Urteil des BPatG vom 14.04.2015

Stand der Technik, Patentanspruch, Form, Kontrolle

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 7/14 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
14. April 2015
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 022 944
(DE 698 14 437)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 14. April 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Schramm, der Richterin Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters
Kätker,
der
Richterin
Dipl.-Chem. Dr. Münzberg
sowie
des
Richters
Dipl.-Chem. Dr. Jäger
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 1 022 944 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig
erklärt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- 3 -
T a t b e s t a n d
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. Juni 1998 unter Inanspruch-
nahme der Priorität der europäischen Patentanmeldung EP 97401390 vom
18. Juni 1997 als internationale Patentanmeldung PCT/EP98/03727 angemelde-
ten und vom europäischen Patentamt in der regionalen Phase in englischer Spra-
che erteilten europäischen Patents EP 1 022 944 (Streitpatent), dessen Erteilung
mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland beim europäischen Patentamt am
7. Mai 2003 bekannt gemacht wurde und das vom Deutschen Patent- und Mar-
kenamt unter der Nummer DE 698 14 437 geführt wird. Das Streitpatent betrifft
eine "Vorrichtung zum Vertreiben von Schädlingen"
(„repellent pest control sys-
tem“) und umfasst 6 Patentansprüche, die in deutscher Übersetzung wie folgt
lauten:
1.
Verwendung eines Pyrethroid bei der Herstellung eines
Medikaments in Form eines Halsbands zum Schutz von
Hunden vor Bissen von Sandmücken.
2.
Verwendung eines Pyrethroid bei der Herstellung eines
Medikaments in Form eines Halsbands zur Kontrolle der
Hundeleishmaniose.
3.
Verwendung eines Pyrethroid bei der Herstellung eines
Medikaments in Form eines Halsbands zur Kontrolle der
humanen viszeralen Leishmaniose.
4.
Verwendung nach einem der Ansprüche 1-3, worin das
Pyrethroid aus einer Polymermatrix freigesetzt wird, die ein
Vinylpolymer, ein flüssiges Plastifizierungsmittel für das
genannte
Polymer
umfasst,
worin
das
genannte
Plastifizierungsmittel in der maximal möglichen Menge
vorhanden ist, aber dennoch ein trockenes und fliessendes
Gemisch aus Plastifizierungsmittel und Polymer und
Triphenylphosphat
bildet,
wobei
das
genannte
- 4 -
Triphenylphosphat in einer Menge vorhanden ist, die
ausreicht um als Trägermittel für das Pyrethroid zu dienen.
5.
Verwendung nach einem der Ansprüche 1-4, worin das
Pyrethroid Deltamethrin ist.
6.
Verwendung nach einem der Ansprüche 1-5, worin das
Halsband 2 bis 6 g Deltamethrin auf 100 g Halsband
umfasst.
Die Klägerin greift das Patent in vollem Umfang an und macht den Nichtigkeits-
grund der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Der Gegenstand der Patentan-
sprüche sei nicht neu und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie stützt sich
u.a. auf folgende Druckschriften:
NK1a
DE 698 14 437 T2 (deutsche Übersetzung des Streitpatents)
NK1b
EP 1 022 944 B1 (Streitpatent)
NK3
JPS6191102 A (English abstract)
NK7
Lucius, R. und Loos-Frank, B. (Hrsg.): "Parasitologie", Spektrum
Akademischer Verlag Heidelberg 1997, S. 56 bis 63 sowie S. 313 bis
314, S. 316
NK8
Tischler, W. (Hrsg.): "Grundriß der Humanparasitologie", Gustav Fi-
scher Verlag Stuttgart 1982, S. 146 bis 151
NK12
Hiepe, T. (Hrsg) "Lehrbuch der Parasitologie", Gustav Fischer Verlag
Stuttgart 1983, Bd. 2, S. 12, 36 bis 38
NK13
EP 0 542 080 A1
NK28a
„Deltamethrin Bath of Domestic Dog in the Prevention
of Sandfly Bite", Endemic Diseases Bulletin, 1994, Vol. 9, No. 2, S.
32 bis 34 (Originaltext mit englischem Abstract)
NK28b
NK40
Liebisch, A. et al.
„Prophylaxe des Zecken- und Flohbefalls bei Hun-
den mit dem Hundehalsband KILTIX", Der praktische Tierarzt, 1996,
6, S. 493 bis 494, 496 bis 498, 500, 505, 506 bis 509
- 5 -
NK41
US 5,437,869 A
NK42
EP 0 396 224 A2
NK50a
Brame, B. „Contribution à l'étude du foyer provençal de leishmaniose
canine étude particulière du golfe de la ciotat aspects therapeutiques
et prophylactiques nouveaux", Dissertation an der Université Claude
Bernard, Lyon (1991), Inhaltsverzeichnis und 76 bis 83
NK50b
83 von NK 50a
NK54
Löscher, W. et al. „Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren"
Parey Buchverlag, 3. Aufl., Berlin 1997, S. 279 bis 289
NK57
Buescher, M. D. et al.
„Studies on the Comparative Effectiveness of
Permethrin and Deet Against Bloodsucking Arthropods", Pestic. Sci.
1987, 21, S. 165 bis 173
NK58
US 4,178,384 A
NK59
EP 0 251 464 A2
NK62
Heine,
J. „Fliegen als Parasiten beim Weiderind in Europa", vmn
Veterinär-Medizinische Nachrichten 1987, 1/87, S. 9 bis 16
NK63
Hillerton, J. E. et al.
