachveröffentlicht
und demnach nicht zu berücksichtigen seien, bildeten lediglich Ergebnisse empiri-
scher Untersuchungen ab, indem in Proben biologischer Flüssigkeiten von Pati-
enten bestimmte Entzündungswerte gemessen worden seien, bei denen die Art
und die Ätiologie des entzündlichen Prozesses bereits bekannt gewesen sei. Sie
befassten sich zudem nur mit Sepsis bzw. sepsisähnlichen Verläufen der dort be-
schriebenen entzündlichen Prozesse und enthielten darüber hinaus überwiegend
- 11 -
rein spekulative Schlussfolgerungen zur Nützlichkeit der Messung des Peptids
Procalcitonin.
Im Vergleich hierzu stelle die technische Lehre gemäß Anspruch 1 des Streitpa-
tents keine Verallgemeinerung einer bereits bekannten Lehre, sondern ein Aliud
dar. Während nämlich im Stand der Technik der gemessene PCT-Wert in einer
biologischen Flüssigkeit eines Patienten lediglich als Biomarker für bestimmte, be-
reits diagnostizierte Erkrankungen, überwiegend Sepsis, verwendet worden sei,
werde er im Streitpatent dazu verwendet, bei jeglichem entzündlichen Prozess,
dessen zugrundeliegende Erkrankung noch unbekannt sei, eine exakte Bestim-
mung der generellen Ätiologie des Prozesses in infektiös oder nicht-infektiös vor-
nehmen zu können. Erst durch die Lehre des Streitpatents sei der Öffentlichkeit
die Erkenntnis vermittelt worden, dass im Falle eines normalen, nicht-erhöhten
Procalcitonin-Gehalts eine infektiöse Entzündung im Körper kategorisch aus-
scheide, während bei einem erhöhten Procalcitonin-Gehalt in jedem Fall (irgend-)
eine auf einer infektiösen Ursache beruhende Entzündung im Körper vorhanden
sei. Damit sei es möglich, ohne zunächst den entzündlichen Prozess diagnostizie-
ren zu müssen, entweder sofort eine Antibiotikatherapie zu beginnen oder aber
eine solche gerade zu unterlassen.
Dementsprechend beruhe der Gegenstand des Streitpatents auch auf erfinderi-
scher Tätigkeit. Der Stand der Technik vermittle dem Fachmann nicht die Er-
kenntnis, dass Procalcitonin als verlässlicher Bestimmungs- bzw. Ausschlusspa-
rameter für die Ätiologie aller entzündlichen Prozesse angesehen werden könne,
auch abseits von Sepsis oder sepsisähnlichen Verläufen von Entzündungen. Auch
wenn die vorgelegten Dokumente zum Stand der Technik zahlreich sein mögen,
so reiche dies nicht aus, um den Gegenstand des Patentanspruchs nahezulegen,
zumal sich der Offenbarungsgehalt auf die einzige, lang bekannte Erkenntnis der
Verwendung von Procalcitonin als Sepsis-Marker beschränke. Auch die aus dem
Stand der Technik angeblich entnehmbare Anregung für den Fachmann, PCT
weiterhin differentialdiagnostisch zu untersuchen, reiche nicht aus, die Erfindung
- 12 -
nahezulegen, denn der Ausgang einer derartigen Untersuchung sei nicht vorher-
sehbar gewesen.
Dies gelte auch für den Patentanspruch gemäß (erstem) Hilfsantrag. Der Stand
der Technik enthalte kein einziges Dokument, das dem Fachmann eine Anregung
oder Veranlassung gebe, das Problem der Bereitstellung eines Verfahrens zur
Bestimmung der Ätiologie von Entzündungen mittels PCT als Entzündungsmarker
für die speziellen Krankheitsbilder des Patentanspruchs gemäß Hilfsantrag zu lö-
sen. Auch der Zweite Hilfsantrag, mit dem die frühzeitige Bestimmung der Ätiolo-
gie entzündlicher Prozesse zur Auswahl therapeutischer Maßnahmen beansprucht
werde, grenze den Gegenstand vom Stand der Technik ab, zumal im Stand der
Technik die Infektion bzw. infektiöse Ursache jeweils bereits bekannt gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1
Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) und der mangelnden Patentfähig-
keit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte
Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
I.
1.
che entzündlicher Prozesse.
Entzündliche Prozesse gehören zu den elementaren Schutzmechanismen von
hochorganisierten Organismen und basieren auf komplexen zellulären und mole-
kularen Reaktionen, mit denen die Ausbreitung von Gewebsschädigungen oder
von Infektionserregern eingedämmt wird, und sind damit eine entscheidende
Voraussetzung aller Genesungsprozesse. Begleiterscheinungen der komplexen
- 13 -
zellulären und molekularen Reaktionen, die im Wesentlichen durch Zytokine regu-
liert werden, sind die Auslösung von Fieber, die verstärkte Proliferation und Aus-
schüttung von Zellen der Hämatopoese, die Synthese von Akut-Phase-Proteinen
und die Stimulierung der Glucocorticoidsekretion als Teil der neuroendokrinen Ak-
tivitätssteigerung (vgl. EP 0 880 702B1
0001
).
Entzündungsprozesse können völlig unterschiedliche Ätiologien haben. Sie kön-
nen durch Invasion von Mikroorganismen und/oder ihrer Toxine ausgelöst werden,
also infektiöser Natur sein, und führen zu einer Expression körpereigener proin-
flammatorischer Substanzen. Auch primär nicht-infektiöse Krankheitsbilder können
zu Entzündungsreaktionen führen, beispielsweise die hämorrhagisch-nekrotisie-
rende Pankreatitis, das akute Lungenversagen des Erwachsenen (ARDS), Poly-
traumen mit ausgedehnten tiefen Gewebsnekrosen, Autoimmunerkrankungen und
chronische
Entzündungsprozesse
unterschiedlicher
Genese
(vgl.
EP 0 880 702 B1
0002
).
Zur Diagnose entzündlicher Erkrankungen werden beispielsweise die Bestimmung
des C-reaktiven Proteins (CRP), der Thrombozyten, der Leukozyten und von Zy-
tokinen, z. B. Interleukin 6, herangezogen. Allerdings lassen diese Parameter
meist keine Unterscheidung zwischen den Ursachen entzündlicher Erkrankungen
und des dabei auftretenden Fiebers zu (vgl. EP 0 880 702 B1 z. B.
