Urteil des BPatG vom 23.06.2015

Stand der Technik, Patentanspruch, Erzeugnis, Anpassung

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 11/14 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
23. Juni 2015
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 412 179
(DE 502 05 534)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Schramm sowie der Richter Dipl.-Chem. Dr. Egerer, Kätker,
Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 1 412 179 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig er-
klärt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte (S
… & Co GmbH) hat laut Firmenbuch der Republik
Österreich am 23. November 2005 das Vermögen der (zugleich) aufgelösten und
gelöschten
S1… & Co. GmbH & Co. Ges.m.b.H KG gemäß dem
damals geltenden § 142 des österreichischen Handelsgesetzbuchs übernommen.
Die letztgenannte Gesellschaft ist nach wie vor im Patentregister des Deutschen
Patent- und Markenamts als Inhaberin des europäischen Patents 1 412 179, das
vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 502 05 534 geführt
wird (Streitpatent), eingetragen.
- 3 -
Das am 25. April 2002 in deutscher Sprache angemeldete Streitpatent trägt die
Bezeichnung
„Mehrschichtige, im Wesentlichen polyvinylchlorid- und polyolefin-
freie Möbelverbundfolie“. Es nimmt die österreichische Priorität AT 7422001 vom
10. Mai 2001 in Anspruch.
Das Streitpatent umfasst 37 Patentansprüche, deren unabhängige Patentansprü-
che 1 und 8 folgenden Wortlaut haben:
- 4 -
Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf die Patentansprüche 1
und 8 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 und 9 bis 37 wird auf die Patent-
schrift EP 1 412 179 B1 verwiesen.
Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht den Nichtig-
keitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend. Sie stützt ihr Vorbringen auf
folgende Dokumente:
(Ast2)
REPUBLIK ÖSTERREICH: Firmenbuch. Auszug mit historischen
Daten. FN 25927 d. Stichtag 22. April 2012, 4 Seiten
(Ast3)
REITSTÄTTER, Dr. Hans [öffentlicher Notar]: Antrag an das Lan-
des- als Handelsgericht Salzburg. 15. November 2005, 3 Seiten;
mit Beilage Gesellschaftsvertrag, 15. November 2005, 7 Seiten
(Ast4)
REPUBLIK ÖSTERREICH: Firmenbuch. Auszug mit historischen
Daten. FN 66312 v. Stichtag 14. Dezember 2010, 5 Seiten
- 5 -
(K2)
Kopie der Akte zum Erteilungsverfahren des Streitpatents vor dem
Europäischen Patentamt, letzter Eintrag vom 8. November 2006,
144 Seiten
(K3)
Österreichisches Patentamt: Prioritätsdokument zur Anmeldung
AT 742/2001, mit Urtext der Anmeldung, 30 Seiten
(K4)
DE 27 30 899 A1
(K5)
SMITHERS RAPRA: Confidential Technical Report 56713. Pro-
ject No GW0053. Shawbury, Shropshire, SY4 4NR, 4. März 2014,
16 Seiten
(K6)
EP 0 283 861 A2
(K7)
DE 691 17 720 T2
(K8)
JOHNSON, James E.: 3 Extrusion Wrap-up - Co-extrusion. In:
Plastics Technology, Februar 1976, S. 45-49
(K9)
DE 93 08 242 U1
(K10)
Norm DIN EN ISO 291, August 2008. Kunststoffe
– Normalklimate
für Konditionierung und Prüfung. Deutsche Fassung EN ISO
291:2008, 12 Seiten
Auf den Bescheid des Senats vom 6. November 2014 hat die Klägerin folgende
DIN-Normen eingereicht:
(D1K)
Norm DIN EN ISO 527-1, April 1996. Plastics. General principles
for the determination of tensile properties. English version of
DIN EN ISO 527-1, 12 Seiten
(D2K)
Norm DIN EN ISO 527-2, July 1996. Determination of tensile
properties of plastics. Test conditions for moulding and extrusion
plastics. English version of DIN EN ISO 527-2, 8 Seiten
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 8
des Streitpatents von der Druckschrift K4 neuheitsschädlich vorweggenommen ist.