„Control of Flies (Diptera: Muscidae) on Dairy
Heifers by Flectron Ear-Tags", Br. vet. J. 1985, 141, S. 160 bis 167
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1, damit
zugleich auch die Gegenstände der Patentansprüche 2 und 3, des Streitpatents
jeweils von den Druckschriften NK13 und NK50b neuheitsschädlich vorwegge-
nommen seien, da in beiden Druckschriften pyrethroidhaltige Hundehalsbänder
und deren Anwendung zum Schutz von Hunden vor Bissen der Sandmücken of-
fenbart seien.
Ferner macht die Klägerin geltend, dass die Gegenstände der Patentansprüche 1
bis 3 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. Sie ergäben sich für den Durch-
schnittsfachmann naheliegend aus einer Kombination der Druckschriften NK50b
oder NK28b (jeweils als Ausgangspunkt) mit dem Fachwissen über wirkstoffhaltige
Hundehalsbänder zur Bekämpfung von Ektoparasiten, wie sie bereits zum Priori-
- 6 -
tätszeitpunkt als Produkte auf dem Markt gewesen und/oder beispielsweise in den
Druckschriften NK3, NK13, NK41 und NK42 beschrieben seien.
Die rückbezogenen Patentansprüche 4 bis 6 seien auf eine bestimmte Polymer-
matrix gerichtet, die eine bestimmte Freisetzung des Pyrethroids Deltamethrin in
einer vorgegebenen Dosierung erlauben solle. Eine derartige Polymermatrix mit
dem Wirkstoff Deltamethrin in der beanspruchten Menge sei aber aus NK41 be-
kannt, so dass auch diese Patentansprüche nicht bestandsfähig seien.
Die Klägerin beantragt:
das europäische Patent 1 022 944 mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu
erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihr Patent in vollem Umfang und tritt den Vorhalten der Klägerin in
allen Punkten entgegen, wobei sie auf folgende Dokumente verweist:
HE1
Tesh, R. B., "Control of Zoonotic Visceral Leishmaniasis: Is it Time to
Change Strategies?", Am. J. Trop. Med. Hyg., 1995, 52 (3), S. 287
bis 292
HE2
Ready, P. D., "The Feeding Habits of Laboratory-bred
(Diptera: Psychodidae)", J. Med. Entomol., 1978, 14 (5),
S. 545 bis 552
HE3
Endris, R. G., et al., "The Laboratory Biology of the Sand Fly
(Diptera: Pyschodidae)", J. Med. Entomol.,
1984, 21 (6), S. 656 bis 664
- 7 -
HE4
Killick-Kendrick, R. et al., "Protection of dogs from bites of
phlebotomine sandflies by deltamethrin collars for control of canine
leishmaniasis", Medical and Veterinary Entomology, 1997, 11, S. 105
bis 111
HE5
Thomson, M. C., "The effect of tsetse flies (spp.) of
deltamethrin applied to cattle either as a spray or incorporated into
ear-tags", Tropical Pest Management, 1987, 33 (4), S. 329 bis 335
HE6
Mehlhorn, H., und Piekarski, G., "Grundriß der Parasitenkunde
Parasiten des Menschen und der Nutztiere", 5. Auflage, Gustav
Fischer Verlag Stuttgart 1998, S. 385 bis 386
HE7
Yeh, M.-T., et al., "Determining the Duration of (Ac-
ari: Ixodidae) Attachment to Tick-Bite Victims", Journal of Medical
Entomology, 1995, 32 (6), S. 853 bis 858
HE8
Wikipedia-Eintrag: "Zecken", 10 Seiten
HE9
"Gutachterliche Stellungnahme" von Prof. Dr. K. Pfister, 29. Juni
2014 mit Anlagen
Nach Auffassung der Beklagten sind die Gegenstände der streitpatentgemäßen
Patentansprüche 1 bis 3 neu. Das Dokument NK13 sei im Hinblick auf die Ziel-
richtung der darin offenbarten Erfindung und die Vielzahl der dort genannten
Formkörper, Wirkstoffe, zu schützenden Tiere und zu bekämpfenden Parasiten
nicht geeignet, die Neuheit in Frage zu stellen, zumal darin auch keine Anti-Fee-
ding-Wirkung von pyrethroidhaltigen Hundehalsbändern offenbart sei, wie sie das
Merkmal „zum Schutz von Hunden vor Bissen der Sandmücken“ des Patentan-
spruchs 1 bei richtiger Auslegung fordere. Zur Auslegung dieses Merkmals hat die
Beklagte die Einholung eines Gutachtens eines gerichtlich bestellten Sachver-
ständigen beantragt. Die NK50b sei neben ihrer nicht wissenschaftlichen Stan-
dards genügenden Art der Untersuchung schon deshalb nicht neuheitsschädlich,
weil sie kein pyrethroidhaltiges Hundehalsband sondern ein Halsband offenbare,
an dem zusätzlich Plaketten mit Pyrethroid angebracht seien.
- 8 -
Die Patentansprüche 1 bis 3 des Streitpatents beruhten auf erfinderischer Tätig-
keit. Berücksichtige man die relevanten Unterschiede zwischen medizinischen
Bädern und Halsbändern, das unterschiedliche Such- und Stechverhalten von Ze-
cken und Sandmücken und die bekannte ungleichmäßige Verteilung des Wirk-
stoffs durch ein Hundehalsband im Hinblick auf die von Sandmücken bevorzugten
wenig oder gar nicht behaarten Regionen des Hundes, so gelange der Fachmann
bei keiner der von der Klägerin angeführten Kombinationen ohne erfinderisches
Tätigwerden zum Gegenstand des Streitpatents. Vielmehr sei es überraschend,
dass ein pyrethroidhaltiges Hundehalsband einen effektiven Schutz vor Stichen
der Sandmücke biete, insbesondere damit ein Wirkstoffspiegel erreichbar sei, der
selbst in unbehaarten Bereichen zum Erreichen eines Anti-Feeding Effekts auf
Sandmücken hinreichend sei.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
1. Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1
Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und
erweist sich auch als begründet.