0038
i. V. m.
0015
).
Ein bereits bekanntes Verfahren zur Früherkennung, zur Erkennung des
Schweregrads sowie zur therapiebegleitenden Verlaufsbeurteilung einer i. d. R.
mikrobiell verursachten Sepsis beruht auf der Bestimmung der Abwesenheit von
Procalcitonin und/oder eines daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht das reife
Calcitonin ist (vgl. EP 0 880 702 B1
0005
und dort zitierte DE 42 27 454 (NK6)).
2.
ren zur Diagnose der Ätiologie entzündlicher Erkrankungen bereitzustellen, insbe-
- 14 -
sondere zur Differenzierung zwischen einer infektiösen und einer nicht-infektiösen
Ursache einer entzündlichen Erkrankung (vgl. EP 0 880 702 B1 S. 2 [0003]).
3.
(Hauptantrag) durch ein
1) Diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Ätiologie entzündlicher Pro-
zesse
durch
2) Bestimmen des Gehalts des Peptids Procalcitonin (PCT) und/oder eines
daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht gleich Calcitonin ist, in einer Probe
einer biologischen Flüssigkeit eines Patienten,
3) wobei in einem weiteren Verfahrensschritt anhand des Testergebnisses ge-
mäß Merkmal 2 aus der festgestellten Anwesenheit oder Abwesenheit des
PCT und/oder eines daraus gebildeten Teilpeptids auf eine infektiöse oder
nicht-infektiöse Ätiologie der Entzündung geschlossen wird.
Gemäß Hilfsantrag 1 kommen jeweils alternativ folgende Merkmale hinzu:
3.1)
Schlussfolgerung auf eine Organabstoßung nach Organtransplantation oder
auf einen Infektionsherd,
3.2) Unterscheidung bei onkologischen Patienten auf durch Tumorzellen beding-
tes Fieber oder auf durch bakterielle Infektion verursachtes Fieber,
3.3) Unterscheidung auf infektiöse oder nicht-infektiöse Ursache der
Verbrauchskoagulopathie von Patienten mit Leberzirrhose,
- 15 -
3.4) Unterscheidung zwischen chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und
bakteriell-infektiösen Darmerkrankungen,
3.5) Unterscheidung zwischen einem entzündlichen Schub einer Autoimmuner-
krankung und einer Infektion,
3.6) Unterscheidung zwischen Medikamenteninduziertem Fieber und bakteriell-
infektiv bedingtem Fieber,
3.7) frühzeitiges Erkennen einer bakteriell oder pilzbedingten Infektion als Ursa-
che des hypodynamen Kreislaufverhaltens gegenüber einer Verbrauchsko-
agulopathie bei Patienten mit kardialen Unterstützungspumpen,
3.8) frühzeitige Differentialdiagnose im Aszites von Patienten mit Leberzirrhose
oder einer postoperativen Infektion.
Gemäß Hilfsantrag 2 kommen folgende Ausgestaltungen hinzu:
1.1)
die Bestimmung erfolgt frühzeitig,
1.2)
zur Auswahl therapeutischer Maßnahmen.
4.
Schilddrüse gebildet und proteolytisch in das Hormon Calcitonin umgewandelt. Im
Plasma kommt PCT nicht nur mit der intakten Sequenz seiner 116 Aminosäuren,
sondern in Form von daraus gebildeten Teilpeptiden vor. Tierisches PCT unter-
scheidet sich, je nach Organismus, von humanem PCT sowohl in der Kettenlänge
des Polypeptids als auch in der Aminosäuresequenz.
Mangels anderweitiger Angaben im Streitpatent wird von den Merkmalen 1 bis 3
des geltenden Patentanspruchs 1 auch die Bestimmung von tierischem Procalci-
tonin und damit die Anwendung des diagnostischen Verfahrens im Bereich der
Veterinärmedizin erfasst.
- 16 -
Das diagnostische Verfahren gemäß Merkmal 1 des Patentanspruchs 1 unterliegt
der Zweckbindung zur Bestimmung der Ätiologie bzw. der Ursachen entzündlicher
Prozesse und umfasst
– mangels anderweitiger Einschränkungen – die Ätiologie
der Entzündungsreaktionen bzw. Entzündungsprozesse sowohl eines einzelnen
bestimmten Krankheitsbildes als auch vieler unterschiedlicher Krankheitsbilder.
Die Bestimmung des Gehalts des PCT und/oder seiner Teilpeptide, die nicht
gleich Calcitonin sind, in einer biologischen Flüssigkeit eines
– mangels anderwei-
tiger Angaben im Streitpatent
– menschlichen oder tierischen Körpers ist nicht auf
eine bestimmte (bio)chemische bzw. immunologische Methodik beschränkt und
umfasst deshalb jedwedes geeignete analytische Verfahren (Merkmal 2). Diese
Verfahren unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Empfindlichkeit und damit hinsicht-
lich der Nachweisgrenze für PCT, die zum Prioritätstag des Streitpatents mittels
Immunradioassay oder Immunlumineszenzassay im Serum oder Plasma bei etwa
0,1 ng/ml gelegen hat (vgl. z. B. NK6 S. 2 Z. 44 bis 49, insbes. Z. 48 bis 49; NK 9
S. 43 re. Sp. Abs. 2; NK10 S. 515 re. Sp. Z. 9 bis 10; NK18 Abstract).
Maßgeblich für die Stellung einer Diagnose bzw. für das diagnostische Verfahren
gemäß Merkmal 1 ist das gemäß Merkmal 2 erhaltene, zahlenmäßig bestimmte
Testergebnis. Mit dem Passus „aus der festgestellten Anwesenheit oder Abwe-
senheit des PCT“ und den darin verwendeten Begriffen „Anwesenheit“ und „Ab-
wesenheit“ legt sich Merkmal 3 und damit auch das diagnostische Verfahren ge-
mäß Patentanspruch 1 nicht auf bestimmte Zahlenwerte oder Zahlenbereiche fest.
