Urteil des BPatG vom 28.06.2016

Stand der Technik, Form, Patentanspruch, Neuheit

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 8/15 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
28. Juni 2016
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 557 421
(DE 60 2004 006 367)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen
Verhandlung
vom
28. Juni 2016
durch
den
Vorsitzenden
Richter Schramm, den Richter Dipl.-Chem. Dr. Egerer und die Richter Kätker,
Dipl.-Chem. Dr. Jäger und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I.
Die Klage wird abgewiesen
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 9. März 2004 beim Europäischen
Patentamt in englischer Sprache angemeldeten und mit Wirkung für die Bundes-
republik Deutschland erteilten Patents 1 557 421 (Streitpatent), das die Priorität
der italienischen Anmeldung IT MI 20032144 vom 7. November 2003 in Anspruch
nimmt und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer
60 2004 006 367 geführt wird.
Das Streitpatent
trägt die Bezeichnung „Polymorphous form of rifaximin as
antibiotic
“ und umfasst 15 Patentansprüche. Die nebengeordneten Patentansprü-
che 1, 10, 11 und 15 lauten wie folgt:
1. A purified rifaximin
α, a polymorph of the antibiotic rifaximin,
wherein said rifaximin
α has a water content lower than 4.5%, and
- 3 -
produces a powder X-ray diffractogram showing peaks at values
of the diffraction angles 2
θ of 6.6°; 7.4°; 7.9°; 8.8°; 10.5°; 11.1°;
11.8°; 12.9°; 17.6°; 18.5°; 19.7°; 21.0°; 21.4°; 22.1°.
10. A process for the pro
duction of rifaximin α, comprising drying
rifaximin β under atmospheric pressure, or under vacuum, or in the
presence of a drying agent, at a temperature between the room
temperature and 105° C, for a period of time between 2 and 72
hours until said rifaximin β is converted into rifaximin α.
11. A composition comprising a predetermined amount of rifaximin
α in combination with excipients suitable for oral administration.
15. A composition comprising the rifax
imin α according to claim 1
in combination with pharmaceutically acceptable excipients.
Wegen des Wortlauts der übrigen Patentansprüche wird auf die Patentschrift
EP 1 557 421 B1 (TM1) verwiesen.
Die Klägerin, die das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 2, 10 bis 12
und 15 angreift, macht die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und
der mangelnden Ausführbarkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf folgende Do-
kumente:
TM5
Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts
vom 08. Juli 2009
TM6
NORMIX® Beipackzettel (italienisch) (Stand: 1. Juni 2000)
TM6a
deutsche Übersetzung von TM6
TM7
Medicinali Parte I, 2001, S. 904/905: Eintrag Rifacol® (italienisch)
TM7a
deutsche Übersetzung von TM7
TM8
Australian Public Assessment Report for Rifaximin, November 2012,
S. 1-11
- 4 -
TM9
Xifaxan® (rifaximin) Tablets, 550 mg, NDA 22-
554 “Briefing Docu-
ment for Gastrointestinal Drug Advisory Committee Meeting
” vom
23. Februar 2010 der Firma Salix Pharmaceuticals, Inc., S. 1-11, 22-
23, 115-125
TM10
Abstract P.256, Digestive and Liver Disease 42S (2010), S. 191, 192
TM11
NORMIX® Beipackzettel (rumänisch), (Stand: 29. November 2005)
TM11a
deutsche Übersetzung relevanter Teile von TM11
TM11b
(deklariert als „TM11“) Englische Übersetzung relevanter Teile der
TM11
TM12
D. Braga et al., CrystEngComm 14 (2012) 6404-6411
TM13
EP 0 161 534 A2
TM14
Erklärung von G.C. Viscomi zu US 10/728,090 vom 10. Januar 2006
TM15
Gutachten Prof. Griesser v. 10. Februar 2015, u. a. zur Nacharbei-
tung der EP 0 161 534 A2
TM15a
Stellungnahme von Prof. Griesser vom 19. Februar 2016 über Ergän-
zende Versuche
TM15b
Versuchsbericht (Beispiel 1 der TM13) und Erklärung von Herrn
Andreas Hotter v. 4. Mai 2016
TM16
R. Brückner et al.,
„Praktikum Präparative Organische Chemie“,
Spektrum Akademischer Verlag, 2008, S. 60/61
TM17
J.-O. Henck et al., Pharm. Ind. 59, Nr. 2 (1997) 165-169
TM18
EMEA, ICH Topic Q 6 A "Test Procedures and Acceptance Criteria
for New Drug Substances and New Drug Products", Mai 2000
TM19
J. J. Descombe et al., Int. J. Clin. Pharm. Res. XIV(2) (1994) 51-56
TM20
Röntgendiffraktogramm Rifaximin 550 mg / Placebo
TM20a
Röntgendiffraktogramm Normix® Rifaximin 200 mg / Placebo
TM21
W. L. F. Armarego, D. D. Perrin:
“Purification of Laboratory Chemi-
cals”, 4th edition, Butterworth Heinemann, Oxford 2000, S. 12
TM22
S. Byrn et al., Pharmaceutical Research 12 (1995) 945-954
TM23
H.
Sucker et al., „Pharmazeutische Technologie“, Georg Thieme Ver-
lag, Stuttgart, 1991, S. 145-149 und 244 - 247
TM24
J. Haleblian et al., J. Pharm. Sci. 58 (1969) 911-929
- 5 -
TM25
„Ergänzende Argumente“ in tabellarischer Übersicht
TM26
BPatGE 20, 6 - Kristallformen
TM27
S. Q. Henwood et al., Drug Dev. Ind. Pharm. 26(4), (2000) 403-408
TM28
Überlappung Figur 1 der TM1 mit Referenz-Diffraktogrammen der
Rifaximin Formen alpha und beta
TM29
Anlagenkonvolut:
TM29a
B. Jestaedt in: FS für Pfeifer, 1996, S. 695-707
TM29b
BGH v. 22. Februar 1994 (X ZR 56/91) - Spanplattenbindemittel
TM30
Auszug aus IMS Datenbank
TM31
Anlagenkonvolut Änderungsanzeigen TM31.1-TM31.27
in „Gazzetta
Uffic
iale“
TM32
A. Moretti et al., Clin Ter 2012; 163 (1), 33-38
TM33
Rivista Società Italiana di Medicina Generale, N.2 Aprile 2012,
S. 40-54
TM34
S. Q. Henwood et al., Drug Dev. Ind. Pharm. 27(10), (2001)
1017-1030
TM35
Merck-Index, 1996, S. 1415
TM36
Versuchsbericht (Beispiele 9 und 10 der TM13) und Erklärung von
Andreas Hotter v. 4. April 2016
TM37
Gutachterliche Stellungnahme von Prof. Daniels v. 1. April 2016 inkl.
Anlagen a-c
a)
Guideline CPMP/QWP/155/96
b)
DSC Rifaximin gemäß Bsp. 1 der TM 13 ohne Trocknung
c)
Versuchsbericht: Trocknungsverlust von Rifaximin Form beta
TM38
Ph. Eur. 4. Ausgabe (2002), 2.2.32 Trocknungsverlust, S. 57
TM39
G. Pelizza et al., II Farmaco 32 (1977) 471-481
TM40
Ph. Eur. 4. Ausgabe (2002), Monographie Rifampicin, S. 2804-2805
TM41
Anlagenkonvolut:
TM41a
Dekret D. lgs 178/1991
TM41b
Verordnung (EG) Nr. 1084/2003 der Kommission vom 3. Juni 2003
- 6 -
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Gegenstand der angegriffenen Patentan-
sprüche durch die vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents vorgenommene Ver-
marktung der Arzneimittel Normix (durch die Beklagte) und Rifacol (durch eine Li-
zenznehmerin der Beklagten) neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Zwar
verfüge die Klägerin über keine Produkte aus der Zeit vor dem Prioritätsdatum, je-
doch seien beide Produkte gemäß verschiedener Belege vor dem Prioritätsdatum
vertrieben worden und enthielten den Wirkstoff Rifaximin.
Dieser Wirkstoff habe in den vertriebenen Produkten schon immer die streitpa-
tentgemäße Alpha-Form aufgewiesen. Dies belegten nicht nur verschiedene Hin-
weise in der vor und nach dem Prioritätsdatum veröffentlichten Fachliteratur son-
dern vor allem auch Äußerungen von Lizenznehmern bzw. Kooperationspartnern
der Beklagten selbst. Hierzu verweist die Klägerin auf den Zulassungsbericht der
australischen Zulassungsbehörde aus dem Jahr
2012 zum Produkt „Xifaxan“
(TM8), das den Wirkstoff Rifaximin enthält. Darin wird eine Äußerung der Antrag-
stellerin wiedergegeben, wonach diese auf der Grundlage der Konsistenz des
Herstellungsverfahrens davon ausgehe, dass die gegenwärtig hergestellte Alpha-
Form schon immer produziert worden sei.
Auch weitere Hinweise, wie die behördlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen
zu Änderungen von Arzneimitteln und deren Herstellungsverfahren, sprächen da-
für, dass sich das Herstellungsverfahren von Rifaximin nicht geändert habe, ins-
besondere nicht nach dem Prioritätsdatum des Streitpatents. Da die Analyse aktu-
ell vertriebener Normix-Tabletten zeige, dass diese Rifaximin in der patentgemä-
ßen Alpha-Form enthielten, müsse dies folglich auch für die vor dem Prioritätsda-
tum vertriebenen Produkte gelten. Die Beklagte habe im Übrigen auch nicht aus-
drücklich bestritten, dass diese Produkte zumindest teilweise Rifaximin in der Al-
pha-Form enthielten.
Selbst wenn man der Beklagten in ihrem unsubstantiierten Vortrag folge, dass der
Herstellungsprozess dahingehend geändert worden sei, dass der Wassergehalt
des Wirkstoffs von weniger als 4,5% auf weniger als 2,5% beschränkt worden sei,
dann müsse das vor dem Prioritätsdatum vertriebene Rifaximin im Bereich von bis
- 7 -
zu 4,5% Wassergehalt und somit exakt in dem des Patentanspruchs 1 gelegen
haben, mithin in der Alpha-Form bestanden haben.
Dabei komme es nicht darauf an, ob der Fachmann überhaupt in der Lage gewe-
sen sei, die Alpha-Form in den vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents vertrie-
benen Arzneimitteln erkennen und herstellen zu können, da dies nach der Ent-
scheidung BGH GRUR 2015, 1091, Rn. 32
– Verdickerpolymer I nicht erforderlich
sei. Selbst wenn man die Analysierbarkeit und Reproduzierbarkeit eines vorbe-
nutzten Stoffs fordern würde, so habe es für den Fachmann, der sich Normix-
Tabletten als Wettbewerbsprodukt beschafft hätte, Möglichkeiten gegeben, die
damals vertriebenen Tabletten zu analysieren. Dies zeige auch das Röntgendif-
fraktogramm TM20a.
Unter diesen Umständen obliege es nach den Grundsätzen der Darlegungs- und
Beweislastumkehr der Beklagten, die über Informationen zum Herstellungsverfah-
ren und zur Zusammensetzung der Rifaximin-Produkte vor dem Prioritätsdatum
des Streitpatents verfüge, ihre Behauptung zu substantiieren und ggf. zu bewei-
Rifaximin
α enthielten. Da sie alle Zulassungsunterlagen zu Normix und Rifacol in
ihrer Verfügungsgewalt habe, sei ihr dies zumutbar. Die Beklagte treffe jedenfalls
die sekundäre Darlegungslast. Ihr obliege es damit, zur Beschaffenheit der vorbe-
nutzten Produkte bzw. zu deren Herstellungsverfahren substantiiert Stellung zu
nehmen.
Sollte der Senat dieser Auffassung nicht folgen, so beantragt die Beklagte hilfs-
weise nach § 142 ZPO i. V. m. §§ 87, 99 Abs. 1 PatG, § 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO an-
zuordnen, dass die Beklagte die Dossiers für die Erstzulassung des Produkts
Normix in Italien und Rumänien vorlegt, und zwar die jeweiligen Abschnitte zur
Spezifikation des Wirkstoffs sowie alle regulatorisch veranlassten Änderungen,
weiter die ursprüngliche rumänische Zusammenfassung der Produktmerkmale
(SmPC) zum Produkt Normix von 1998 und schließlich die internen Unterlagen
zum Herstellungsprozess von Normix-Produkten, aus denen sich die angebliche
- 8 -
Vornahme der Änderung des Herstellungsprozesses im Zusammenhang mit der
Einführung der Spezifikation von Rifaximin
α in Italien im Jahr 2005 ergibt.
Auch durch die Druckschrift TM13 sei der Gegenstand der angegriffenen Pa-
tentansprüche neuheitsschädlich vorweggenommen. Fachmännische Nacharbei-
tungen des darin offenbarten Herstellungsverfahrens, insbesondere der Bei-
spiele 1, 7, 9 und 10, führten zwangsläufig zum Erhalt von Produkten, die zumin-
dest teilweise die patentgemäße Alpha-Form von Rifaximin enthielten. Dies zeig-
ten sowohl die im Auftrag der Beklagten angefertigten Nacharbeitungen, wie sie in
den Anlagen KW4, KW12 dokumentiert seien, als auch die im Auftrag der Klägerin
durchgeführten Nacharbeitungen (TM15 bis TM15b; TM36). Soweit hierbei neben
Rifaximin in der Alpha-Form auch solches in der Beta-Form erhalten werde, sei
dies unschädlich, da die angegriffenen Patentansprüche nicht den Erhalt von rei-
nem, sondern nur von gereinigtem, also gewaschenem Rifaximin
α verlangten. Die
Nacharbeitungen gemäß TM15 bis TM15b und TM36 seien im Gegensatz zur
Auffassung der Beklagten unter fachüblichen Bedingungen und nicht etwa rück-
schauend durchgeführt worden. Insbesondere werde im Beispiel 1 der TM13 ein
Trocknungsschritt vom Fachmann als notwendig mitgelesen.
Sollte es der Senat dennoch nicht als erwiesen ansehen, dass die fachmännische
Nacharbeitung der Druckschrift TM13 zu Rifaximin
α führt, regt die Klägerin an,
über das „zwangsläufige Ergebnis einer fachmännischen Nacharbeitung“ der Bei-
spiele 1, 9 und 10 der TM13 ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Den Gegenständen der angegriffenen Patentansprüche fehle auch die erfinderi-
sche Tätigkeit. Ausgehend von der Druckschrift TM13 wäre der Fachmann ohne
erfinderisches Tätigwerden zur patentgemäßen Alpha-Form von Rifaximin gelangt.