1.1
Das Streitpatent betrifft ein Schädlingsbekämpfungssystem in Form eines
Halsbands mit abschreckender Wirkung gegen die die canine und humane
Leishmaniose übertragende Sandmücke für eine kontrollierte Freisetzung eines
pyrethroiden Wirkstoffs aus einer Polymermatrix zum Schutz von Hunden vor Bis-
sen der Sandmücken sowie zur Kontrolle der Hundeleishmaniose und der huma-
nen viszeralen Leishmaniose (vgl. NK1a, Patentansprüche 1 bis 4, S. 2/5
Abs. [0001], [0002], [0007] und [0010]). Aus dem Stand der Technik sind py-
rethroidhaltige Hunde- und Katzenhalsbänder gegen Moskito-, Zecken-, Laus- und
Flohbefall bekannt, bei denen der Wirkstoff aus einer polymeren Matrix freigesetzt
wird. Desweiteren sind im wesentlichen wasserfreie pyrethroidhaltige Gele mit
- 9 -
Insektiziden und Insekten-abschreckenden Eigenschaften für eine topische An-
wendung auf der humanen Haut beschrieben (vgl. NK1a S. 2/5 Abs. [0004] bis
[0005]). Die Hundeleishmaniose ist in allen Ländern der Mittelmeerregion und in
vielen Ländern Lateinamerikas verbreitet. Diese Krankheit, für die es bisher noch
keinen Impfstoff gibt, wird durch Bisse der Sandmücke übertragen und ist nach
Ausbruch der Krankheit kostenintensiv zu behandeln und fast immer mit einem
Rückfall verbunden. Dieses veterinärmedizinische Problem wird dadurch weiter
kompliziert, dass Hunde Reservoire der viszeralen humanen Leishmaniose sind.
Problematisch hinsichtlich einer möglichen Leishmaniose-Prävention ist dabei,
dass die Überträger nicht ausgesprochen endophag (Nahrungsaufnahme im
Haus) oder endophil (verbleiben im Haus) sind, so dass das Infektionsrisiko durch
das Versprühen von Insektiziden in Häusern ebenso wenig in erheblichen Ausmaß
reduziert werden kann wie durch die mit Widerständen bei den Hundebesitzern
verbundene Beseitigung serologisch positiver Hunde (vgl. NK1a S. 2/5 und 3/5.
Abs. [0011] bis [0014]).
1.2.
Vor diesem Hintergrund ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe
darin zu sehen, ein System zu einem verbesserten Schutz von Hunden vor Bissen
der Sandmücken bereitzustellen, um so die Hundeleishmaniose und die humane
viszerale Leishmaniose kontrollieren zu können (vgl. NK1a S. 2/5 Abs. [0010] und
S. 3/5 Abs. [0018]).
1.3.
Die Aufgabe wird durch die Verwendung eines Pyrethroids nach den
nebengeordneten Patentansprüchen 1 bis 3 gelöst.
Die Patentansprüche 1 bis 3 weisen folgende Merkmale auf (vgl. NK1a):
Patentanspruch 1
1.1
Verwendung eines Pyrethroids
1.2
bei der Herstellung eines Medikaments in Form eines Halsbands
1.3
zum Schutz von Hunden vor Bissen von Sandmücken.
- 10 -
Patentanspruch 2
2.1
Verwendung eines Pyrethroids
2.2
bei der Herstellung eines Medikaments in Form eines Halsbands
2.3
zur Kontrolle der Hundeleishmaniose.
Patentanspruch 3
3.1
Verwendung eines Pyrethroids
3.2
bei der Herstellung eines Medikaments in Form eines Halsbands
3.3
zur Kontrolle der humanen viszeralen Leishmaniose.
1.4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um ein Team, be-
stehend aus einem Parasitologen mit langjähriger praktischer Erfahrung auf dem
Gebiet der Entwicklung von Insektiziden und einem Formulierungstechniker mit
speziellen Kenntnissen im Veterinärbereich.
II.
1. Die streitpatentgemäßen Patentansprüche 1 bis 6 erweisen sich mangels Pa-
tentfähigkeit als nicht bestandsfähig.
2. Patentanspruch 1 des Streitpatents bedarf der Auslegung, da mangels einer
entsprechenden Definition im Streitpatent fraglich ist, ob der im Merkmal 1.3 des
Patentanspruchs 1 beanspruchte Zweck "zum Schutz von Hunden vor Bissen von
Sandmücken" bereits durch die letale Wirkung von pyrethroiden Insektiziden er-
reicht wird oder ob dafür ein Anti-Feeding-Effekt notwendig ist.
Danach umfasst die Zweckangabe gemäß Merkmal 1.3 sowohl die letale als auch
die Anti-Feeding-Wirkung der streitpatentgemäß verwendeten Pyrethroide.
- 11 -
Grundlage für die Auslegung ist die Patentschrift, wobei zur Ermittlung des Sinn-
gehaltes eines Merkmals das Verständnis des Fachmannes entscheidend ist, der
Begriffe in Patentansprüchen so deutet, wie sie sich ihm anhand des Gesamtin-
halts der Patentschrift unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung erschlie-
ßen (vgl. BGH GRUR 2001, 232, 233 re. Sp. I.
