Urteil des BPatG vom 08.12.2015

Stand der Technik, Patentanspruch, Reduktion, Epü

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 30/14 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
8. Dezember 2015
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 648 908
(DE 60 2004 002 877)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Schramm, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Egerer, des Richters Kätker
sowie der Richter Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 1 648 908 wird im Umfang der An-
sprüche 1 bis 7, 9, 11 und 13 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 9. Juli 2004 beim Europäischen
Patentamt angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland
erteilten Patents 1 648 908 (Streitpatent), das die Priorität der europäischen An-
meldung EP 03405551 vom 18. Juli 2003 in Anspruch nimmt.
Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Streitpatent wird vom Deutschen
Patent- und Markenamt unter der Nummer 60 2004 002 877 geführt und trägt die
B
ezeichnung „Process For Preparing Acylphosphanes And Derivatives Thereof“.
Es umfasst 13 Patentansprüche, von denen die zueinander in Nebenordnung ste-
- 3 -
henden Patentansprüche 1 und 13 in der englischen Verfahrenssprache wie folgt
lauten:
- 4 -
- 5 -
In deutscher Sprache lauten sie:
- 6 -
- 7 -
Wegen des Wortlauts der übrigen, unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1
rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 648 908 B1 ver-
wiesen.
Die Klägerin, die das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 7, 9, 11
und 13 angreift, macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit
geltend (Art. II § 6 (1) IntPatÜG i. V. m. Art. 138 (1) (a) EPÜ).
Sie stützt ihr Vorbringen unter anderem auf folgende Dokumente:
TM6
WO 2005/014606 A1;
TM7
EP 03 016 649.0 (Prioritätsdokument zu TM6);
TM8
WO 00/32612 A1;
TM9
US 3,397,039;
TM10
L. Brandsma et al., Synthetic Communications 24(2) (1994) 3219 bis
3223;
TM11
M.C.J.M van Hooijdonk, Dissertation 1999, Universität Utrecht;
TM12
K. Issleib, E. Priebe, Chem. Ber. 92 (1959) 3183 bis 3189;
TM13
K. Issleib, R. Kümmel, Z. Naturforschg. 22b (1967) 784 bis 785;
TM16
M.C.J.M van Hooijdonk et al, Phosphorus, Sulfur and Silicon 162
(2000) 39 bis 49;
TM17
F. Pass, H. Schindlbauer, Mh. Chem. 90 (1959) 148 bis 156;
TM18
US 5,472,992.
- 8 -
Nach Auffassung der Klägerin ist der angegriffene Teil des Streitpatents mangels
Patentfähigkeit nichtig. Nachdem die Beklagte den angegriffenen Teil ihres Pa-
tents nur noch beschränkt verteidigt, macht die Klägerin geltend, dass den Ge-
genständen der angegriffenen Patentansprüche jedenfalls die erfinderische Tätig-
keit fehle. Ausgehend von der Lehre der Druckschrift TM8 in Kombination mit ei-
ner der Druckschriften TM9 bis TM11 oder ausgehend von der Druckschrift TM18
in Kombination mit den Druckschriften TM17 unter Berücksichtigung von TM11,
TM16, jeweils unter Berücksichtigung des Fachwissens, sei ihr Gegenstand nahe-
gelegt. Entsprechendes gelte für die Gegenstände der Hilfsanträge.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 648 908 im Umfang der Ansprüche 1 bis
7, 9, 11 und 13 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesre-
publik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen,
dass das Streitpatent im angegriffenen Umfang die Fassung des
Hauptantrags,
hilfsweise eines der Hilfsanträge 1 oder 2,
sämtliche gemäß Schriftsatz vom 7. September 2015, erhält.
Gemäß Hauptantrag werden im Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung die
am Schlu
ss des Verfahrensschritts (1) befindlichen Wörter „in Gegenwart einer
Protonenquelle (Reduktion)“ durch die Wörter „in Gegenwart eines sterisch gehin-
derten Alkohols (Reduktion)“ ersetzt. Entsprechende Ersetzungen bzw. Beschrän-
kungen werden auch in den weiteren Patentansprüchen 2, 3, 9 und 11 vorge-
nommen, wobei das entsprechende Merkmal in dem auf Patentanspruch 2 rück-
bezogenen Patentanspruch
3 wie folgt formuliert wird: „…; die Protonenquelle aus
sterisch gehinderten Alkoholen ausgewählt ist; …“.
- 9 -
Außerdem enthalten die Patentansprüche 3 bis 5 gemäß Hauptantrag gegenüber
der erteilten Fassung weitere Beschränkungen. Sie lauten wie folgt:
Patentanspruch 13 gemäß Hauptantrag lautet:
Gemäß Hilfsantrag 1 werden in Patentanspruch 1 stoffliche Einschränkungen in
den Restebedeutungen der Produkte und damit auch der Edukte vorgenommen.
- 10 -
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
- 11 -
Die übrigen Patentansprüche 2 bis 13 gemäß Hilfsantrag 1 sind identisch mit den
Patentansprüchen 2 bis 13 gemäß Hauptantrag.
Gemäß Hilfsantrag 2 werden in den Patentansprüchen
1, 2, 9 und 11 „Lösungs-
mittel“ als „aromatische Lösungsmittel“ konkretisiert. Ansonsten sind die Patentan-
sprüche 1 bis 13 mit den Patentansprüchen 1 bis 13 gemäß Hilfsantrag 1 iden-
tisch.