Rein formal betrachtet erfasst Merkmal 3 zwar den Bereich zwischen keinem ein-
zigen Molekül PCT (Abwesenheit) bis hin zu einer beliebig hohen Konzentration
des PCT (Anwesenheit) in der biologischen Flüssigkeit. Jedoch sind die Begriffe
„Abwesenheit“ von PCT und „Anwesenheit“ von PCT – unter Berücksichtigung der
Empfindlichkeit der, soweit verfügbar, jeweils angewandten analytischen Mess-
methodik und der damit verbundenen Nachweisgrenze des PCT
– in Relation zu
analytischen Erfahrungswerten von Kollektiven gesunder Probanden gegenüber
Kollektiven von Patienten mit entzündlichen Erkrankungen unterschiedlicher Ge-
nese zu verstehen. Zudem ist wegen der Streuung des PCT-Spiegels in Abhän-
- 17 -
gigkeit von der individuellen Testperson und vom jeweiligen Gesundheitszustand
eine zahlenmäßig bestimmte Festlegung von Grenzwerten oder Bereichen in der
Praxis ohnehin nicht möglich.
5.
ein Molekularbiologe und ein in der angewandten Infektiologie tätiger Mediziner
angehören.
II.
Der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) sowie in
den Fassungen der Hilfsanträge 1 und 2 ist zwar ausführbar. Es mangelt ihm ge-
genüber einzelnen der vorgebrachten Druckschriften NK6 sowie NK8 bis NK15 je-
doch an der erforderlichen Neuheit, jedenfalls beruht er nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit.
1.
Hilfsanträgen 1 und 2 sind zulässig.
Die erteilte Fassung der Patentansprüche (Hauptantrag) entspricht den ursprüng-
lich eingereichten Patentansprüchen (vgl. WO 1997/25622 A1 Anspr. 1 bis 11).
Der einzige Patentanspruch des Hilfsantrags 1 ist zulässig, da sich sein Gegen-
stand unmittelbar aus der erteilten Fassung des Patentanspruchs 1 und aus den
Merkmalen der Unteransprüche 2 sowie 5 bis 11 der erteilten Fassung ergibt.
Zulässig ist auch der geänderte Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 2. Die in
Merkmal 1 des erteilten Patentanspruchs
1 eingefügten Teilmerkmale einer „früh-
zeitigen“ Bestimmung sowie „zur Auswahl therapeutischer Maßnahmen“ ergeben
sich unmittelbar sowohl aus der Beschreibung des Streitpatents (vgl.
EP 0 880 702 B1 S. 2 Z. 19 bis 22 i. V. m. Z. 36 bis 39, Z. 45 bis 53, Z. 58 bis S. 3
- 18 -
Z. 2, S. 3 Z. 10 bis 12, Z. 18 bis 20, Z. 38 bis 39, S. 4 Z. 10 bis 12, Z. 24 und 28)
als auch aus den ursprünglichen Anmeldeunterlagen (vgl. WO 1997/25622 A1
S. 2 Z. 4 bis 10 i. V. m. S. 3 Z. 4 bis 10, Z. 22 bis S. 4 Z. 3, S. 4 Z. 13 bis 18, S. 4
Z. 34 bis S. 5 Z. 6, S. 5 Z. 17 bis 19, S. 6 Z. 20 bis 22, S. 8 Z. 12 bis 13, S. 9 Z. 1
bis 4, Z. 12 bis 13). Die Patentansprüche 2 bis 11 des Hilfsantrags 2 entsprechen
den Patentansprüchen 2 bis 11 der erteilten Fassung.
2.
sung (Hauptantrag) als auch in der Fassung der Hilfsanträge 1 und 2 ausführbar.
Die zur Bestimmung von Procalcitonin und/oder eines aus Procalcitonin gebildeten
Teilpeptids erforderlichen biochemisch-immunologischen Arbeitsweisen sind in der
Beschreibung des Streitpatents angegeben (vgl. EP 0 880 702 B1
0025
und
0027
, dort zitierte DE 42 27 454 C1 (NK6), i. V. m. S. 5 Z. 6 bis 7 und Z. 36
bis 37) und bedienen sich im Übrigen dem Fachmann geläufigen Grundoperatio-
nen der biochemischen Analytik. Testkits zur Bestimmung des Procalcitonins wa-
ren zudem bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents im Handel erhältlich (vgl.
NK6 S. 3 Z. 24 bis 51, S. 4 Z. 50 bis 52 i. V. m. Anspr. 12; NK9 S. 43 re. Sp.
Abs. 2; NK10 S. 515 gesamte re. Sp.). Der Verfahrensschritt gemäß Merkmal 2 ist
damit ausführbar.
Auch der Verfahrensschritt zur Bewertung der PCT-Testwerte gemäß Merkmal 3
ist ausführbar. Das Merkmal 3 bedeutet nichts anderes als die Anweisung, aus
den gemäß Merkmal 2 mittels üblicher PCT-Analytik erhaltenen Zahlenwerten
Schlussfolgerungen auf eine infektiöse oder nicht-infektiöse Ursache einer ent-
zündlichen Erkrankung zu ziehen.
Für die Ausführbarkeit des streitpatentgemäßen diagnostischen Verfahrens ist
weder die Zuverlässigkeit der Diagnose im Einzelfall noch die Offenbarung bzw.
Festlegung eines über die gesamte Breite infektiöser und nicht-infektiöser ent-
zündlicher Erkrankungen definierten Zahlenbereichs der PCT-Testergebnisse er-
forderlich.
- 19 -
Die Breite der von Merkmal 3 umfassten Krankheitsbilder mit Entzündungen so-
wohl infektiöser als auch nicht-infektiöser Ätiologie lässt
– unter Berücksichtigung
des einzelnen Patienten einschließlich seines individuellen Stoffwechsels sowie
gegebenenfalls weiterer nicht-entzündlicher Erkrankungen
– eine zahlenmäßig
exakte Definition der Begriffe „Abwesenheit“ und „Anwesenheit“ und dementspre-
chend auch eine fehlerfreie Differentialdiagnose mittels verlässlicher Grenzwerte
bzw. Schwellenwerte und/oder Zahlenbereiche nicht zu. Der PCT-Spiegel kann
bereits aufgrund von natürlichen Ursachen bzw. genetischen Besonderheiten
schwanken und damit gegenüber einem Referenzwert, wenngleich nur geringfü-
gig, erhöht oder erniedrigt sein.