– Brieflocher). Zur Deutung des
strittigen Begriffs "Schutz vor Bissen" wird sich der Fachmann im Streitpatent an
dem als bevorzugte Ausführungsform für ein abschreckendes Schädlingsbe-
kämpfungssystem beschriebenen Hundehalsband mit dem Wirkstoff Deltamethrin
orientieren (vgl. NK1a S. 3/5 Abs. [0015]). Diese bevorzugten Deltamethrin-Hun-
dehalsbänder weisen sowohl eine starke Anti-Nahrungsaufnahmewirkung als auch
eine letale Wirkung auf Sandmücken auf (vgl. NK1a S. 3/5 Abs. [0017]). Dabei
versteht der Fachmann unter der Anti-Feeding- bzw. Anti-Nahrungsaufnahme-
Wirkung, dass es entweder gar nicht zum Stich kommt, da der Wirkstoff als Re-
pellens abstoßend und/oder als Insektizid abtötend wirkt, oder dass ein solcher
nicht vollendet werden kann, da die Sandmücke während des Einstechversuchs
als Folge der Wirkstoffeinwirkung stirbt (vgl. HE9, gutachterliche Stellungnahme
von Prof. K. Pfister vom 29. Juni 2014 S. 4 Abschnitt C.1. Abs. 1 bis 4). Als letale
Wirkung ist ihm die tödliche Wirkung eines Wirkstoffs auf die Sandmücken geläu-
fig, wobei die Sandmücke entweder noch während des Stechvorgangs oder nach
dem Verlassen des den Wirkstoff tragenden Tiers infolge der Wirkstoffeinwirkung
stirbt (vgl. a. a. O. S. 4 Abschnitt C.1. Abs. 2 2. Spiegelpunkt). Nachdem sich die
streitpatentgemäße Ausführungsform jedoch in beiderlei Hinsicht als wirksam er-
weist (vgl. NK1a S. 4/5 Abs. [0026] bis [0029]), führt dies nicht zum Vorrang einer
der beiden Wirkungsweisen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich somit aus den Angaben im
Streitpatent nicht herleiten, dass zum Schutz von Hunden vor Bissen der Sand-
mücken ein Anti-Feeding-Effekt notwendig ist, während die letale Wirkung lediglich
einen nicht relevanten Zusatznutzen darstellt. Vielmehr wird im Streitpatent durch
das Fehlen einer detaillierten Aussage zum Wirkmechanismus des pyrethroidhal-
tigen Hundehalsbandes offen gelassen, welche Wirkung zum angestrebten Schutz
führt. Wesentlich ist nach der Lehre des Streitpatents lediglich der Nachweis einer
- 12 -
erhöhten Gesamtmortalität der Sandmücken, mit der der streitpatentgemäß ange-
strebte Schutz von Hunden vor Bissen der Sandmücke erreicht wird. Aufgrund
fehlender Angaben im Streitpatent ist es zudem nicht maßgeblich, ob es sich da-
bei um einen absoluten Schutz handelt.
Das Argument der Beklagten, dass durch die letale Wirkung lediglich das statisti-
sche Stichrisiko sinke, dieses aber keinen ausreichenden Schutz vor Stichen an
sich ermögliche, dafür vielmehr ein Anti-Feeding-Effekt notwendig sei, kann nicht
durchgreifen. Denn eine Auslegung unterhalb des Wortlauts bzw. Sinngehalts ei-
nes Patentanspruchs ist generell nicht zulässig. Dies gilt insbesondere, wenn der
Beschreibung eine Schutzbegrenzung auf bestimmte Ausführungsformen nicht zu
entnehmen ist (vgl. BGH GRUR 2007, 309 1. Ls., 311 Rn. 17
– Schussfäden-
transport). Vorliegend lassen sich aber weder aus dem Wortlaut des Patentan-
spruchs 1 noch aus der Beschreibung des Streitpatents, einschließlich den darin
genannten Ausführungsbeispielen ausreichende Anhaltspunkte für eine beschrän-
kende Auslegung des Merkmals "zum Schutz von Hunden vor Bissen der Sand-
mücke" im Sinne eines reinen Anti-Feeding Effekt entnehmen. Vielmehr werden
im Streitpatent beide Effekte ohne jede Gewichtung als Wirkungsmechanismen
beschrieben.
Im Übrigen wird der Fachmann beim Schutz von Hunden vor Leishmaniose nicht
zwangsläufig nur an einen Wirkstoff mit Anti-Feeding-Effekt, sondern auch an letal
wirkende Substanzen denken, da ihm beide Effekte bekannt sind (vgl. HE9, gut-
achterliche Stellungnahme von Prof. K. Pfister vom 29. Juni 2014 S. 4 Abschnitt
C.1. Abs. 1 bis 4) und es für ihn keinen Grund gibt, eine von ihnen nicht in Be-
tracht zu ziehen.
3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem Stand der Technik
gemäß NK50b nicht neu.
Die Druckschrift NK50b beschreibt einen mehrjährigen Feldversuch zur Bekämp-
fung der Leishmaniose im Süden Frankreichs beginnend im Jahr 1986 (vgl.
- 13 -
NK50b S. 1 Titel, S. 3 Z. 10 und 9 von unten sowie S. 80 le. Abs.). Dazu wurden
Hunde während der kritischen Leishmaniosesaison von April bis Oktober mit
einem Halsband versehen, das den Wirkstoff Propoxur und aus zusätzlich an der
Innenseite des Halsbands angebrachten - Marken den Wirkstoff Cypermethrin
freisetzte (vgl. NK50b S. 79 Z. 18 bis 25 und 36 bis 38 i. V. m. Z. 2 bis 5).