Hierbei sei es üblich, dass Feststoffe, denen aufgrund der Herstellung bzw. Reini-
gung Wasser anhafte, standardmäßig getrocknet würden, was zur Umwandlung
der Beta-Form in die Alpha-Form führe. Spätestens bei den im Rahmen der gale-
nischen Entwicklung erforderlichen (Prä-) Formulierungstests wäre auch der
„blinde“ Fachmann bei der Bestimmung des Feuchtegehalts auf die Alpha-Form
gestoßen. Zur korrekten Bestimmung der Menge des enthaltenen Wirkstoffs hätte
- 9 -
er den Feuchtegehalt des bei der Nacharbeitung enthaltenen Produkts bestimmen
müssen. Wende er dabei das gängige Verfahren des Trocknungsverlusts an, so
erhalte er dabei zwangsläufig Rifaximin
α. Die Untersuchung der Eignung der Po-
lymorphe als Medikament erfolge dann mit Routinemaßnahmen.
Auch der
„sehende“ Fachmann, der Empfehlungen der Zulassungsbehörden be-
achte und sich vortaste, wäre zwangsläufig zu Rifaximin
α gelangt. Er hätte im
Hinblick auf Empfehlungen der Zulassungsbehörden der bekannten Neigung von
Molekülen mit Rifamycin-Struktur zur Bildung von (Pseudo-)Polymorphen, aber
auch wegen zu beobachtender Farbumschläge Untersuchungen zur Polymorphie
des Wirkstoffs angestellt und eine geeignete Kristallform gesucht. Bei der Anwen-
dung üblicher Untersuchungsmethoden, insbesondere der behördlich empfohle-
nen Röntgenpulverdiffraktometrie, wäre er unweigerlich auf die Formen
α und β
gestoßen.
Zudem sei die Lehre der angegriffenen Patentansprüche 1, 10 und 15 in ihrer vol-
len Breite nicht ausführbar. Danach sei Rifaximin
α bei einem Wassergehalt von 3
bis 4,5% erhältlich. Die Erfinder selbst hätten jedoch in späteren Veröffentlichun-
gen darauf hingewiesen, dass sich die Alpha-Form nur bei einem Wassergehalt
von unter 3% bilde, während sich bei 4 bis 5% Wassergehalt die Delta-Form er-
gebe. Wie Rifaximin
α mit einem Wassergehalt von 3 bis 4,5% erhalten werden
könne, sei damit im Streitpatent nicht ausführbar offenbart.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 557 421 im Umfang der Patentansprü-
che 1, 2, 10 bis 12 und 15 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der
Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
- 10 -
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie
verweist auf folgende Dokumente:
KW1
Tabelle erteilter Patente, welche die Priorität IT MI20032144
beanspruchen
KW2
M. Brufani et al., J. Antibiot. 37 (1984) 1623-1627
KW3
G. C. Viscomi et al., CrystEngComm 10 (2008) 1074-1081
KW4
Eingabe der Beklagten im Anmeldeverfahren des Streitpatents vom
2. Mai 2006
KW5
N. M. Bass et al., NEJM 362 (2010) 1071-1081
KW6
Klinisches Dossier von Xifaxan, Modul 3.2.P.2.2
„Drug Product
(Rifaximin 550 mg, Tablets)
KW7
Tabelle polymorpher Formen des Rifaximins
KW8
US 2012/077835 A1
KW9
Analysezertifikat für
14
C-markiertes Rifaximin (1997)
KW10
Zusammenfassung von Brückner, Präparative Organische Chemie
(1. Aufl. 2008), Spektrum Akademischer Verlag
KW11
EP 1 557 421 A1
KW12
Versuchsbericht v. 13. Mai 2010, eingereicht durch die Beklagte im
EP-Beschwerdeverfahren
KW13
L.-F. Huang et al., Adv Drug Del Rev 56 (2004) 321-334
KW14
Marktzulassung von Rifaximina Sandoz (italienisch) (Gazzetta Uffici-
ale, suppl ord. N. 247, 10-11-2010)
KW14a
Englische Übersetzung von KW14
KW15
Zusammenfassung der Produkteigenschaften (italienisch) von Rifaxi-
mina Sandoz, 2010
KW15a
Englische Übersetzung von KW15
KW16
Zusammenfassung der Produkteigenschaften (italienisch) von
NORMIX SmPC (2009, Italien)
KW16a
Englische Übersetzung von KW16
KW17
C. Blandizzi et al., Pharm Res 85 (2014) 39-44
KW18
G. G. Z. Zhang et al., Adv Drug Del Rev 56 (2004) 371-390
- 11 -
KW19
Italienisches Amtsblatt (Gazetta Ufficiale Della Repubblica Italiana),
2005, n. 171, S. 155
KW20a
Änderung
der
Produktspezifikation
für
Normix
(italienisch),
10. Dezember 2004
KW20b
KW21
KW22
G. G. Gallo und P.
Radaelli, „Rifampin”, Analytical Profiles of Drug
Substance, Bd. 5, S. 467-489, K. Florey Ed., Academic Press. New
York, 1976
KW23
Rifaximin form alpha
– Single crystal data, Electronic supplementary
material of TM12
KW24
A. Bacchi et al., New J. Chem. 32 (2008) 1725-1735
KW25
European Pharmacopoeia 6.5, Spezifikation Rifaximin 07/2009:2362,
S. 4955-4957
TM25a
Erwiderung der Beklagten auf die ergänzenden Argumente der
Klägerin in Dokument TM25
Nach Auffassung der Beklagten ist der Gegenstand der angegriffenen Patentan-
sprüche neu. Keines der vorveröffentlichten Dokumente, insbesondere nicht die
vor dem Prioritätsdatum erstellten Produktinformationen und Beipackzettel zum
Produkt Normix, enthielten Hinweise auf eine bestimmte Kristallform des Wirk-
stoffs Rifaximin.
Die insoweit beweispflichtige Klägerin habe die von ihr geltend gemachte offen-
kundige Vorbenutzung von Rifaximin-Produkten, die angeblich bereits vor dem
Prioritätsdatum die patentgeschützte Alpha-Form aufwiesen, nicht belegt.
Über Rifaximin-Tabletten aus dieser Zeit, die ohnehin nur eine Haltbarkeit von drei
Jahren aufwiesen, verfügten weder die Klägerin noch die Beklagte. Dementspre-
chend könnten die als TM20 und TM20a vorgelegten Röntgen-Diffraktogramme
keine Tablette aus dieser Zeit betreffen. Zudem seien darin die Auswirkungen des
Herstellungsverfahrens einer Tablette als mögliche Störungen des Polymorphis-
mus nicht berücksichtigt.
- 12 -
patents veröffentlicht worden und könne keine Hinweise auf das Herstellungsver-
fahren vor dem Prioritätsdatum geben. Er enthalte auch nur Äußerungen der aust-
ralischen Zulassungsbehörde, die wiederum bloße Hypothesen bzw. Spekulatio-
nen der Antragstellerin wiedergebe.
Entgegen dem Vortrag der Klägerin habe die Beklagte den Herstellungsprozess
der Rifaximin enthaltenden Medikamente geändert. Mit der Einführung von
Rifaximin
α sei der Herstellungsprozess so angepasst worden, dass - bei einem im
Wesentlichen gleichen Syntheseweg - reproduzierbar Rifaximin in der Alpha-Form
hergestellt werde. Dementsprechend seien die Produktionsbetriebe zur Anpas-
sung des Herstellungsprozesses angewiesen worden. Der Produktionsprozess sei
auf der Grundlage des Beispiels 2 des Streitpatents hinsichtlich der Variation der
Temperatur der Kristallisationsbedingungen verändert worden, was ursächlich
dazu beitrage, ein homogenes Produkt zu erhalten. Insbesondere sei der Wasser-
gehalt von 4,5% auf 2,5% geändert worden. Mit diesen Angaben habe die Be-
klagte ihren Mitwirkungspflichten genügt. Der hilfsweise gestellte Antrag der Klä-
gerin auf Urkundenvorlage ziele auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ab.
Im Gegensatz zu dem der Entscheidung BGH GRUR 2015, 1091, Rn. 32
– Verdi-
ckerpolymer I zugrunde liegenden Fall, bei dem es um eine Zusammensetzung
bekannter Substanzen gegangen sei, handele es sich bei Rifaximin
α um einen
Stoff mit einer gänzlich neuen Struktur. Vor dem Prioritätsdatum sei der Polymor-
phismus von Rifaximin nicht bekannt gewesen. Vielmehr habe man die Resorpti-
onseigenschaften von Rifaximin der Molekülstruktur zugeschrieben. Der Fach-
mann habe bei einem längst vermarkteten Wirkstoff keinen Anlass gehabt, die
Kristallform von Rifaximin zu untersuchen. Insbesondere für ein Polymorphie-
Screening habe kein Anlass bestanden. Die Identifizierung eines vorher unbe-
kannten Polymorphs hätte für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand be-
deutet, zumal Rifaximin dabei von den zusätzlichen Hilfsstoffen getrennt werden
müsste und damit seine Kristallform verloren hätte. Selbst im Falle einer solchen
Untersuchung hätte der Fachmann nicht erkannt, welche der zahlreichen Kristall-
- 13 -
formen im Röntgendiffraktogramm angezeigt werde, so dass er keineswegs
zwangläufig zur Alpha-Form gelangt wäre.
Soweit in der TM39 aus dem Jahr 1977 der Polymorphismus
des „Schwestermo-
leküls“ Rifampicin beschrieben werde, habe der Fachmann nach 26 Jahren keinen
Anlass gehabt, dies auf Rifaximin zu übertragen. Gegen eine solche Übertragung
von Erkenntnissen zu Rifampicin spreche auch, dass dieser Wirkstoff im Gegen-
satz zu Rifaximin systemisch wirke.
Die Gegenstände der angegriffenen Patentansprüche seien auch nicht durch die
Druckschrift TM13 neuheitsschädlich offenbart, denn die Nacharbeitung der dort
beschriebenen Verfahren führe nicht unmittelbar und zwangsläufig zum patentge-
schützten Gegenstand. Bei der TM13 stehe ein industrielles Syntheseverfahren im
Vordergrund, nicht die Aufarbeitung des Produkts. Insoweit lasse die TM13 erheb-
lichen Spielraum bzw. viele Variationsmöglichkeiten. Die von der Klägerin vorge-
legten Nacharbeitungen (TM15 bis TM15b; TM36) wiesen aber Verfahrensschritte
(etwa Trocknungsschritte) und Parameter wie Kristallisierungsbedingungen auf,
Kenntnis des Streitpatents zeigten. Insbesondere könne in das Beispiel 1 der
TM13 kein Trocknungsschritt hineingelesen werden. Dies sei nach den Grundsät-
zen der Entscheidung BGH GRUR 2014, 758, Rn. 45 - Proteintrennung nur bei
Verfahrensschritten zulässig, für die es keine weiteren Alternativen gebe. Zudem
gehe aus den Nacharbeitungen nicht die zuverlässige Gewinnung von Rifaximin in
der Alpha-Form hervor.
Die Druckschrift TM13 habe die Gegenstände der angegriffenen Ansprüche auch
nicht nahe gelegt, so dass diese auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. Hierzu gäl-
ten im Wesentlichen die gleichen Gründe, die auch gegen die Neuheitsschädlich-
keit dieser Druckschrift sprächen. Ausgehend von der TM13 hätte der Fachmann
zahlreiche Schritte unternehmen müssen, um zur Erfindung zu gelangen, etwa die
Entdeckung des Polymorphismus von Rifaximin und die Entwicklung eines Her-
stellungsverfahrens mit geeigneten Bedingungen zur Aufarbeitung des Produkts.
- 14 -
Ohne Kenntnis des Streitpatents sei die Identifizierung der Alpha-Form von
Rifaximin mit seinem spezifischen Wassergehalt und den definierten Werten des
Pulverröntgendiffraktogramms nicht möglich.
Auch für die mangelnde Ausführbarkeit habe die insoweit beweispflichtige Klägerin
keinen Beleg erbringen können, insbesondere keine Versuchsdaten, aus denen
hervorgehe, dass die Herstellung von Rifaximin
α mit einem Wassergehalt von 3%
bis 4,5% nicht möglich sei. Die Beklagte verweist auf die Druckschrift KW3, wo-
nach Rifaximin
α auch mit einem Wassergehalt von 3,0% bis 4,6% vorliegen
könne. Die scheinbar widersprüchlichen Bereiche rührten daher, dass die Karl-
Fischer-Analyse nicht zwischen absorbiertem Wasser und dem Wasser, das sich
innerhalb des Kristallgitters befinde, unterscheiden könne. Zudem könnten auch
bei gleichem Wassergehalt unterschiedliche polymorphe Formen vorliegen, wenn
,
Entscheidungsgründe
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1
Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) und der mangelnden Ausführbar-
keit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) gestützte
Klage ist zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
I.
1.
Das Streitpatent betrifft das Antibiotikum Rif
aximin (INN; „The Merck In-
dex“, XIII. Ed., 8304), das zur Rifamycin-Klasse gehört. Durch Fermentation aus-
gewählter Mikroorganismen-Stämme hergestellte Rifamycine und deren semisyn-
thetischen Derivate, darunter Rifampicin, Rifabutin, Rifapentin sowie Rifaximin,
sind antibakterielle makrozyklische Verbindungen, deren antibakterielle Wirkung
auf der Hemmung der bakteriellen Proteinbiosynthese beruht. Das ausgehend von
- 15 -
sierte Rifaximin wird im Magen-Darm-Trakt praktisch nicht resorbiert und hat des-
halb eine besondere Bedeutung bei der Behandlung von bakteriellen Darmerkran-
kungen.
Sowohl das italienische Patent IT 1154655 als auch das europäische Patent
EP 0 161 534 B1 beschreiben die Kristallisation von Rifaximin aus geeigneten Lö-
sungsmitteln und Lösungsmittelsystemen, beispielsweise aus einem Gemisch aus
7 Volumenteilen Ethylalkohol und 3 Volumenteilen Wasser, mit nachfolgender
Trocknung unter Atmosphärendruck oder unter Vakuum. Es wurden weder die ex-
perimentellen Bedingungen der Kristallisation und der Trocknung noch die kristal-
line Beschaffenheit der Produkte näher untersucht (vgl. EP 1 557 421 B1 Sp. 1
0002
).
2.
Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zu Grunde, eine homo-
gene, stabile und pharmakologisch vorteilhaft verabreichbare Wirkstoffform von
Rifaximin bereitzustellen (vgl. EP 1 557 421 B1 [0003] i. V. m. [0007] bis [0010]).
3.
Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch
1)
gereinigtes Rifaximin
α,
1.1) ein Polymorphes von Rifaximin,
2)
mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5%
3)
und einem Pulver-Röntgenstrahl-Diffraktogramm mit Linien bei Wer-
ten der Beugungswinkel 2Θ von 6,6; 7,4; 7,9; 8,8; 10,5; 11,1; 11,8; 12,9;
17,6; 18,5; 19,7; 21,0; 21,4 und 22,1.
Die Aufgabe wird ferner nach Patentanspruch 10 gelöst durch ein
A)
Verfahren zur Herstellung von Rifaximin
α umfassend
B)
die Trocknung von Rifaximin ß
B.1) unter Atmosphärendruck,
B.2) unter Vakuum,
B.3) oder in Gegenwart eines Trocknungsmittels,
- 16 -
C)
bei einer Temperatur zwischen Raumtemperatur und 105° C
D)
über einen Zeitraum zwischen 2 Stunden und 72 Stunden,
E)
bis das Rifaximin ß in Rifaximin
α umgewandelt ist,
sowie nach den Patentansprüchen 11 und 15 durch vorbestimmte Mengen von
Rifaximin
α oder durch Rifaximin α gemäß Patentanspruch 1 enthaltende pharma-
zeutische Zusammensetzungen.
4.
Als Fachmann ist ein Team anzusehen, das einen mit der Synthese,
Aufarbeitung und Analytik pharmazeutischer Wirkstoffe vertrauten Chemiker der
Fachrichtung organische Chemie sowie einen insbesondere mit der Analytik be-
reits formulierter Arzneimittelwirkstoffe vertrauten Pharmazeuten oder Chemiker
umfasst.
5.
Unter Polymorphismus ist die Eigenschaft bzw. Fähigkeit eines Feststoffs zur
Ausbildung von mehr als einer kristallinen Erscheinungsform zu verstehen. Bei
polymorphen Feststoffformen ein und derselben chemischen Verbindung, wie die
im Streitpatent beanspruchte polymorphe Alpha-Form des Rifaximin (vgl. Merk-
male 1, 1.1), bedingt die unterschiedliche Anordnung der Moleküle im Kristallgitter
Unterschiede in den Eigenschaften dieser kristallinen Erscheinungsformen, bei-
spielsweise unterschiedliche kinetische und thermodynamische Stabilität, Löslich-
keit oder Bioverfügbarkeit. Jede dieser Kristallformen ist durch ein charakteristi-
sches Röntgenstrukturspektrum gekennzeichnet, das in Pulverform oder an Ein-
kristallen zur Bestimmung der Konstanten des Kristallgitters bzw. der Kristallzelle
und der absoluten Raumstruktur im Feststoff aufgenommen wird. Diese für jede
Kristallform charakteristischen Eigenschaften verschwinden, sobald die kristalline
Feststoffform vollständig und rückstandsfrei aufgelöst ist. Den Polymorphen zuge-
ordnet werden auch die verschiedenen Solvate, insbesondere Hydrate, die sich
bei der Kristallisation einer chemischen Verbindung unter Beteiligung eines Lö-
sungsmittels ausbilden. Sie werden oftmals als Pseudopolymorphe bezeichnet.
- 17 -
Gereinigtes Rifaximin
(vgl. Merkmal 1) bedeutet im Kontext des Streitpatents
nichts anderes als im Wesentlichen reines Rifaximin
, in dem gegebenenfalls
vorhandene Anteile anderer Erscheinungsformen sowie Nebenprodukte der che-
mischen Synthese unter der analytischen Nachweisgrenze liegen (vgl. TM1 Fig. 1
bis 3). Eine andere Auslegung des Merkmals 1 scheidet auf Grund der Beschrei-
bung und Ausführungsbeispiele des Streitpatents aus, die ausschließlich die Her-
stellung und Isolierung der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin mittels unter-
schiedlicher Arbeitsweisen, nicht aber die Herstellung und Verwendung von Gemi-
schen verschiedener Kristallformen des Rifaximin zum Ziel haben. Damit überein-
stimmend sind in dem Röntgenpulverdiffraktogramm der isolierten gereinigten
Präparate von Rifaximin
(vgl. TM1 bzw. KW11, jeweils Fig. 1) keine Röntgen-
beugungssignale erkennbar, die charakteristisch sind für die in der ursprünglichen
Anmeldung ebenfalls hergestellten, isolierten und von Rifaximin
abgegrenzten
Beta- und Gamma-Formen des Rifaximin (vgl. KW11
0043
und
0044
i. V. m.
Beisp. 2 und 6 und Fig. 2 und 3, sowie die nachveröffentlichte, gutachtlich zu
wertende KW3 S 1078 Table 1).
In einer Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 11 bedeutet „a predetermined
amount of rifaximin
“ nichts anderes als das Einbringen einer vorbestimmten,
festgelegten bzw. vorgegebenen Menge von Rifaximin in der Alpha-Form.
II.
Die angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents erweisen sich als bestands-
fähig. Ihnen kann die Patentfähigkeit und Ausführbarkeit nicht abgesprochen wer-
den.
1.
Der angegriffene Teil des Streitpatents ist ausführbar offenbart (Art. 83 EPÜ).
Die gereinigte Alpha-Form des Rifaximin (Merkmale 1, 1.1 und 3) mit einem Was-
sergehalt von weniger als 4,5% (Merkmal 2) ist unter Anwendung verschiedener,
in nacharbeitbarer Weise beschriebener Verfahrensschritte - neben den Merkma-
- 18 -
len A bis E des angegriffenen Anspruchs 10 auch die Verfahrensschritte der nicht
angegriffenen Ansprüche 3 und 8 - ohne weiteres herstellbar. Denn das Streitpa-
tent beschreibt anhand von insgesamt fünf Ausführungsbeispielen die Herstellung
und Identifizierung von gereinigtem Rifaximin
α mit einem Wassergehalt von weni-
ger als 4,5%, konkret jeweils im Bereich von 2% bis 3%, sowie einem Röntgenpul-
verdiffraktogramm mit den anspruchsgemäßen Werten (vgl. TM1 Beisp. 2 bis 6
i. V. m. [0025] bis [0032]). Ausführbar ist damit auch das Verfahren gemäß Pa-
tentanspruch 10, das ausgehend von der Beta-Form zur Alpha-Form führt (vgl.
TM1 Beisp. 1
0047
,
0048
i. V. m Beisp. 6 und
0035
).
Dass dabei Rifaximin
in gereinigter Form und damit ohne nachweisbare Men-
genanteile anderer Erscheinungsformen und Nebenprodukte aus der chemischen
Synthese erhalten wird, ergibt sich schon aus den analytischen Daten der betref-
fenden Ausführungsbeispiele einschließlich der Abwesenheit der für andere Er-
scheinungsformen des Rifaximin charakteristischen Röntgenbeugungssignale (vgl.
TM1 Beisp. 2 bis 6 i. V. m.
0037
sowie Fig. 1 (
) vs. Fig. 2 (

und Fig. 3 (
)
i. V. m.
0005
; Erläuterungen zu Fig. 2 und 3 siehe KW11, dazu gutachtlich die
nachveröffentlichte KW3 S. 1078 Table 1).
Mängel in dem experimentellen Teil des Streitpatents, die Zweifel an der Ausführ-
barkeit des Gegenstands der angegriffenen Patentansprüche begründen könnten,
sind nicht erkennbar.
Ausführbar ist auch die Bereitstellung von Zusammensetzungen gemäß den Pa-
tentansprüchen 11 und 15. Denn sowohl Zusammensetzungen mit einer vorbe-
stimmten Menge an Rifaximin
als auch Zusammensetzungen mit Rifaximin in
der gereinigten Alpha-Form mit den Merkmalen 2 und 3 sind ausgehend von der
Lehre des Streitpatents ohne weiteres herstellbar (vgl. TM1 Beisp. 2 bis 6 i. V. m.
0040
bis
0044
). Insbesondere das Einbringen einer vorbestimmten, stabilen
Menge an Rifaximin
in eine Zusammensetzung gemäß Patentanspruch 11, die
in pharmazeutischer Hinsicht einen wesentlichen Teilaspekt der Erfindung des
Streitpatents darstellt (vgl. TM11
0018
i. V. m.
0036
und
0040
), ist zwingend
an die zuverlässige und reproduzierbare Zugänglichkeit der gereinigten Alpha-
- 19 -
Form gebunden und mittels der Lehre des Streitpatents erstmals möglich, so dass
auch diesbezüglich die Ausführbarkeit außer Frage steht.
Die lückenlose Ausführbarkeit über die beanspruchte Breite ist ohnehin nicht zu
fordern, vielmehr genügt ein zum Ziel führender Weg (vgl. BGH GRUR 2001,
813 - Taxol; BGH GRUR 2013, 1210 - Dipeptidyl-Peptidase-Inhibitoren). Das Vor-
bringen der Klägerin, die Patentansprüche 1, 10, 11 und 15 seien nicht über ihre
volle Breite ausführbar, vermag die Ausführbarkeit daher nicht in Frage zu stellen.
2.
Der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche ist neu (Art. 54 EPÜ).
Gereinigtes Rifaximin
α mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5% gemäß
Patentanspruch 1, Verfahren zu seiner Herstellung gemäß Patentanspruch 10 so-
wie vorbestimmte Mengen von Rifaximin α oder gereinigtes Rifaximin α gemäß
Patentanspruch 1 enthaltende pharmazeutische Zusammensetzungen (Patentan-
sprüche 11 und 15) sind in den vorgebrachten Druckschriften weder vorbeschrie-
ben noch neuheitsschädlich vorweggenommen oder offenkundig vorbenutzt, auch
nicht durch Rifaximin enthaltende Arzneimittel, die bereits vor dem Zeitrang des
Streitpatents zugelassen waren und in den Handel gelangt sind.
a)
Die Neuheit eines Stoffes ist gegeben, wenn er sich in mindestens einem für
ihn charakteristischen Parameter von bekannten Stoffen ausreichend und zuver-
lässig unterscheiden lässt (BGH GRUR 1972, 80, 84 - Trioxan). Dabei sind Stoffe
gleicher chemischer Konstitution grundsätzlich als identisch anzusehen. Es ist
aber nicht ausgeschlossen, dass sich Stoffe trotz gleicher chemischer Konstitution
in ihrer besonderen, die stoffliche Eigenschaft bestimmenden Erscheinungsform
oder ihren Erscheinungsformen voneinander unterscheiden. Sind diese Erschei-
nungsformen im Stand der Technik nicht beschrieben und treten sie auch nicht bei
der Herstellung des in seiner chemischen Konstitution bereits bekannten Stoffes
nach den vorbeschriebenen Herstellungsverfahren zwangsläufig als eine dem
Stoff - wenn auch unerkannt - immanente Eigenschaft auf, ist seine Neuheit anzu-
erkennen (BPatGE 20, 6 - Kristallformen). Aus einer im Nachhinein nicht mehr zu
klärenden, durchaus plausiblen Möglichkeit der unerkannten Anwesenheit einer
- 20 -
unbekannten Kristallform in Produkten des Standes der Technik, auch im Gemisch
mit bekannten Erscheinungsformen, kann nicht ohne weiteres geschlossen wer-
den, dass bei der Herstellung dieser Produkte gemäß dem Stand der Technik im
Prioritätszeitpunkt stets die unbekannte Kristallform ohne Zutun entstanden bzw.
angefallen ist und diese unbekannte Kristallform zum Stand der Technik gehört
(vgl. BGH X ZR 58/08 v. 15. März 2011, Rn. 19 bis 26 - Monoklines Metazachlor).
b)
Die Alpha-Form des Rifaximin weist gegenüber den vorgebrachten vorveröf-
fentlichten Druckschriften die erforderliche Neuheit auf, da gereinigtes Rifaximin
als polymorphe Erscheinungsform des Rifaximin (Merkmale 1, 1.1) mit den cha-
rakteristischen stofflichen Merkmalen 2 und 3 daraus weder expressis verbis noch
implizit zu entnehmen ist.
b.1)
seiner Anwendung als Arzneimittelwirkstoff bereits vorbeschrieben (vgl. z. B.
TM13), jedoch ist die streitpatentgemäße gereinigte Alpha-Form des Rifaximin mit
einem definierten Röntgenpulverdiffraktogramm und einem Wassergehalt von
weniger als 4,5% (Merkmale 1 bis 3) in der TM13 nicht vorbeschrieben.
Im Einzelnen gehen aus der TM13, die ausweislich ihrer Bezeichnung ein neues
Verfahren zur Synthese von Pyridoimidazo-Rifamycinen betrifft, keinerlei Anhalts-
punkte für die Herstellung neuer Erscheinungsformen bereits bekannter
Rifamycinderivate hervor. Die Ausführungsbeispiele 1, 4 und 6 bis 14 betreffen
zwar 4-Deoxy-
4’-methyl-pyrido
1’,2’:1,2
imidazo
5,4-c
rifamycin SV und damit
Rifaximin, ohne jedoch unmittelbar oder in Verbindung mit der allgemeinen Be-
schreibung (vgl. TM13 S. 10 Z. 2 bis 15) konkrete Informationen zur
Beschaffenheit der im Zuge der Aufarbeitung erhaltenen Feststoffe des Rifaximin
und damit zu den Merkmalen 1 bis 3 zu vermitteln. So finden sich keinerlei Daten
zum Lösungsmittelgehalt, insbesondere nicht zum Wassergehalt (Merkmal 2) der
Aufarbeitungsprodukte und damit auch nicht zur möglichen Existenz von
Solvatformen, insbesondere auch nicht von Hydraten, oder zur Festkörperstruktur
des Rifaximin oder seiner Solvate bzw. Hydrate. Die lediglich allgemeine, nicht
- 21 -
näher spezifizierte Angabe, dass ein kristallines Produkt erhalten werden konnte,
findet sich nur in den Ausführungsbeispielen 1, 4, 6 und 7, nicht aber in den
Ausführungsbeispielen 8 bis 14. Die Beschaffenheit des Rifaximin in festem
Zustand steht damit ersichtlich nicht im Fokus der Lehre der TM13. Zudem fehlen
jegliche Angaben oder Hinweise auf das Vorliegen einer besonderen
Raumstruktur in den erhaltenen kristallinen Produkten. Selbst unter der Annahme
eines Wassergehalts im Bereich des Merkmals 2 könnten sowohl mehrere
Erscheinungsformen gleichen Wassergehalts mit unterschiedlicher Raumstruktur
als auch mehrere Erscheinungsformen unterschiedlichen Wassergehalts mit
unterschiedlicher Raumstruktur existieren.
b.2)
Verfahrensprodukten der TM13 gegebenenfalls unerkannt enthaltene Anteile der
Alpha-Form des Rifaximin stützt und dabei auf in ihrem Auftrag angefertigte Ver-
suchsberichte TM15 bis TM15b und TM36 zur Nacharbeitung einzelner Ausfüh-
rungsbeispiele der TM13 und die in den Aufarbeitungsprodukten durch Röntgen-
pulverdiffraktometrie festgestellte Alpha-Form verweist, ist zunächst festzuhalten,
dass in diesen Nacharbeitungen Verfahrensbedingungen zur Anwendung gelangt
sind, in denen die experimentellen Bedingungen der TM13 geändert wurden.