Im Kern reduziert sich die Lehre des Verfahrensschritts gemäß Merkmal 3 und
damit des gesamten streitpatentgemäßen Verfahrens auf die Erkenntnis, dass an-
hand der Höhe der mit üblichen PCT-Tests erhaltenen Messwerte eine Unter-
scheidung zwischen infektiösen und nicht-infektiösen Ursachen entzündlicher Er-
krankungen möglich ist und sich PCT als Marker zum Zweck einer solchen Diffe-
rentialdiagnose eignet. Die erforderlichen Arbeitsweisen gehen aus mehreren
Fallbeispielen, die sämtliche anspruchsgemäßen Krankheitsbilder abhandeln, so-
wie aus der allgemeinen Beschreibung hervor. Weitergehende Anforderungen
sind an die Ausführbarkeit nicht zu stellen (vgl. BGH GRUR 2001, 813
– Taxol;
BGH GRUR2010, 916
– Klammernahtgerät).
Die Hilfsanträge weisen gegenüber dem Hauptantrag keine zusätzlichen Verfah-
rensschritte auf, so dass die Ausführbarkeit der Lehre des Streitpatents in sämtli-
chen beantragten Fassungen der Patentansprüche gegeben ist.
Der für die Frage der Ausführbarkeit heranzuziehende (weite) Maßstab ist in glei-
cher Weise auch an den Offenbarungsgehalt der zur Beurteilung der Patentfähig-
keit herangezogenen Entgegenhaltungen anzulegen.
3.
des Streitpatents sind einzelne der vorgebrachten Druckschriften und die vorge-
- 20 -
brachten Druckschriften in ihrer Zusammenschau daraufhin zu untersuchen, ob
anhand der Konzentration des Procalcitonin in Proben biologischer Körperflüssig-
keiten eine Unterscheidung zwischen infektiöser und nicht-infektiöser Ätiologie
entzündlicher Prozesse möglich ist.
a)
vorveröffentlichten Druckschrift NK6 geht hervor, dass der Schweregrad und der
Verlauf einer Sepsis anhand einer mittels üblicher Arbeitsweisen durchzuführen-
den Bestimmung von PCT und/oder eines daraus gebildeten Teilpeptids, das nicht
das reife Calcitonin ist, in einer Probe einer biologischen Körperflüssigkeit beurteilt
werden kann (vgl. NK6 Titel, Abstract und Anspr. 1 i. V. m. S. 2 Z. 62 bis S. 3
Z. 17, insbes. S. 3 Z. 4 bis 13).
Die analytischen Arbeitsweisen zur Bestimmung des PCT bzw. seiner betreffen-
den Teilpeptide sind bereits bekannt und bedienen sich dabei anerkannter Metho-
den des Standes der Technik, die auf Grundoperationen der Immundiagnostik
aufbauen (NK6 S. 3 Z. 24 bis 51, S. 4 Z. 50 bis 52 i. V. m. Anspr. 3 bis 7, 11 bis 12
– Merkmal 2).
Des Weiteren ergibt sich aus NK6 nicht nur die Arbeitshypothese, dass ein An-
stieg des PCT-Spiegels entweder als direkte Auswirkung einer (infektiösen) Virus-
erkrankung oder als indirekte Einwirkung bakterieller Endotoxine auf die Leber an-
zusehen ist und demzufolge anhand des Ausmaßes des Anstiegs des PCT-Spie-
gels bereits auf eine infektiöse Ursache geschlossen werden kann (vgl. NK6 S. 3
Z. 65 bis S. 4 Z. 9), sondern auch das experimentelle Ergebnis, dass Patienten mit
viralen oder bakteriellen Infektionen (vgl. NK6 Tabelle 1 Zeilen 2 bis 4) gegenüber
einer Kontrollgruppe von Patienten mit nicht-infektiösen Erkrankungen (vgl. NK6
Tabelle 1 Zeile 1) erhöhte oder drastisch erhöhte PCT-Spiegel aufweisen. Die
dem Merkmal 3 zugrunde liegende Erkenntnis und die Möglichkeit zur Stellung ei-
ner betreffenden Diagnose gehen damit bereits unmittelbar aus der NK6 hervor.
- 21 -
Da sich ein diagnostisches Verfahren mit den Merkmalen 1 bis 3 somit unmittelbar
aus der NK6 ergibt, hat Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag)
demgegenüber bereits mangels Neuheit keinen Bestand.
Entsprechende Informationen sind der vorveröffentlichten NK10 zu entnehmen,
die sich mit sehr ähnlichen Patientenkollektiven wie NK6 befasst und über hohe
Serum-PCT-Spiegel bei Patienten mit Sepsis als Folge von infektiösen
entzündlichen Erkrankungen und mit infektiösen Entzündungen und damit über
vergleichbare Ergebnisse berichtet. (vgl. NK10 S. 515 re. Sp. Tabelle i. V. m.
S. 516, Fig. 2 sowie S. 517 re. Sp. Z. 1 bis 3). NK10 wird im Übrigen auch als Re-
ferenzliteratur in NK13 zitiert, die sich ebenfalls mit der Differentialdiagnose nicht-
infektiöser. und infektiöser entzündlicher Erkrankungen befasst (vgl. nachfolgend
b.4).
b)
es auch gegenüber weiteren vorgebrachten Druckschriften, in denen der PCT-Ge-
halt in Körperflüssigkeiten von Patienten mit auf entzündlichen Prozessen beru-
henden Krankheitsbildern untersucht wurde (vgl. NK8, NK9, NK11, NK12NK13,
NK14, NK15), an der erforderlichen Neuheit.