- 12 -
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie verweist auf folgende
Dokumente:
M1
Versuchsbericht (Dr. R. H. Sommerlade vom 15.04.2015)
M2
Tabellarische Zusammenfassung der Versuche
M3
Gutachterliche Stellungnahme (Prof. Dr. H. Grützmacher vom 15.04.2015)
M4
Expert Opinion (Prof. Dr. J. M. Goicoechea vom 02.09.15)
M5
Versuchsbericht (Dr. R. H. Sommerlade vom 05.09.2015)
Nach ihrer Auffassung ist der angegriffene Teil des Streitpatents neu gegenüber
dem Stand der Technik, insbesondere gegenüber der Druckschrift TM6. Dies gelte
jedenfalls für die nunmehr mit Hauptantrag und mit Hilfsanträgen 1 und 2 vertei-
digten Fassungen des Streitpatents im Hinblick auf die darin vorgenommene Be-
schränkung der Protonenquelle auf sterisch gehinderte Alkohole in Verfahrens-
schritt (1) des jeweiligen Patentanspruchs 1.
Zudem sei mit Patentanspruch 13 gemäß Hauptantrag klargestellt, dass das zu
oxidierende oder sulfidierende Acylphosphan gemäß dem erfindungsgemäßen
Verfahren hergestellt werde, so dass auch sein Gegenstand neu sei. Falls dieser
Patentanspruch in der Weise weit ausgelegt werden sollte, dass er sich nicht (al-
lein) auf die nach den Verfahren gemäß den Patentansprüchen 1 bis 12 bzw. den
entsprechenden Teilen der Beschreibung gewonnenen Acylphosphane beziehe,
so handele es sich jedenfalls um eine zulässige Beschränkung des Patents.
Weiterhin beruhten die Gegenstände der angegriffenen Patentansprüche des
Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit. Diese könnten nicht durch den Stand der
Technik, insbesondere nicht durch die Druckschriften TM8 bis TM13 und TM16 bis
TM18 in Frage gestellt werden. Vielmehr sei es überraschend, dass eine Aus-
beuteverbesserung gerade durch die Maßnahme einer Protonierung erzielt wer-
den könne, von der der Fachmann eine deutlich reduzierte chemische Reaktivität
der Zwischenstufe aufgrund einer verringerten negativen Ladung am Phospho-
ratom angenommen hätte.
- 13 -
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1
Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und
erweist sich auch als begründet.
Das Streitpatent ist im angegriffenen Umfang wegen fehlender Patentfähigkeit
(Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) nichtig.
Soweit das Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung nicht mehr
verteidigt wird, war es mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland ohne
Sachprüfung für nichtig zu erklären (zur st. Rspr. im Nichtigkeitsverfahren vgl. z. B.
BGH GRUR 2007, 404, 405 - Carvedilol II; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl.,
§ 82 Rdn. 90 m. w. Nachw.; Schulte/Voit, Patentgesetz, 9. Aufl., § 81 Rdn. 127).
I.
1.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen
und deren Derivate. Aus dem Stand der Technik sind verschiedene Verfahren zur
Herstellung von Acylphosphanen sowie deren Oxiden und Sulfiden bekannt. Sie
seien mit Nachteilen verbunden, insbesondere weil beträchtliche Mengen an un-
erwünschten Nebenprodukten erhalten werden (vgl. TM1 [0001]- [0006]).
2.
Vor diesem Hintergrund ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe
darin zu sehen, ein Verfahren bereit zu stellen, das von organischem Phosphor-
halogenid ausgeht, das die sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt, und das
sich wirtschaftlich effizient unter möglichst hohen Ausbeuten an Mono- und
Bisacylphosphanen durchführen lässt (vgl. TM1 [0007], Schriftsatz der Beklagten
vom 17. April 2015, S. 9).
- 14 -
3.
Die Aufgabe wird durch ein Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen
nach den Patentansprüchen 1 bis 12 sowie durch ein Verfahren zur Herstellung
von Acylphosphanoxiden und -sulfiden nach Patentanspruch 13 gelöst.
Der Patentanspruch 1 weist in der mit Hauptantrag verteidigten Fassung folgende
Merkmale auf:
1)
Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen der Formel I
(mit den anspruchsgemäßen Restebedeutungen)
durch
2)
Umsetzen eines Phosphorhalogenids der Formel IIa oder eines
Phosphorhalogenidoxids der Formel IIb oder eines Phosphorhalo-
genidsulfids der Formel IIc
(mit den anspruchsgemäßen Restebedeutungen)
2.1)
mit einem Alkalimetall in einem Lösungsmittel (Metallierung)
2.2)
in Gegenwart eines sterisch gehinderten Alkohols (Reduktion),
und
- 15 -
3)
anschließende Umsetzung mit m Säurehalogeniden der Formel
Hal-CO-R
2
.
Patentanspruch 13 weist in der mit Hauptantrag verteidigten Fassung das zusätz-
liche Merkmal auf:
4)
Anschließende Oxidation oder Reaktion mit Schwefel des
Acylphos
phans der Formel I, I‘,I‘‘oder I‘‘‘ (vgl. Merkmal 1), die ge-
mäß den Verfahren nach den Ansprüchen 1, 8, 9 oder 10 herge-
stellt sind, unter Bildung der entsprechenden Acylphosphan-Oxide
und Acylphosphan-Sulfide.
In Patentanspruch 1 der nach Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung sind die Reste-
bedeutungen der Markush-Formeln der Produkte und Edukte eingeschränkt wor-
den.
In Patentanspruch 1 der nach Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung kommt hinzu
2.1.1) das Lösungsmittel ist ein aromatisches Lösungsmittel.
4.
Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen
promovierten Chemiker der Fachrichtung Organische Chemie mit besonderer
Erfahrung auf dem Gebiet der Synthese organischer Phosphorverbindungen.
5.