Ferner macht sie mangelnde erfinderische Tätigkeit unter Verweis auf die Druck-
- 6 -
schriften K4, K6 in Kombination mit K4 und K7 in Kombination mit K8 geltend.
Entsprechendes gelte für die Gegenstände der Hilfsanträge.
Soweit die Beklagte mit ihrem Vortrag geltend mache, dass die mit dem in Pa-
tentanspruch 1 angegebenen Zugversuch zu messende maximale Zugkraft von
anderen oder weiteren Einflussgrößen als den im Patentanspruch genannten
Merkmalen zu Material, Aufbau und Schichtdicke der Verbundfolie abhänge, be-
zweifelt die Klägerin, dass die beanspruchte Verbundfolie im Streitpatent so deut-
lich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie gezielt so herstellen
könne, dass sie die angegebene maximale Zugkraft aufweise.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 412 179 mit Wirkung für das Hoheitsge-
biet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die
Fassung des Hauptantrags, hilfsweise eines der Hilfsanträge I
bis IV, sämtliche gemäß Schriftsatz vom 11. Mai 2015, erhält.
Gemäß Hauptantrag wird der erteilte nebengeordnete Patentanspruch 8 (nunmehr
Patentanspruch 7) zum abhängigen, auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Pa-
tentanspruch gemacht. Die erteilten Patentansprüche 2 und 15 werden gestrichen,
der erteilte Patentanspruch 19 (nunmehr Patentanspruch 17) sprachlich ange-
passt und die übrigen Patentansprüche unter Anpassung ihrer Rückbezüge um-
nummeriert.
Weiter verteidigt die Beklagte ihr Patent mit den Hilfsanträgen I bis IV.
- 7 -
Gemäß Hilfsantrag I enthält Patentanspruch 1 das zusätzliche Merkmal gegen-
über dem erteilten Patentanspruch 1, dass die Verbundfolie eine Stärke von
200 bis 1000 µm hat. Patentanspruch 7 gemäß Hauptantrag wird gestrichen, die
übrigen Patentansprüche unter Anpassung ihrer Rückbezüge umnummeriert.
Gemäß Hilfsantrag II enthält Patentanspruch 1 als zusätzliches Merkmal gegen-
über Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I, dass die Deckschicht eine Stärke
zwischen 1 und 5 % der Gesamtstärke der Verbundfolie aufweist. In den Pa-
tentansprüchen 15, 19 und 23 wird das entsprechende Merkmal gestrichen, Pa-
tentanspruch 29 wird gestrichen, die nachfolgenden Patentansprüche unter An-
passung ihrer Rückbezüge umnummeriert.
Gemäß Hilfsantrag III enthält Patentanspruch 1 als zusätzliches Merkmal gegen-
über Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I, dass Deckschicht und Trägerschicht
ohne Primerschicht unmittelbar miteinander verbunden sind. Patentanspruch 27
wird gestrichen, die nachfolgenden Patentansprüche unter Anpassung ihrer Rück-
bezüge umnummeriert.
Gemäß Hilfsantrag IV enthält Patentanspruch 1 gegenüber Patentanspruch 1 ge-
mäß Hilfsantrag I die zusätzlichen Merkmale aus den Hilfsanträgen II (Deckschicht
weist eine Stärke zwischen 1 und 5 % der Gesamtstärke der Verbundfolie auf) und
III (Deckschicht und Trägerschicht sind ohne Primerschicht unmittelbar miteinan-
der verbunden). In den Patentansprüchen 15, 19 und 23 wird das entsprechende
Merkmal (aus Hilfsantrag II) gestrichen. Die Ansprüche 27 und 29 werden gestri-
chen, die nachfolgenden Patentansprüche unter Anpassung ihrer Rückbezüge
umnummeriert.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie
verweist auf folgende Dokumente:
- 8 -
(B4)
Prüfprotokoll der Marke 9285-1 white 35699 0,70 mm. Kunde:
Senoplast
Klepsch & Co. GmbH.
Prüfer
Jürgen Grosser.