Cypermethrin ist ein Pyrethroid, das auch streitpatentgemäß als Wirkstoff
eingesetzt werden kann (vgl. NK1a S. 2/5 Abs. [0008]). Schließlich offenbart
NK50b auch, dass das Cypermethrin freisetzende Marken-Halsband einen
– wenn
auch unvollständigen
– Schutz gegen Stiche der Phlebotomen (Sandmücken)
bildet (vgl. NK50b S. 83 Z. 31 bis 34 i. V. m. S. 3 Z. 6 von unten). Da der
bezweckte Schutz vor Bissen der Sandmücken im Streitpatent weder in Bezug auf
seinen Wirkmechanismus noch auf sein effektives Ausmaß näher definiert ist, sind
somit sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 in NK50b neuheitsschädlich
vorbeschrieben.
Dem Einwand der Beklagten, der Pyrethroid-Wirkstoff Cypermethrin werde in
NK50b aus den Marken und nicht aus dem Halsband selbst freigesetzt, vermag
der Senat nicht zu folgen. Denn dem Patentanspruch 1 gemäß Streitpatent sind
keine weitergehenden Angaben hinsichtlich der Ausgestaltung des Halsbandes zu
entnehmen. Somit kann streitpatentgemäß der Pyrethroid-Wirkstoff auch über am
Halsband angebrachte Marken freigesetzt werden, zumal in NK50b die Marken mit
Nieten an der Innenseite des Halsbands befestigt sind, wodurch eine nicht lösbare
Einheit aus Halsband und Marken entsteht (vgl. NK50b S. 79 Z. 21 bis 25). Zudem
ist im Streitpatent ein den Pyrethroid-Wirkstoff Deltametrin enthaltendes Hunde-
halsband lediglich als bevorzugte Ausführungsform beschrieben (vgl. NK1a S. 3/5
Abs. [0015]). Beansprucht ist im Patentanspruch 1 dagegen nur die Verwendung
eines Pyrethroids bei der Herstellung eines Medikaments in Form eines Hals-
bands. Dies schließt eine Ausgestaltung gemäß NK50b mit dem Pyrethroid-Wirk-
stoff in mit Nieten am Halsband befestigten Marken nicht aus.
Auch soweit die Beklagte einwendet, dass es sich bei der Druckschrift NK50b um
eine „experimentelle Anwendungsbeobachtung“, nicht aber um eine wissenschaft-
- 14 -
lichen Standards genügende Untersuchung handele, und ihre Aussagen daher
spekulativ seien, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. NK50b ist ein Auszug
aus einer Dissertation, die bei der Universität Claude Bernard in Lyon eingereicht
und veröffentlicht worden ist (vgl. NK50b S. 1). Sie stellt für den Fachmann eine
wissenschaftliche Studie dar, die ihm definitive Erkenntnisse und Handlungsan-
weisungen zu Wirkstoff, Applikationsform und Wirkung offenbart. Einen Nachweis
dafür, dass diese offensichtlich fehlerbehaftet oder derart widersprüchlich bzw.
spekulativ sind, dass der Druckschrift der vorgenannte Offenbarungsgehalt nicht
entnommen werden kann, hat die Beklagte nicht angetreten, obwohl sie dafür die
Beweislast trägt (vgl. Schulte Patentgesetz, 9. Aufl. § 3 Rn. 98, 133). Auch das
Fehlen von weitergehendem Zahlenmaterial und einer Randomisierung der Studie
sprechen nicht für eine wissenschaftlich unhaltbare und damit spekulative Lehre in
der NK50b. Auch kann den Ausführungen der Beklagten nicht gefolgt werden, die
unter Hinweis auf Busse Patentgesetz, 7. Aufl., § 3 Rn. 110 Satz 6 meint, dass die
Neuheit der streitpatentgemäßen Verwendung zu bejahen sei, obwohl in der
NK50b von gerade dieser Verwendung berichtet werde, weil ihr Inhalt nicht die
Schlussfolgerung erlaube, dass die therapeutische Wirkung tatsächlich existiere.
Vielmehr führt die NK50b mehrmals an, dass das Marken-Halsband ein gutes
Mittel für die angestrebte Prävention der Leishmaniose darstellt (vgl. NK50b S. 80
Z. 46 bis 50, S. 81 Z. 19 bis 20 und S. 83 Z. 31 bis 34). Sie offenbart dem
Fachmann somit erfolgreiche Versuche und Ergebnisse am lebenden Tier.
Die Durchführung als nicht randomisierte Studie mag zwar aus rein
wissenschaftlicher Sicht Fragen aufwerfen. Für eine neuheitsschädliche
Offenbarung gelten derartige Anforderungen jedoch nicht. Vielmehr reicht es aus,
dass die patentgeschützte Lehre ausführbar offenbar ist (vgl. Schulte a. a. O. § 3
Rn. 94).
Auch der Hinweis in NK50b auf einen unvollständigen Schutz durch das Marken-
halsband (vgl. NK50b S. 81 Z. 24 bis 28 und S. 83 Z. 7 bis 10) und auf die An-
wendung als "Spot-on" als alternative Auftragungsmethode, d.h. das Auftragen
des Wirkstoffs auf die obere Rückenlinie des Tieres (vgl. NK50b S. 79 Z. 42 bis
- 15 -
45), kann die Offenbarung der NK50b nicht in Zweifel ziehen. Denn NK50b be-
schreibt auch die "Spot-on"-Anwendung als nachteilhaft, da eine derartige Anwen-
dung in weitaus kürzeren Abständen notwendig sei, was zu einer schlechten Kun-
den-Compliance führe (vgl. NK50b S. 81 Z. 5 bis 9).
