Urteil des BPatG vom 29.04.2014

Stand der Technik, DDR, Wasser, Zusammensetzung

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 13/13
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
29. April 2014
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das deutsche Patent DD 294 633
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 29. April 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Schramm, der Richter Guth, Dipl.-Chem. Dr. Gerster, der Richterin
Dipl.-Chem. Dr. Münzberg sowie des Richters Dipl.-Chem. Dr. Jäger
für Recht erkannt:
I.
Das Patent DD 294 633 wird für nichtig erklärt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
- 3 -
T a t b e s t a n d
Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des am 25. Mai 1990 beim Patentamt
der DDR angemeldeten, die Priorität der US Anmeldung 357 035 vom
25. Mai 1989 in Anspruch nehmenden am 10. Oktober 1991 gem. § 17 Abs. 1
DDR-PatG erteilten Patents DD 294 633 B5 (Streitpatent), dessen beschränkte
Fassung vom Deutschen Patent- und Markenamt am 11. August 2005 veröffent-
licht wurde und das durch Zeitablauf mit Wirkung vom 26. Mai 2010 erloschen ist.
Das Streitpatent betrifft „Adjuvans-Formulierung, enthaltend eine Öltröpf-
chenemulsion" und umfasst 14 Patentansprüche. Die nebengeordneten Patentan-
sprüche 1 und 14 lauten in ihrer geltenden Fassung:
„1. Adjuvans-Zusammensetzung, dadurch gekennzeichnet, dass
sie
(1) ein metabolisierbares Öl in einer Menge von 1 bis 12
Vol.-% und
(2) einen Emulgator in einer Menge von 0,05 bis 1 Gew.-
% enthält, wobei
(a) das Öl und der Emulgator in Form einer ÖI-in-Wasser-
Emulsion mit Öltröpfchen, von denen mindestens 80%
einen Durchmesser von < 0,5 Mikron aufweisen, vor-
liegen;
(b) das metabolisierbare Öl Squalen ist,
(c) der Emulgator einen Polyoxyethylensorbitanmono-, -di
oder -triester und/oder einen Sorbitanmono-, -di oder -
triester umfasst, und
(d) die Zusammensetzung kein Polyoxypropylen-Po-
lyoxyethylen-Blockpolymeres enthält.
14. Impfzusammensetzung, dadurch gekennzeichnet, dass sie
(1) eine immunostimulierende Menge einer Antigen-Sub-
stanz und
- 4 -
(2) eine immunostimulierende Menge des Adjuvans nach
Anspruch 1 enthält.“
Hinsichtlich des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf den Patentanspruch 1
rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 13 wird auf die Patentschrift
DD 294 633 B5 verwiesen.
Die Klägerinnen, gegen die vor dem LG Düsseldorf eine Verletzungsklage aus
dem Streitpatent anhängig ist, machen geltend, der Gegenstand des Streitpatents
sei nach § 6 Abs. 2 Satz 2, aber auch Satz 1 und § 5 Abs. 6 DDR-PatG in der Fas-
sung von 1983 vom Patentschutz ausgeschlossen gewesen. Weiterhin machen sie
die Nichtigkeitsgründe der fehlenden Patentfähigkeit, der mangelnden Ausführbar-
keit und der unzulässigen Erweiterung sowie der Erweiterung des Schutzgegen-
stands geltend. Sie stützen sich auf folgende Druckschriften:
HE-Ni 1
DD 294 633 B5 Streitpatent - nach Beschränkung
HE-Ni 4
Ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen
HE-Ni 4 a
Deutsche Übersetzung der ursprünglich einge-
reichte Anmeldeunterlagen
HE-Ni 5
DD 294 633 A5 Streitpatent - ursprünglich erteilte Fassung -
HE-Ni 7
Kopie des DDR-PatG vom 27.10.1983
HE-Ni 9
Entscheidung des JPO zu JP 2 115 161 (Original)
HE-Ni 9a
Entscheidung des JPO zu JP 2 115 161 (Übersetzung)
HE-Ni 10
EP 0 399 843 B1, EPA vernichtetes Mitglied der Streitpatent-
Patentfamilie
HE-Ni 11
Entscheidung T 1071/97 der Technischen Beschwerdekam-
mer
HE-D1
L.F. Woodard und R.L. Jasman, "Stable oil-in-water emul-
sions: preparation and use as vaccine vehicles for lipophilic
adjuvants", Vaccine, Bd. 3, Juni 1985, Seiten 137-144
HE-D2
EP 0 382 271 A1
- 5 -
HE-D3
M. Singh et al., "Parenteral Emulsions as Drug Carrier Sys-
tems", J. Parenteral Science & Technology, 40, 1986, S 34
bis 41
HE-D4
L.F. Woodard, "Adjuvant Activity of Water-Insoluble Surfac-
tants", Laboratory Animal Science, Bd. 39, 3, Mai 1989, S
222 bis 225
HE-D5
EP 0 315 153 A2
HE-D6
C. Washington et al., "The production of parenteral feeding
emulsions by Microfluidizer", Int. J. Pharmaceutics, 44, 1988,
S 169 bis 176
HE-Ni 14
Richtlinien des DPMA für die Prüfung von Patentanmeldun-
gen v. 1.3. 2004
HE-Ni 15
Auszug aus dem DDR Arzneimittelgesetz vom 10. Dezember
1986
HE-Ni16
Reimer Patentgesetz u. Gebrauchsmustergesetz 2. Aufl.,
1958, S 80 bis 83
HE-Ni 17
Römpp Chemie Lexikon, 9. Auflage, 1998, Stichwort
Blockcopolymere
HE-Ni 18
US 4,772,466
HE-Ni 19
US 4,770,874
HE-Ni 20
US 4,803,070
HE-Ni 21
US 4,606,918
HE-Ni 22
Declaration von Dr. Anthony Allison
HE-Ni 23
G. Magnusson, et al.: „Toxicity of Pluronic F-68", Toxicology
Letters, 30 (1986), S 203 bis 207
HE-Ni 24
N. Byars und A. Aliison: "Adjuvant formulation for use in vac-
cines to elicit both cell-mediated and humoral immunity",
Vaccine, Vol. 5, 1987,S. 223 bis 228
HE-Ni 25
D. Forster et al.: "Toxicity of Solubilized and Colloidal
Amphotericin B Formulations to Human Erythrocytes", J.
Pharm. Pharmacol. 1988, 40, 325 bis 328
HE-Ni 26
E. Yarkoni, H. J. Rapp: "Toxicity of Emulsified Trehalose-6,6'-
Dimycolate in Mice Depends on the Size Distribution of Min-
eral Oil Droplets", Infection and Immunity, 1978, S. 856 bis
860
HE-Ni 27
Schriftsatz von rospatt osten pross an das LG Düsseldorf v.
8.11.2013
- 6 -
HE-Ni 28
US 4,062,814
HE-Ni 29
R. l. Hunter et al, The Journal of Immunology, 133, 6, 1984, S
3167 bis 3175
HE-Ni 30
Allison, A.C. und Byars, N.E. (1986), J. Immunol. Meth. 95,
S. 157 bis 186
HE-Ni 31
US 4,533,254
HE-Ni 32
L Sanchez-Pescador et al., J. Immunology, 141, 5, 1988, S
1720 bis 1727
HE-Ni 33
L. Lasky (ed) Technological Advances in Vaccine Develop-
ment , Alan R. Liss Inc., 1988, S vii bis xii und 443 bis 469
HE-Ni 34
Verletzungsklage vom 20. Dezember 2012 einschließlich An-
lage ROP 3
HE-Ni 35
Zulassung Focetria, Kom. der Europ. Gem., 2. Mai 2007
HE-Ni 36
Auszug aus dem Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes
vom 4. September 1967
HE-Ni 37
Krausse/Kathlun/Lindenmaier, Das Patentgesetz, 5. Aufl.
1970
HE-Ni 38
B. Matschiner, Patentfibel für Chemiker, VEB Deutscher Ver-
lag der Wissenschaften, 1984
HE-Ni 39
J. Kohler, Handbuch des deutschen Patentrechts, J.
Bensheimer Verl., Mannheim, 1900, S 174 bis 175
HE-Ni 40
Reimer, Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz, 2. Aufl.,
1958, S 80 bis 81
Die Klägerinnen sind der Meinung, da das Streitpatent unter Geltung des DDR-
PatG vom 27. Oktober 1983 angemeldet worden sei, sei auch dieses Gesetz auf
die Prüfung der Patentfähigkeit anzuwenden. N
ach diesem Gesetz seien Arznei-
mittel (§ 6 Abs. 2 Satz 2), technische Lösungen, die auf chemischen Wege herge-
stellte Stoffe betreffen (§§ 5 Abs. 6, 6. Abs. 2 Satz 1) und Lösungen zur Prophy-
laxe von Erkrankungen an Menschen (§ 5 Abs. 6) vom Patentschutz ausgeschlos-
sen gewesen. Das Streitpatent sei gegen diese gesetzlichen Regelungen erteilt
worden und damit für nichtig zu erklären.