In TM15 und TM15a wurde das Beispiel 1 der TM13 nachgearbeitet. Auf die er-
haltenen Verfahrensprodukte wurden Trocknungsmaßnahmen angewandt, die
weder aus den Beispielen noch aus der Beschreibung und Anspruchsfassung der
TM13 hervorgehen.
In TM15 bis TM15b wurden in Beispiel 1 der TM13 fehlende Angaben zum Her-
stellungs- und Aufarbeitungsverfahren durch nach Ansicht der Klägerin allgemein
gängige Bedingungen ergänzt. Insbesondere wurden auf die erhaltenen Synthe-
seprodukte Trocknungsmaßnahmen angewandt, die weder aus dem Beispiel 1
selbst noch aus den übrigen Beispielen oder der Beschreibung der TM13 hervor-
gehen. In den beiden Experimenten 1 und 2 der TM15b wurden darüber hinaus
Konzentrationen für die Kristallisation gewählt, die in Beispiel 1 von TM13 ebenso
wenig vorgegeben sind wie eine Trocknung unter konkreten Trocknungsbedin-
gungen.
- 22 -
Entsprechendes gilt für TM36, in der die Beispiele 9 und 10 der TM13 nachgear-
beitet und jeweils Gemische aus der Alpha- und Beta-Form des Rifaximin erhalten
wurden. Die Arbeitsvorschriften der Beispiele 9 und 10 der TM13 enthalten zur
Aufarbeitung der Reaktionsgemische, der Isolierung der Reaktionsprodukte in
Feststoffform und gegebenenfalls deren Nachreinigung noch weniger Angaben als
das Beispiel 1 der TM13 mit der Folge, dass in den Nacharbeitungsversuchen der
TM36 - in Kenntnis der Existenz und der Eigenschaften des Rifaximin
α und damit
ex-post - im Vergleich zur Nacharbeitung des Beispiels 1 weitere zusätzliche Er-
gänzungen vorgenommen worden sind.
Die TM13, die ersichtlich auf die chemische Synthese mehrerer semisynthetischer
Rifamycinderivate ausgerichtet ist, vermittelt deshalb auch keine nacharbeitbare
Lehre zur gezielten Herstellung spezieller Kristallformen dieser semisynthetischen
Derivate. Ein ausführbarer Weg zu gereinigtem Rifaximin
ist damit in der TM13
nicht offenbart, sodass dessen Neuheit gegenüber der TM13 außer Frage steht.
Eine Nacharbeitung in Kenntnis der streitpatentgemäßen Alpha-Form des Rifaxi-
min und deren Herstellung sowie in Kenntnis der Ergebnisse und mechanistischen
Schlussfolgerungen nachveröffentlichter Druckschriften (vgl. z. B. TM12, insbes.
Scheme 2) unter Einsatz von in der TM13 nicht offenbarter Verfahrensbedingun-
gen vermag deshalb die Neuheit des Gegenstands des Streitpatents nicht in
Frage zu stellen. Dies gilt auch dann, wenn die Alpha-Form des Rifaximin zufällig
und unerkannt, gegebenenfalls im Gemisch mit anderen noch unbekannten Er-
scheinungsformen des Rifaximin, entstanden sein sollte (vgl. BGH X ZR 58/08 v.
15. März 2011, Rn. 19 bis 26 - Monoklines Metazachlor).
Die übrigen seitens der Klägerin vorgebrachten vorveröffentlichten Druckschriften,
soweit sich diese in irgendeiner Weise mit Rifaximin befassen (vgl. TM6, TM7,
TM19), geben keinerlei Hinweise auf die Alpha-Form des Rifaximin mit den Merk-
malen 1 bis 3. Aus der TM19 geht zwar hervor, dass Rifaximin als Wirkstoff des
Arzneimittels Normix im Veröffentlichungsjahr 1994 der TM19 und damit bereits
vor dem Zeitrang des Streitpatents vermarktet wurde (vgl. TM19 S. 51 re. Sp.
- 23 -
Abs. 1). Es ergeben sich daraus jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die
seinerzeit vermarkteten Präparate bereits Rifaximin in der Alpha-Form enthalten
haben könnten. Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich das Vorliegen von
Rifaximin
in diesen Präparaten auch nicht daraus ableiten, dass Rifaximin eine
„vernachlässigbare Absorption“ zeige (vgl. TM19 Summary le Satz), zumal, wie
sich später herausgestellte, nicht nur die Alpha-Form, sondern auch andere Er-
scheinungsformen des Rifaximin
„vernachlässigbare Absorption“ vergleichbarer
Größenordnung zeigen (vgl. KW3 z. B. S. 1080 Table 7).
Auch die seitens der Beklagten ins Verfahren eingeführten vorveröffentlichten
Druckschriften KW2 und KW9, die sich mit Rifaximin befassen, beschreiben weder
die Alpha-Form des Rifaximin expressis verbis, noch nehmen sie diese Kristall-
form neuheitsschädlich vorweg. Die KW2, die ausweislich ihres Titels die Kristall-
struktur eines bromierten semisynthetischen Rifamycins untersucht, nimmt zwar
Bezug auf Rifaximin (Rifamycin L 105) und stellt einen Strukturvergleich anhand
von
1
H-NMR-Spektren an. Eine Kristallstruktur von Rifamycin L 105 wird jedoch
nicht untersucht und auch nicht hergestellt (vgl. KW2 Abstract i. V. m. S. 1623
le. Abs., S. 1624 Table 1 sowie S. 1625 Table 2). Die KW9 betrifft ein Analy-
senzertifikat für
14
C-markiertes Rifaximin und bezieht sich auf Analysendaten aus
dem Jahr 1997. Die radioaktiv markierte Charge von Rifaximin wurde durch Re-
kristallisation eines Gemisches aus
14
C-markiertem und nicht markiertem Rifaxi-
min hergestellt, wobei Lösungsmittel durch Filtration entfernt und das radioaktiv
markierte Rifaximin getrocknet wurde. Angaben zur Herstellung der eingesetzten
Chargen des Rifaximin und zu den Kristallisationsbedingungen gehen aus KW9
nicht hervor.
b.3)
Rifaximin
α betreffen, und daraus auf die neuheitsschädliche Vorwegnahme der
Alpha-Form vor dem Zeitrang des Streitpatents schließt, greift auch dieses Vor-
bringen nicht.
- 24 -
Obwohl der rumänischsprachige Beipackzettel TM11 (TM11a), in dem Rifaximin
als wirksamer Bestandteil des Arzneimittels Normix expressis verbis benannt wird,
lediglich etwas mehr als ein Jahr nach dem Zeitrang des Streitpatents erstellt ist,
lässt sich daraus nicht schließen, dass Rifaximin bereits vor dem Zeitrang des
Streitpatents in der Alpha-Form bekannt war oder in der Alpha-Form verabreicht
wurde. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Lehre bzw. Erfindung des Streitpa-
tents nach Maßgabe der anzuwendenden Zulassungsrichtlinien erst unmittelbar
nach dem Prioritätstag des Streitpatents umgesetzt wurde.
Soweit sich die Klägerin auf die nachveröffentlichte TM8 und dabei darauf bezieht,
dass die zum Veröffentlichungszeitpunkt der TM8 produzierte Alpha-Form des
Rifaximin schon immer produziert und die Alpha-Form auch bereits in der Studie
RFPK9801 herangezogen worden sei (vgl. TM8 S. 9 le. Abs. unterhalb Table 3 bis
S. 10 Abs. 1), handelt es sich lediglich um eine Annahme bzw. Vermutung
(„...the
company assumes...“, „...it is assumed...“). Dies zeigt auch der vorletzte Satz der
zitierten Textstelle „In clinical trials conducted since the existence of polymorphism
was discovered, the drug has always been used as the alpha form“, woraus
zwangsläufig hervorgeht, dass die Verfasser der TM8 ihre Ausführungen auf die
Lehre des Streitpatents „...since the existence of polymorphism was discovered...“
- gemeint ist das erstmalige Auffinden polymorpher Strukturen des Rifaximin in der
Anmeldung bzw. Priorität des Streitpatents - gestützt haben (vgl. TM8 S. 8 Abs. 2
unterhalb Fig. 1 sowie S. 9 vorle. Abs. unmittelbar vor Table 3).
Das weitere Vorbringen der Klägerin, Lizenznehmer bzw. Kooperationspartner der
Beklagten hätten auf das Vorliegen der Alpha-Form in den vor dem Zeitrang des
Streitpatents vertriebenen Produkten hingewiesen, insbesondere darauf, dass auf
der Grundlage der Konsistenz des Herstellungsverfahrens des Wirkstoffs Rifaxi-
min davon auszugehen sei, dass die im Zeitpunkt der TM8 hergestellte Alpha-
Form schon immer produziert worden sei, ist unbelegt und unsubstantiiert. Im Üb-
rigen wird bei behördlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen zu Änderungen
von Arzneimitteln und deren Herstellungsverfahren das Know-How des Herstel-
lungsverfahrens eines Wirkstoffs jedenfalls in der maßgeblichen Richtlinie der
EMA „Guideline on Active Substance Master File (ASMF) Procedure“ gegenüber
- 25 -
der Öffentlichkeit als vertraulich geschützt eingestuft. In der Regel enthält der zu-
gängliche Teil des ASMF lediglich ein Fließschema des Herstellungsverfahrens,
während zu dem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen, vertraulichen Teil detail-
lierte Informationen zu einzelnen Verfahrensschritten des Herstellungsverfahrens,
insbesondere Reaktionsbedingungen, Temperatur, Lösungsmittel, Reinigungs-
schritte gehören. Insofern ist das Vorbringen der Klägerin nicht schlüssig.
Auch der Auffassung der Klägerin, der Feuchte- bzw. Wassergehalt des Wirkstoffs
Rifaximin zwischen 2,5 und 4% gemäß den Änderungsanzeigen (vgl. KW20a,
KW20b), die erst nach der Priorität IT MI20032144 vom 7. November 2003, in der
bereits Rifaximin
offenbar ist, vorgenommen worden sind, lasse den Schluss zu,
dass die Alpha-Form des Rifaximin gemäß Patentanspruch 1 bereits in den vor
dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Präparaten vorhanden gewesen sei,
kann der Senat nicht folgen. Denn mit der Angabe eines Wassergehalts von 2,5
bis 4% sind noch nicht alle stofflichen Merkmale des Patentanspruchs 1 erfüllt.
Vielmehr können in diesem Bereich sowohl Erscheinungsformen gleichen Was-
sergehalts mit unterschiedlicher Raumstruktur als auch Erscheinungsformen un-
terschiedlichen Wassergehalts mit unterschiedlicher Raumstruktur existieren. Ent-
sprechendes trifft auch für die Angabe nicht näher spezifizierter polymorpher For-
men in nachveröffentlichten Zulassungsunterlagen zu (vgl. TM31.1, TM31.1b). Die
Angaben in KW20 und TM31.1 stehen vielmehr im Einklang damit, dass die durch
die Erfindung des Streitpatents zugängliche Lehre der Aufarbeitung der Reakti-
onsprodukte mit dem Ziel des Erhalts der Alpha-Form des Rifaxi-
min - entsprechend der üblichen Praxis - erst unmittelbar nach dem Zeitrang des
Streitpatents in die Zulassungsunterlagen bzw. in die Herstellerinformationen auf-
genommen wurde.
c)
Die Neuheit ist auch einem Verfahren zur Herstellung von Rifaximin
gemäß
dem angegriffenen Patentanspruch 10 nicht abzusprechen. Denn aus keiner der
vorgebrachten vorveröffentlichten Druckschriften geht ein Verfahren zur Herstel-
lung der Alpha-Form ausgehend von der Beta-Form des Rifaximin mit sämtlichen
Merkmalen A bis E des Patentanspruchs 10 hervor.
- 26 -
Aus der TM13, die sich ausschließlich mit der chemischen Synthese von Rifaximin
befasst, ist weder aus den Ausführungsbeispielen noch aus der allgemeinen Be-
schreibung ein Trocknungsverfahren unter Atmosphärendruck oder unter Vakuum
bei einer Temperatur zwischen Raumtemperatur und 105 Grad Celsius über einen
Zeitraum von 2 bis 72 Stunden zu entnehmen, insbesondere nicht ausgehend von
der Beta-Form des Rifaximin bis zu deren (vollständiger) Umwandlung in die Al-
pha-Form des Rifaximin.
In der allgemeinen Beschreibung und in den Beispielen 1, 4 und 7 der TM13, die
zu einem kristallinen Produkt führen, sind weder die Zeit noch die Anfangstempe-
ratur des Kristallisationsvorgangs noch genaue Druckangaben der Trocknung vor-
gegeben (vgl. TM13 S. 10 Z. 7 bis 15; S. 11 Beisp. 1 le. Abs., S. 15 Beisp. 4
vorle. Z. bis S. 16 Z. 2, S. 18 Beisp. 7). Lediglich für das Beispiel 6 ist zwar das
Auskristallisieren des Endprodukts Rifaximin direkt aus dem Reaktionsgemisch
durch bloßes Stehenlassen für 2 Tage bei einer Temperatur von etwa 5°
C und
nachfolgende Filtration und Trocknung beschrieben (vgl. TM13 S. 17 Beisp. 6).
Die Temperatur des Beispiels 6 liegt mit etwa 5° C jedoch außerhalb der an-
spruchsgemäßen Vorgaben, während Angaben zu den Trocknungsbedingungen
völlig fehlen. Experimentelle Einzelheiten, die es ermöglichen könnten, zur gerei-
nigten Alpha-Form des Rifaximin zu gelangen, insbesondere ein Hinweis auf die
Umwandlung der Beta-Form in die gewünschte Alpha-Form des Rifaximin, sind
aus der TM13 nicht zu entnehmen.
Der Einwand der Klägerin, es handle sich bei den von ihr gegenüber TM13 vorge-
nommenen Ergänzungen und Änderungen um fachübliche Maßnahmen, greift
auch
deshalb
nicht,
weil
auf
dem
Gebiet
der
Kristallformen
bzw.