Die in der Streitpatentschrift und in den vorgebrachten Druckschriften
verwen
deten Begriffe „Acylphosphine“ und „Acylphosphane“ einerseits sowie
„Acylphosphinoxide“ und „Acylphosphanoxide“ andererseits bezeichnen jeweils
ein und dieselbe Gruppe von Verbindungen. Während „Phosphan“ die von der
IUPAC-Nomenklatur empfohlene Bezeichnung darstellt, wird vor allem in der eng-
lischsprachigen Fach- und Patentliteratur weiterhin der altherkömmliche Begriff
„Phosphin“ verwendet (vgl. z. B. TM8 S. 1 Abs. 1; TM11 Titel), so auch in den Be-
zeichnungen einschlägiger Handelsprodukte.
- 16 -
Alkyl- und Acylphosphane sind organochemische Derivate des Phosphans bzw.
Phosphins
PH
3
.
Es
existieren
demnach
Mono-,
Di-
und
Trial-
kyl(aryl,acyl)phosphane. Hinzu kommen Alkyl(aryl,acyl)-Bis-Phosphane mit einer
Phosphor-Phosphor-Bindung.
Im Phosphan PH
3
und seinen Alkyl-, Aryl- oder Acylderivaten RPH
2
, R
2
PH und
R
3
P liegt Phosphor jeweils in der niedrigsten Oxidationsstufe -3 vor. In den Halo-
geniden PCl
3
, RPCl
2
und R
2
PCl liegt Phosphor in höheren Oxidationsstufen vor:
+3 in PCl
3
,
+1 in RPCl
2
und -1 in R
2
PCl. Die alkyl-, aryl- und/oder acylsubstituier-
ten Phosphane werden üblicherweise mittels Wasserstoffperoxid oder mit Persäu-
ren zu den Phosphan-Oxiden R
2
PH(O) oder R
3
P(O) oxidiert, wobei die Oxidati-
onsstufe des Phosphors von -3 auf -1 und damit entsprechend der Elektronegati-
vität und Wertigkeit des Sauerstoffs um +2 ansteigt.
Insofern führt sowohl die Reduktion von elementarem Phosphor (Oxidationsstufe
0) als auch von RPCl
2
(Oxidationsstufe +1) und von R
2
PCl (Oxidationsstufe -1) zur
Aufnahme von Elektronen durch das Phosphoratom und damit zur Erhöhung sei-
ner Nucleophilie.
Bei der Reduktionsreaktion des Schrittes 1 gemäß Patentanspruch 1 nach Streit-
patent nimmt die Oxidationsstufe ausgehend von beispielsweise Cl
2
PR zu
(RC=O)
2
PR deshalb von +1 zu -3 hin ab, wobei die Elektronen von dem Alkali-
metall als Reduktionsmittel geliefert werden, das ausweislich der Ausführungsbei-
spiele des Streitpatents wegen der für diese Reduktion erforderlichen 4 Elektronen
pro Edukt bevorzugt in mindestens 4-molarem Überschuss eingesetzt wird (vgl.
TM1 Tabellen 1 bis 8, sowie die dem Streitpatent nächstkommende TM8,
Beisp. 1).
- 17 -
II.
Der Gegenstand des Streitpatents, soweit angegriffen, in den nach Hauptantrag
und den Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigten Fassungen der Patentansprüche ist
nicht patentfähig (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a)
EPÜ).
1.
Bereits gegen die Zulässigkeit der nach Hauptantrag und den Hilfsanträ-
gen 1 und 2 gegenüber der erteilten Fassung vorgenommenen Änderungen be-
stehen Bedenken.
a)
Zwar ist die Einschränkung auf sterisch gehinderte Alkohole (als Protonen-
quelle) in den jeweiligen Patentansprüchen nicht zu beanstanden (vgl. TM1 und
WO 2005/014605 A2, jeweils Anspr. 4 i. V. m. Anspr. 3 sowie Beisp. 1 bis 11, 15
bis 19).
Die lediglich in den Hilfsanträgen 1 und 2 vorgenommene stoffliche Einschränkung
des Produktkollektivs und damit auch des entsprechenden Eduktkollektivs kann
sich aber weder auf einen in der ursprünglichen Beschreibung noch einen in der
Patentschrift als bevorzugt hervorgehobenen Teilgegenstand stützen (vgl. TM1
0038
ff. und Beispiel 19).
Fraglich ist auch die Zulässigkeit der in Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 des
Weiteren vorgenommene Änderung in „aromatische“ Lösungsmittel insoweit, als
für die Festlegung auf jedwedes aromatische Lösungsmittel weder in der Patent-
schrift noch in den ursprünglichen Unterlagen eine konkrete Offenbarung vorhan-
den ist (vgl. TM1
0078
„aromatic hydrocarbons“).
Im Übrigen ist die Einschränkung auf aromatische Lösungsmittel und auf sterisch
gehinderte Alkohole in den betreffenden Anspruchsfassungen auch nicht durch-
gehend vorgenommen worden.
- 18 -
b)
Gegen die Einschränkung der oberen Grenze des Temperaturbereichs auf
120
o
C in Unteranspruch 3 der jeweiligen Anträge, die weder aus der ursprüngli-
chen Beschreibung noch aus der Patentschrift explizit hervorgeht und in den
Ausführungsbeispielen sogar mehrfach überschritten wird, bestehen nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH GRUR 1990, 510
– Crackka-
talysator I; BGH GRUR 2000, 591
– Inkrustierungsinhibitoren) keine Bedenken.
c)
Die seitens der Beklagten als Klarstellung bezeichnete Einschränkung des
Verfahrens gemäß Patentanspruch 13 auf solche Edukte bzw. Zwischenprodukte,
die nach den Patentansprüchen 1, 8, 9 oder 10 hergestellt sind, ist zulässig. Zwar
besteht für reine Klarstellungen im Zuge des Nichtigkeitsverfahrens kein Anlass.
Da es sich jedoch tatsächlich um eine Einschränkung zur Vermeidung der Nichtig-
keit des erteilten Patentanspruchs 13 wegen fehlender Neuheit handelt, ist diese
Anspruchsänderung zulässig.