Schließlich kann auch der Hinweis der Beklagten, dass die zur Herstellung des
Hundehalsbandes verwendeten Pyrethroide streitpatentgemäß als Repellens und
damit als Anti-Feeding-Mittel wirkten, während deren Wirkung als Insektizid und
damit als Fraßgift mit tödlicher Wirkung auf die Sandmücken für den streitpatent-
gemäßen Effekt nur eine untergeordnete Rolle spiele, keine andere Beurteilung
zur Neuheit rechtfertigen. Damit mag zwar die theoretische Begründung der Wir-
kungsweise der Pyrethroide auf die Sandmücken erklärt werden können, hierbei
handelt es sich aber nicht um eine konkrete Lehre zum technischen Handeln.
Diese liegt vielmehr darin, Pyrethroide in Verbindung mit einem Hundehalsband
zum Schutz vor Sandmücken mit dem Ziel zu verwenden, eine Leishmaniose zu
vermeiden. Diese Lehre ist aber sowohl hinsichtlich der Indikation als auch hin-
sichtlich der Art und Weise der Wirkstoffgabe aus der NK50b bekannt (vgl. BGH
GRUR 1994, 357 Ls. 3, 358 II. 2. c)
– Muffeloffen sowie BGH GRUR 2011, 999 Ls.
– Memantin).
4. Im Hinblick auf den über die NK50b hinausgehenden Stand der Technik be-
ruht der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit.
Ausgangspunkt zum Auffinden einer Lösung des dem Streitpatent zugrunde lie-
genden Problems stellt die englischsprachige Übersetzung NK28b des Artikels
NK28a aus der chinesischsprachigen Fachzeitschrift "Endemic Diseases Bulletin"
dar. Die NK28b beschreibt einleitend, dass durch den zunehmenden Einsatz von
Hunden in den Bergregionen chinesischer Provinzen auch das ernsthafte Problem
der Epidemologie der Kala-azar (= viszerale Leishmaniose) in diesen Gebieten zu
beobachten sei, weshalb ein dringender Bedarf einer Kontrolle der Ausbreitung
dieser Krankheit besteht (vgl. NK28b S. 1/2 übergreifender Abs.). Zur Lösung die-
- 16 -
ses Problems schlägt die NK28b ein deltamethrinhaltiges Bad für Hunde vor.
Durch die Behandlung mit dem Pyrethroid Deltamethrin, das im Übrigen auch als
bevorzugter Wirkstoff gemäß Streitpatent verwendet wird (vgl. NK1a Patentan-
sprüche 5, 6 und S. 3/5 Abs. [0015] bis [0017] sowie Beispiele 1 und 2), wird der
Anteil der Mücken mit "feeding rate" (= Blutmahlzeit) von 61,5 % bei unbehandel-
ten Hunden auf nur 4,4 % gesenkt (vgl. NK28b S. 1 Titel, Abstract, S. 2 Abs. 2
Satz 2 und le. Abs. S. 3, Tab. 1). In der NK28b wird zudem die Wirkungsweise des
Pyrethroids auf Sandmücken beschrieben. Demnach landen die Sandmücken auf
der Suche nach einer geeigneten Einstichstelle oftmals auf dem Hund und wan-
dern vor dem Einstich durch das Haarkleid des Hundes, wobei sie in Kontakt mit
dem Pyrethroid kommen. Noch vor dem Einstich setzt der tödliche Effekt des Py-
rethroids ein und der Mückenstich wird verhindert (vgl. NK28b S. 3 Abs. 1 Satz 3
bis 5). Somit hat das Pyrethroid gemäß der Lehre der NK28b
– wie das Streitpa-
tent (vgl. Abschnitt II. 2.)
– sowohl eine Anti-Feeding als auch eine letale Wirkung.
Schließlich offenbart die NK28b, dass das pyrethroidhaltige Bad nicht nur den
Haushund schützt und die Sandmücken abtötet, sondern dass es auch nutzbrin-
gend für die Prävention von Kala-azar ist (vgl. NK28b S. 5 le. Satz).
Da aber das Baden eines Hundes in einem pyrethroidhaltigen Bad mit Nachteilen
und Problemen verbunden ist, z. B. einer Exposition des Menschen mit der py-
rethroidhaltigen Badeflüssigkeit sowie einer Aversion vieler Hunde gegen Bade-
vorgänge, und die Überlegungen des Fachmanns naturgemäß bei der Fehlerana-
lyse vorhandener Lösungen und deren Verbesserung ansetzen (vgl. BGH, GRUR
2010, 814, 816 Rn. 24
– Fugenglätter), wird er sich nach alternativen Lösungen für
das Aufbringen von Pyrethroiden zum Schutz der Hunde vor Sandmückenstichen
umschauen. Dabei wird er auf die NK13 stoßen, die ihn lehrt, dass bevorzugt
wirkstoffhaltige Halsbänder und Halsbandanhänger für Hunde zur Kontrolle von
Schädlingen eingesetzt werden können (vgl. NK13 Patentanspruch 1 i. V. m. S. 2
Z. 1 bis 3 und S. 14 Z. 26 bis 32). In diesem Zusammenhang offenbart NK13 auch
Pyrethroide und unter diesen die im Abs. [0008] der Streitpatentschrift genannten
Cyfluthrin, Deltamethrin, Cypermethrin, Permethrin und Fluvalinat. (vgl. NK13 S. 4
Z. 25 bis 27, S. 5 Z. 18 bis 31). Darüber hinaus wird mit dem Beispiel C die An-
- 17 -
wendung eines dieser Pyrethroide, nämlich von Cyfluthrin zur Herstellung eines
Halsbandes angegeben (vgl. NK13 S. 15 Z. 36 bis 47). Der Fachmann zieht die
NK13 insbesondere auch deswegen in Betracht, weil die dort offenbarten wirk-
stoffhaltigen Formkörper zur Bekämpfung der Sandmücke (= )
verwendet werden (vgl. NK13 S. 14 Z. 38). Aus der NK13 erhält der Fachmann
somit die Anregung, anstelle eines pyrethroidhaltigen Bades gemäß NK28b ein
pyrethroidhaltiges Halsband zum Schutz von Hunden gegen Bisse der Sandmü-
cken einzusetzen. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist daher aus der
Kombination der Lehren der Druckschriften NK28b und NK13 nahe gelegt.