b.1)
nicht-infektiöser Ursachen von ARDS, ein gemäß der Definition im Streitpatent auf
schwere Lungenverletzungen zurückgehendes Krankheitsbild, bei dem entzündli-
che Prozesse auftreten (vgl. EP 0 880 702 B1 S. 5 Beisp. 1 i. V. m. Anspr. 4). Pro-
calcitonin wird dabei mittels des immunoluminometrischen Tests bestimmt, so
dass sich aus NK8 die Merkmale 1 und 2 bereits unmittelbar ergeben. Aus der
Tabelle der NK8, die offensichtlich die zahlenmäßig identischen Testergebnisse
des gleichen Patientenkollektivs beschreibt wie Beispiel 1 des Streitpatents, geht
außerdem hervor, dass über die Höhe des PCT-Spiegels, anders als mit C-reakti-
vem Protein oder mit Interleukin 6, anhand der Anwesenheit von PCT
(36,6 +/ 31 ng/ml) eine infektiöse und anhand der Abwesenheit von PCT
- 22 -
(0,60 +/ 0,95 ng/ml) eine nicht-infektiöse entzündliche Lungenerkrankung diagnos-
tiziert werden kann, so dass auch Merkmal 3 erfüllt ist.
b.2)
sich mit Pseudomonas Pseudomallei infiziert hatten und daraufhin mehr oder min-
der schwer an Melioidose erkrankt waren. Dabei konnte anhand des PCT-Spie-
gels zwischen Patienten mit milden, lokalisierten Infektionen, die ähnlich wie Kon-
trollprobanden niedrige PCT-Werte (0.02 bis 0,46 ng/ml) aufwiesen, und Patienten
mit schwerer Infektion mit tödlichem Verlauf (PCT-Werte im Bereich von 63 bis
3538 ng/ml) differenziert werden, wobei auf die potentielle Eignung von PCT als
Marker zur Diagnose anderer schwerer Infektionskrankheiten hingewiesen wird
(vgl. NK11 Abstract i. V. m. S. 644 li. Sp. Z. 3 bis 24, insbes. Z. 20 bis 24, und
re. Sp. Abs. 2
– Merkmale 1 und 3). Die Bestimmung des PCT erfolgte auf be-
kannte Art und Weise (vgl. NK11 S. 642 li. Sp. Abs. 2
– Merkmal 2), so dass Pa-
tentanspruch 1 nach Hauptantrag auch gegenüber NK11 bereits mangels Neuheit
keinen Bestand hat.
b.3)
Erkrankungen (Krebspatienten, Rectocolitis) per immunoluminometrischem Test
auf erhöhte PCT-Werte hin untersucht (vgl. NK13 Objective, Methods), davon
31 Myelom-Patienten
und
Patienten
mit
Waldenström-Makroglobulinämie,
37 Patienten mit Prostatakrebs und 17 Patienten mit entzündlichen Darmerkran-
kungen (Rectocolitis). Dabei wurde gefunden, dass PCT bei rein entzündlichen
Erkrankungen nicht erhöht ist, während bei Patienten mit einer Sepsis oder mit
Urogenitalinfektionen erhöhte PCT-Werte gemessen wurden (vgl. NK13 Results,
Conclusion). Daraus ergibt sich unmittelbar die Anwendbarkeit der PCT-Bestim-
mung zur Diffentialdiagnose zwischen nicht-infektiösen und infektiösen entzündli-
chen Erkrankungen und damit eines diagnostischen Verfahrens mit sämtlichen
Merkmalen 1 bis 3.
b.4)
Pankreatitis gegenüber einer toxischen Pankreatitis anhand eines deutlich erhöh-
- 23 -
ten PCT-Spiegels im Fall des Vorliegens einer biliären Pankreatitis, die häufig mit
bakterieller oder viraler Infektion einhergeht und deshalb eine antibiotische Thera-
pie erfordert (vgl. NK14 le. Abs.). Die Lehre der NK14 eröffnet damit die Möglich-
keit zur Differentialdiagnose zwischen einer infektiösen und einer nicht-infektiösen
Entzündung der Bauchspeicheldrüse anhand der An- oder Abwesenheit von PCT
– Merkmale 1 und 3. Des Weiteren geht aus der NK14 hervor, dass herkömmliche
Entzündungsparameter (CRP, IL-6, TNF) eine derartige Diffentialdiagnose nicht
erlauben (vgl. NK14 Tabelle). Auch wenn in der NK14 Ausführungen zur Bestim-
mungsmethode des PCT-Spiegel fehlen, ist Merkmal 2, welches jedwede Arbeits-
weise der Bestimmung von PCT erfasst, implizit erfüllt.
b.5)
als universeller Marker für eine Infektion zu untersuchen, wurde ausgehend von
der Hypothese, dass die Anwesenheit von mikrobiellen Endotoxinen die Bildung
von PCT bedingt, bei Patienten mit diversen Infektionskrankheiten der PCT-Spie-
gel bestimmt und zwar speziell bei einer Candidiasis, einer durch Candida, hier
speziell Candida albicans, verursachten Pilzinfektion. (vgl. NK15 S. 310 li. Sp.
Abs. 1 Z. 8 bis 10). Damit verbunden sind selbstverständliche mukotane (z. B.
Soor) oder systemische (infektiöse) Entzündung von Organen. Die Bestimmung
des PCT erfolgte immunoluminometrisch mit gegen verschiedene Epitope des
PCT gerichteten monoklonalen Antikörpern und damit gemäß Merkmal 2 (vgl.
NK15 S. 310 li. Sp. Abs. 2). Dabei wurde ein Zusammenhang zwischen bakteriel-
ler und/oder pilzlicher Infektion und erhöhtem PCT-Spiegel festgestellt und PCT
als Marker zur Überwachung von Patienten mit Immundefizienz, z. B. Transplan-
tationspatienten, diskutiert (vgl. NK15 S. 310 re. Sp. Abs. 2 und 3). Tabelle 1 in
NK15 verdeutlicht, dass sowohl die Infektion mit dem Cytomegalovirus als auch
die Infektion mit Candida albicans einen gegenüber dem Normalwert erhöhten
(CMV) bis stark erhöhten (C.albicans) PCT-Spiegel hervorruft. NK15 vermittelt
damit zwangsläufig auch die Möglichkeit der Abgrenzung infektiöser gegenüber
nicht-infektiöser Entzündungen und damit auch eine Lehre entsprechend den
Merkmalen 1 und 3, zumal PCT diesbezüglich als Marker zur Überwachung von
Patienten nach einer Organtransplantation und damit im Sinne der Ausgestal-
- 24 -
tungsform des Patentanspruchs 2 des Streitpatents in Erwägung gezogen wird
(vgl. NK15 re. Sp. Abs. 2 und 3).
b.6)
kunft und der Internetseite des Verlags (vgl. MW 19, MW20) im Jahr 1995 im sel-
ben Supplement-Band der Fachzeitschrift Chirurgische Gastroenterologie erschie-
nen, der sich ausschließlich mit dem Immunmonitoring bei septischen Abdomi-
nalerkrankungen befasst, darunter insgesamt drei Artikel betreffend PCT als Mar-
ker für infektiöse Entzündungen. Sie sind damit
– entgegen der Ansicht der Be-
klagten
– gegenüber dem Zeitrang des Streitpatents vorveröffentlicht.