2.
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen ist
zwar neu, da in keiner der vorgebrachten Druckschriften und Dokumente sämtli-
che Merkmale des anspruchsgemäßen Verfahrens beschrieben sind.
Insbesondere steht die TM6, die gegenüber der dem Streitpatent zugrunde lie-
genden Anmeldung nachveröffentlicht ist, und aufgrund ihres früheren Zeitrangs
gemäß Art 54 Abs. 3 EPÜ bei der Neuheitsbewertung zu berücksichtigen ist, nach
Einschränkung des Merkmals 2.2 auf
den Stoffbegriff „sterisch gehinderte Alko-
hole (als Protonenquelle)“ der Neuheit nicht mehr entgegen.
3.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen
beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Dies gilt zunächst für den Pa-
tentanspruch 1 nach Hauptantrag.
Maßgebend für die Beurteilung der erfinderische Tätigkeit des Verfahrens zur
Herstellung von Acylphosphanen der Formel I gemäß dem jeweiligen Patentan-
spruch 1 der geltenden Anträge ist die erste Reaktionsstufe (Merkmale 2 bis 2.2)
- 19 -
und damit die Umsetzung eines entsprechend der Struktur der Endprodukte alky-
lierten und/oder arylierten Phosphorhalogenids mit einem Alkalimetall in einem
nicht definierten Lösungsmittel (Metallierung) in Gegenwart eines sterisch gehin-
derten Alkohols (Reduktion). Für den Fachmann ist es ohne weiteres ersichtlich,
dass die Reduktion mit der Metallierung einhergeht. Die Gegenwart von sterisch
gehinderten Alkoholen vermag an der Oxidationsstufe des Phosphors nichts zu
ändern.
Die an die erste Reaktionsstufe anschließende Umsetzung des erhaltenen Reakti-
onsgemisches mit einem dem gewünschten Endprodukt entsprechend substitu-
ierten organischen Säurehalogenid (Merkmal 3) geht hingegen
– offensichtlich und
unter den Beteiligten unstreitig
– nicht über den Stand der Technik hinaus und
liefert somit keinen erfinderischen Beitrag.
a)
Den Ausgangspunkt zum Auffinden einer Lösung des dem Streitpatent zu-
grunde liegenden Problems stellt die vorveröffentlichte Druckschrift TM8 dar, die
Verfahren zur Herstellung von Mono- und Bisacylphosphanen sowie deren Oxiden
und Sulfiden und damit Verfahren der Gattung des Streitpatents betrifft (vgl. TM8
z. B. Abstract).
Aus der sehr großen Zahl streitpatentgemäß hergestellter Mono- und Bisacylp-
hosphane sowie deren oxidierter und sulfurierter Weiterverarbeitungsprodukte
(vgl. TM1 Anspr. 1 Formel I und Anspruch 13 Formel IV) lagen insbesondere die
bereits geraume Zeit vor dem Zeitrang des Streitpatents etablierten Handelspro-
dukte Bis-(2,4,6-trimethylbenzoyl)-phenylphosphanoxid (Irgacure 819), 2,4,6-Tri-
methylbenzoyl-diphenylphosphanoxid (Lucirin TPO) sowie die handelsüblichen
Gemische aus Irgacure 819 und Lucirin TPO einschließlich deren Herstellungs-
verfahren im Blickfeld des Fachmanns, was nicht nur im Streitpatent (vgl. a. a. O.
Beisp. 1 bis 9 sowie 13 und 14), sondern auch in der TM8 (vgl. a. a. O. Beisp. 1,
14 und 16) zum Ausdruck kommt. Der Fachmann wird deshalb unmittelbar die die
Herstellung der Handelsprodukte Irgacure 819 und Lucirin TPO betreffenden Bei-
spiele 1 und 14 der TM8 ins Auge fassen und die darin beschriebenen Arbeitswei-
- 20 -
sen insbesondere auf ihre Eignung in einem mit der Herstellung kommerzieller
Produkte üblicherweise einhergehenden großtechnischen Produktionsverfahren
hin untersuchen. Im Vordergrund der üblicherweise durchzuführenden Verfah-
rensentwicklung vom Labormaßstab der TM8 über den Pilotmaßstab bis hin zur
großtechnischen Produktion (Scaling-up) stehen wirtschaftliche, sicherheitstechni-
sche und umweltrelevante Fragen des gesamten Herstellungsprozesses ein-
schließlich der Aufarbeitung des gewünschten Produkts. Der Fachmann wird da-
her aus Gründen der Wirtschaftlichkeit dem erheblich preisgünstigeren Natrium
den Vorzug gegenüber dem in Beispiel 1 und in weiteren Ausführungsbeispielen
der TM8 eingesetzten Lithium geben (TM8 Anspr. 7). Darüber hinaus wird er aus
Gründen der Explosionsgefahr und damit der Produktionssicherheit nach Alterna-
tiven zu dem in TM8 eingesetzten Ether Tetrahydrofuran suchen, da dieser mit
Luftsauerstoff explosive Peroxide bildet.
b)
Im Einzelnen werden gemäß TM8 zunächst organische Mono- und/oder
Dihalogenphosphane mit einem Alkalimetall oder mit Magnesium in Kombination
mit Lithium in einem Lösungsmittel, erforderlichenfalls in Gegenwart eines Kataly-
sators zur Reaktion gebracht, anschließend mit Acylhalogeniden zu den ge-
wünschten Acylphosphanen umgesetzt und gegebenenfalls nachfolgend oxidiert
oder mit Schwefel umgesetzt (vgl. TM8 Anspr. 1 und 2 i. V. m. Anspr. 14 sowie
S. 8 Abs. 3, S. 10 le Abs. bis S. 11 Abs. 2
– Merkmale 1, 2, 2.1 und 3). Anhalts-
punkte für den Einsatz eines sterisch gehinderten Alkohols (Merkmal 2.2) bei der
Umsetzung der organischen Mono- und/oder Dihalogenphosphane mit Alkalimetall
in einem Lösungsmittel (Merkmal 2.1), ob als Protonenquelle oder in anderer
Funktion, ergeben sich aus dieser Druckschrift nicht.