Außerdem seien die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 14 gegenüber dem
Stand der Technik gemäß
HE-D5 nicht neu. Der Gegenstand der jeweiligen An-
sprüche 1 nach Haupt- und Hilfsanträgen beruhe auch nicht auf einer erfinderi-
- 7 -
schen Tätigkeit gegenüber HE-D5 in Verbindung mit HE-D4 sowie dem Fachwis-
sen gemäß HE-Ni21, HE-Ni23, HE-Ni24, HE-Ni25. Auch ausgehend von HE-Ni20
und HE-Ni21 in Verbindung mit HE-Ni32 und HE-Ni33 sowie mit dem in ZSP-Ni21,
HE-Ni26, HE-D5, HE-D6, HE-Ni31, HE-Ni29 dokumentierten Fachwissen liege der
Gegenstand der Ansprüche 1 nach Haupt- und Hilfsanträgen nahe.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei außerdem unzulässig erweitert, da ein
Fachmann aus zahlreichen Listen Auswahlentscheidungen treffen musste. Bezüg-
lich des Ersatzes des Begriffs „metabolisiertes" Öl, der synthetisch gewonnene
Öle ausschließe, durch „metabolisierbares" Öl liege eine unzulässige Erweiterung
des Schutzbereichs vor. Das Streitpatent sei nicht ausführbar, da es nach An-
spruch 1 beliebige weitere Bestandteile in undefinierter Menge enthalten könne.
Die Kläger stellen den Antrag,
das deutsche Patent DD 294 633 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Klagen abzuweisen,
hilfsweise die Klagen mit der Maßgabe abzuweisen, dass das
Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge I bis III gemäß
Schriftsatz vom 10. April 2014 erhält,
weiter hilfsweise im Umfang der Ansprüche 1, 3 bis 14 und des
Anspruchs 15 gemäß Hilfsantrag III, soweit dieser auf Anspruch 1
zurückbezogen ist,
weiter hilfsweise im Umfang der Ansprüche 2 bis 14 und des An-
spruchs 15 gemäß Hilfsantrag III, soweit dieser auf Anspruch 2 zu-
rückbezogen ist,
aufrechterhalten wird.
- 8 -
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich von der erteilten
Fassung darin, dass der Emulgator Tween 80
®
umfasst und die Zusammenset-
zung keinen immunstimulierenden Emulgator enthält.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II enthält zusätzlich das Merkmal, dass
die Emulsion durch ein einzelnes nichtionisches Tensid stabilisiert wird, und es
sich dabei um Tween 80
®
handelt.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag III entspricht Patentanspruch 1 gemäß
Hilfsantrag I mit dem Unterschied, das (e) lautet: „wobei die Emulsion durch ein
einzelnes nichtionisches Tensid stabilisiert wird, und es sich dabei um Tween 80
®
handelt“. Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 gemäß Hilfsantrag III ist
dadurch charakterisiert, dass der Emulgator keine immunstimulierende Aktivität
aufweist und Tween 80
®
umfasst.
Die Hilfsanträge IV und V betreffen Anspruch 1 bzw. Anspruch 2 in der Fassung
gemäß Hilfsantrag III und die jeweils unmittelbar oder mittelbar auf sie rückbezo-
genen Unteransprüche.
Hinsichtlich des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf die jeweiligen Pa-
tentansprüche 1 bzw. 2 (Hilfsanträge III und V) rückbezogenen Patentansprüche
der Hilfsanträge wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in allen Punkten entgegen und
stützt sich auf folgende Dokumente:
ZSP Ni14
Y. Saeki,“Recent trends concerning the judgement of in-
ventive step in Japan, Lexology, 18. März 2013
ZSP Ni15
Dipl.-Jur. Mulitze, Heinz, Erklärung vom 8. Sept. 2013
ZSP Ni16
Liste beispielhafter DDR-Patente mit Anmeldedatum vor dem
30.
Juni
1990
und
Eintragungsdatum
nach
dem
30. Juni 1990
- 9 -
ZSP Ni17
DDR-Patente gemäß Liste ZSR Ni16
ZSP Ni18
US 2,979,528
ZSP Ni19
Wikipedia Au
szug „Detergens" vom 29.09.2013
ZSP Ni20
Janke Gerd, Stellungnahme, Januar 2014
ZSP Ni21
Allison, A. C, Methods 19, 1999, S 87 bis 93
ZSP Ni22
Kenney, R-T-, Cross, A-S-, in Levine et al Hrsg., New
Generation Vaccines, New York: Informa Healthcare USA,
Inc, 2010, S 250 bis 262
ZSP D7
Hunter R. et al., Journ. of Immunology, 1981, 127, S 1244
bis 1250
ZSP D8
Morel S. et al., Vaccine 29, 2011, S 2461 bis 2473
Die Beklagte vertritt die Ansicht,
für die Erteilung des Streitpatents sei das DDR-
PatG 1983 in der durch das Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes vom 29.
Juni 1990 geänderten Fassung einschlägig gewesen, das die Ausschließungs-
gründe gemäß § 5 Abs. 6 und/oder § 6 Abs. 2 DDR-PatG 1983 nicht mehr enthal-
ten habe.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber HE-D5, da mit dem Disclai-
mer im Anspruch 1 auch die Tetrapolyole der D5 ausgenommen würden. Auch
erfasse die generische Offenbarung des Emulgatorgehalts in D5 das Merkmal (2a)
nicht, da dort Tween 80
®
nicht dem Emulgatorgehalt zuzurechnen sei. Der Gegen-
stand des Anspruchs 1 beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Insbeson-
dere sei keine Veranlassung für den Fachmann ersichtlich, ausgehend von HE-D5
die Blockpolymeren durch andere Komponenten zu ersetzen oder unter einer Viel-
zahl von Öl-in-Wasser Emulsionen gerade die in HE-Ni20 oder HE-Ni21 beschrie-
benen Emulsion heranzuziehen und dabei Squalen als Ölkomponente auszuwäh-
len.
- 10 -
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit, der unzulässigen
Erweiterung, mangelnden Ausführbarkeit und fehlenden Technizität § 22 Abs. 1
und 2 PatG i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 4 PatG, § 4 Abs. 1, § 5 ErstrG, §§ 5, 6
PatG-DDR vom 27. Oktober 1983 gestützten Klagen sind zulässig. Insbesondere
ist wegen des anhängigen Verletzungsstreits gegen die Klägerinnen ein Rechts-
schutzbedürfnis an der Nichtigerklärung des erloschenen Streitpatents gegeben.
Die Klagen sind auch begründet.
1.
§
Erstr sieht f r das gem § 4 Abs. 1 ErstrG unter Beibehaltung sei-
nes eitrangs auf das brige undesgebiet erstreckte Streit atent vor, dass die
bish
er f r das Streit atent geltenden Rechtsvorschriften noch anzuwenden sind,
soweit es sich um die oraussetzungen der Schutzf higkeit und die Schutzdauer
handelt. Die Schutzf higkeit des Streitpatents ist deshalb nach § 5 und § 6 des
Ge
setzes ber den Rechtsschutz f r Erfindungen - Patentgesetz – der DDR zu
beurteilen.
Das DDR-Recht unterschied sich in Bezug auf Neuheit, erfinderische Tätigkeit
(erfinderische Leistung) und unzulässige Erweiterung gegenüber der ursprüngli-
chen Offenbarung nicht wesentlich vom dem in den alten Bundesländern gelten-
den Recht (vgl. dazu etwa BGH X ZR 63/97 Urteil vom 17. Juli 2001, veröffentlicht
in juris; BPatG GRUR 1993, 733 -
Schutzka e f r Hybridschaltkreise; BPatG
GRUR 1995, 399 - Steuerungsverfahren zur Werkzeugkorrektur). Allerdings ent-
hielt das DDR-PatG von 1983 mit § 6 Abs. 2 die Vorschrift, dass für technische
Lösungen, die auf chemischem oder mikrobiologischen Wege hergestellte Stoffe
betreffen, sowie für Erfindungen, die Nahrungs-, Genuss- oder Arzneimittel be-
treffen, Patente nur für Herstellungsverfahren erteilt werden. Außerdem enthielt
§ 5 Abs. 6 DDR-PatG 1983 die Vorschrift, dass Lösungen zur Diagnose, Prophy-
laxe und Therapie von Erkrankungen an Mensch und Tier als Erfindungen nicht
- 11 -
gelten. Diese Patentausschlussgründe enthielt das am. 1. Juli 1990 in Kraft ge-
tretene DDR-PatG von 1990, unter dessen Geltung das Streitpatent erteilt wurde,
nicht mehr.