(pseudo)polymorphen Strukturen im Einzelfall keine Vorhersagen möglich sind,
insbesondere dann nicht, wenn wie hier zu Rifaximin im Stand der Technik noch
keinerlei Informationen verfügbar sind. Vielmehr liegt die Erfindung des streitpa-
tentgemäßen Verfahrens gerade darin, aus einer großen Anzahl sich bietender, an
sich fachüblicher Maßnahmen - ohne eine vorgefertigte, in Kenntnis der Existenz
der Alpha-Form des Rifaximin zielgerichtete Erwartungshaltung und damit ohne
- 27 -
ex-post Betrachtung - diejenige Auswahl zu treffen, die zu gereinigtem Rifaximin
führt. Der Auswahl eines solchen Verfahrens ist die Neuheit nicht abzusprechen.
Aus der vorveröffentlichten KW9, die ein Analysenzertifikat für
14
C-Rifaximin be-
trifft, geht zwar die Rekristallisation eines Gemisches aus radioaktiv markiertem
und unmarkiertem Rifaximin hervor, wobei ein nicht näher beschriebenes Lö-
sungsmittel durch Filtration entfernt und das radioaktiv markierte Präparat ge-
trocknet wurde. Es fehlen jedoch Angaben zu den Kristallisationsbedingungen.
d)
Rifaximin
α mit den Merkmalen 1 bis 3 ist auch nicht offenkundig vorbenutzt.
Zu dem zur Neuheitsprüfung des Rifaximin
maßgeblichen Stand der Technik
gehört auch das, was vor dem Zeitrang des Streitpatents der Öffentlichkeit durch
Benutzung zugänglich gemacht worden ist. Für die Beurteilung einer offenkundi-
gen Vorbenutzung ist anhand konkreter Angaben darzulegen, welcher Gegen-
stand auf welche Weise, durch wen, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort
öffentlich zugänglich gemacht worden ist (vgl. z. B. Schulte PatG 9. Aufl., § 59
Rn. 109 bis 119).
d.1)
Lehre, die in einem benutzten Gegenstand verkörpert, durch bloße Sinneswahr-
nehmung aber nicht zu erkennen war, nur dann offenkundig, wenn die nicht zu
fern liegende Möglichkeit bestand, dass Fachkundige eine die technische Lehre
enthüllende nähere Untersuchung des vorbenutzten Gegenstands vornehmen
(Busse, Patentgesetz, 8. Aufl., § 3 Rn. 24).
Auch nach heutiger Rechtslage wird davon ausgegangen, dass Informationen
über die Zusammensetzung oder die innere Struktur eines Erzeugnisses bzw.
Produkts der Öffentlichkeit grundsätzlich (nur dann) zugänglich gemacht werden,
wenn der Fachmann unter Verwendung von Analysen-, Aufarbeitungs- und
Trenntechniken, die ihm vor dem Anmelde- oder Prioritätstag zur Verfügung stan-
den, einen unmittelbaren, eindeutigen Zugang zu dem Erzeugnis bzw. Produkt
- 28 -
oder Stoff hatte bzw. das Erzeugnis, das Produkt oder den Stoff ohne große
Schwierigkeiten reproduzierbar herstellen konnte. Auf die Wahrscheinlichkeit der
Analyse und den erforderlichen Aufwand für Analyse und Verfahrenstechnik
kommt es nicht an (vgl. Busse a. a. O., Rn. 46 m. w. N.; Benkard, Patentgesetz,
11. Aufl., § 3, Rn. 131; Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 3, Rn. 52; BGH
GRUR 1986, 372 - Thrombozytenzählung; BPatGE 53, 66 - Offenkundige Vorbe-
nutzung durch Vertrieb eines pharmazeutischen Erzeugnisses).
d.2)
nicht durch den Vertrieb von Rifaximin
enthaltenden Tabletten vor dem Priori-
tätstag öffentlich zugänglich geworden. Während aus den diesbezüglich vorge-
brachten Druckschriften zwar hervorgeht, auf welche Weise, durch wen, wann und
wo Arzneimittel benutzt wurden, die Rifaximin als Wirkstoff enthalten (vgl. TM6,
TM7), ist auch für den Fachmann der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des
Streitpatents und damit eine Benutzung von gereinigtem Rifaximin
α mit den
Merkmalen 1 bis 3 vor dem Zeitrang des Streitpatents nicht offenkundig geworden,
weder durch die Handelsprodukte Normix und Rifacol in der vor dem Zeitrang des
Streitpatents verfügbaren Form, noch durch deren Zulassungsdaten und
Herstellerinformationen, soweit öffentlich zugänglich (vgl. TM6, TM7, TM31). Dies
gilt mangels verfügbarer analysierbarer Proben auch unter der Annahme, dass die
vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Tabletten bereits teilweise
Rifaximin in der Alpha-Form enthalten haben. Denn selbst dann ist die in den
angegriffenen Patentansprüchen enthaltene Information bzw. Lehre über die
Alpha-Form von Rifaximin nicht Stand der Technik i. S. d. Art. 54 EPÜ geworden.
Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Beweislastumkehr bzw. der
sekundären Darlegungslast der Beklagten kommt es damit - mangels
Erheblichkeit - nicht an.
Hierbei kann es dahingestellt bleiben, ob der Fachmann die vor dem Prioritätstag
vertriebenen Rifamixin als Wirkstoff enthaltenden Tabletten analysiert hat, weil
Mitbewerber nach der Lebenserfahrung regelmäßig daran interessiert sind, neue
Mittel auf ihrem Arbeitsgebiet in Bezug auf deren Zusammensetzung, Anwendung
- 29 -
und Wirkungsweise kennenzulernen, sei es um sie mit ihren eigenen Erzeugnis-
sen zu vergleichen, sei es um Anregungen für die Weiterentwicklung solcher Er-
zeugnisse zu gewinnen (BGH GRUR 1986, 372, II.3b) - Thrombozytenzählung).
Jedoch hätte der Fachmann die in den vor dem Prioritätstag des Streitpatents
vertriebenen Tabletten verkörperte Lehre bei einer Analyse nicht oder allenfalls
nach übermäßigen, das durchschnittliche Können übersteigenden Schwierigkeiten
bzw. Überlegungen (vgl. BGH GRUR 1986, 372, 374, II.3 d) - Thrombozyten-
Zählung; BPatGE 53, 66 - Offenkundige Vorbenutzung durch Vertrieb eines phar-
mazeutischen Erzeugnisses), mithin erst unter Aufbietung erfinderischen Tätig-
werdens entnehmen können.
Obwohl der Wettbewerber vor dem Zeitrang des Streitpatents ohne Weiteres An-
lass zur Analyse des Rifaximin als Wirkstoff ausweisenden Medikaments hatte,
konnte er aus den Ergebnissen solcher Analysen keine Schlussfolgerungen auf
das Vorhandensein der Alpha-Form des Rifaximins ziehen und deshalb auch kei-
nerlei Anhaltspunkte und Anregungen entnehmen, die ihn zum Gegenstand des
Patentanspruchs 1 hätten hinführen können.
Zunächst ist zu unterscheiden zwischen der vor dem Zeitrang des Streitpatents
verfügbaren Möglichkeit der Analysen-, Aufarbeitungs- und Trenntechniken einer-
seits und der Eignung dieser technischen Mittel zum Nachweis bzw. Identifizierung
der Alpha-Form in der Tablette und damit zur Offenkundigkeit der geltend ge-
machten Vorbenutzung andererseits.
Der Fachmann war zwar vor dem Zeitrang des Streitpatents in der Lage, die sei-
nerzeit im Handel erhältlichen Tabletten zu analysieren, und er konnte dabei ohne
weiteres sowohl deren Gesamtwassergehalt feststellen als auch Röntgenpulver-
diffraktogramme aufnehmen. Aus den Röntgendiffraktogrammen war es ihm je-
doch wegen fehlender Informationen zu Vorkommen und Herstellung jedweder
Erscheinungsformen des Rifaximin und damit mangels Verfügbarkeit eines
Standards von Rifaximin
und/oder anderer polymorpher Formen nicht möglich,
die Alpha-Form nachzuweisen. Damit ist der nicht nachweisbaren Alpha-Form
auch nicht ein bestimmter Wassergehalt zuordenbar, erst recht nicht dann, wenn
- 30 -
die Alpha-Form lediglich anteilig in einer Mischung verschiedener Festformen des
Rifaximin vorgelegen haben sollte.
Unabdingbare Voraussetzung für den Nachweis der Alpha-Form des Rifaximin in
den vor dem Zeitrang des Streitpatents vertriebenen Medikamenten und damit für
deren offenkundige Vorbenutzung ist die Herstellbarkeit des Rifaximin
in gerei-
nigter Form und damit die Verfügbarkeit von Rifaximin
α als Standard. Eine tech-
nische Lehre zur Herstellung der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin ergab sich
jedoch weder aus der TM13 noch aus den übrigen Rifaximin betreffenden vorver-
öffentlichten Druckschriften. Der erforderliche Standard stand damit vor dem Zeit-
rang des Streitpatents nicht zur Verfügung.
Mangels Verfügbarkeit eines Standards für die Alpha-Form und/oder für andere
polymorphe Formen des Rifaximin konnte aus den Röntgenbeugungssignalen ei-
nes Pulver-Röntgendiffraktogramms des Tablettenmaterials weder der Nachweis
der Anwesenheit der Alpha-Form des Rifaximin geführt werden, noch war es mög-
lich, mittels weiterer analytischer Daten, wie dem ohne weiteres ermittelbaren Ge-
samtwassergehalt der Tablette, zu dieser Erscheinungsform zu gelangen.
Die Anwesenheit der Alpha-Form des Rifaximin konnte deshalb in den Handels-
produkten Normix und Rifacol nicht durch Analysen festgestellt werden. Sämtliche
vorhandenen kristallinen Erscheinungsformen erzeugen im Röntgenpulverdia-
gramm ein Gesamtspektrum von sich überlagernden Signalen, das nur mit Hilfe
zuverlässiger Standarddaten auflösbar und die einzelnen Signale einer oder meh-
rerer gegebenenfalls bekannter Erscheinungsform(en) zuordenbar sind.
Der Verfügbarkeit eines für die Offenkundigkeit der Vorbenutzung erforderlichen
Standards der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin mit den Merkmalen 1 bis 3
scheitert an einem verfügbaren Herstellungsverfahren, das seinerseits, wie nach-
folgend dargelegt, erst mit einer erfinderischen Leistung zugänglich ist.
- 31 -
d.3)
Rifaximin
auf Röntgenpulverdiffraktogramme von Normix in der nach dem Zeit-
rang des Streitpatents erhältlichen Darreichungsform stützt (vgl. z: B: TM20, 20a),
bedient sie sich der Lehre des Streitpatents und anderer nachveröffentlichter Er-
gebnisse und Erkenntnisse und damit einer unzulässigen ex-post Betrachtung. Ein
solcher Nachweis scheitert schon daran, dass das Zieldiffraktogramm der Alpha-
Form des Rifaximins vor dem Zeitrang des Streitpatents unbekannt war. Damit
fehlte jedenfalls ein Standard zur Analyse von vor dem Zeitrang des Streitpatents
vertriebenem Normix und/oder Rifacol und demzufolge die Möglichkeit, die gege-
benenfalls zumindest anteilig vorhandene Alpha-Form des Rifaximin anhand des
Diffraktogramms zu erkennen bzw. festzustellen.
Obwohl der Wassergehalt von Tabletten durch übliche analytische Arbeitsweisen,
insbesondere nach Karl-Fischer, ohne weiteres festgestellt werden kann, ist eine
Zuordnung der auf diese Weise ermittelten Werte zu einzelnen der formulierten
Feststoffkomponenten der Tablette und damit eine Bestimmung des auf Rifaximin
bezogenen Merkmals 2 in den Handelsprodukten Normix und Rifacol nicht mög-
lich. Erst recht gilt dies für die Zuordnung der Röntgenbeugungssignale eines
Röntgenpulverdiffraktogramms zu den in der Tablette unerkannt vorhandenen Er-
scheinungsformen des Rifaximins. Da zum Prioritätstag des Streitpatents offenbar
keine Veröffentlichung zu Erscheinungsformen des Rifaximin existierte, konnten
das aus sich überlagernden Signalen zusammengesetzte Diffraktogramm nicht
aufgelöst und einzelne Signale auch nicht bestimmten Erscheinungsformen zuge-
ordnet werden.
Auch eine Kombination von möglicherweise aus der Nacharbeitung der TM13 er-
haltenen Informationen mit Ergebnissen der Analyse von vor dem Zeitrang des
Streitpatents vertriebenen Tabletten ist jedenfalls im Zuge der Neuheitsbewertung
unzulässig. Dies gilt auch für das kombinierte Heranziehen von vorveröffentlichter
Fachliteratur, die sich mit Rifaximin und/oder Rifamycinen und deren Derivaten
oder auch nur mit dem Polymorphismus von Arzneimittelwirkstoffen generell be-
fasst (vgl. insbes. TM17 i. V. m. TM22).
- 32 -
d.4)
Vorhandenseins des Rifaximin
α als notwendige Voraussetzung der öffentlichen
Zugänglichkeit nicht aus, dass das Produkt vor dem Prioritätsdatum kommerziell
erhältlich war. Soweit Teile der Literatur im Anschluss an die Entscheidung BGH
GRUR 2011, 129 - Fentanyl-TTS die Auffassung vertreten, das ein für den Fach-
mann kommerziell erhältliches Erzeugnis mit allen seinen Eigenschaften öffentlich
zugänglich wird, unabhängig davon, ob bestimmte Eigenschaften der Fachwelt
durch Veröffentlichungen bekannt oder durch Analysen ermittelbar waren
(Schulte, a. a. O., Rn. 52 a. E.; Benkard, a. a. O., Rn. 172, 184, vgl. a. neuere
Entscheidung BGH GRUR 2015, 1091, Rn. 32
– Verdickerpolymer I), vermag der
Senat dieser Auffassung jedenfalls in dem hier zu entscheidenden Fall nicht zu
folgen.
Zu unterscheiden sind zunächst die Zugänglichkeit der Informationsquelle, die hier
in Form vermarkteter Arzneimittel unproblematisch gegeben ist, und die Zugäng-
lichkeit der Information selbst (Busse, a. a. O., Rn. 25). Verborgene Benutzungen
machen den benutzten Gegenstand für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, denn
die Benutzung muss die Erfindung Dritten offenbaren, also über sie informieren.