c)
Die Bestandsfähigkeit des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag hängt des-
halb davon ab, ob der Fachmann ausgehend von TM8 Anlass hatte, nach günsti-
geren Verfahrensgestaltungen zu suchen, und ob er aus dem vorgebrachten
Stand der Technik unter Einbeziehung seines Wissens und Könnens die Anre-
gung bekommen konnte, ein Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen ge-
mäß TM8 durch die Zugabe eines sterisch gehinderten Alkohols (Merkmal 2.2)
- 21 -
auszugestalten. Dies ist nach Überzeugung des Senats der Fall, zumal grundsätz-
lich ein Anlass zur Verfahrensoptimierung besteht, so auch ausgehend von der
Lehre der TM8 mit besonderem Blick auf einschlägige Handelsprodukte (vgl. TM8
Beisp. 1 und 14).
Dabei wird der Fachmann ausgehend von der TM8, der wie dem Streitpatent die
gattungsgemäße Aufgabe eines verbesserten, für die Produktion geeigneten Ver-
fahrens zur Herstellung der Mono- und Bisacylphosphane als Zwischenprodukte
auf dem Weg zu den betreffenden handelsüblichen Oxiden zugrunde liegt (vgl.
TM8 S. 1 vorle Abs. bis S. 2 Abs. 1), den Stand der Technik unter Berücksichti-
gung seines Wissens und Könnens insbesondere nach Informationen betreffend
die Umsetzung bzw. Metallierung und Reduktion der entsprechend alkylierten
Phosphorhalogeniden durch ein Alkalimetall, insbesondere Lithium und Natrium,
untersuchen.
d)
In der vorveröffentlichten Dissertation TM11, die öffentlich zugängliche
Fachliteratur darstellt und von der der Fachmann schon wegen des Titels einen
Überblick über die Herstellung von Phosphanen erwarten durfte, findet er Anhalts-
punkte und Anregungen, die ihn unmittelbar zu einer Ausgestaltung der ersten
Reaktionsstufe (Merkmale 1, 2 und 2.1) entsprechend dem Merkmal 2.2 gelangen
lassen (vgl. TM11 insbes S. 4 Punkt 3, S. 25 bis 40 Chapter 3 sowie S. 41 bis 59
Chapter 4).
d.1)
Dichlor- und Monochlorphosphane mittels eines Alkalimetalls zu den entsprechend
substituierten sekundären und primären Phosphanen R
2
PH und RPH
2
reduziert
werden (vgl. TM11 S. 4 scheme 1.5, die zweite und dritte Reaktionsgleichung).
Die sowohl im Streitpatent als auch in der TM8 als Edukte eingesetzten Mono-
chlor- und Dichlorphosphane werden gemäß TM11 auch aus Phosphortrichlorid
PCl
3
hergestellt (vgl. TM11 S. 4 Abschnitt 3 le Satz). Damit bezieht sich auch die
TM11, unter anderem, auf gleiche bzw. vergleichbare Ausgangsverbindungen
bzw. Edukte wie die TM8 (vgl. TM8 S. 11 le Abs. bis S. 12 Abs. 2) und das Streit-
- 22 -
patent. Die im Zuge der Metallierung und Reduktion von Mono- bzw. Diorganylp-
hosphordi- bzw. monochlorid mit dem Alkalimetall sich bildenden wasserstoffsub-
stituierten Phosphane RPH
2
, deren Phosph(an)ide RP
2-
bzw. R
2
P
-
bzw. metallierte
Derivate stellen in der TM11, so auch im Streitpatent und in der TM8, lediglich
Zwischenstufen dar, die ohne Isolierung in situ unmittelbar mit Acylhalogeniden zu
den Acylphosphanen umgesetzt werden. Wasserstoffsubstituierte Phosphane
kommen damit in der TM11 gerade nicht als Ausgangsverbindungen vor, die es
wie dem Fachmann ohnehin geläufig
– wegen ihrer schwierigen Handhabbarkeit
zu vermeiden gilt.
Gemäß TM11 wird die Reduktion mit Alkalimetall meist in Gegenwart eines be-
züglich der P-Verbindung stöchiometrischen Überschusses an t-Butanol durchge-
führt (vgl. TM11 S. 26 le Abs. i. V. m. S. 29 Table 3.2 und S. 32 Table 3.4; S. 43 le
Abs. i. V. m. S. 44 Table 4.1, S. 48 Table 4.3 und S. 49 Table 4.4) und zwar so-
wohl in flüssigem Ammoniak (vgl. TM11 Chapter 3) als auch in diversen organi-
schen Lösungsmitteln (vgl. TM11 Chapter 4). Daraus geht bereits unmittelbar die
Funktion des t-Butanol als Protonendonor für intermediäre Phosph(an)id- oder
Diphosph(an)id-Anionen hervor (vgl. TM11 S. 26 le Abs. und S. 43 le Abs.). Da
von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag jedes beliebige Lösungsmittel umfasst ist
(Merkmal 2.1), kommt es ohnehin nicht darauf an, ob sich die betreffenden Aus-
führungen der TM11 auf flüssiges Ammoniak oder auf jedwedes organische Lö-
sungsmittel, also auch auf die gemäß TM8 eingesetzten Ether, beziehen.