Der Senat ist der Auffassung, dass
– anders als von großen Teilen der Rechtspre-
chung vertreten (BGH, Urteil vom 16. September 1997 X ZR 105/94, veröffentlicht
in JurionRS; BGH, Urteil vom 17. Juli 2001 X ZR 63/97; BPatG, Urteil vom
17. November 1994 3 Ni 50/93; BPatG, Beschluss vom 23. März 2009, 5 Ni 6/09,
jeweils veröffentlich in juris) - der Prüfung im vorliegenden Fall das DDR-PatG
1990 zu Grunde zu legen ist (vgl. BPatGE GRUR 1993, 659
– Steuerung der
Ausgangsleistung -; BPatG GRUR 1995, 399
– Steuerungsverfahren zur
Werkzeugkorrektur).
Eine ausdrückliche Übergangsregelung im DDR-PatG 1990 fehlt. Ebenso enthal-
ten weder § 5 ErstrG noch die in ihm genannte Vorschrift des Einigungsvertrages
vom 31. August 1990 (Anlage I Kap. III Sachgebiet E Abschnitt II Nr. 1 § 3 Abs. 1,
BGBl. 1990 II, 889) eine Regelung darüber, ob das DDR-PatG 1983 oder das
DDR-PatG 1990 auf Patente anwendbar ist, die vor dem 29. Juni 1990 angemel-
det wurden. Grundsätzlich gilt in solchen Fällen - jedenfalls im öffentlichen Recht -,
dass neues Recht, vorbehaltlich wohlerworbener Rechte, sogleich alle noch nicht
abgeschlossenen Rechtszustände erfassen müsse (vgl. BGHZ 37, 219, 230 f.; vgl.
BVerfG NJW 1975, 1013 Rn. 32,33; BGH GRUR 2010, 361
– Dichtungsanord-
nung Rn. 10; BGH GRUR 2000, 1040
– FRENORM). Es bestehen keine Beden-
ken, diesen Grundsatz auch auf das Patentrecht anzuwenden (vgl. BGHZ,
a. a. O., 231). Entscheidend für die Frage, welches Recht beim Eintreten einer
Rechtsänderung im Falle des Schweigens des Gesetzgebers Anwendung findet,
ist, dass weder ein allgemeiner Rechtssatz noch eine patentrechtliche Sonderre-
gelung besteht, welche die Gerichte hindern würde, diejenige Übergangsregelung
zu finden und anzuwenden, welche sich aus der Natur der Sache nach allgemei-
nen Gerechtigkeitserwägungen als die richtige erweist (vgl. BGHZ, a. a. O., 229).
- 12 -
Die Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes lässt
erkennen, dass auf Patente, die zwar vor dem Inkrafttreten des DDR-PatG 1990
angemeldet, aber noch nicht rechtskräftig auf ihre Schutzfähigkeit hin geprüft wor-
den sind, nicht mehr das DDR-PatG 1983, sondern das DDR-PatG 1990 anzu-
wenden ist. Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der gesetzgeberischen Aktivitä-
ten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Die Vereinigung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erfolgte mit
Einigungsvertrag vom 31. August 1990, der am 29. September 1990 in Kraft trat
(BGBl., a. a. O.). Zuvor war das Gesetz zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über
die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bun-
desrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom
25. Juni 1990 am 30. Juni 1990 in Kraft getreten (Bl. f. PMZ 1990, 345). Die darin
niedergelegten Grundsätze und Vereinbarungen über die Rechtsanpassung ver-
pflichteten den Gesetzgeber der DDR, die der grundgesetzlichen Grundordnung
entgegenstehenden Vorschriften nicht mehr anzuwenden (Kap. I Art. 2 und 4).
Ziel der gesetzgeberischen Arbeit in der DDR war daher die Herstellung der
Rechtseinheit durch eine möglichst schnelle und weitgehende Angleichung an das
Bundesrecht. Nur noch ausnahmsweise sollte DDR-Recht fortgelten (vgl. § 4
ErstrG; Mühlendahl / Mühlens, GRUR 1992, 725, 726). In Erfüllung dieser Ver-
pflichtung durch den Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 hat die DDR ihr Patentge-
setz 1983 mit Gesetz vom 29. Juni 1990, in Kraft seit dem 1. Juli 1990, an das
Bundesrecht angepasst. Insbesondere die Vorschriften über die Schutzvorausset-
zungen von Patenten gemäß §§ 5, 6 DDR-PatG 1990 gleichen nahezu wörtlich
den entsprechenden Vorschriften des Patentgesetzes, wobei hinsichtlich der
Auslegung und Anwendung der jeweiligen Begriffe keine Probleme entstehen
dürften (vgl. v. Mühlendahl/Mühlens, a. a. O., 737). Das DDR-Patentamt hat un-
verzüglich ab dem 1. Juli 1990 das DDR-PatG 1990 für Anmeldungen aus der Zeit
vor dem 29. Juni 1990 zugrunde gelegt (vgl. BPatG GRUR 1993, 659), wie sich
aus den von der Beklagten eingereichten Rechtsgutachten (ZSP Ni15, ZSP Ni20)
und der Auflistung erteilter einschlägiger Patente (ZSP Ni 16, ZSP Ni 17) ergibt.
- 13 -
Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Stoffschutz für Medikamente um ein
grundlegendes Prinzip des Rechts der Bundesrepublik Deutschland und des inter-
nationalen Patentrechts handelte, der von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist.
Das deutsche Stoffschutzverbot wurde bereits im Jahr 1969 aufgehoben, wobei
die legislative Änderung durch die Rechtsprechung weitgehend bereits vorwegge-
nommen worden war. Begründet wurde die von industriellen Kreisen initiierte
grundlegende Gesetzesänderung mit der Überlastung der Patentämter und der
notwendigen Anpassung an das Straßburger Patentübereinkommen von 1963,
das uneingeschränkte Patentfähigkeit von chemisch hergestellten Stoffen vorsah.
Damit zog die Bundesrepublik im Jahr 1968 mit anderen europäischen Staaten
und den USA gleich, die bereits seit längerem den Stoffschutz im Patentrecht
kannten. Die Zulassung des Stoffschutzes bildete eine wesentliche Voraussetzung
für den biotechnischen und genetischen Patentschutz (Schneider, Das Europäi-
sche Patentsystem, Campus Verlag GmbH 2010, S. 224 ff.). Auch das für die
Bundesrepublik Deutschland am 7. Oktober 1977 in Kraft getretene EPÜ kannte
und kennt den Stoffschutz für chemische und pharmazeutische Produkte (Ben-
kard, EPÜ, 2. Aufl., Art. 52 EPÜ Rn. 108 ff., Art. 54 Rn. 154 ff.; vgl. zu allem auch
BPatG GRUR 1993, 733- Schutzkappe für Hybridschaltkreise, BPatG 1 Ni 24/91),
die auch bei Anwendung des bei der Anmeldung geltenden DDR-Rechts zur Er-
mittlung des Norminhalts solche Auslegungsmittel und Auslegungsmethoden an-
wenden wollen, die von spezifisch sozialistischen Wertvorstellungen und Rechts-
maximen geprägt sind bzw. dem ordre public der Bundesrepublik Deutschland
widersprechen (BPatG GRUR 1993, 733 a. a. O.).
Es ist daher nicht einzusehen, warum der Gesetzgeber, der im Entwurf für das
DDR-Patentgesetz 1990 für andere Fälle Übergangsregelungen vorgesehen hat,
die Regelung der zentralen Rechtsfrage der Anwendung der geänderten Vor-
schriften über die Patentierungsvoraussetzungen, die sogar eine Anpassung an
die Terminologie und Inhalte der Patentgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
enthielt („erfinderische T tigkeit“ statt „erfinderische Leistung“; „gewerblich“ statt
„industriell“) und insbesondere des wirtschaftlich sehr bedeutsamen Stoffschutzes
für chemische und pharmazeutische Erzeugnisse übersehen haben sollte oder
- 14 -
durch das Unterlassen einer speziellen Regelung die Anwendung der neuen, ab-
gemilderten Patentierungsvoraussetzungen für bereits anhängige Patentanmel-
dungen ausschließen wollte. Dies insbesondere auch deshalb, weil wegen der
absehbar sehr kurzen Geltungsdauer des DDR-PatG 1990 von einigen Monaten
sein Anwendungsbereich sich nur auf die sehr wenigen Fälle der während seiner
Geltungsdauer in der DDR getätigten Patentanmeldungen beschränkt hätte und
die Änderungen hinsichtlich der Voraussetzungen der Patentierung darum ersicht-
lich praktisch leer gelaufen wären.