16. September 2013, 2 Seiten
(B5)
Gesamtrechtsnachfolge
Unterlagen
aus
dem
Verfügungsverfahren LG Hamburg (327 O 548/13). 31 Seiten
(B11)
SHIPTON, Paul : Eidesstattliche Versicherung. Shawbury, UK,
17. März 2014, 8 Seiten
(B12)
BAUER, Erwin; BRINKMANN, Sigrid; OSSWALD, Tim;
SCHMACHTENBERG, Ernst: Saechtling Kunststoff Taschen-
buch. Carl Hanser Verlag München, 2007, S. 82-85. Kapitel
3.2.6.1 Molekül-Orientierung
– ISBN 978-3-446-40352-9
(B13)
HANNACHI, A.; MITSOULIS, E.: Sheet Coextrusion of Polymer
Solutions and Melts: Comparison between Simulation and Ex-
periments. In: Advances in Polymer Technology, 1993, Vol. 12,
No. 3, S. 217-231
Auf den Bescheid des Senats vom 6. November 2014 hat die Beklagte folgende
DIN-Normen eingereicht:
(D1B)
Norm DIN EN ISO 527-1, April 1996. Kunststoffe. Bestimmung
der Zugeigenschaften. Teil 1: Allgemeine Grundsätze. Deut-
sche Fassung EN ISO 527-1:1996, 9 Seiten
(D2B)
Norm DIN EN ISO 527-2, Juli 1996. Kunststoffe. Bestimmung
der Zugeigenschaften. Teil 2: Prüfbedingungen für Form- und
Extrusionsmassen. Deutsche Fassung EN ISO 527-2:1996,
8 Seiten
Die Beklagte ist der Meinung, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach
Hauptantrag und Hilfsanträgen sei neu und erfinderisch.
Insbesondere könne nicht der Auslegung der sich auf die Prüfvorschrift beziehen-
den Merkmalsgruppe a) bis d) (entspricht Merkmalsgruppe 4 der Merkmalsgliede-
- 9 -
rung des Senats, s. u.) gefolgt werden, die die Klägerin in ihren Schriftsätzen und
der Senat in seinem vorterminlichen Hinweis vom 1. April 2015 vertreten haben.
Vielmehr beschreibe diese Merkmalsgruppe einen untypischen Zugversuch, der
die Zugspannung als relevante Eigenschaft für die Thermoformbarkeit identifiziere
und damit die erfindungsgemäß geeigneten Verbundfolien auf eine kleine Auswahl
entsprechend geeigneter Verbundfolien beschränke.
Der Senat hat in seinem vorterminlichen Hinweis auf die in der Beschreibungs-
einleitung des Streitpatents genannten polyvinylchloridfreien Verbundfolien des
Standes der Technik verwiesen und insbesondere die dort als dritte Schrift aufge-
führte EP 0 987 102 A2 (im folgenden StdT3 genannt) als relevanten Stand der
Technik benannt.
Entscheidungsgründe
I.
1.
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6
Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig.
Insbesondere ist sie gegen die richtige Beklag
te, die S… & Co.
GmbH, gerichtet worden. Zwar ist im Patentregister als Patentinhaberin noch die
S1… & Co. Ges.m.b.H & Co. KG eingetragen. Da aber aus den vor-
gelegten Auszügen aus dem Firmenbuch der Republik Österreich hervorgeht,
dass die Beklagte 2005 das Vermögen dieser aufgelösten und gelöschten Kom-
manditgesellschaft gemäß dem (damals geltenden) § 142 des österreichischen
Handelsgesetzbuches übernommen hat, geht der Senat mit den Parteien davon
aus, dass die Beklagte Gesamtrechtsnachfolgerin der eingetragenen Patentinha-
berin geworden ist. Im Fall der Gesamtrechtsnachfolge bedarf es zum Übergang
der Legitimation des Nachfolgers keiner vorherigen Umschreibung im Register.
Vielmehr ist der Rechtsinhaber unabhängig von der Eintragung in der neuen
- 10 -
Rechtsform und unter der neuen Bezeichnung zu verklagen (vgl. Busse, Patent-
gesetz, 7. Aufl. § 30 Rdn. 96, § 81 Rdn. 113 m. w. N.).
2.
Die Klage ist auch begründet. Der Gegenstand des Streitpatents in der Fas-
sung des Hauptantrags und des Hilfsantrags I ist durch die Druckschrift NK4 be-
reits neuheitsschädlich vorweggenommen. Im Übrigen beruhen die Gegenstände
der verteidigten Fassungen nach Hauptantrag und Hilfsanträgen I und II nicht auf
einer erfinderischen Tätigkeit. Die Anspruchsfassungen der Hilfsanträge III und IV
sind unzulässig.