Der Fachmann wird deshalb ausgehend von TM8, die ihm die Merkmale 1, 2, 2.1
und 3 unmittelbar vorgibt, gemäß den Empfehlungen der TM11 (vgl. a. a. O. S. 26
le Abs. und S. 43 le Abs.) den Einsatz eines Protonendonors nicht nur in funktio-
naler Hinsicht in Betracht ziehen, sondern t-Butanol, einen sterisch gehinderten
Alkohol (Merkmal 2.2), im Hinblick auf seine besonders herausgestellte Eignung
(vgl. TM11 S. 33 und S. 49 bis S. 50, jeweils Concluding Remarks) unter Produkti-
onsbedingungen auch tatsächlich untersuchen.
- 23 -
Damit gelangt der Fachmann ausgehend von der TM8 unter Berücksichtigung der
Erkenntnisse der TM11 in nahe liegender Weise zu einem Verfahren mit sämtli-
chen Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, so dass dieser
mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand hat.
d.2)
stehe kein Anlass zu einer Kombination der Lehre der TM8 mit der TM11, steht
dem nicht entgegen. Die Beklagte stützt sich hierbei insbesondere auf das zu den
(Handels)Produkten der TM8 unterschiedliche Spektrum von Edukten und Zielver-
bindungen der TM11, auf die dadurch bedingten anderen Reaktionsbedingungen
sowie auf das Auffinden einer Theorie bzw. eines Reaktionsmechanismus (zu
letzterem vgl. die nachveröffentlichte TM14).
Die Lehre der Druckschrift TM11 wird der Fachmann jedoch nicht deshalb unbe-
rücksichtigt lassen, weil die darin beschriebenen Synthesewege in der Regel von
elementarem Phosphor oder PCl
3
ausgehen und entweder in flüssigem Ammoniak
oder in organischen Lösungsmitteln stattfinden. Denn sowohl elementarer Phos-
phor und PCl
3
der TM11 als auch die Mono- oder Dihalogenphosphane der TM8
und der TM11 sowie des Streitpatents werden durch Alkalimetall reduziert. Dabei
ist dem Fachmann geläufig, dass in Abhängigkeit von dem speziellen Edukt und
den Reaktionsbedingungen von unterschiedlichen Reaktivitäten bei der Reduktion
auszugehen ist.
Die TM11 gibt dem Fachmann auch ein Vorbild für die Ausbildung von metallierten
Zwischenprodukten entsprechend der Formel V des Streitpatents und die an-
schließende Protonierung (vgl. TM1 Anspr. 2; TM11 S. 27 scheme 3.3 i. V. m.
S. 26 vorle u le Abs.). Das gegenüber TM8 andere Spektrum der Edukte und Ziel-
verbindungen der TM11 führt ihn nicht davon weg. Bedeutend sind für ihn viel-
mehr die Kenntnis der Zusammenhänge der Nucleophilie der als reaktive Zwi-
schenstufen beim ersten Reaktionsschritt auftretenden metallierten Phosphorver-
bindungen bzw. Phosph(an)id-Anionen einerseits und der Elektrophilie und Reak-
tivität der umzusetzenden Alkyl- und Acylhalogenide, die seinem Grundwissen
- 24 -
zuzurechnen sind und auch im Übrigen nicht über sein Wissen und Können hin-
ausgehen.
d.3)
lich eingereichtes Reaktionsschema (vgl. Schrifts. d. Bkl. v. 17. April 2015, S. 19),
wonach in der ersten Reaktionsstufe ein vollständig metalliertes Phosph(an)id be-
nötigt und bei Zugabe von t-Butanol das zur weiteren Umsetzung mit Acylchlorid
notwendige Phosph(an)id-Anion dagegen vernichtet werde, kann im Hinblick auf
den Stand der Technik nicht beigetreten werden. Bereits die TM11 belegt das
Wissen des Fachmanns, dass die Vernichtung der benötigten Phosph(an)id-Anio-
nen jedenfalls bei Zugabe von t-Butanol gerade nicht eintritt (vgl. TM11 S. 49 le
Abs. Satz 2 i. V. m. S. 27 Abs. unter scheme 3.2 sowie S. 47 Z. 8 bis 11).
Der Einwand der Beklagten, Beispiel 1 der TM8 erfordere die zwingende Aktivie-
rung des Alkalimetalls durch Naphthalin sowie einen Ether zur Stabilisierung des
Alkalimetalls mit der Folge, dass der Fachmann die TM11 ausgehend von der
TM8 nicht herangezogen hätte, greift ebenfalls nicht. Denn der Möglichkeit einer
Aktivierung von Natrium durch Naphthalin und andere Aromaten wird in der TM11
als eine alternative Verfahrensgestaltung mit t-Butanol als Protonenquelle zur
Seite gestellt (vgl. TM11 Table 4.2 bis 4.4 im Gegensatz zu Table 4.1), die im Üb-
rigen wegen des offen formulierten Verfahrensanspruchs 1 nach Hauptantrag
auch streitpatentgemäß umfasst ist.
Schließlich ändert auch die seitens der Beklagten unter anderem unter Bezug-
nahme auf die in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents zitierte TM17 (vgl.
TM1 S. 2 Z. 20 bis 24 i. V. m. TM17 S. 152, 154) vorgebrachte Alkoholzugabe erst
nach der Metallierung und damit nach der vollständigen Umsetzung des Alkali-
metalls nichts an der Bewertung der Lehre der TM11. Denn sowohl in den Ausfüh-
rungsbeispielen des Streitpatents (vgl. z. B. TM1 S. 12 Beisp. 1 a und b) als auch
in der TM11 (vgl. a. a. O. S. 27 Scheme 3.3 i. V. m. S 33 Experimental Section
sowie S. 43 Scheme 4.3 S 50 Procedure A) wird zuerst das Alkalimetall als Re-
duktionsmittel und erst danach t-Butanol als Protonenquelle hinzugegeben. Die
- 25 -
Frage nach dem genauen Ausmaß der Reduktion zum Zeitpunkt der Zugabe des
t-Butanol stellt sich gemäß den geltenden Fassungen des Patentanspruchs 1 oh-
nehin nicht.