Das Argument der Klägerin, eine Anwendung des DDR-PatG 1990 auf bereits vor
dessen Inkrafttreten getätigte Anmeldungen führe zu unzulässigen Eingriffen in
das Eigentumsrecht sowohl des Anmelders als auch das der Inhaber anderer
Schutzrechte, greift schon aus grundsätzlichen Überlegungen nicht durch.
Soweit Rechte des Anmelders betroffen sind, handelt es sich zwar um der Eigen-
tumsgarantie unterfallende Rechtspositionen, die allerdings erst durch die Paten-
terteilung zum Vollrecht erstarken. Außerdem ist das Eigentumsrecht zum Einen
nur innerhalb der gesetzlichen Vorschriften geschützt und gibt insbesondere kein
Anrecht darauf, dass durch Veränderungen der Rechtslage Inhalt und Grenzen
vom Gesetzgeber neu definiert werden (vgl. etwa Busse, Patentgesetz, 7. Aufl.,
Einl Rn. 50, 51, Vor § 34 Rn. 79; Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., Einleitung
Rn. 151, § 34 Rn. 23; BVerfG, 1 BvR 198/08 vom 10.6.2009, Absatz-Nr. (1 bis 29);
BVerfG GRUR 1974, 142, 144, 145
– Offenlegung von Patentaltanmeldungen;
Schmidt/Bleibtreu/Klein, GG Kommentar zum Grundgesetz, 2011, Art. 14 II 1.
Seite 503; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland,
12. Aufl., Art. 14 Rn. 21; Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl., Art. 14 Rn. 44). Zum ande-
ren beinhalten die neuen Regelungen keinen direkten Eingriff in bestehende
Rechte, sondern können lediglich Erwerbs- und Verwertungsaussichten schmä-
lern. Solche bloße Erwerbschancen schützt Eigentumsrecht aber nicht gegen Be-
einträchtigung durch den Gesetzgeber (vgl. dazu Jarass/Pieroth, a. a. O. Art. 14
Rn. 22; Sachs, Grundgesetz, 5. Aufl., Art. 14 Rn. 44).
- 15 -
Aus allen diesen Gründen kann sich der Senat der Rechtsprechung des Bundes-
gerichtshofs und verschiedener Senate des Bundespatentgerichts nicht anschlie-
ßen, die auf vor Inkrafttreten des DDR-Patentgesetzes von 1990 angemeldete,
aber unter dessen Geltung erteilte Patente das zum Zeitpunkt der Anmeldung
geltende DDR-PatG 1983 anwenden. Denn diese Entscheidungen betreffen
– so-
weit ersichtlich - nur Fälle, in denen sich die entscheidungserheblichen Regelun-
gen des alten und des neuen DDR-PatG nicht wesentlich unterschieden und ins-
besondere keine Fallgestaltungen, in denen das neuere, an das europäische
Recht und Recht der Bundesrepublik angepasste DDR-PatG geringere Anforde-
rungen stellte. Es bestand daher kein Anlass, die hier vorliegende Problematik und
die damit zusammenhängenden weiteren Gesichtspunkte in die Betrachtung ein-
zubeziehen.
Damit ist im vorliegenden Fall nicht zu prüfen, ob die Erteilung des Streitpatents
unter Verstoß gegen §§ 5 Abs. 6, 6 Abs. 2 Satz 1
DDR-PatG in der Fassung von
1983 erfolgt ist. Jedoch beruht das Streitpatent nicht auf einer erfinderischen
Leistung (Tätigkeit) im Sinne von § 5 DDR-PatG 1990.
II.
1.
Das Streitpatent betrifft allgemein Adjuvans-Formulierungen zur Verwen-
dung bei der Steigerung der Wirksamkeit von Impfstoffen, insbesondere Adjuvan-
tien, die Öl-in-Wasser-Emulsionen enthalten (Streitpatent HE-Ni1 S. 2 Abs. 2).
Das Erscheinen neuer, mit der Technologie der rekombinanten DNA hergestellter
Untereinheit-Impfstoffe hat den Bedarf an sicheren und wirksamen Adjuvantien
gesteigert. Herkömmliche antivirale Lebend-Impfstoffe oder Virus-Totimpfstoffe
erfordern keine Adjuvantien. Die neuen, von rekombinanter DNA abgeleiteten
Untereinheit-Impfstoffe stellen im allgemeinen isolierte Proteine oder Protein-
Gemische dar und werden hier als molekulare Antigene bezeichnet, die, vergli-
chen mit ganzen Viren, eine begrenzte Immunogenität besitzen, wenn sie auch in
- 16 -
Bezug auf Sicherheit und Herstellungskosten wesentliche Vorteile gegenüber
den herkömmlichen Impfstoffen bieten. Diese Impfstoffe erfordern zum Erreichen
ihres vollen Potentials bei der Verhütung von Krankheiten Adjuvantien mit signifi-
kanten immunostimulatorischen Eigenschaften.
Zur Zeit der Anmeldung des Streitpatents waren in den Vereinigten Staaten die
einzigen für die Anwendung beim Menschen zugelassenen Adjuvantien pharma-
zeutisch verträgliche Aluminiumsalze (Alum; im Folgenden so bezeichnet). Die
Adjuvantien sind für einige Impfstoffe, wie Hepatitis B, Diphtherie, Polio, Tollwut
und Grippe, eingesetzt worden, können aber für andere nicht verwendbar sein,
insbesondere wenn für den Schutz die Anregung der zell-vermittelten Immunität
erforderlich ist. Das vollständige Freund-Adjuvans (CFA) ist ein starkes Immuno-
stimulans, das mit vielen Antigenen auf experimenteller Basis erfolgreich verwen-
det worden ist. CFA enthält drei Bestandteile: ein Mineralöl, einen Emulgator wie
Arlacel A und abgetötete Mykobakterien wie Mycobacterium tuberculosis. Zur
Herstellung einer Wasser-in-ÖI-Emulsion werden wässrige Antigenlösungen mit
diesen Bestandteilen gemischt. CFA verursacht jedoch starke Nebenwirkungen
wie Schmerzen, Abszessbildungen und Fieber, was seine Verwendung sowohl in
menschlichen als auch in tierarzneilichen Impfstoffen verhindert. Das unvollstän-
dige Freund-Adjuvans (IFA) ist ähnlich dem CFA, jedoch ohne den bakteriellen
Bestandteil. IFA ist erfolgreich bei Menschen mit Grippe- und Polio-Impfstoffen
eingesetzt worden. Versuche haben aber gezeigt, dass sowohl das in IFA ver-
wendete Öl als auch der Emulgator bei Mäusen Tumore verursachen; dies zeigt,
dass ein anderes Adjuvans für die Verwendung beim Menschen besser geeignet
wäre.
Muramyldipeptid (MDP) stellt die kleinste Einheit des mykobakteriellen Zellwand-
komplexes dar, der die mit CFA beobachtete Adjuvans-Wirksamkeit erzeugt. Es
wurden viele synthetische Analoga von MDP entwickelt, die eine weite Spanne der
Adjuvans-Wirksamkeit und der Nebeneffekte zeigen. Drei Analoga, die besonders
nützlich als Impfstoff-Adjuvantien sein können, sind Threonyl- und N-Butyl-Deri-
vate von MDP sowie lipophile Derivate von Muramyltripeptid. Diese Verbindungen
- 17 -
stimulieren wirksam die humorale und zell-vermittelte Immunität und zeigen nied-
rige Toxizitäten. Ein vielversprechendes lipophiles Derivat von MDP ist N-Acetyl-
muramyl-L-alanyl-D-isoglutaminyl-L-alanin-2-[1,2-di-palmitoyl-sn-glycero-3-
3(hydroxyphosphoryloxy)]ethylamid (MTP-PE). Dieses Muramyltripeptid hat Phos-
pholipidenden, die die Assoziation des hydrophoben Teils des Moleküls mit einer
Lipid-Umgebung ermöglichen, während der Muramylpeptid-Teil mit der wässrigen
Umgebung assoziiert. Daher kann das MTP-PE selbst als Emulgator zur Bildung
stabiler Öl-in-Wasser-Emulsionen wirken. Ursprüngliche Versuche mit Mäusen in
den Laboratorien der in der vorliegenden Erfindung genannten Erfinder mit MTP-
PE zeigten, dass dieses Adjuvans bei der Stimulierung von Anti-HSV-gD-Antikör-
pertitern gegen Herpes Simplex-Virus-gD-Antigene wirksam ist und dass die Wirk-
samkeit erheblich gesteigert wurde, wenn das MTP-PE und das gD in Öl verab-
reicht wurden (IFA) und nicht in wässriger Lösung. Weil IFA für die Verwendung
beim Menschen nicht zugelassen ist, wurden für MTP-PE und das Antigen andere
Öl-Verabreichungssysteme untersucht. Eine Emulsion von 4 % Squalen mit 0,008
% Tween 80 und HSV-gD ergab bei Meerschweinchen eine sehr gute Immunität.