2.1
rid- und polyolefinfreie Verbundfolie, insbesondere Möbelfolie, mit mindestens ei-
ner zweischichtigen, coextrudierten Trägerschicht, welche ABS, insbesondere
ABS mit Zumischungen, und/oder Polystyrol, insbesondere Polystyrol mit Zumi-
schungen und/oder hochschlagfestes Polystyrol, und/oder Polyester, insbeson-
dere amorphes Polyester Copolymer aufweist (K1: [0001]).
Beim Einsatz von thermoplastischen Dekorfolien im Möbelbereich werden insbe-
sondere bei Hochglanzoberflächen hohe Anforderungen an die Kratzfestigkeit, die
Abriebsfestigkeit, die chemische Beständigkeit, Spannungsrissbeständigkeit und
an die optischen Werte wie Glanz, Lang- und Kurzwelligkeit sowie Oberflächen-
feinrauhigkeit gestellt. Ferner gewinnt zunehmend der Aspekt der Umweltverträg-
lichkeit an Bedeutung, wodurch zusätzliche Anforderungen an die Materialbe-
schaffenheit gestellt werden (K1: [0002]).
Herkömmliche Möbelfolien aus thermoplastischen Kunststoffen werden beispiels-
weise durch Lamination/Beschichtung einer dünnen Kratzfestschicht auf eine pig-
mentierte Polyvinylchlorid (PVC) Trägerfolie und anschließendem Auftragen einer
Primerschicht an der Rückseite hergestellt. PVC gilt aber zunehmend als ökolo-
gisch bedenklich (K1: [0003]).
- 11 -
Eine Verarbeitungsvariante von Möbelfolien stellt das Thermoformen mit anschlie-
ßendem Verkleben auf Holzfaserplatten dar. Eine weitere Verarbeitungsvariante
stellt das Verkleben auf ebene Flächen und das Heißkanten dar. Generell erfolgt
die Verarbeitung der thermoplastischen hochglänzenden Möbelfolien und -matten
über Verpressen, Laminieren oder Formen auf Holz- oder Schaumkerne. Um die
Folien auf den bestehenden Maschinen verarbeiten zu können, müssen die Folien
definierte technische Bedingungen erfüllen. So sollen sie insbesondere eine gute
Thermoformbarkeit schon bei niedrigen Temperaturen (100°C) und ein entspre-
chendes Verarbeitungsfenster von 90 bis 120°C aufweisen (K1: [0005]).
2.2
Verbundfolie zu schaffen, welche zum einen eine ökologisch sinnvolle, definierte
Oberflächenqualitäten aufweisende Alternative zu den bisher beim Stand der
Technik im Wesentlichen verwendeten PVC basierten Folien bietet und zum ande-
ren die im Streitpatent genannten technischen Anforderungen erfüllt (K1: [0006]).