Aus der NK9 geht
– ähnlich wie aus der NK14, jedoch ausführlicher erörtert – die
frühzeitige Identifizierung einer biliären akuten Pankreatits anhand eines deutlich
erhöhten PCT-Spiegels gegenüber einer toxischen, i. d. R. nicht-infektiösen
akuten Pankreatitis hervor (vgl. NK9 insbes. S. 45 li. Sp. Abs. 2). Daraus gelangen
die Autoren zu der Erkenntnis, dass in die Ätiologie der biliären Pankreatitis eine
schwere bakteriell infektiöse Komponente einzubeziehen ist und deshalb anhand
des PCT-Spiegels eine frühzeitige Diagnose und eine antibiotische Behandlung
ermöglicht wird (vgl. NK9 S. 45 re. Sp. Abs. 2). Aber selbst im Fall einer toxischen
Pankreatitis sind nachfolgende infektiöse Komplikationen nicht auszuschließen
und können anhand ansteigender PCT-Spiegel erkannt werden (vgl. NK9 S. 44
li. Sp. Abs. 2 etwa in der Mitte, i. V. m. S. 45 re. Sp. vorle. Abs.). Im Hinblick da-
rauf, dass auch Patentanspruch 3 des Streitpatents, der die gleiche diagnostische
Anwendung betrifft, die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents verkörpert,
steht die Lehre der NK9 dem Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 des Streitpa-
tents neuheitsschädlich entgegen.
Neuheitsschädlich zu bewerten ist auch die NK12, die sich ausweislich des Titels
mit PCT als prognostischer Infektionsparameter bei Peritonitis befasst und aus der
unmittelbar die Möglichkeit zur Differentialdiagnose unmittelbar nach größeren
operativen Eingriffen hervorgeht, wobei PCT nur bei gleichzeitig bestehender In-
fektion, nicht dagegen traumaassoziiert, erhöht ist (vgl. NK12 insbes. S. 50 li. Sp.
- 25 -
le. Abs. bis re. Sp. Z. 4 i. V. m. S. 48 li. Sp. Ergebnisse Abs. 3
– Merkmale 1 und
3). Die Bestimmung erfolgt mit handelsüblichen PCT-Tests (vgl. NK12 S. 48 li. Sp.
Abs. 2 und Fußnote), so dass auch Merkmal 2 erfüllt ist.
c)
Druckschriften anerkennen wollte, etwa, wenn man davon ausginge, dass der
Anspruchswortlaut des Streitpatents nicht exakt getroffen sei und/oder dass keine
dieser Druckschriften eine konkrete Verallgemeinerung zu einer universellen Diffe-
renzierbarkeit zwischen infektiöser und nicht-infektiöser Ätiologie bei jedweder
entzündlichen Erkrankung lehre, so beruht das diagnostische Verfahren gemäß
Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung jedenfalls nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit.
Eine Aufgabe ist in dem Streitpatent zwar nicht angegeben. Sie ist jedoch darin zu
sehen, ein Verfahren zur Diagnose der Ätiologie entzündlicher Erkrankungen be-
reitzustellen, insbesondere zur Differenzierung zwischen einer infektiösen und ei-
ner nicht-infektiösen Ursache.
Der Fachmann bekommt aus dem seitens der Klägerinnen vorgebrachten Stand
der Technik unmittelbar die Anregung, aus der Höhe der Ergebnisse von PCT-
Tests auf eine infektiöse oder auf eine nicht-infektiöse Ursache einer entzündli-
chen Erkrankung zu schließen (vgl. NK8 bis NK15, im Einzelnen wie vorstehend
erörtert und zitiert). Die bei Patienten mit nicht-infektiösen Entzündungen auftre-
tenden sehr niedrigen PCT-Spiegel (vgl. z. B. NK8, Tabelle re. Sp. le. Z.; NK10,
insbes. Fig. 1; NK13 Results, Methods und Conclusion; NK14 le. Satz; NK15
Table 1 i. V. m. Text) lassen den Fachmann jedenfalls zur Erkenntnis gelangen,
dass die im Fall von mikrobiellen Infektionen und den daraus herrührenden ent-
zündlichen Prozessen zu messenden erhöhten PCT-Spiegel ein Unterschei-
dungskriterium gegenüber nicht-infektiösen entzündlichen Erkrankungen sind und
deshalb PCT als universeller Marker für eine infektiöse Entzündung geeignet ist.
- 26 -
Unerheblich ist, ob in diesen Druckschriften bereits eine konkrete Aussage zur
universellen Anwendbarkeit des PCT-Spiegels unabhängig vom jeweiligen Krank-
heitsbild getroffen wird. Denn aus der Gesamtschau der Druckschriften NK6 und
NK8 bis NK15 konnte der Fachmann ohne Weiteres erkennen, dass der PCT-Wert
über die in diesen Druckschriften untersuchten entzündlichen Erkrankungen hin-
aus von Bedeutung sein könnte, und sah sich deshalb veranlasst, den PCT-Wert
auch bei anderen entzündlichen Erkrankungen auf seine differentialdiagnostische
Bedeutung hin zu untersuchen, wofür es keines erfinderischen Zutuns bedurfte
(vgl. BGH GRUR 2009, 1039
– Fischbissanzeiger).
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag hat deshalb in seiner gesamten diagnosti-
schen Breite auch mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.
d)
– wie mit Schriftsatz vom 15. April 2016 und in der mündli-
chen Verhandlung vorgetragen
– in dem diagnostischen Verfahren gemäß Pa-
tentanspruch 1 keine Verallgemeinerung einer bereits aus dem Stand der Technik
(vgl. z. B. NK6) bekannten Lehre sondern demgegenüber ein Aliud und hierin eine
neue Anwendung zur „sicheren Bestimmung und dementsprechend zum sicheren
Ausschluss einer infektiösen Ätiologie eines jeden entzün
dlichen Prozesses“ sieht
(vgl. Schriftsatz v. 15. April 2016 S. 4 Abs. 2), vermag dies nicht zu überzeugen.