Das tut sie nicht, wenn die Erfindung in ihr zwar rein denkgesetzlich (inhärent)
enthalten ist, der Fachmann sie aber mit ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ein-
schließlich seines Fachwissens nicht zu erkennen vermag, so z. B. wenn die Er-
findung in einem komplexen Ganzen so versteckt enthalten ist, dass ein Fach-
ten (Schulte, a. a. O., Rn. 56). Eigenschaften, die derart versteckt in öffentlich zu-
gänglichen Gegenständen vorhanden sind, und sich dem Fachmann nicht einmal
bei Anwendung fachüblicher Untersuchungen, sondern erst bei Aufbietung erfin-
derischer Tätigkeit zeigen, können zum maßgebenden Zeitpunkt keine
„öffentlich“
zugänglichen Kenntnisse sein. Ihre Auffindung und Anwendbarmachung gehören
vielmehr typischerweise in den Bereich der Entstehung einer Erfindung, wie es
beim Streitgegenstand der Fall ist.
- 33 -
Dies zeigt auch der Vergleich mit den Grundsätzen über die neuheitsschädliche
Offenbarung von schriftlichen Vorbeschreibungen. Als zugänglich gemachter In-
halt schriftlicher Vorbeschreibungen darf nur die Information der Beschreibung an-
gesehen werden, die ein Fachmann ihr entnimmt, der für das Verständnis sein
Fachwissen mit heranzieht. Nicht zugänglich gemacht ist hingegen, was in einer
Entgegenhaltung verborgen bzw. geheim enthalten sein mag, auch wenn solche
inhärenten Informationen rein denkgesetzlich aus einer Schrift ableitbar sein mö-
gen (vgl. Schulte, a. a. O., Rn.37). Auch und vor allem die Rechtsprechung ver-
langt hierbei
, dass die betreffende technische Information „unmittelbar und ein-
deutig“ aus einer Schrift zu entnehmen ist (vgl. BGH GRUR 2009, 382,
Rn. 25 - Olanzapin). Selbst Ergänzungen der Offenbarung durch das Fachwissen
oder mit dessen Hilfe gezogene Schlussfolgerungen dürfen bei der Ermittlung der
technischen Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem
Hintergrund seines Fachwissens entnimmt, nicht vorgenommen werden (BGH,
a. a. O., Rn. 26). Dies gilt sogar für das Vorhandensein von Enantiomeren eines
im Stand der Technik bereits als Arzneimittelwirkstoff vorbeschriebenen Race-
mats, also für den Fall eines der beiden Stoffe aus einem Stoffkollektiv, das aus
lediglich zwei Stoffen bestehend bereits vorbeschrieben war (vgl. BGH
GRUR 2010, 123 - Escitalopram).
Zu diesen strengen Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof für die Ermittlung des
Offenbarungsgehalts schriftlicher Vorbeschreibungen in dem die Stoffchemie be-
treffenden Fällen Olanzapin und Escitalopram aufgestellt hat, würde es in Wider-
spruch stehen, wenn jede technische Information, die in einem öffentlich erhältli-
chen Gegenstand irgendwie enthalten ist, und sei sie auch noch so versteckt, be-
reits als neuheitsschädlicher Stand der Technik anzusehen wäre.
Weiter würde eine solche Sichtweise dazu führen, dass Erfindungen, die auf bis-
her unbekannten Strukturen, Eigenschaften o. Ä. eines öffentlich zugänglichen
Gegenstands aufbauen, nicht mehr patentiert werden könnten, da es die mit der
Anmeldung einer solchen Erfindung beschriebenen, bisher unbekannten Eigen-
schaften schon immer gegeben hat. Hierbei dürfte es keinen Unterschied machen,
ob der betreffende Gegenstand, z. B. ein Stoff, schon immer in der Natur vorhan-
- 34 -
den und dort frei verfügbar war oder erst in der jüngeren Vergangenheit erstmals
in den Handel gelangt ist.
Das unerkannte Vorhandensein des Rifaximin
in Anteilen des vor dem Zeitrang
des Streitpatents vermarkteten Wirkstoffs Rifaximin nimmt dieser stofflichen Er-
scheinungsform somit nicht die Neuheit. Rifaximin
wird erst dann zum Stand der
Technik, wenn - wie im Fall der Erfindung des Streitpatents - eine Lehre zu seiner
Existenz und Herstellung bzw. Isolierung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
wird. Der nach dem Zeitrang des Streitpatents versuchte Nachweis der Klägerin,
dass Rifaximin
bereits anteilig in einem vor dem Zeitrang des Streitpatents ver-
markteten Wirkstoff vorgekommen ist, reicht damit nicht zur Verneinung der Neu-
heit aus. Das Vorhandensein von Rifaximin
muss vielmehr dem Fachmann vor
dem Zeitrang des Streitpatents bekannt gewesen sein (vgl. hierzu auch BPatG
GRUR 78, 238 - Antamanid, BPatG GRUR 78, 702 - Menthonthiole).
Dies gilt auch im Hinblick auf die seitens der Klägerin angeführten neueren Ent-
scheidungen BGH GRUR 2011,129, Ziff. 2. b) (2) - Fentanyl-TTS und
GRUR 2015, 1091, Rn. 32 - Verdickerpolymer I. In diesen Entscheidungen hat der
Bundesgerichtshof festgestellt, dass es für die Offenbarung bestimmter Merk-
malsgruppen in Entgegenhaltungen ausreiche, dass die in den Entgegenhaltun-
gen als Vergleichsbeispiele genannten Produkte (COATEX BR 900
im Fall „Verdi-
ckerpolymer
I“) bzw. deren Bestandteile („DUROTAK 97-4098“ als im Fall
„Fentanyl-TTS“ im Vergleichspflaster verwendete Klebeschicht) vor dem Priori-
tätsdatum am Markt erhältlich gewesen seien. Damit sei der Fachmann in der
Lage gewesen, einen entsprechenden Gegenstand herzustellen bzw. ein entspre-
chendes System in die Hand zu bekommen. Für eine die Neuheit ausschließende
Offenbarung reiche es aus, wenn ein auf dem Markt erhältliches Produkt die
Merkmale des Erzeugnisses tatsächlich aufweise (offengelassen in BGH
GRUR 2013, 51, Rn. 15
– Gelomyrtol). Es sei nicht erforderlich, dass der Fach-
mann die konkreten Eigenschaften des Produkts kannte oder in der Lage gewe-
sen sei, dieses analytisch zu bestimmen und danach das Produkt herzustellen.
Eine wissenschaftliche Begründung dafür, weshalb der Einsatz eines solchen
- 35 -
Materials den patentgemäßen Erfolg eintreten lasse, sei nicht erforderlich (BGH,
a. a. O. - Verdickerpolymer I und Fentanyl-TTS).
Diesen Entscheidungen lagen Fallgestaltungen zugrunde, in denen die betref-
fende Merkmalsgruppe des jeweiligen Streitpatents durch Handelsprodukte vor-
weggenommen waren. Dabei waren die betreffenden Merkmale nicht - wie vorlie-
gend - unerkannt bzw. versteckt in den Produkten enthalten. Sie waren vielmehr
ohne Analyse in Erfahrung zu bringen
, im Fall „Verdickerpolymer“ sogar allein auf-
grund von Veröffentlichungen, insbesondere eines Produktblatts, im Fall Fentanyl-
TTS teilweise aufgrund von Prospekten, teilweise anhand von (insoweit vertrauli-
chen) Herstellerinformationen bzw. Nachfragen beim Hersteller. Bislang unbe-
kannte, versteckte Eigenschaften spielten dort keine Rolle. Geht die Offenbarung
von Merkmalen aber bereits aus den Eigenschaften hervor, die ein entgegenge-
halten
es Produkt als „offene“ bzw. „vordergründige“ Eigenschaften aufweist, so
stellt sich die Frage nach einer Analyse unter Verwendung von zum Prioritätstag
bekannten Analysetechniken nicht mehr, da die patentschädliche Offenbarung be-
reits auf andere Weise nachgewiesen worden ist.
Hingegen war vorliegend die Lehre des Streitpatents für den Fachmann weder
mittels fachüblicher Analysetechniken noch aufgrund sonstiger Informationsquel-
len bekannt oder in Erfahrung zu bringen. Für den Senat ist nach alledem auch bei
Produkten, die vor dem Prioritätstag des Streitpatents im Handel erhältlich waren,
kein Grund ersichtlich, von den bisher schon geltenden Grundsätzen abzuwei-
chen, dass Informationen über die Zusammensetzung oder innere Struktur der
Öffentlichkeit nur dann zugänglich gemacht sind, wenn der Fachmann zumindest
unter Verwendung der ihm vor oder zum Prioritätsdatum zur Verfügung stehenden
Analysetechniken eindeutigen Zugang zu ihnen erhalten konnte, wobei es auf die
Wahrscheinlichkeit der Analyse und den erforderlichen Aufwand nicht ankommt
(vgl. Busse, a. a. O., Rn. 46 mit Hinweis (Fßn. 164) u. a. auf BGH, a. a. O., -
Thrombozytenzählung); Benkard, a. a. O., Rn. 131, 134).
- 36 -
Für eine Neubewertung des Rechtsbegriffs der Neuheit in seiner Anwendung auf
chemische Stoffe sieht der Senat aus den o. g. Gründen im Fall des Rifaximin
α
deshalb keinen Anlass.
e)
Nach den vorstehenden Ausführungen unter den Punkten 2a bis 2d ist auch
die Neuheit von Zusammensetzungen enthaltend Rifaximin
gemäß den ange-
griffenen Patentansprüchen 11, 12 und 15 anzuerkennen. Denn Zusammenset-
zungen sowohl mit einem vorbestimmten Gehalt an Rifaximin
(vgl. Patentan-
sprüche 11 und 12) als auch mit Rifaximin
gemäß den Merkmalen des Pa-
tentanspruchs 1 (vgl. Patentanspruch 15) gehen weder aus dem vorveröffentlich-
ten Stand der Technik hervor, noch sind solche Zusammensetzungen durch die
Handelsprodukte Normix oder Rifacol offenkundig vorbenutzt, falls in diesen Han-
delsprodukten Rifaximin
schon vor dem Zeitrang des Streitpatents unerkannt
enthalten war.
Bei Zusammensetzungen gemäß den Patentansprüchen 11 und 12 ist wegen des
Merkmals des vorbestimmten Gehalts an Rifaximin
α ohnehin zwingend die Ver-
fügbarkeit des Rifaximin in der gereinigten Alpha-Form erforderlich. Denn ein vor-
bestimmter Gehalt stellt sich nicht zufällig und unerkannt ein, sondern erfordert
eine gezielte technische Lehre mit zuverlässig vorhersehbarem Ergebnis, welche
erst mit dem Streitpatent ermöglicht wurde.
3.
Die Bereitstellung der Alpha-Form des Rifaximin mit einem Wassergehalt von
weniger als 4,5% gemäß Patentanspruch 1, das Auffinden eines Verfahrens zu
seiner Herstellung gemäß Patentanspruch 10 sowie Rifaximin
enthaltende
pharmazeutische Zusammensetzungen gemäß Patentansprüchen 11 und 15 be-
ruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die
sich der Fachwelt vor dem Zeitrang des Streitpatents insbesondere betreffend den
bereits vermarkteten antibiotischen Wirkstoff Rifaximin stellte. Die Aufgabe liegt
ausgehend von dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents zitierten
Stand der Technik (vgl. TM1
0001
bis
0003
) sowie dem bereits zugelassenen
- 37 -
Handelsprodukt in Verbindung mit geänderten zulassungsrechtlichen Bestimmun-
gen (vgl. TM1
0008
und
0009
) darin, eine homogene, stabile und pharmakolo-
gisch vorteilhaft verabreichbare Wirkstoffform von Rifaximin bereitzustellen.
Unter Berücksichtigung der Aufgabe kommt der Frage zentrale Bedeutung zu, ob
der Fachmann ausgehend von der TM13 und/oder von den vor dem Zeitrang des
Streitpatents vertriebenen und damit vorbenutzten Rifaximinpräparaten und dem
darin gegebenenfalls zumindest teilweise enthaltenem Rifaximin
in Zusammen-
schau mit dem übrigen Stand der Technik ohne erfinderisches Zutun zur Lehre
des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gelangen konnte.
Wie bereits bei der Beurteilung der Neuheit ausgeführt, ist auch im Lichte der Auf-
gabenstellung, die eine homogene, stabile und pharmakologisch vorteilhafte Wirk-
stoffform zum Ziel hat, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ausschließlich als
gereinigte Alpha-Form des Rifaximin und damit analytisch frei von anderen Er-
scheinungsformen zu verstehen, nicht aber als Gemisch verschiedener Feststoff-
formen des Rifaximin mit lediglich einem mehr oder minder hohem Anteil der Al-
pha-Form.
Wenngleich bei Arzneimittelwirkstoffen die Möglichkeit von Polymorphie und der
gegebenenfalls vorteilhafte Einsatz polymorpher Erscheinungsformen eines Wirk-
stoffs in Betracht zu ziehen ist, wie die Klägerin anhand mehrerer vorveröffent-
lichter Druckschriften belegt hat (vgl. z. B. TM17, TM18), gab es für den Fach-
mann in den vorveröffentlichten, Rifaximin betreffenden Druckschriften weder In-
formationen zur Herstellung von (pseudo)polymorphen Formen noch Anhalts-
punkte, in welcher Richtung und unter welchen Arbeitsbedingungen er nach Stoff-
und Erscheinungsformen des Rifaximin mit gegebenenfalls überraschend vorteil-
haften Eigenschaften suchen sollte.
a)
Die vorveröffentlichte TM13, die eine neue vorteilhafte Methode zur Synthese
unter anderem von 4-Deoxy-
4’-methyl-pyrido
1’,2’:1,2
imidazo
5,4-c
rifamycin SV
(Rifaximin) zum Gegenstand hat (vgl. TM13 S. 4 bis S. 11 i. V. m. nachf. Beisp. 1,
- 38 -
4, 6 bis 14), befasst sich in der allgemeinen Beschreibung mit der Aufarbeitung
bzw. Reinigung der acetylierten Reaktionsprodukte und damit nicht mit Rifaximin
(vgl. TM13 S. 10 Z. 2 bis 15). Lediglich in den Ausführungsbeispielen 1, 4, 6 bis 14
sind Informationen zur Aufarbeitung bzw. Reinigung von Rifaximin enthalten.
Daraus geht zum einen hervor, den nach Entfernung von Lösungsmitteln erhalte-
nen festen Rückstand aus einem 7:3 (v/v)-Ethanol-Wasser-Gemisch zu kristallisie-
ren (vgl. TM13 S. 11 Beisp. 1 le. Abs., Beisp. 4 S. 15 vorle. Z. bis S. 16 Z. 2, S. 18
Beisp. 7), und zum anderen ist der Erhalt von Rifaximin als Feststoff unmittelbar
aus dem Reaktionsmedium beschrieben, in Beispiel 6 als kristallines Produkt (vgl.