2.3
eine Verbundfolie mit folgenden Merkmalen:
1
Mehrschichtige Verbundfolie,
1.1
insbesondere Möbelfolie,
2
mit mindestens einer Trägerschicht, welche aufweist
2.1a
ABS,
2.1a.1
insbesondere ABS mit Zumischungen,
2.1b
und/oder Polystyrol,
2.1b.1
insbesondere
Polystyrol
mit
Zumischungen
und/oder
hochschlagfestes Polystyrol,
2.1c
und/oder Polyester,
2.1c.1
insbesondere amorphes Polyester Copolymer;
- 12 -
2.2
die Trägerschicht (2, 3, 5, 10, 11, 12) ist mindestens
zweischichtig,
2.3
ein Coextrudat,
2.4
unter einer Deckschicht (1, 6, 7, 8, 9) angeordnet;
3
die
mehrschichtige
Verbundfolie
ist
im
Wesentlichen
polyvinylchlorid- und polyolefinfrei;
4
bei der einachsigen Zugprüfung eines aus der Verbundfolie be-
stehenden Prüfkörpers (21) tritt eine maximale Zugkraft zwi-
schen 30 Newton und 280 Newton auf, wobei die einachsige
Zugprüfung folgender Prüfvorschrift genügt (Fig. 1):
4.1
a) Der Prüfkörper (21) gemäß Typ 1 B nach ISO 527-2: 1996
Abschnitt 6 mit einer Dicke, welche der Dicke der zu prüfenden
Verbundfolie entspricht, wird vor Prüfbeginn 24 h bei 23 °C und
50 % relativer Luftfeuchte gelagert;
4.2
b) anschließend erfolgt die Einspannung des so vorbehandelten
Prüfkörpers (21) in ein Prüfgerät nach ISO 527-1: 1996 Ab-
schnitt 5, wobei die Längsachse des Prüfkörpers (21) parallel
zur Extrusions- oder Kalandrierrichtung der Verbundfolie liegt,
sowie das Aufbringen der Vorspannung nach ISO 527-1: 1996
Abschnitt 9.2 und 9.5;
4.3
c) die anschließende Durchführung des einachsigen Zugver-
suchs erfolgt nach ISO 527-1: 1996 mit einer konstanten Prüf-
geschwindigkeit von 800 mm/min und bei einer konstanten
Temperatur von 80 °C, wobei zeitlich unmittelbar vor dem Be-
ginn der Durchführung der Zugprüfung der eingespannte Prüf-
körper (21) in einer auf 80 °C temperierten Klimakammer für ei-
nen Zeitraum von 10 Minuten verweilt;
4.4
d) während der Durchführung des Zugversuches erfolgt die Auf-
zeichnung der auftretenden Zugkräfte in Abhängigkeit der Prüf-
zeit ab Beginn der Prüfung in einem Bereich der nominellen
- 13 -
Dehnung
ε
t
(nach ISO 527-1: 1996 Abschnitt 10.2) zwischen
0 % und 100 %.
2.4
und Entwicklung arbeitenden, üblicherweise promovierten oder zumindest diplo-
mierten Chemiker, der aufgrund mehrjähriger Berufserfahrung mit der Herstellung
und Anwendung von Polymerfolien und Polymerverbundfolien vertraut ist.
II.
1.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag erfordert zu-
2.2
1.1
stellt, welche ein mindestens zweischichtiges Coextrudat umfassen. Damit wird
das Erzeugnis gemäß Patentanspruch 1, also die mehrschichtige Verbundfolie,
2.3
definiert. Das Verfahrensmerkmal schränkt aber den Schutzbereich nicht auf Er-
zeugnisse ein, die durch das im Patentanspruch angegebene Verfahren herge-
stellt werden. Vielmehr genießt das durch einen product-by-process-Anspruch de-
finierte Erzeugnis
– wie jedes andere Erzeugnis auch – absoluten Schutz, so dass
eine Patentverletzung auch dann vorliegen würde, wenn das durch den product-
by-process-Anspruch geschützte Erzeugnis durch ein anderes Verfahren herge-
stellt wird (vgl. Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 34, Rn. 152). Dann aber muss
das so gekennzeichnete Erzeugnis alle Voraussetzungen der Patentierbarkeit er-
füllen, insbesondere selbst neu und erfinderisch sein. Die Neuheit und erfinderi-
sche Tätigkeit des Herstellungsverfahrens führt nicht automatisch zur Neuheit und
erfinderischen Tätigkeit des Erzeugnisses (vgl. Schulte, a. a. O., Rn. 155), solange
nicht durch das Verfahren abweichende Produkteigenschaften erhalten werden.
- 14 -
Vorliegend ergibt sich zwar, wie von der Beklagten vorgetragen, durch die
Coextrusion eine Anisotropie der Folie, das heißt, durch die Richtung, in der (zwei
oder mehr) Polymermassen extrudiert werden (um eine Verbundfolie zu erhalten),
erhält die fertige Folie richtungsabhängige Eigenschaften. Eine Anisotropie wird
aber auch erzeugt, wenn zwei Folien zwischen zwei beheizten Walzen mittels
Kalandrieren verbunden werden. Insofern ergibt sich bei beiden Verfahrensarten
in den verkehrswesentlichen Eigenschaften der Folie ein nicht unbedeutender
Überlappungsbereich, in dem sich ein durch Coextrusion erhaltenes Erzeugnis
nach seinen Produkteigenschaften (in der Breite des vorliegenden Merkmals) nicht
von einem solchen unterscheidet, das durch Kalandrieren erhalten wird. Gleiches
gilt für die von der Beklagten geltend gemachte Interaktion der Kunststoffe an der
Grenzfläche, welche sowohl im Fall des Kalandrierens als auch bei der Coextru-
sion in nicht unterscheidbarer Weise vorhanden ist. Dieser Sichtweise widerspricht
auch nicht die Druckschrift B13, welche sich ausschließlich mit der durch Coextru-
sion bewirkten Anisotrope beschäftigt, nicht aber Coextrusion und Kalandrieren
(oder andere Verfahren des Verbindens) und die damit erhaltenden Produkte bzw.