Denn aufgrund der Lehre der NK6, aber auch aufgrund weiterer vorveröffentlichter
Druckschriften kann im Fall eines erhöhten PCT-Werts auf eine Sepsis als infekti-
öse entzündliche Erkrankung geschlossen und eine Unterscheidung zu einer ent-
zündlichen nicht-infektiösen Erkrankungen getroffen werden.
Hinzu kommt, dass Patentanspruch 1 die individuelle Diagnosemöglichkeit jeder
beliebigen entzündlichen Erkrankung für sich genommen hinsichtlich infektiöser
oder nicht-infektiöser Ursache erfasst, auch wenn diese Krankheitsbilder nicht ex-
pressis verbis benannt sind. Einer solchen Auslegung des Patentanspruchs 1 ist
nicht zuletzt wegen der einzelnen und individuell verschiedenen, mit Gewebsent-
zündungen verbundenen Krankheitsbilder der Unteransprüche 2 bis 11 zu folgen,
die es anhand des PCT-Werts hinsichtlich der Infektiosität und damit unter ande-
- 27 -
rem auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer antibiotischen Behandlung als je-
weils gesonderte Alternativen zu differenzieren gilt (vgl. auch die Fassung des
einzigen Patentanspruchs nach Hilfsantrag 1).
Damit ist das beanspruchte Verfahren auch nicht schon deshalb gegenüber der
NK6 als neu zu bewerten, weil in dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 der Begriff
„Sepsis“ nicht vorkommt und das beanspruchte Verfahren nach dem Anspruchs-
wortlaut als zur Differentialdiagnose für alle entzündlichen Erkrankungen geeignet
zu lesen ist. Zudem war für den Fachmann aus dem vorveröffentlichten gattungs-
gemäßen Standes der Technik in seiner Gesamtheit
– wie unter Punkt 3c darge-
legt
– ohne weiteres zu erkennen, dass der PCT-Test auch zur Differenzierung
anderer infektiöser und nicht-infektiöser entzündlicher Erkrankungen geeignet sein
könnte.
Für die Frage der Bestandsfähigkeit des Streitpatents ist es ohne Belang, ob mit
der streitpatentgemäßen Lehre gegebenenfalls erstmals ein sicheres Verfahren im
Sinne der Merkmale 1 und 3 zur Verfügung gestellt wurde. Selbst in einer durch
die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele des Streitpatents gegenüber dem
gattungsgemäßen Stand der Technik möglicherweise besser abgesicherten
diagnostischen Relevanz des PCT-Werts ist eine die Patentfähigkeit begründende
erfinderische Leistung nicht zu erkennen. Eine medizinische Diagnose auf Basis
des PCT-Spiegels wird auch nach Anwendung der Lehre des Streitpatents nicht
sicherer als nach Maßgabe des Standes der Technik, zumal sich der
zahlenmäßige Umfang der Patienten- bzw. Probandenkollektive des Streitpatents
in der Größenordnung der entsprechenden Kollektive des vorgebrachten Standes
der Technik bewegt.
4.
tentanspruchs nach Hilfsantrag 1, in dem die Patentinhaberin zu den Merkmalen 1
bis 3 die Ausgestaltungen der Unteransprüche 2 sowie 5 bis 11 der erteilten Fas-
sung jeweils als voneinander unabhängige Alternativen hinzugenommen hat (vgl.
Merkmale 3.1 bis 3.8).
- 28 -
Dieser Patentanspruch ist bereits mangels Neuheit der Alternative des Merkmals
3.4 nicht gewährbar, da aus der NK13 die Möglichkeit hervorgeht, anhand der
Höhe des PCT-Spiegels bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen
(Rectocolitis) zwischen rein entzündlicher Ursache und infektiösen Erkrankungen
zu unterscheiden, wobei vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen unter
Punkt 3 b.3 verwiesen wird.
Darüber hinaus ist dieser Patentanspruch auch bereits mangels Neuheit jeweils
einer der beiden Alternativen der Merkmale 3.1 und 3.5 nicht gewährbar, da aus
der NK15 ein Zusammenhang zwischen bakterieller und/oder pilzlicher Infektion
und erhöhtem PCT-Spiegel unmittelbar hervorgeht und die Möglichkeit der Über-
wachung von Patienten mit Immundefizienz, z. B. Transplantationspatienten, an-
hand des PCT-Spiegels und damit PCT als Marker diskutiert wird (vgl. NK15
re. Sp. Abs. 2 und 3), wobei vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen
unter Punkt 3 b.5 verwiesen wird.
Selbst wenn man der Beklagten folgen und die Neuheit anerkennen wollte, weil
gemäß NK13 oder gemäß NK15 wegen dort fehlender Konkretisierung der Ergeb-
nisse der Patientenstudien ein sicherer Ausschluss einer infektiösen oder einer
nicht-infektiösen Entzündung und/oder eine sichere Differenzierung nicht möglich
sei, mangelt es dem Gegenstand des Patentanspruchs nach Hilfsantrag 1 jeden-
falls in den Ausgestaltungen der alternativen Merkmale 3.1, 3.4 und/oder 3.5 an
der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit. Denn der Fachmann bekommt sowohl
aus der NK13 als auch aus der NK15 unmittelbar die Anregung, aus der Höhe der
Ergebnisse von PCT-Tests auf eine infektiöse oder auf eine nicht-infektiöse Ursa-
che von entzündlichen Erkrankungen gemäß Merkmalen 3.1, 3.4 und 3.5 zu
schließen (vgl. NK13 und NK15, wie unter Punkt 3 b.3 und 3 b.5 zitiert). Die bei
Patienten mit nicht-infektiösen Entzündungen auftretenden sehr niedrigen PCT-
Spiegel (vgl. NK13 Results, Methods und Conclusion; NK15 Table 1 i. V. m. Text)
lassen den Fachmann ohne erfinderisches Zutun zu der Erkenntnis gelangen,
dass die im Fall von mikrobiellen Infektionen und den daraus herrührenden
entzündlichen Prozessen zu messenden erhöhten PCT-Spiegel ein Unterschei-
- 29 -
dungskriterium gegenüber den niedrigen PCT-Werten bei einer rein durch die
Organtransplantation bedingten nicht-infektiösen Entzündung oder bei einem
entzündlichen Schub einer Autoimmunerkrankung darstellen und PCT deshalb als
diesbezüglich differenzierender Entzündungsmarker geeignet ist.