TM13 S. 17 le. Abs.), in den Beispielen 9 bis 11 sowie 12 bis 14 ohne Angaben
zur Beschaffenheit der erhaltenen Feststoffe. Hinweise auf den Wassergehalt oder
den Gehalt eines im Verlauf der Synthese und/oder der Aufarbeitung eingesetzten
organischen Lösungsmittels in dem erhaltenen Feststoff Rifaximin fehlen gänzlich.
Aufgrund der Lehre der TM13 bestand auch kein Anlass, ausgehend von Ausfüh-
rungsbeispielen der TM13 Versuchsserien mit dem Ziel durchzuführen, Erschei-
nungsformen des Rifaximin, speziell die Alpha-Form des Rifaximin, allein oder ge-
gebenenfalls im Gemisch mit anderen Erscheinungsformen des Rifaximin, zu er-
halten bzw. nachzuweisen. Denn die TM13 befasst sich ausweislich ihrer Aufgabe
und Zielsetzung (vgl. TM13 S. 3 le. Satz bis S. 5 vorle. Abs.) ausschließlich mit
verbesserten Synthesen von vielfältigen Rifamycin-Derivaten, unter anderem von
4-Deoxy-
4’-methyl-pyrido
1’,2’:1,2
imidazo
5,4-c
rifamycin SV (Rifaximin), wobei
die Aufarbeitung der erhaltenen Produkte ersichtlich nicht im Vordergrund der
Lehre der TM13 steht. Im Zuge der Nacharbeitungen TM15 bis TM15b und TM36
der TM13 wurde dagegen im Rahmen der Aufarbeitung eine zielgerichtete Aus-
wahl aus in ihrer Anzahl nicht begrenzten denkbaren Verfahrensbedingungen
(Freiheitsgrade) getroffen.
Der Inhalt der TM13 gibt damit keinen Anlass, nach einer polymorphen Form zu
suchen. Dementsprechend konnte der Fachmann der TM13 auch keine Anhalts-
punkte, Hinweise oder Anregungen zur Anwesenheit polymorpher Formen, erst
- 39 -
recht nicht zur Anwesenheit der bis dahin nicht beschriebenen Alpha-Form des
Rifaximin entnehmen.
b)
Diesbezügliche Anhaltspunkte, Hinweise oder Anregungen sind für den
Fachmann auch nicht aus dem bereits im Handel befindlichen Rifaximin unter Ein-
beziehung der betreffenden Fachinformationen bzw. Fachliteratur erhältlich. Denn
in den vor dem Zeitrang des Streitpatents zugelassenen Arzneimitteln Normix und
Rifacol ist der Wirkstoff Rifaximin zusammen mit in der Menge überwiegenden
Anteilen von Hilfsstoffen formuliert, und weder die Zulassungsdaten noch die Bei-
packzettel, soweit vorveröffentlicht, enthalten Angaben zu derjenigen Erschei-
nungsform, in der Rifaximin als Feststoff zur Formulierung eingesetzt wurde (vgl.
TM6, TM7, TM31).
Solche Handelspräparate stellen im Übrigen keinen geeigneten Ausgangspunkt
dar, um zur Kristallform des Streitpatents zu gelangen, da zunächst die Zusatz-
bzw. Hilfsstoffe der Tablette zu entfernen sind, was in der Regel erst nach dem
Auflösen der Tablette, gegebenenfalls Abtrennung gelöster von nicht löslichen Be-
standteilen und den damit verbundenen Verlust des Festzustands der löslichen
Bestandteile möglich ist. Eine zur Analyse geeignete Feststoffform des Rifaximin
ist damit aus den Tabletten nicht verfügbar. Die aus der Tablette herausgelösten
Bestandteile und mögliche unlösliche Rückstände bringen aufgrund der dabei ver-
ursachten Zerstörung der Festkörperstruktur gegenüber einem durch Synthese
gemäß TM13 erhältlichen Präparat keine Vorteile, um zur Lehre des Streitpatents
zu gelangen.
Auch eine zerstörungsfreie Analyse der im Handel erhältlichen Arzneimittel Normix
und Rifacol ermöglicht keinen experimentellen Zugang zur Alpha-Form des
Rifaximin. Denn die durch Pulver-Röntgenstrahl-Diffraktometrie oder Infrarot-Re-
flexionsabsorptionsspektrokopie erhaltenen Analysendaten erlauben mangels vor
dem Zeitrang des Streitpatents verfügbarer Standarddaten zu irgendeiner Kris-
tallform bzw. polymorphen Form des Rifaximin keinerlei Aussage darüber, welche
Erscheinungsform, gegebenenfalls die Alpha-Form, allein oder im Gemisch mit
- 40 -
anderen Formen vorliegt. Deshalb war ausgehend von einer vor dem Zeitrang des
Streitpatents verfügbaren Rifaximin-Tablette auch mit dem Wissen und Können
des Fachmanns die Bereitstellung der gereinigten Alpha-Form des Rifaximin nicht
möglich.
Ein Zugang zum Gegenstand des Streitpatents wird dem Fachmann ohne erfinde-
risches Zutun auch nicht durch technische Informationen aus den übrigen vorver-
öffentlichten Druckschriften zu kristallinen Rifamycinen und zu kristallinen
semisynthetischen Rifamycinderivaten ermöglicht. Allein durch die Kenntnis von
der Existenz kristalliner Erscheinungsformen bei anderen Rifamycinen und
Rifamycinderivaten und durch die Beschreibung ihrer pharmakologischen
Eigenschaften wird ein Weg zur streitpatentgemäßen Alpha-Form des Rifaximin
nicht aufgezeigt und damit diese Kristallform auch nicht nahegelegt.
Die KW2 befasst sich mit der Bestimmung der Kristallstruktur des 4-Deoxy-
3’-
bromopyrido
1’,2’:1,2
imidazo
5,4-c
rifamycin S anhand eines unter definierten
Bedingungen gezüchteten Einkristalls der Größe 0,15x0,4x0,4 mm (vgl. KW2 Titel
i. V. m. S. 1626 bis 1627 Experimental). Aus den erhaltenen kristallographischen
Daten, die mit Literaturwerten anderer Rifamycine und semisynthetischer
Rifamycine, mangels verfügbarer Daten jedoch nicht mit Rifaximin, verglichen
werden (KW2 S. 1625 Table 2 i. V. m. S. 1626 Abs. 1 bis Experimental), schließen
die Autoren zwar, dass ein relativ kurzer Teilbereich der sogenannten Ansa-Kette
bzw. -Brücke in Rifamycinen und deren semisynthetischen Derivaten, soweit un-
tersucht, in vergleichbaren Konformationen vorliegt, das konjugierte heterocycli-
sche Pyrido-imidazo-naphthochinon-System coplanar ist und intramolekulare
Wasserstoffbrücken zwischen den vier OH-Gruppen die molekulare Struktur im
Festzustand und in organischen Lösungsmitteln stabilisieren. Ein Vergleich zwi-
schen Rifaximin (Rifamycin L 105) und 4-Deoxy-
3’-bromopyrido
1’,2’:1,2
-
imidazo
5,4-c
rifamycin S wird jedoch lediglich anhand der
1
H-NMR-Spektren in
Deuterochloroform gezogen und daraus auf eine identische oder nahezu
identische Struktur in gelöstem Zustand geschlossen (vgl. KW2 S. 1623 le. Abs.).
Es werden auch Vermutungen dahin angestellt, dass die Grundzüge der in KW2
- 41 -
bestimmten Strukturen, insbesondere die mesomere Betainstruktur des
Pyridoimidazo-Systems, das pharmakokinetische Verhalten dieser beiden
semisynthetischen Rifamycinderivate bestimmen dürften (vgl. KW2 S. 1627
Conclusions i. V. m. S. 1623 Abstract).
Die experimentellen Ergebnisse der KW2, die sich bezüglich Rifaximin aus-
schließlich auf die Untersuchung des Protonen-NMR in gelöstem Zustand in Deu-
terochloroform beschränken, lassen eine Vorhersage von kristallinen Erschei-
nungsformen des Rifaximins nicht zu, weder zu speziellen Polymorphen und
Pseudopolymorphen noch zu deren Herstellungsverfahren und pharmakologi-
schen Eigenschaften. Selbst wenn in KW2 eine Kristallform von einem in Bezug
auf die mesomere Betainstruktur des Pyrido-imidazo-Systems sehr ähnlichen se-
misynthetischen Rifamycinderivat kristallographisch charakterisiert wurde, kann
daraus noch nicht auf eine bestimmte Kristallstruktur aus mehreren, für Rifaximin
theoretisch denkbaren Kristallformen geschlossen werden, zumal eine solche
Schlussfolgerung nicht einmal zwischen polymorphen Formen ein und derselben
chemischen Verbindung möglich ist. Außerdem fehlen in KW2 Anhaltspunkte und
Hinweise auf die Bedeutung des Wassergehalts von semisynthetischen Kristall-
formen und damit auf eine Lehre, die den Fachmann zur Alpha-Form des Rifaxi-
min mit einem Wassergehalt von weniger als 4,5%, insbesondere zwischen 2 und
3% gemäß Patentanspruch 2 hätten hinführen können. Allein aufgrund des nicht in
Abrede zu stellenden theoretisch denkbaren Vorliegens einer noch unbekannten
Kristallform kann der streitpatentgemäßen Alpha-Form des Rifaximin die Erfin-
dungshöhe nicht abgesprochen werden (vgl. hierzu BGH X ZR 58/08 v.
15. März 2011 - Monoklines und triklines Metazachlor).
Die TM39 beschreibt zwar bereits im Jahr 1977 das Vorkommen polymorpher Er-
scheinungsformen des Rifampicin, ein im Vergleich zu 4-Deoxy-
3’-bromopy-
rido
1’,2’:1,2
imidazo
5,4-c
rifamycin S dem Rifaximin strukturell ferner liegendes
N(4-Methyl-1-piperazinyl)formimidoyl-Derivat des Rifamycin SV. Der in TM39 un-
tersuchte und festgestellte Polymorphismus des Rifampicin - eine Kristallstruktur
des Rifampicin zitiert und erörtert auch die KW2 (vgl. KW2 S. 1625 Table 2) gibt
jedoch keinen Weg an, der ohne erfinderisches Zutun gerade zur Alpha-Form des
- 42 -
Rifaximin mit den Merkmalen 2 und 3 hinführen könnte (vgl. TM39 insbes. S. 472
Experimental). Vielmehr zeigen gerade die komplexen Untersuchungen der TM39
die Schwierigkeiten auf, die mit dem Auffinden neuer polymorpher Formen, ihrer
zuverlässigen Herstellung und ihrer Charakterisierung verbunden sind. Zudem
vergingen nahezu dreißig Jahre seit der Kenntnis der Existenz von polymorphen
Formen des Rifampicin gemäß TM39, ohne dass in der Fachliteratur über poly-
morphe Formen des in der Fachliteratur in etwa ebenso lange bekannten Rifaxi-
min berichtet wurde.
Auch unter Berücksichtigung des vorveröffentlichten allgemeinen Standes der
Technik betreffend das Vorkommen polymorpher Strukturen von Arzneimittelwirk-
stoffen generell, einschließlich allgemeiner Grundlagen zur Kristallisation von
Feststoffen aus Lösungen (vgl. TM16, TM17, TM21 bis TM24), sowie die bereits
vor dem Zeitrang des Streitpatents geänderten zulassungsrechtlichen Bestim-
mungen und Empfehlungen (vgl. TM1
0008
und
0009
i. V. m. TM18 und TM41)
wird dem Fachmann der Zugang zum Gegenstand des Streitpatents nicht ohne
erfinderisches Zutun eröffnet. Denn ausgehend von den vorveröffentlichten Druck-
schriften, die sich mit der Herstellung, Aufarbeitung und gegebenenfalls der Isolie-
rung kristalliner Produkte des Rifaximin befassen (vgl. TM13, KW9), ist auch unter
Anwendung dieser allgemeinen Grundlagen eine gezielte Auswahl der erforderli-
chen konkreten Arbeitsbedingungen zur Herstellung der Alpha-Form mit den
Merkmalen 2 und 3 nicht möglich. Vielmehr bedarf es einer erfinderischen Leis-
tung, um aus den zahlreichen zu berücksichtigenden Parametern, beispielsweise
Lösungsmittel, Temperaturführung in Abhängigkeit von der Zeit, Trocknung in
Abhängigkeit vom Lösungsmittel und Druck, diejenigen Bedingungen einzustellen
und aufeinander abzustimmen, die den Zugang zur gereinigten Alpha-Form des
Rifaximin und damit zum Gegenstand des Streitpatents in reproduzierbarer,
zuverlässiger Weise ermöglichen.
c)
Soweit die Klägerin zwischen dem „blinden“ und dem „sehenden“ Fachmann
unterscheidet, führt diese über den Durchschnittsfachmann hinausgehende Fiktion
und eine damit verbundene Differenzierung zu keinem anderen Ergebnis. Selbst
- 43 -
bei Berücksichtigung sämtlicher vorveröffentlichter Druckschriften zum Vorkom-
men polymorpher Strukturen bei Arzneimittelwirkstoffen generell und bei
Rifamycinen und Rifampicin im Besonderen vermag
auch der „sehende“ Fach-
mann mangels vorveröffentlichter Daten zu polymorphen Formen des Rifaximin zu
wenig vorherzusagen. Ausgehend von der TM13, die ihm keinerlei Anhaltspunkte
bzw. Anregungen liefert und deshalb auch keinen Anlass zur Suche nach poly-
morphen Formen gibt,
wird auch der „sehende“ Fachmann allenfalls mit unver-
hältnismäßig hohem Aufwand aus zahlreichen physikalischen und chemischen
Verfahrensparametern und deren Kombination und damit aus einer sehr große
Anzahl von Freiheitsgraden diejenige Auswahl treffen können, die ihn zu Rifaximin
führt. Rein theoretische Überlegungen reichen nicht aus, um einer neuen Kris-
tallform eines Stoffes bekannter chemischer Konstitution die erfinderische Tätig-
keit abzusprechen (vgl. hierzu BGH X ZR 58/08 v. 15. März 2011, Rn. 19 bis 27 -
Monoklines Metazachlor).