Diese Formulierung, MTP-PE-LO (wenig Öl), wurde durch Passieren durch eine
subkutane Nadel emulgiert und war ziemlich instabil. Dennoch ergab diese For-
mulierung hohe Antikörpertiter beim Meerschweinchen. Die MTP-PE-LO-Formulie-
rung war ebenso bei der Stimulierung der Immunreaktion von Meerschweinchen
auf das in Hefe hergestellte HIV Hüllprotein wirksam. Sowohl ELISA-Antikörpertiter
als auch virusneutralisierende Antikörpertiter wurden mit der MTP-PE-Formulie-
rung auf einen hohen Gehalt stimuliert. Wenn jedoch die gleiche Formulierung bei
großen Tieren wie Ziegen und Pavianen getestet wurden, waren die Zusammen-
setzungen nicht so wirksam, vgl. L. Sanchez-Pescador et al., J. Immunol., 141, 5,
1988, S 1720 bis 1727 (HE-Ni32), L. Lasky (ed) Technological Advances in Vac-
cine Development, L. Sanchez-Pescador et al., 1988, S. 455 bis 469 (HE-Ni33).
Aus EP 315 153 A2 (HE-D5) sind Impfstoffadjuvantien bekannt, die Polyoxyethy-
len-Polyoxypropylen-Blockpolymere enthalten (Streitpatent S. 2 Abs. 3 bis S. 3
Abs. 1).
- 18 -
2.
Der Erfindung liegt davon ausgehend die Aufgabe zugrunde, die Wirksam-
keit von Impfstoffen beim Menschen und bei großen Tieren zu erhöhen, und eine
weitere Adjuvans-Formulierung bereitzustellen, die geeignet ist, Immunreaktionen
auf molekulare Antigene beim Menschen und bei großen Säugetieren zu stimulie-
ren (vgl. Streitpatent S. 3 Abs. 2 und 3).
3.
Die Aufgabe wird gemäß Hauptantrag durch die Adjuvans-Zusammenset-
zung und die Impfzusammensetzung, die diese Adjuvans-Zusammensetzung ent-
hält, nach den Patentansprüchen 1 und 14 gelöst.
Der Patentanspruch 1 weist folgende Merkmale auf:
Adjuvans-Zusammensetzung, dadurch gekennzeichnet, dass sie
(1)
ein metabolisierbares Öl in einer Menge von 1 bis 12
Vol.-%
und
(2)
einen Emulgator in einer Menge von 0,05 bis 1 Gew.-%
enthält, wobei
(a)
das Öl und der Emulgator in Form einer ÖI-in-Wasser-
Emulsion mit Öltröpfchen, von denen mindestens 80%
einen Durchmesser von < 0,5 Mikron aufweisen, vorlie-
gen;
(b)
das metabolisierbare Öl Squalen ist,
(c)
der Emulgator einen Polyoxyethylensorbitanmono-, -di
oder -triester und/oder einen Sorbitanmono-, -di oder -
triester umfasst, und
(d)
die Zusammensetzung kein Polyoxypropylen-Po-
lyoxyethylen-Blockcopolymeres enthält.
4.
Zuständiger Fachmann ist ein Galeniker mit Kenntnissen in der Herstellung
von geeigneten Darreichungsformen von Impfzusammensetzungen, der mit einem
- 19 -
Virologen und einem Biotechnologen zusammenarbeitet (vgl. BGH GRUR 2012,
482 - Pfeffersäckchen).
5.
Der geltende beschränkte Patentanspruch 1 des Streitpatents (HE-Ni 1)
gemäß Hauptantrag geht aus den Ansprüchen 1 und 8 sowie S. 3 le Abs. bis S. 4
Abs. 1, S. 4 le Abs., S. 5 Z. 1 bis 2 und S. 7 Z. 7 bis 9 und 23 bis 28 der ursprüng-
lich offenbarten Unterlagen in deutscher Sprache gemäß dem erteilten Patent
DD 294 633 A5 (HE-Ni5) hervor. Die Patentansprüche 2 bis 14 entsprechen den
ursprünglich erteilten Ansprüchen 10 bis 13 und 20 bis 28. Die jeweiligen Ein-
schränkungen im Anspruch 1 gegenüber dem erteilten Patent sind ursprünglich
offenbart. Sowohl Squalen als metabilsierbares Öl (S. 4 le Abs.), die Menge an Öl
und Emulgator (S. 5 Z. 1 bis 2, S. 7 Z. 7 bis 9), die Öltröpfchengröße (S. 7 Z. 23
bis 28), als auch die Emulgatoren gemäß Merkmal 2(a) (Anspruch 8) werden je-
weils als bevorzugte Ausgestaltungen des erteilten Patents DD 294 633 A5 (HE-
Ni5) hervorgehoben. Sie sind, wie die Beispiele des erteilten Patents zeigen, auch
im Zusammenhang als bevorzugte Ausgestaltung des erteilten Patents anzuse-
hen. Eine unzulässige Erweiterung des Streitpatents durch das Beschränkungs-
verfahren ist daher nicht gegeben.
6.
Im geltenden beschränkten Anspruch 1 wurde der im ursprünglich unge-
prüft erteilten Anspruch 1 der DD 294 633 A5 (HE-Ni5) verwendete offensichtlich
technisch
unzutreffende egriff „metabolisiertes“ Öl durch den durchg ngig der
eschreibung zu entnehmenden technisch zutreffenden egriff „metabolisierba-
res“ Öl ersetzt, der auch dem im Anspruch 1 der den Anmeldetag begründenden
englischen Unterlagen angegebenen B
egriff „metabolizable“ oil ents richt (vgl.
HE-Ni4 Anspruch 1, S. 6, Z. 27 bis S. 8 Z. 15). Es handelt sich daher vorliegend
um die Berichtigung eines offensichtlichen Schreibfehlers, die weder das Streit-
patent noch den Schutzbereich des Streitpatents unzulässig erweitert (vgl. Schulte
PatG 9. Aufl. § 38 Rdn. 35, 36).
- 20 -
7.
Es kann zwar dahingestellt bleiben, ob die Gegenstände der jeweiligen Pa-
tentansprüche 1 gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen I bis V neu sind. Dafür
sprechen aber folgende Erwägungen:
Die Gegenstände der jeweiligen Ansprüche 1 und der darauf rückbezogenen ne-
bengeordneten eine Impfzusammensetzung betreffenden Ansprüche sind durch
das Merkmal 2(d), wonach die Adjuvans-Zusammensetzung kein Polyoxypropy-
len-Polyoxyethylen-Blockcopolymeres enthält, gegenüber den aus HE-D5 be-
kannten Adjuvans-Zusammensetzungen abgegrenzt sind. Aus HE-D5 sind in einer
Ausführungsform Adjuvans-Zusammensetzungen in Form einer Öl-in Wasser-
Emulsion bekannt, die 0,2 bis 49% eines Tetra-Polyols, 0 bis 15% eines metaboli-
sierbaren Öls, 0,05 bis 5% eines Tensids auf Basis von Glykolethern und 0,0001
bis 10% eines speziellen Muramyldipeptidderivats in Wasser oder einer wässrigen
Lösung enthalten (Ansprüche 1, 9 und 10 i. V. m. S. 4 Z. 41 bis 46). Die Tetrapo-
lyole werden bei HE-D5 als N,N,N´,N´-Tetra-(polyoxypropylen-polyoxyethylen)-
1,2-diaminoethan Block-polymere des Tetronic®-Typs definiert (S. 9 Z. 2 bis 5).