Das Argument der Beklagten, es sei
– beispielsweise durch NK40 S. 509 mittl.
Sp. 6. vollst. Satz belegtes
– fachmännisches Wissen, dass unabhängig vom
Wirkstoff durch ein Halsband im Allgemeinen nur eine geringe Konzentration in
ungleichmäßiger Verteilung auf der Körperoberfläche erhalten werde, weshalb es
überraschend sei, dass sich streitpatentgemäß ein Pyrethroid aus einem Halsband
in einem zum Schutz vor Bissen von Sandmücken ausreichenden Maße über den
Körper des Hundes verteile, kann nicht durchgreifen. Die Formulierung in NK28b,
auf die die Beklagte in diesem Zusammenhang hingewiesen hat (vgl. NK28b S. 2
Abs. 2 Sätze 2 und 3), besagt lediglich, dass der Hund vollflächig im Bad mit der
Medizin zu benetzen ist, spricht aber nicht von einer gleichmäßigen Applikation
des Wirkstoffs an allen Stellen des Körpers. Zudem ist die Zweckangabe "zum
Schutz vor Bissen von Sandmücken" gemäß dem Merkmal 1.3 des Patentan-
spruchs 1 in diesem Zusammenhang nicht als ein lückenloser Schutz zu verste-
hen. Denn das Streitpatent gibt an, dass immer noch bis zu 13 % der weiblichen
Fliegen auf Halsband-tragenden Hunden angeschwollen waren und damit blut-
saugend zugebissen haben (vgl. NK1a S. 4/5 Abs. [0027] i. V. m. Abs. [0026]).
Damit ist diese Zweckangabe im Merkmal 1.3 als statistisch signifikante Absen-
kung der Bissrate anzusehen, die vergleichbar auch in der NK28b offenbart wird
(vgl. NK28b S. 2 le. Abs.). Da es weiterhin zum fachmännischen Wissen gehört,
dass es auch durch lokal applizierte Darreichungsformen wie einer Ohrmarke oder
einem Halsband zur Freisetzung des darin enthaltenen Wirkstoffs kommt, wobei
der Wirkstoff nach einer gewissen Zeit und dosisabhängig zumindest weitgehend
- 18 -
über den ganzen Körper des Tieres verteilt ist (vgl. HE5 S. 329 re. Sp. le. Abs.,
S. 330 re. Sp. Abs. "Bioassay" und S. 334 Fig. 8; vgl. NK50b S. 79 Z. 3 bis 5; vgl.
NK63 S. 160 "Summary" Abs. 1 le. Satz und S. 166 Abs. 2 Sätze 4 und 5), war der
Fachmann motiviert, die Darreichung über ein Bad gemäß NK28b durch die Dar-
reichung über ein Halsband gemäß der Lehre der NK13 zu ersetzen. Die für den
streitpatentgemäß zu erzielenden Schutz vor Bissen der Sandmücke ausrei-
chende Dosis an Pyrethroid im Halsband konnte er dann anhand von einfachen
Versuchen ermitteln, deren Anlegung und Ausführung seiner Routinetätigkeit zu-
zurechnen sind und die keine Überlegungen erfinderischer Art erfordern.
Auch die Berücksichtigung des gegenüber Zecken und Flöhen unterschiedlichen
Suchverhaltens der Sandmücken auf einem Hund kann an dieser Sichtweise
nichts ändern. Denn dem Fachmann war beispielsweise anhand der Kopffliege (=
), die Schleimhautregionen des Kopfes und Zitzenkuppen am
Rind, damit ebenfalls wenig behaarte bis unbehaarte Regionen aufsucht (vgl.
NK62 S. 11 li. Sp. Abs. 3 le. Satz und spaltenübergreifender Abs.), bekannt, dass
Insekten mit ähnlichem Suchverhalten wie die Sandmücke (vgl. HE3 S. 658 re.
Sp. vorle. Abs. unteres Drittel) durch einen lokal und in ausreichender Dosis appli-
zierten Wirkstoff wirksam bekämpft werden können (vgl. NK63 S. 166 Abs. 2
Sätze 4 und 5). So wurde beim Einsatz von zwei das Pyrethroid Cypermethrin
enthaltenden Ohrmarken die Zahl der Kopffliegen selbst am Euter um 89 % ge-
senkt (vgl. NK63 S. 160 Summary Abs. 1 le. Satz, S. 164/165 seitenübergreifen-
der Satz). Das im Vergleich zu Sandmücken unterschiedliche Suchverhalten von
Zecken und Flöhen war somit für den Fachmann kein Grund, die bisher nur gegen
Zecken und Flöhe eingesetzten pyrethroidhaltigen Hundehalsbänder nicht auch
für die Bekämpfung der Sandmücke in Betracht zu ziehen.