Der Fachmann wird jedenfalls nicht deshalb die TM11 im Zuge seiner Optimie-
rungsarbeiten ausgehend von TM8 unberücksichtigt lassen, weil die experimen-
tellen Einzelheiten zum Einsatz von t-Butanol als Protonendonor bzw. Protonen-
quelle neben Phosphortrichlorid meist von elementarem Phosphor und nicht un-
mittelbar von Mono- oder Diaryl- und/oder -alkylphosphorhalogeniden des Streit-
patents und der TM8 ausgehen. Vielmehr wird er ohne Weiteres erkennen, dass
den unterschiedlichen Ausgangsprodukten Phosphortrichlorid und elementarer
Phosphor mit ihren unterschiedlichen Oxidationszahlen des Phosphors (+3 bzw. 0)
durch eine einfache Anpassung des molaren Anteils an Reduktionsmittel Rech-
nung zu tragen ist (vgl. TM11 insbes Tables 4.1 bis 4.4, jeweils Fußnote a), und
entsprechende stöchiometrische Gegebenheiten deshalb auch bei den Arylphos-
phordihalogeniden als Ausgangsverbindungen der TM8 (vgl. a. a. O. Beisp. 1) mit
der Oxidationszahl +1 berücksichtigen.
In seinem Vorgehen bestärkt wird der Fachmann zudem durch die Information,
dass schon Benzylphosphan wegen seiner gegenüber Alkylphosphanen höheren
Acidität leichter metalliert wird (vgl. TM11 S. 45 Abs. unter Scheme 4.4), und er
deshalb mit einer leichten zweifachen Substitution bei den gegenüber Alkylchlori-
den zudem erheblich reaktiveren und elektrophileren Acylchloriden rechnen
konnte.
Entsprechendes gilt bezüglich des Einwands der Beklagten, dass gemäß Streit-
patent und der TM8
– im Gegensatz zur TM11 – tertiäre Phosphane hergestellt
werden. Denn sowohl im Streitpatent als auch in der TM11 treten gleiche bzw.
vergleichbare Zwischenstufen auf, die
– für den Fachmann ohne Weiteres er-
kennbar
– ein Drehkreuz zur in-situ Weiterverarbeitung mit Elektrophilen und da-
mit auch mit elektrophilen Acylhalogeniden zu den tertiären Mono- und Bisacylp-
- 26 -
hosphanen darstellen, so dass er mit einer erfolgreichen Übertragung der Lehre
der TM11 auf die Herstellungsverfahren der TM8 rechnen konnte.
d.4)
langt, so führen diese zu keiner anderen Beurteilung. Aufgrund der positiven Be-
wertung von t-Butanol in der TM11 (vgl. a. a. O. S. 33 Concluding Remarks
i. V. m. S. 26 le Abs., sowie S. 49 le Abs. Concluding Remarks i. V. m. S. 43 le
Abs.) wird der Fachmann bei der Entwicklung eines Produktionsverfahrens für
Mono- oder Bisacylphosphanoxide den Einsatz von t-Butanol nicht nur in Erwä-
gung ziehen, sondern auch tatsächlich realisieren, wofür es keines erfinderischen
Zutuns, sondern lediglich routinemäßiger Optimierung bedarf.
Die gutachtlich nachgestellten Versuche der M1 und M5 vermögen
– ungeachtet
der Frage nach ihrer Vergleichbarkeit zum Original in der TM8
– eine erfinderische
Tätigkeit nicht zu begründen. Denn der Fachmann wird nicht nur t-Butanol einset-
zen, sondern unter Berücksichtigung der Aufgabe allein aus Sicherheitsgründen
auch den Lösungsmittelwechsel weg von Tetrahydrofuran hin zu den sich bereits
aus der TM8 anbietenden aromatischen Lösungsmitteln Toluol oder Benzol vor-
nehmen. Auf seine Präferenz für Natrium gegenüber Lithium als Alkalimetall schon
aus wirtschaftlichen Überlegungen kommt es im Hinblick auf die Fassung des
Merkmals 2.1 in dem jeweiligen Patentanspruch 1 sämtlicher Anträge ohnehin
nicht an. Entsprechendes gilt für die Stellungnahmen M3 und M4 zum Inhalt der
TM11, insbesondere zur Frage, ob der Fachmann t-Butanol als Protonenquelle im
Zuge der Reduktion diverser Phosphorverbindungen als Edukte in Betracht gezo-
gen hätte.
Bei dieser Sachlage erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren seitens der Kläge-
rin vorgebrachten Druckschriften. Insbesondere kann dahinstehen, ob der Fach-
mann
– wie von der Klägerin argumentiert – auch ausgehend von der Lehre der
Druckschrift TM18, die photopolymerisierbare Zusammensetzungen mit Bisacylp-
hosphanoxiden als Polymerisationskatalysator betrifft und daneben die Herstel-
lung der Bisacylphosphanoxide unter anderem mit Natrium als Reduktionsmittel
- 27 -
bereits in aromatischen Lösungsmitteln beschreibt (vgl. TM18 Abstract und Sp. 2
Z. 12 bis 64), in Zusammenschau mit der Lehre der TM11 und TM17 in nahe lie-
gender Weise zum streitgegenständlichen Verfahren gelangen konnte.
4.
Auch Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 hat mangels
erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand. Da sich das anspruchsgemäße Verfahren
ausschließlich durch Einschränkung der Restebedeutungen der Markush-Formeln
IIa bis IIc der Edukte sowie einer entsprechenden Einschränkung der Restebe-
deutungen der Markush-Formeln I der Produkte unterscheidet und die im Blickfeld
des Fachmanns liegenden Handelsprodukte weiterhin von diesen eingeschränkten
Formeln erfasst werden, wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen
zum Hauptantrag verwiesen.