Damit handelt es sich bei diesen oberflächenaktiven Mitteln bzw. Emulgatoren um
verzweigte Polyoxypropylen-Polyoxyethylen Blockpolymere, die Diaminoethan
enthalten. Alternativ zu den sogenannten Tetrapolyolen des Tetronic®-Typs ent-
halten die Zusammensetzungen der HE-D5 Polyoxypropylen-Polyoxyethylen
Blockpolymere des Pluronic®-Typs (Ansprüche 1, 11 und 12 i. V. m. S. 4 Z. 56 bis
S. 5 Z.
2 ). Diese „POP-POE- lock olymere“ werden als Polymere definiert, bei
denen sequentiell Propylenoxid und Ethylenoxid an eine reaktive Verbindung nied-
rigen Molekulargewichts, wie Propylenglykol, angelagert werden (S. 9 Z. 22 bis
30).
Zur Frage, ob der Disclaimer sowohl die in HE-
D als „POP-POE- lock olymere“
als auch die als Tetra-Polyole bezeichneten Polyoxypropylen-Polyoxyethylen-
Blockpolymere vom Umfang des Anspruchs 1 nach allen Anträgen ausnehmen
soll, ist dieser Begriff regelmäßig so zu deuten, wie ihn der angesprochene Fach-
mann nach dem Gesamtinhalt des Streitpatents unter Berücksichtigung der darin
offenbarten Lösung versteht. Die Merkmale eines Patentanspruchs, hier das
- 21 -
Merkmal „dass die usammensetzung kein Polyoxy ro ylen-Polyoxyethylen-
lockco olymer enth lt“, m ssen dabei aus der Patentschrift selbst, die insoweit
ihr eigenes Lexikon darstellt, ausgelegt werden (vgl. BGH GRUR 2001, 232, Ls
und Rd. 39
– Brieflocher; BGH GRUR 99, 909, 912 - Spannschraube). Nach den
Ausführungen im Streitpatent soll eine Ölemulsion in Abwesenheit anderer Kom-
ponenten, deren Verwendung in Submikronemulsionen für eine befriedigende Im-
munogenizität bereits im Stand der Technik gelehrt wird, nämlich Polyoxypropy-
len-Polyoxyethylen-Blockcopolymere, wie die zur Verwendung in Adjuvantien in
den US-PS 4 772 466 (HE-Ni18), US-PS 4 770 874 (HE-Ni19) und EP 0 315 153
(HE-Ni-D5) beschriebenen, hergestellt werden (Streitpatent S. 4 le Satz). Die
Druckschriften HE-Ni18 und HE-Ni19 nennen als Komponente der Adjuantien
zwar ausschließlich lineare POP-POE-Blockpolymere (HE-Ni18: Anspruch 1
i. V. m. Sp. 3 Z. 35 bis Sp. 4 Z. 8; NE-Ni19: Anspruch 1 i. V. m. Sp. 3 Z. 36 bis
Sp. 4 Z. 9) und auch in HE-D5 werden, wie oben erläutert, diese Blockpolymeren
beschrieben. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerinnen sind aber durch diese
Erläuterung im Streitpatent, wonach die Ölemulsion ohne andere Komponenten,
deren Verwendung in Submikronemulsionen für eine befriedigende Immunogeni-
zität bereits im Stand der Technik gelehrt wird, und dem Hinweis auf die HE-D5
auch die dort als Tetrapolyole bezeichneten Polypropylenoxid-Polyethylenoxid-
Blockpoymere, die in HE-D5 als Komponenten für eine befriedigende Immuno-
genizität beschrieben werden, als Polypropylenoxid-Polyethylenoxid-Blockpoly-
mere aufzufassen, die die Zusammensetzungen des Streitpatents nicht enthalten
sollen. Im Übrigen wird dies auch vom Erfinder der HE-D5 im Gutachten HE-Ni22
so gesehen (Abschnitt 18) und entspricht der Auslegung der Beschwerdekammer
des EPA (HE-Ni11 S. 23, Abs. 5.3). Auch in Tabelle 1 auf S. 223 re Sp. der HE-D4
wird der in HE-D5 bevorzugt verwendete Tetronic
®
Typ T1501 (S. 9 Z. 14 bis 15)
als T1501 Blockpolymer bezeichnet.
Es bestehen darüber hinaus keine Bedenken bezüglich der Neuheit der Gegen-
stände der jeweiligen Ansprüche 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen gegenüber
den weiteren Entgegenhaltungen. Die Neuheit der Gegenstände des Streitpatents
- 22 -
gegenüber diesen Druckschriften wurde von den Klägerinnen auch in der mündli-
chen Verhandlung nicht in Frage gestellt.
8.
Die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche 1 gemäß Hauptantrag
und den Hilfsanträgen I bis IV und des Patentanspruchs 2 des Hilfsantrags V so-
wie der ein Adjuvans gemäß diesen Ansprüchen enthaltenden Impfzusammenset-
zung gemäß den Ansprüchen 14 (Hauptantrag), 3 (Hilfsanträge I und II) 15 (Hilfs-
anträge III, IV und V) beruhen jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
9.
Zur Lösung der Aufgabe konnte sich der Fachmann unter anderem auf die
in der Beschreibungseinleitung referierten Druckschriften HE-Ni32, HE-Ni33 sowie
HE-D5 stützen, die Adjuvanszusammensetzungen auf Basis von Öl-in-Wasser-
Emulsionen beschreiben. Die in HE-Ni32 und HE-Ni33 grob beschriebenen, von
der Patentinhaberin als instabil bezeichneten MTP-PE-LO Emulsionen, wobei LO
niedriger Ölgehalt bedeutet, enthalten neben dem Muramyltripeptid (MTP-PE) 4 %
Squalen als Ölkomponente und 0,008 % Tween 80
®
als Emulgator in Phosphat
gepufferter Salzlösung (vgl. HE-Ni32: S. 1721 re Sp. Abs. 2; HE-Ni33: S. 459
Abs. 1). Auch die in HE-D5 beschriebenen Adjuvansformulierungen in Form von
Öl-in-Wasser-Emulsionen enthalten Squalen als Ölkomponente, und Tween 80
®
als Emulsionsstabilisator (Ansprüche 1, 2, 4 und 5). Auf der Suche nach verbes-
serten Rezepturen - hier Adjuvans-Zusammensetzungen - lag es für den Fach-
mann ausgehend davon nahe, sich zunächst mit bekannten Zusammensetzungen
zu befassen und diese auf Optimierungsmöglichkeiten zu überprüfen (BGH GRUR
2010, 607, 611 Rdn. [70]
– Fettsäurezusammensetzung). Im Gegensatz zur Auf-
fassung der Beklagten standen also zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents Ad-
juvans-Zusammensetzungen in Form einer Öl-in-Wasser-Emulsion mit Squalen
als Ölkomponente und Tween 80
®
als Emulgator bzw. Emulsionsstabilisator im
Blickfeld des Fachmanns. In HE-Ni20 und HE-NI21 sind im Detail solche Ad-
juvans-Zusammensetzungen in Form von Öl-in-Wasser-Emulsionen angegeben,
die Tween 80
®
und Squalen enthalten. Die Zusammensetzung der HE-Ni20 weist
2 ml Squalen, also etwa 2 Vol.-%, und 0,2 % Tween 80
®
in 98 ml Salzlösung
(Sp. 4 Z. 42 bis 56) auf, die Zusammensetzung gemäß HE-Ni21 umfasst 50 µl
- 23 -
Squalen (etwa 4,75 Vol.-%), 2 µl Tween 80
®
(etwa 0,2 Gew.%) und 1000 µl Phos-
phat gepufferte Salzlösung (Sp. 11 Beispiel 1 und Sp. 12 Tab 3). Bei Tween 80
®
,
auch als Polysorbat 80 bezeichnet, handelt es sich um Polyoxyethylen-20-Sorbit-
anmonooleat, einen Polyoxysorbitanmonoester (vgl. Streitpatent S. 4 Abs. 6).