Schließlich kann auch der von der Beklagten angeführte Anti-Feeding Effekt die
erfinderische Tätigkeit der streitpatentgemäßen Verwendung nicht begründen, da
ein Anti-Feeding Effekt bereits aus der NK28b bekannt ist. So beschreibt diese
Druckschrift , dass nur 4,4 % der Sandmücken bei behandelten
Hunden gegenüber 61,5 % bei unbehandelten Hunden zur Blutmahlzeit kommen
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(vgl. NK28b S. 2 le. Abs.). Im Übrigen gehört es zum fachmännischen Wissen,
dass Pyrethroide eine Anti-Feeding Wirkung haben (vgl. z. B. NK59 S. 1 Z. 6 bis 7;
NK54 S. 280 re. Sp. Abs. 2 Satz 3 und 4; NK57 S. 171 Abs. 3; NK58 Sp. 2 Z. 19
bis 25). Zudem handelt es sich bei dem Anti-Feeding Effekt um eine theoretische
Begründung der Wirkungsweise der Pyrethroide auf die Sandmücken und nicht
um eine konkrete Lehre zum technischen Handeln (vgl. Abschnitt II. 3. le. Abs.),
so dass dieser Effekt auch keine erfinderische Tätigkeit begründen kann.
5. Die nebengeordneten Patentansprüche 2 und 3 sind auf die Verwendung ei-
nes Pyrethroids bei der Herstellung eines Medikaments in Form eines Halsbands
zur Kontrolle der Hundeleishmaniose bzw. der humanen viszeralen Leishmaniose
gerichtet. Hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gelten für diese Pa-
tentansprüche aufgrund des Zusammenhangs des Schutzes von Hunden vor Bis-
sen der Sandmücke und der Kontrolle der Hundeleishmaniose sowie der humanen
viszeralen Leishmaniose die oben für den Patentanspruch 1 dargelegten Ge-
sichtspunkte gleichermaßen, so dass auch diese Patentansprüche nicht be-
standsfähig sind (vgl. NK7 S. 56 le. Abs. bis S. 58 Abs. 3; NK8 S. 146 vorle. Abs.
bis S. 149 Abs. 3; NK12 S. 12 Tab 1 5. Z. sowie S. 36 bis S. 38). Zudem finden
sich entsprechende Offenbarungen für die in den Merkmalen 2.3 und 3.3 bean-
spruchten Zweckangaben in NK50b und NK28b (vgl. NK50b S. 76 Abs. 1, S. 78 le.
Abs., S. 80 vorle. Abs., S. 81 Z. 16 bis 17 und S. 83 le. Abs.; NK28b S. 1 Abstract
und S. 4 vorle. Abs. bis S. 5).
6. Bezüglich der auf die Patentansprüche 1 bis 3 rückbezogenen Patentansprü-
che 4 bis 6 hat die Beklagte einen eigenständigen patentfähigen Gehalt nicht
geltend gemacht. Ein solcher ist auch für den Senat nicht ersichtlich. Diese
Patentansprüche, deren selbstständiger Gehalt von der Klägerin unter Angabe
von Gründen in Abrede gestellt wurde, sind daher ebenfalls nicht patentfähig,
ohne dass hierauf näher einzugehen ist (vgl. BGH GRUR 2007, 309, Rn. 42
Schussfädentransport).
7. Der Senat hat davon abgesehen, dem Antrag der Beklagten entsprechend ein
Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen einzuholen. Zum einen
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kam es auf die unter den Parteien kontrovers diskutierte Frage der Auslegung des
Merkmals „for the protection of dogs from bites of phlebotomine sandflies“ / „zum
Schutz von Hunden vor Biss
en von Sandmücken“ nicht an, da die NK 50b und die
NK 28 b jeweils eine repellierende Wirkung gegen Sandmücken bzw. deren Stiche
und damit - auch nach dem engen Verständnis der Beklagten - das o. g. Merkmal
offenbaren.
Im Übrigen stellt die Auslegung der Patentansprüche eine Rechtsfrage dar, die
nicht dem gerichtlichen Sachverständigen überlassen werden darf (vgl. BGH
GRUR 2008, 779, 782 Rn. 30
– Mehrgangnabe). Er kann dem Gericht nur die
Kenntnisse vermitteln, die es benötigt, um die geschützte technische Lehre zu
verstehen und den diese Lehre definierenden Patentanspruch unter Ausschöpfung
seines Sinngehalt selbst auslegen zu können (BGH, a. a. O., Ls. 1). Hierbei kann
ein Gericht auch dann auf sachverständige Hilfe zurückgreifen müssen, wenn
zweifelhaft und auf andere Weise nicht zu klären ist, wie der einschlägige Fach-
mann im Patentanspruch (oder in der Beschreibung) verwendete technische Be-
griffe versteht, was allerdings von den Umständen des Einzelfalls abhängt und
einen Ausnahmefall darstellt (vgl. BGH GRUR 2004, 413, 416 unter I.4.c) a. E.
Geflügelkörperhalterung), und vorliegend angesichts der wenig komplexen Tatfra-
gen zur Auslegung des fraglichen Merkmals durch ein sachkundig besetztes Ge-
richt nicht in Betracht gekommen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
- 21 -
IV.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelas-
senen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und
innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karls-
ruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in voll-
ständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Mo-
naten nach der Verkündung.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.
Schramm
Dr. Proksch-Ledig
Kätker
Dr. Münzberg
Dr. Jäger
prö