Die ausgehend von der TM13 ohne erfinderisches Zutun nicht erhältliche Alpha-
Form des Rifaximin und die deswegen vor dem Zeitrang des Streitpatents feh-
lende Verfügbarkeit eines Standards für Rifaximin
machen es auch dem „se-
henden“ Fachmann unmöglich, in den Handelsprodukten Normix und Rifacol die
Anwesenheit des Gegenstands des Streitpatents mit den Merkmalen 1 bis 3 fest-
zustellen bzw. zu erkennen. Der Fachmann, der die verfügbaren Methoden zur
Analyse solcher Festkörper auf kristalline Erscheinungsformen hin zwar kennt und
selbstverständlich auf die vor dem Zeitrang des Streitpatents im Handel befindli-
chen Rifaximin enthaltenden Tabletten anwenden wird, kann aus dem Ergebnis
solcher Analysen mangels verfügbarer Standards jedoch nicht einmal ohne weite-
res erkennen und entscheiden, ob im Wesentlichen nur eine einzelne Kristallform
oder ein Gemisch verschiedener Kristall- bzw. Erscheinungsformen einschließlich
Solvate verschiedenster Zusammensetzung und amorpher Anteile neben Festkör-
perstrukturen der Formulierungshilfsmittel vorliegen. Ohne Kenntnis des Ziels und
damit ohne Verfügbarkeit einer gereinigten Standardsubstanz mit den Merkma-
len 1 bis 3 des Streitpatents ist eine Aufarbeitung und die damit verbundene
Stofftrennung nicht in fachkundiger Weise durchführbar.
- 44 -
Auch die Annahme, dass dem Wassergehalt und/oder den Trocknungsbedingun-
gen im Zuge der Aufarbeitung des Rifaximin aus dem Reaktions- und/oder Kristal-
lisationsgemisch eine Bedeutung zukommen könnte, beruht auf einer ex-post Be-
trachtung in Kenntnis der Lehre des Streitpatents. Weder die TM13 noch die übri-
gen vorveröffentlichten Rifaximin betreffenden Druckschriften messen dem Was-
sergehalt und den Trocknungsbedingungen eine Bedeutung bei. Zudem existieren
weitere Freiheitsgrade des Reaktions- und Aufarbeitungssystems, beispielsweise
Art des Lösungsmittel(gemisches), Konzentration der Edukte, Produkte und Ne-
benprodukte, Luftfeuchtigkeit, Druck, Temperatur, Volumen, Zeitfaktor, Kristallisa-
tionskeime unterschiedlicher Art und Herkunft, die es in die Überlegungen einzu-
beziehen gilt und die eine Prognose ohne Kenntnis des Ziels äußerst schwierig
machen.
Selbst behördliche Vorgaben zur Untersuchung des Polymorphismus bekannter
und bereits in Handel befindlicher Arzneimittelwirkstoffe implizieren nicht, dass die
erforderlichen Untersuchungen und deren Ergebnis, wie in vorliegendem Fall,
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Denn auf dem Gebiet der Er-
scheinungsformen bzw. der Polymorphie von Feststoffen sind weder das Vor-
kommen solcher Erscheinungsformen, erst recht nicht die Existenz und die Re-
produzierbarkeit einer bestimmten Erscheinungsform, noch deren Eigenschaften
zu prognostizieren,
weder für den „blinden“ noch für den „sehenden“ Fachmann.
Der Einwand der Klägerin, in Kenntnis der Polymorphie des „Schwestermoleküls“
Rifampicin (vgl. TM27 S 403 Abstract Satz 1 und re. Sp. le. Satz; TM39) ergebe
sich eine Untersuchung der Polymorphie von Rifaximin und damit der Zugang zur
Lehre des Streitpatents schon zwangsläufig, lässt außer Acht, dass auch bei ein
und derselben chemischen Verbindung von einer bereits hergestellten und cha-
rakterisierten Kristallform nicht zwangsläufig auf das Vorkommen weiterer Kris-
tallformen, erst recht nicht auf deren Beschaffenheit geschlossen werden kann.
Gegen eine Übertragung des am Rifampicin festgestellten Polymorphismus spricht
außerdem, dass Rifampicin zur Behandlung der Tuberkulose systemisch wirkt und
damit andere Festkörpereigenschaften aufweisen muss als Rifaximin, das zur Be-
- 45 -
handlung bakteriell bedingter Darmerkrankungen gerade nicht in die Blutbahn auf-
genommen werden soll.
Auch eine angemessene Erfolgserwartung mit einem dazu sich verhältnismäßig
darstellenden, für die Lösung des sich stellenden technischen Problems einzu-
bringenden Aufwand, wie sich im Fall BGH-Calcipotriol-Monohydrat aus dem
Stand der Technik ergebend (vgl. BGH GRUR 2012, 803, Leitsatz und Rn. 47),
kann die Kenntnis des Polymorphismus für Rifampicin gemäß TM27 und TM39
dem Fachmann nicht liefern. Denn anders als bei Rifaximin, für das vor dem Zeit-
rang des Streitpatents keine Probleme des Handelsprodukts bekannt oder vorbe-
schrieben sind, bestand bei BGH-Calcipotriol-Monohydrat Anlass zur Suche nach
einer stabilen Wirkstoffform und es existierte ein vergleichsweise umfangreicher
nächstkommender Stand der Technik betreffend eine Tendenz zur Monohydrat-
Bildung.
d)
Das unbeabsichtigte und damit zufällige Auftreten bzw. Vorhandensein von
Kristallen einer bestimmten Kristall- bzw. Erscheinungsform ist zu unterscheiden
von der Frage des Nachweises bzw. der Analysierbarkeit von Feststoffen auf eine
bestimmte Kristallform, hier die Alpha-Form des Rifaximin, nicht nur bei der Be-
urteilung der Neuheit, sondern auch bei der Beurteilung der erfinderischen Tätig-
keit.
Das Auftreten einer bestimmten Kristallform ist auch für den Fachmann nicht vor-
hersehbar, nicht einmal dann, wenn experimentelle Vorgaben des Standes der
Technik einzuhalten bzw. Ausführungsbeispiele nachzuarbeiten sind. Der Grund
für die äußerst schwierige Prognose liegt in der wie im vorliegenden Fall fehlenden
Kenntnis der kinetischen und/oder thermodynamischen Stabilität von Kristallfor-
men, hier des Rifaximin. So genügt die Anwesenheit eines einzigen, die Bildung
und Stabilität einer bestimmten Kristallform fördernden Kristallisationskeims, um in
nicht vorhersehbarer Weise die Ausbildung einer bestimmten Kristallform zu be-
günstigen, bedingt durch konkurrierende kinetische und thermodynamische Fakto-
ren, die im Einzelfall unbekannt sind.
- 46 -
Selbst das Erscheinen bzw. Auftreten einer thermodynamisch stabileren Kristall-
form ist nicht ohne weiteres zu prognostizieren. Auch das Wissen und Können des
Fachmanns reicht nicht aus, um ausgehend von einer Lösung oder einem Fest-
stoff die Bildung einer bisher unbekannten Kristallform vorherzusagen oder zu
kontrollieren.
Es ist nicht ohne weiteres möglich, aus der Vielzahl der Freiheitsgrade, die das
System jedes einzelnen Rifaximin betreffenden Ausführungsbeispiels der TM13
noch besitzt, diejenigen Bedingungen auszuwählen, die zwangsläufig und aus-
schließlich zur Bildung des Rifaximin in der Form des Patentanspruchs1 des
Streitpatents führen. Zu diesen Freiheitsgraden zählen nicht nur die exakte Tem-
peraturangabe, die Druckangabe, die exakte Zusammensetzung des Reaktions-
gemisches, der zeitliche Verlauf der Reaktionsführung, sondern auch die in jedem
einzelnen Experiment zufällige Anwesenheit eines geeigneten Fremdpartikels
und/oder die in jedem einzelnen Experiment zufällige und spontane Ausbildung
eines einzigen Kristallisationskeims in der Alpha-Form des Rifaximin. Dabei ist al-
lein die Bewertung der Vollständigkeit der Auflösung eines Feststoffes bei der
Umkristallisation (vgl. z. B. TM13 S. 11 Beispiel 1 le. Abs.) zusätzlich limitiert
durch die Beobachtungsgabe des Experimentators, der die Anwesenheit einer
ausreichenden Anzahl aus Nebenprodukten und/oder dem Produkt herrührenden
Kristallisationkeime, beispielsweise bei einer Keimzahl unter 10
6
pro Volumenein-
heit und einer Keimgröße unter 1
m, nicht ohne Weiteres feststellen kann, von
der Art der Keime und deren Einfluss auf die miteinander konkurrierenden kineti-
schen und thermodynamischen Faktoren ganz zu schweigen.
Auch unter Zugrundelegung des „sehenden“ Fachmanns beruht der Gegenstand
des Patentanspruchs 1 daher auf erfinderischer Tätigkeit.
e)
Für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit spricht als Beweisanzeichen
auch, dass die neue Erscheinungsform des Rifaximin mit den Merkmalen 1 bis 3
und deren Herstellung, mit einem aus dem Stand der Technik nicht vorher-
sehbaren, überraschenden Effekt verbunden war.
- 47 -
Ein solcher als Anzeichen für erfinderische Tätigkeit zu wertender überraschender
Effekt ist die für die Alpha-Form des Rifaximin in nachveröffentlichten wissen-
schaftlichen Untersuchungen gefundene geringere systemische Bioverfügbarkeit,
insbesondere gegenüber den vor dem Zeitrang des Streitpatents ebenfalls unbe-
kannten Gamma- und Delta-Formen des Rifaximin und gegenüber amorphem
Rifaximin (vgl. KW3, KW17). Demnach weisen Rifaximin
und Rifaximin
eine
drastisch höhere systemische Bioverfügbarkeit gegenüber der Alpha-Form auf mit
einer dementsprechend unterschiedlichen antibakteriellen Nutzen-Risiko Bewer-
tung (vgl. KW3 S. 1080 Fig. 6, Tables 7 und 8 i. V. m. S. 1079 re. Sp bis S. 1080
re. Sp. Textende). Im Handel befindliche generische Arzneimittel mit Rifaximin als
Wirkstoff weisen bedingt durch den aufgrund der Interferenz mit festen Formulie-
rungshilfsmitteln nicht quantifizierbaren Gehalt an amorphem Rifaximin eine deut-
lich höhere unerwünschte systemische Bioverfügbarkeit auf als die Markenpro-
dukte wie beispielsweise Normix, Xifaxan, Flonorm, die unter Anwendung der
Lehre des Streitpatents ausschließlich reines Rifaximin
enthalten (vgl. KW17
S. 40 re. Sp. Study medications i. V. m. S. 41 Fig. 1, Tables 1, 3 und S. 42 li. Sp.
le. Abs. bis re. Sp. Abs. 2).
f)
Die fehlende Kenntnis und Vorhersagbarkeit der streitpatentgemäßen gerei-
nigten Alpha-Form des Rifaximin einschließlich deren Zugänglichkeit bedingt
zwangsläufig auch die erfinderische Tätigkeit des Herstellungsverfahrens gemäß
Patentanspruch 10 mit den Merkmalen A bis E.
Die erfinderische Tätigkeit zur Bereitstellung der Alpha-Form begründet auch die
erfinderische Tätigkeit der sie enthaltenden Zusammensetzungen. Dies gilt insbe-
sondere für die Zusammensetzungen gemäß Patentanspruch 11, die eine vorbe-
stimmte Menge an Rifaximin
enthalten, die ohne ein zuverlässiges und reprodu-
zierbares Verfahren zur Herstellung und Aufarbeitung nicht zugänglich sind.
Die Gegenstände der Unteransprüche 2 und 12, die auf die Patentansprüche 1
und 11 rückbezogen sind, haben ebenfalls Bestand, unabhängig davon, ob sie ei-
nen eigenen erfinderischen Gehalt aufweisen.
- 48 -
III.
1.
Der Senat hat davon abgesehen, nach § 142 ZPO i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG
die Vorlage der von der Klägerin benannten Urkunden anzuordnen. Hierbei geht
der Senat wiederum von der ohnehin nicht ausdrücklich bestrittenen Behauptung
der Klägerin aus, dass in den vor dem Prioritätstag vertriebenen Normix- und/oder
Rifacol-Tabletten bereits Rifaximin in der Alpha-Form enthalten war. Dies allein ist
jedoch nicht ausreichend, um die öffentliche Zugänglichkeit von Rifaximin in der
Alpha-Form darzutun (s. o.). Dass die Vorlage von internen und damit nicht veröf-
fentlichten Unterlagen der Beklagten über diese (unzureichende) Tatsache hinaus
eine öffentliche Zugänglichkeit des Erfindungsgegenstandes belegen könnte, hat
auch die Klägerin nicht vorgetragen. Insbesondere hat sie bei ihrem Antrag auf
Urkundenvorlage keine Urkunden genannt, mit denen die öffentliche Zugänglich-
keit der Zusammensetzung der Tabletten (also mit Rifaximin in der Alpha-Form)
oder die öffentliche Zugänglichkeit eines entsprechenden Herstellungsverfahrens
vor dem Prioritätsdatum hergestellt worden wäre oder aus denen eine solche öf-
fentliche Zugänglichkeit zumindest hervorgeht. Hätte es solche Urkunden gege-
ben, so wären diese selbst öffentlich und ihre Beibringung wäre Sache der Kläge-
rin gewesen.
Soweit die Klägerin im Übrigen mangels zureichender eigener Belege eine Vor-
lage von Urkunden aus arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren erstrebt, zielt
dies erkennbar auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ab (vgl.
Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 37. Aufl., § 284, Rn.3). Hinzu kommt, dass
die EMA in dem sogen
annten „Active Substance Master File - ASMF“ zwischen
einem zugänglichen und einem vertraulichen Teil unterscheidet, wobei nur im ver-
traulichen, für Dritte nicht einsehbaren Teil Einzelheiten zur Aufarbeitung des
Wirkstoffs enthalten sind.
2.
Der Senat hat weiter davon abgesehen, dem Antrag der Klägerin folgend die
Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des zwangsläufigen Er-
gebnisses einer „fachmännischen Nacharbeitung“ der TM13 einzuholen. Zunächst
- 49 -
hat der Senat die Nacharbeitungen zu beurteilen, die die Parteien vorgelegt ha-
ben, wozu er sachverständig besetzt auch in der Lage ist. Sofern er dann trotz
mehrfacher Nacharbeitungen und gutachterlicher Stellungnahmen der Klägerin
deren Vorbringen weiterhin nicht für überzeugend hält, ist es wiederum nicht
Sache des Gerichts, erneute Nacharbeitungsversuche in Auftrag zu geben, die
dann möglicherweise erst die Grundlage für weiteren Tatsachenvortrag der
Klägerin ergeben. Insofern zielt der Beweisantrag der Klägerin auf einen unzuläs-
sigen Ausforschungsbeweis ab.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
V.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland
zugelassenen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der
Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt
unterzeichnet
und
innerhalb
eines
Monats
beim
Bundesgerichtshof,
Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt
mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber
mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
- 50 -
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.
Schramm
Dr. Egerer
Kätker
Dr. Jäger
Dr. Freudenreich
Pr