5.
Das Streitpatent hat mangels erfinderischer Tätigkeit auch keinen Bestand
in der Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2, dessen erste Reakti-
onsstufe gegenüber Haupt- und Hilfsantrag 1 eingeschränkt ist auf die Durchfüh-
rung der Reduktion mit einem Alkalimetall in einem aromatischen Lösungsmittel
(Merkmal 2.1.1).
Im Zuge der Entwicklung eines von der TM8 ausgehenden Produktionsverfahrens
zur Herstellung von Acylphosphanoxiden wird der Fachmann insbesondere die
Arbeitsweisen der TM11 in organischen Lösungsmitteln betrachten. Aus der TM8
selbst geht bereits die Lehre zur Verwendung von Benzol oder Toluol in der Wei-
terreaktion der Acylphosphane zu den Acylphosphanoxiden hervor (vgl. TM8 S. 10
le Teilabs). Schon wegen der Empfehlung in der TM8, alle Reaktionsstufen auch
ohne Isolierung der Zwischenprodukte in ein und demselben Lösungsmittel durch-
zuführen (vgl. TM8 Anspr. 1 u 2, jeweils le Satz, i. V. m. S. 8 le Abs. bis S. 9
Abs. 1 u vorle Abs.), lag es für den Fachmann nahe, die als Lösungsmittel für die
letzte Reaktionsstufe der Oxidation zu den Mono- und Bisacylphosphanoxiden
beschriebenen aromatischen Kohlenwasserstoffe Benzol oder Toluol (vgl. TM8
S. 10 le Teilabs) auch in den vorangehenden Reaktionsstufen einzusetzen. Er
wird deshalb diejenigen Ausführungsformen der TM11 in seine experimentellen
- 28 -
Untersuchungen einbeziehen, die sich
– neben dem sterisch gehinderten Alkohol
t-Butanol als Protonenquelle
– mit den aromatischen Lösungsmitteln Benzol oder
Toluol befassen (vgl. TM11 S. 43 Scheme 4.3 i. V. m. S. 44 Table 4.1). Um den
beim Einsatz von Ethern als Lösungsmittel in einem Produktionsverfahren zu be-
wältigenden Sicherheitsproblemen aus dem Weg zu gehen, wird er die aus TM11
zu entnehmende Information, dass die Reaktion mit t-Butanol auch in Toluol oder
Benzol allein und ohne Co-Lösungsmittel durchgeführt werden kann (vgl. TM11
S. 44 Table 4.1 Entry 10 i. V. m. le Abs. Satz 1), aufgreifen und orientierende Ver-
suche mit Alkalimetall als Reduktionsmittel und t-Butanol als Protonenquelle in
diesen aromatischen Lösungsmitteln durchführen.
Dass die meisten der betreffenden Ausführungsbeispiele der TM11 in Benzol oder
Toluol mit Dimethoxyethan als Co-Lösungsmittel durchgeführt werden (vgl. TM11
S. 44 Table 4.1), wird dem Fachmann schon wegen der Sicherheitsproblematik
ebenso den Einsatz von Benzol oder Toluol als aromatisches Lösungsmittel na-
helegen. In Toluol ohne Co-Lösungsmittel sich bildenden Alkane als Nebenpro-
dukte (vgl. TM11 S. 44 Table 4.1 entry 10) stehen dem nicht entgegen, denn er
konnte damit rechnen, dass die gegenüber längerkettigen Alkylhalogeniden er-
heblich reaktiveren und elektrophileren Acylchloride besser mit dem Phosph(an)id-
Anionen reagieren und dass darüber hinaus die Reaktion in Benzol oder Toluol
ohne Dimethoxyethan auch schneller abläuft (vgl. TM11 S. 44 le Abs. Satz 1).
Der Wechsel des Lösungsmittels weg von einem Ether hin zu Toluol oder Benzol
und damit zu einem aromatischen Lösungsmittel lag für die Entwicklung eines
Produktionsverfahrens damit bereits aus der Lehre der TM8 heraus, ohne Berück-
sichtigung der TM11, aus Sicherheitsgründen auf der Hand. Die Ausführungen der
TM11 zur prinzipiellen Eignung von Toluol oder Benzol in der ersten Reaktions-
stufe bestärken den Fachmann darüber hinaus in seinem Vorhaben, diesen Lö-
sungsmittelwechsel auch tatsächlich vorzunehmen.
Damit gelangt der Fachmann ausgehend von TM8 unter Berücksichtigung der Er-
kenntnisse der TM11 in nahe liegender Weise zu einem Verfahren mit sämtlichen
- 29 -
Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2, so dass dieser Anspruch
mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand hat.
6.
Nachdem die Beklagte erklärt hat, dass sie die Fassungen der
Patentansprüche nach Hauptantrag und nach den Hilfsanträgen 1 und 2 als je-
weils geschlossene Anspruchsfassungen verteidigt und sie den Patentanspruch 7
entsprechend ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung nicht isoliert vertei-
digt, brauchte auf die auf den jeweiligen Patentanspruch 1 der Anträge rückbezo-
genen Unteransprüche, soweit angegriffen, und den nebengeordneten Patentan-
spruch 13 nicht gesondert eingegangen werden, zumal sie einen eigenständigen
erfinderischen Gehalt dieser Ansprüche nicht geltend gemacht hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelas-
senen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und
innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karls-
ruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in voll-
ständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Mo-
naten nach der Verkündung.
- 30 -
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.
Schramm
Dr. Egerer
Kätker
Dr. Wismeth
Dr. Freudenreich
prö