5.
Hilfsantrag 2 mangels Neuheit oder mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Be-
stand.
a)
Fassung durch die frühzeitige Bestimmung (Merkmal 1.1) der Ätiologie entzündli-
cher Prozesse zur Auswahl therapeutischer Maßnahmen (Merkmal 1.2) kann die
Patentfähigkeit des beanspruchten diagnostischen Verfahrens nicht begründen.
Denn die frühzeitige Bestimmung der Ursache entzündlicher Prozesse anhand
des PCT-Werts zwecks Auswahl therapeutischer Maßnahmen ergibt sich bereits
unmittelbar aus einzelnen der vorgebrachten Druckschriften (vgl. NK6 S. 6 Z. 22
bis 38; NK8 le. Satz; NK9 Titel i. V. m. S. 45 re. Sp. Abs. 2; NK11 S. 644 re. Sp.
le. Abs. i. V. m. S. 641 re. Sp. Materials and Methods Abs. 3; NK14 Titel i. V. m.
le. Satz) oder erschließt sich dem Fachmann daraus jedenfalls in naheliegender
Weise. Insbesondere ergibt sich aus der Druckschrift NK8 im Zusammenhang mit
PCT als differenzierender Entzündungsmarker die übliche Therapie zur Behand-
lung nicht-infektiöser entzündlicher Erkrankungen mittels herkömmlicher Corti-
costeroide (vgl. NK8 le. Satz).
b)
ven Ausgestaltungen gemäß den Unteransprüchen 2 bis 11 in Rückbezug auf den
neu formulierten Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2.
Ein durch Merkmale der Unteransprüche 2 bis 4 ausgestaltetes diagnostisches
Verfahren ist im Hinblick auf die Ausführungen zu den betreffenden entzündlichen
Erkrankungen in NK8, NK14 oder NK15 bereits nicht mehr neu oder beruht dem-
gegenüber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (vgl. NK8 zu Unteran-
- 30 -
spruch 4); NK14 le. Satz i. V. m. Tabelle zu Unteranspruch 3; NK15 insbes. S. 310
re. Sp. le Abs. i. V. m. Tabelle11 zu Unteranspruch 2). Eine frühzeitige Diagnose
zwecks Auswahl geeigneter Therapien versteht sich zwar von selbst, beruht je-
doch unter Berücksichtigung des vorgebrachten Standes der Technik, wie vorste-
hend zu Patentanspruch 1 abgehandelt, jedenfalls nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit.
Neuheitsschädlich vorweggenommen sind auch die Ausgestaltungen der Unteran-
sprüche 7 und 8 gegenüber dem Inhalt der NK13 und dem Inhalt der NK15. Aus
der NK13 geht die Möglichkeit hervor, anhand der Höhe des PCT-Spiegels bei
Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen (Rectocolitis) zwischen rein ent-
zündlicher Ursache und infektiösen Erkrankungen zu unterscheiden, wobei voll-
umfänglich auf die vorstehenden Ausführungen unter Punkt 3 b.3 verwiesen wird.
Aus der NK15 geht die Möglichkeit der Überwachung von Patienten mit Immunde-
fizienz, z. B. Transplantationspatienten, anhand des PCT-Spiegels und damit PCT
als Marker zur Differenzierung einer nicht-infektiösen von einer infektiösen Ent-
zündung hervor (vgl. NK15 S. 310 re. Sp. Abs. 2 und 3). Dessen ungeachtet zäh-
len zu den im Blickfeld des Fachmanns liegenden entzündlichen Erkrankungen
insbesondere solche rheumatischen Krankheitsbildern, die typischerweise mit
Entzündungsschüben verbunden und häufig auf Autoimmunerkrankungen zurück-
zuführen sind, darunter auch rein entzündliche Darmerkrankungen, z. B. Morbus
Crohn, so dass die Unteransprüche 7 und 8 auch in der Ausgestaltung der Merk-
male 1.1 und 1.2 des Patentanspruchs 1 jedenfalls mangels erfinderischer Tätig-
keit keinen Bestand haben.
Für die entzündlichen Erkrankungen der übrigen Unteransprüche ergibt sich die
Bedeutung des PCT-Werts als Marker zur Unterscheidung gemäß Merkmal 3
nicht, jedenfalls nicht unmittelbar aus dem vorgebrachten Stand der Technik. Die
Ausgestaltungen dieser Unteransprüche erschließt sich dem Fachmann daraus
jedoch in naheliegender Weise. Er gelangt nicht zuletzt wegen der Lehre der NK6
und geleitet von den Ergebnissen der Fallstudien der Druckschriften NK8 bis
NK15 (vgl. vorstehend Punkte 3 b.1 bis 3 b.6 wie erörtert und zitiert) zur Erkennt-
- 31 -
nis, dass ein erhöhter PCT-Spiegel generell durch Entzündungen mit infektiöser
Ursache bedingt sein könnte, was ihn wiederum veranlassen wird, den PCT-Spie-
gel auf seine Signifikanz als Unterscheidungskriterium bzw. Marker auch bei ande-
ren entzündlichen Erkrankungen hin zu untersuchen. Eine erfinderische Leistung
ist mit der systematischen Untersuchung weiterer infektiöser entzündlicher Er-
krankungen gegenüber nicht-infektiöser entzündlicher Erkrankungen ausgehend
von dem durch den Stand der Technik bereits vorgegebenen Konzept nicht ver-
bunden. Die Unteransprüche 5, 6 und 9 bis 11 haben deshalb jedenfalls mangels
erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelas-
senen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und in-
nerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133
Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in
vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf
Monaten nach der Verkündung.
- 32 -
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.
Schramm
Dr. Egerer
Kätker
Dr. Wismeth
Dr. Freudenreich
Pr