Diese Formulierungen entsprechen der von der Patentinhaberin beanspruchten
Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags bis auf die Angabe des
Durchmessers der Öltröpfchen gemäß Merkmal 2(a) des Anspruchs 1 gemäß
Hauptantrag. Sie stellen daher einen geeigneten Ausgangspunkt für die Lösung
der patentgemäßen Aufgabe dar. Nach Merkmal 2(a) des Anspruchs 1 weisen
mindestens 80% der Öltröpfchen in der Öl-in-Wasser-Emulsion einen Durchmes-
ser von <0,5 Mikron auf und liegen damit im Submikronbereich vor. Adjuvans-Zu-
sammensetzungen in Form von Öl-in-Wasser-Emulsionen im Submikronbereich
sind aber bereits bekannt (vgl. HE-D6 Abstract, S. 170 li Sp. Abs. 2; HE-D5, An-
spruch. 1, S. 3 Z. 4 bis 9). Diese Öl-in Wasser-Emulsionen im Submikrobereich
werden bevorzugt mittels eines Mixers, der starke Scherkräfte ausübt, wie dem
Mikrofluidizer®, mikrofluidisert. Diese Emulsionen sind gegenüber nicht mikroflui-
disierten Emulsionen lagerstabiler, wie HE-D5 zeigt (vgl. Beispiel 1, Tabelle 1):
Antikörpertiter der Formulierungen 2 (ohne Mikrofluidisierung) und 4 (mit Mikroflui-
disierung) nach 4 und 6 Wochen. Sie erfüllen auch die Forderung für intravernös
zu verabreichende Emulsionen, wonach diese keine Tröpfchen > 1µm aufweisen
dürfen, wobei Tröpfchendurchmesser < 0,5 µm, insbesondere im Bereich von 0,25
bis 0,4 µm, bevorzugt sind (HE-D6 S. 170 li Sp. Abs. 2). Der Fachmann konnte
daher erwarten, dass sich aus dem Ergreifen dieser Maßnahme, nämlich dem Be-
reitstellen der Öl-in-Wasser-Emulsion im Submikronbereich gemäß Merkmal 2(a)
des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag eine angemessene Erfolgserwartung für die
Lösung des sich stellenden Problems ergab (vgl. BGH GRUR 2012, 803
– Calci-
potriol-Monohydrat). Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist
daher vom Stand der Technik nahegelegt.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass der Fachmann NiK20 nicht als Ausgangspunkt
für die Entwicklung einer Adjuvans-Zusammensetzung in Betracht ziehen würde,
da nach dieser Druckschrift Lipid-Emulsionen gegenüber den Öl-in-Wasser-Emul-
- 24 -
sionen vorteilhafter seien, wie aus den Tabellen 1 und 2 auf den Spalten 7 und 8
hervorgehe. Diese Argumentation kann aber nicht durchgreifen. Dies mag zwar für
die genannten Tabellen zutreffen. Die Öl-in-Wasser-Emulsion mit Tween 80
®
und
Squalen gemäß Sp. 4 Z. 42 bis 56 wurde dabei aber nicht berücksichtigt. Im Übri-
gen werden im Anspruch 1 von NiK20 Öl-in-Wasser-Emulsionen und Lipid-Emul-
sionen als gleichwertig beansprucht. Die im Streitpatent als Stand der Technik
referierten Druckschriften zeigen auf jeden Fall Vorteile gerade der Öl-in-Wasser-
Emulsionen (MTP-PE-LO) mit geringem Ölgehalt gegenüber anderen Formulie-
rungen, nämlich den höchsten Antikörper-Titer (HE-Ni33 S. 463, Tabelle 3 bis 464
Tabelle 4) und die geringsten lokalen Nebenwirkungen bei Verabreichung durch
die Pfote oder intramuskulärer Verabreichung (HE-Ni32 S. 1724 re Sp. Z. 8 bis
11). Nach HE-D1 sind Öl-in-Wasser-Emulsionen die bevorzugten Adjuvans-Vehi-
kel (S. 138 li Sp. Abs. 1).
Auch der Einwand der Beklagten, dass der Fachmann HE-NiK20 wegen der Toxi-
zität des unter anderem verwendeten Trehalose-Dimycolats (TDM) nicht in Be-
tracht gezogen hätte, kann nicht durchgreifen. TDM wird zwar in HE-NiK30 als
toxisch beschrieben (S. 159 re Sp. Abs. 3). Bei HE-NiK20 wird aber der Öl-in-
Wasser-Emulsion als Adjuvans-Vehikel vornehmlich rafiniertes entgiftetes Endoto-
xin (RDE) als immunostimulierende Substanz zugesetzt, wogegen TDM nur optio-
nal eingesetzt wird, (vgl. Anspruch 1). Im Übrigen kommt es beim Gegenstand des
Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht auf die zuzusetzenden immunostimulieren-
den Substanzen an, sondern auf die Bereitstellung einer Adjuvans-Zusammenset-
zung, der dann solche Substanzen zugesetzt werden können. Auch wird der
Fachmann die in HE-D5 beschriebene Mikrofluidisierung der Öl-in-Wasser-Emul-
sion im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten aufgreifen, obwohl in HE-D5 der
Gesamtemulgatorgehalt wegen des Zusatzes der POP-POE-Blockpolymeren auch
im Beispiel 1 über der Emulgatormenge des Gegenstands des Anspruchs gemäß
Hauptantrag liegt. Zum einen kommt es im Beispiel 1 nicht auf die Emulga-
tormenge an, die im Übrigen nicht variiert wird, sondern auf den Vergleich mikro-
fluidisiert zu nicht mikrofluidisiert, zum anderen ist die Bereitstellung der Öl-in-
Wasser-Emulsion im Submikronbereich in HE-D5 erfindungswesentlich, wie be-
- 25 -
reits der Anspruch 1 zeigt. Auch HE-D1 zeigt die Vorteile von Öl-in-Wasser-Emul-
sionen mit kleinen Öltröpfchen. Demnach führt eine kleine Tröpfchengröße ohne
Aggregation der Tröpfchen zu stabilen Emulsionen (S. 140, Figur 2 (a)). Die Stabi-
lität ist zwar auch abhängig von der Emulgatorkonzentration (vgl. Tabelle 6), wie
die Beklagte vorträgt, so dass 1%ige Emusionen nicht immer stabil sind (S. 143 li
Sp. vorle Abs.). Der Fachmann wird aber deshalb die Vorteile kleiner Öltröpfchen
nicht in Frage stellen. Im Übrigen hat der Fachmann ausgehend von NE-Ni20 ge-
nügend Spielraum, im Rahmen des im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag genannten
Bereichs von 0,05 bis 1 Gew.-% an Emulgator eine für die Öl-in Wasser-Emulsion
gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags optimale Emulgatormenge für eine stabile
Emulsionen einzusetzen. In HE-Ni29 werden zwar keine Öltröpfchengrößen der
Öl-in-Wasser-Emulsionen angegeben, und eine Anregung zu Öltröpfchengrößen
gemäß Merkmal 2(a) des Anspruchs gemäß Hauptantrag mag HE-Ni29 nicht zu
entnehmen sein, wie die Beklagte vorträgt. NiK29 beschreibt aber jedenfalls, dass
die Adjuvansaktivität mit kleiner Öltröpfchengröße ansteigt und dass die biologi-
sche Aktivität eines oberflächenaktiven Adjuvans direkt mit der exponierten Ober-
fläche der Emulsion variiert (S. 3174 li Sp. Abs. 2). HE-Nik 29 kann daher den
Fachmann nicht von der Lösung der Aufgabe durch den Gegenstand des An-
spruchs 1 gemäß Hauptantrag wegführen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist daher mangels
erfinderischer Tätigkeit nicht bestandsfähig.
10.
Auch die Gegenstände der jeweiligen Patentansprüche 1 der Hilfsanträge I
bis IV und der Patentansprüche 2 der Hilfsanträge III und V beruhen nicht auf ei-
ner erfinderischen Tätigkeit und haben deshalb keinen Bestand.
11.
Der Patentanspruch 1 des Hilfsantrags I unterscheidet sich vom Patentan-
spruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass der Emulgator gemäß Merkmal 2(c)
Tween 80
®
umfasst, und die Zusammensetzung gemäß Merkmal 2(e) keinen im-
munostimulierenden Emulgator enthält. Zur Frage welche Substanzen durch den
Disclaimer gemäß Merkmal 2(e) vom Umfang des Anspruchs 1 ausgenommen
- 26 -
werden sollen, ist dieser Begriff, wie vorstehend unter Punkt 7 ausgeführt, aus der
Patentschrift selbst auszulegen. Nach den Ausführungen im Streitpatent sind Be-
griffe wie Immunostimulans und Emulgator ausreichend bekannt, um diese Ver-
bindungen dem Fachmann ohne weitere Beschreibung zu bezeichnen (S. 3 Z. 22
bis 27 von unten). Des Weiteren braucht der Emulgator, der von Polyoxypropylen-
Polyoxyethylen-Blockcopolymeren verschieden ist, womit nach Streitpatent diese
Blockcopolymeren als Emulgatoren im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin zu
verstehen sind, keine besondere immunostimulierende Aktivität zu besitzen, weil
die Ölzusammensetzung selbst als Adjuvans dienen kann. Immunostimulantien
können entweder getrennt vom Emulgator und dem Öl sein, oder das Immunosti-
mulans und der Emulgator können ein und dasselbe Molekül sein. Beispiele für
vereinte Emulgatoren/Immunostimulantien sind die lipophilen Muramylpeptide, die
in HE-Ni32 und HE-Ni-33 beschrieben werden. Diese Verbindungen enthalten das
basische n-Acetylmuramylpeptid (hydrophiler Rest), das als immunostimulierende
Gruppe wirkt, und ebenso einen lipophilen Rest, der der resultierenden Verbin-
dung oberflächenaktive Eigenschaften verleiht (S. 5 Z. 1 bis 15). Solche Substan-
zen werden somit vom Umfang des Anspruchs 1 des Hilfsantrags ausgenommen,
obwohl sie gemäß den Ausführungen im Streitpatent bevorzugt sind (S. 5 Z. 15
bis17).
Zur Bereitstellung einer Adjuvans-Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 des
Hilfsantrags, die keinen immunstimulierenden Emulgator enthält, konnte der
Fachmann von der aus HE-Ni21 bekannten Adjuvans-Zusammensetzung ausge-
hen, die, wie vorstehend unter Punkt 9 erläutert, entsprechend den Merkmalen 1,
2, 2(b), 2(c), und 2(d), in Form einer Öl-in-Wasser-Emulsion Squalen und Tween
80
®
enthält (vgl. Sp.
12 Tabelle 3, „Third Test Com osition“). Als Immunostimulans
wird in dieser Zusammensetzung N-acetylmuramyl-L-threonyl-D-Isoglutamin ein-
gesetzt, das auch gemäß Streitpatent verwendet werden kann (vgl. S. 6 vorletzter
Absatz, 3. Beispiel von oben). Bei diesem Muramylpeptid handelt es sich nicht um
einen immunstimulierenden Emulgator im Sinne des Streitpatents, der gemäß
Merkmal 2(e) vom Umfang des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 auszunehmen ist.
Denn diesem Peptid fehlt der lipophile Rest, der der resultierdenden Verbindung
- 27 -
oberflächenaktive Eigenschaften verleihen würde. Wie vorstehend unter Punkt 9
dargelegt, brauchte der Fachmann dann zur Verbesserung der Zusammensetzung
lediglich den Anregungen in HE-D5 und HE-D6 folgen und diese Formulierungen
mit Öltröpfchengrößen gemäß Merkmal 2(a) bereitstellen.
Der Einwand der Beklagten, dass der Fachmann keine gegenüber anderen Zu-
sammensetzungen schlechtere Zusammensetzung als Ausgangspunkt wähle, wie
Tabelle 7 in Sp. 13 der HE-Ni21 zeige, kann nicht durchgreifen. Es ist zwar zuzu-
stimmen, dass mit dieser Testzusammensetzung nur ein relativ geringer Antikör-
pertiter ermittelt wurde. Aber genau dieser Umstand wird mit dem Gegenstand des
Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 in Kauf genommen. Denn gemäß Streitpatent sind
immunstimulierende Emulgatoren als Zusätze bevorzugt. Das Muramylpeptid
(MTP-PE) mit lipophilem Dipalmitoyl-Rest wird dabei besonders herausgestellt
(S. 5 Z. 15 bis 17, S. 7 Z. 17 bis 14 von unten, S. 8 Beispiel 1 le Abs.). Die Frage,
ob hier bereits deshalb eine erfinderische Tätigkeit nicht gegeben sei, wie die Klä-
gerinnen vortragen, da die Auswahl einer von mehreren nach dem Stand der
Technik für den Durchschnittsfachmann erkennbaren Alternativen zur Lösung des
technischen Problems nicht schon deshalb als auf erfinderischen Tätigkeit beru-
hend anzusehen sei, weil aus der Sicht des Durchschnittsfachmann andere Lö-
sungen besser geeignet oder vorteilhafter erscheinen, brauchte vorliegend daher
nicht geklärt werden (BGH GRUR 1996, 857 1.Ls
– Rauchgasklappe).
12.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Hilfsantrags II ist ebenfalls
vom Stand der Technik nahegelegt. Er weist gegenüber dem Anspruch 1 gemäß
Hilfsantrag I das zusätzliche Merkmal 2(f) auf, wonach die Emulsion durch ein ein-
zelnes nichtionisches Tensid stabilisiert wird, und es sich dabei um Tween 80
®
handelt. Auch dieses Merkmal konnte der Fachmann aus HE-Ni21 entnehmen.
Denn die Testzusammensetzung gemäß Tabelle 3 in Sp. 12 enthält nur ein Ten-
sid, nämlich das nichtionische Tensid Tween 80
®
. Mit diesem Merkmal kann daher
das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründet werden. Der Gegen-
stand dieses Anspruchs ist daher gleich dem Gegenstand des Hilfsantrags I zu
beurteilen.
- 28 -
13.
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 der Hilfsanträge III und IV sind
identisch und entsprechen dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I mit dem
Unterschied, dass
das Merkmal 2(e) lautet: „wobei die Emulsion durch ein einzel-
nes nichtionisches Tensid stabilisiert wird, und es sich dabei um Tween 80® han-
delt“. Dieses Merkmal ents richt dem Merkmal 2(f) des Hilfsantrags II und ist – wie
vorstehend dargelegt
– in HE-Ni21 vorbeschrieben. Die Gegenstände dieser Pa-
tentansprüche sind daher gleich dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß
Hilfsantrag II nahegelegt.
14.
Der Gegenstand des unabhängigen Patentanspruchs 2 des Hilfsantrags III
und des gleichlautenden Patentanspruchs 2, der den Hauptanspruch des Hilfsan-
trags V bildet, ist durch Merkmal 2(a) entsprechend dem Patentanspruch 1 des
Hilfsantrags I dadurch beschränkt, dass der Emulgator keine immunstabilisierende
Aktivität besitzt und der Emulgator Tween 80
®
umfasst. Diese Patentansprüche
sind somit dem Patentanspruch 1 des Hilfsantrags I inhaltsgleich und daher ent-
sprechend den Ausführungen zum Patentanspruch 1 des Hilfsantrags I ebenfalls
nahegelegt.
15.
Mit den jeweiligen Patentansprüchen 1 fallen auch die mit dem Haupt- und
den Hilfsanträgen verteidigten Unteransprüche des Hauptantrags und der Hilfsan-
träge I bis V. Im Übrigen lassen auch die Gegenstände dieser verteidigten Unter-
ansprüche keinen eigenen erfinderischen Gehalt erkennen. Ein solcher wurde von
der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
16.
Auch die auf eine Impfzusammensetzung gerichteten Patentansprüche 14
(Hauptantrag), 3 (Hilfsanträge I und II) 15 (Hilfsanträge III, IV und V), die gemäß
Haupt- und den Hilfsanträgen jeweils eine immunostimulierende Menge des Ad-
juvans nach den jeweiligen Ansprüchen 1 und bei Hilfsantrag III zusätzlich nach
Anspruch 2 enthalten, sind vom Stand der Technik nahegelegt. Denn auch den
aus den Entgegenhaltungen HE-Ni20 und HE-Ni21 bekannten Adjuvans-Zusam-
mensetzungen werden Impfzusammensetzungen, die eine immuno-stimulierende
Menge einer Antigen-Substanz enthalten, zugefügt (vgl. HE-Ni20 Ansprüche 1 und
- 29 -
9 bis 14; HE-Ni21 Sp. 11 bis 13, Beispiel 1). Die Impfzusammensetzungen sind
daher entsprechend den Adjuvans-Zusammensetzungen gemäß den jeweiligen
Patentansprüchen 1 aller Anträge und den Patentansprüchen 2 der Hilfsanträge III
und V zu beurteilen. Ein eigenständiger erfinderischer Gehalt ist auch bei diesen
Gegenständen nicht zu erkennen und wurde von der Beklagten auch nicht geltend
gemacht. Sie sind daher ebenfalls nahegelegt. Diese auf eine Impfzusammenset-
zung gerichteten Patentansprüche haben daher ebenfalls keinen Bestand.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelas-
senen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und
innerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karls-
ruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in voll-
ständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Mo-
naten nach der Verkündung.
- 30 -
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.
Schramm
Guth
Dr. Gerster
Dr. Münzberg
Dr. Jäger
prö