Produkteigenschaften miteinander vergleicht.
1.2
schicht auszulegen. Der Senat versteht unter der mehrschichtigen Trägerschicht
neben einer ersten Schicht eine beliebige zweite (oder weitere) Schicht. Diese
weitere Schicht kann dementsprechend im Stand der Technik z. B. auch als Haft-
vermittlerschicht oder Zwischenschicht benannt sein, welche in fachüblicher Weise
dazu genutzt wird, um die Haftung zwischen den Schichten zu gewährleisten. Da
Bezeichnungen wie „Haftvermittlerschicht“ oder „Zwischenschicht“ lediglich Funk-
tionsangaben zu den Schichten darstellen, welche ansonsten in ihrem stofflichen
Aufbau nicht festgelegt sind, ist insoweit eine funktionelle Betrachtung geboten.
Dementsprechend sind Teilverbunde aus Trägerschicht und Haftvermittlerschicht
oder Zwischenschicht auch als zweischichtige Trägerschicht im Sinne des Merk-
2.2
- 15 -
Für diese
breite Auslegung des Begriffs „mindestens zweischichtige Träger-
schicht“ spricht auch die ursprüngliche Offenbarung der Beklagten gemäß der Of-
fenlegungsschrift WO 02/090109 A1. Darin werden Verbundfolien, welche unter
einer Deckschicht ein einschichtiges Extrudat als Trägerschicht aufweisen, als
gleichwertig mit mindestens zweischichtigen Coextrudaten als Trägerschicht dar-
gestellt (vgl. WO 02/090109 A1: S. 4, Z. 19-23 sowie Patentanspruch 8). Eine be-
sondere, die erfinderische Tätigkeit begründende Maßnahme kommt hingegen in
der Wahl eines mehrschichtigen Coextrudates als Trägerschicht in den ursprüngli-
chen Unterlagen nicht zum Ausdruck.
1.3
stimmt, da mit ISO 527-2:1996 die Breite b
1
des engen Teils des Prüfkörpers
Typ 1B auf 10 mm festgelegt ist (vgl. ISO 527-2:1996: Bild 1) und bei im Pa-
tentanspruch 1 festgelegter maximaler Zugkraft sowie gegebenen stofflichen
Merkmalen des Materials als Variable nur noch die Dicke der Verbundfolie wähl-
bar ist.
Die „maximale Zugkraft“ ist im Sinne der in Abschnitt 4.3.3 von ISO 527-
1:1996 definierten Zugfestigkeit
σ
M
(= „tensile strength“) die Maximalspannung, die
der Probekörper während eines Zugversuchs trägt.
4
wünschten und für den vorgesehenen Einsatzzweck erforderlichen mechanischen
Eigenschaften der Verbundfolie ab. Bei einem stofflich vorgegebenen Materialver-
bund muss dann lediglich noch die Dicke angepasst und der Materialverbund ent-
sprechend der Prüfvorschrift vermessen werden. Der Fachmann wird dabei einen
geeigneten Bereich auswählen, in dem die maximale Zugkraft liegen soll.
4
regel für lediglich eine singuläre Eigenschaft von Kunststoff-Halbzeugen definiert,
wobei auf eine fachlich einschlägige ISO-Norm zurückgegriffen wird. Sofern auf
der Produktseite zwischen der beanspruchten mehrschichtigen Verbundfolie ge-
genüber Verbundfolien gleichen stofflichen Aufbaus nach den maßgebenden Pro-
duktmerkmalen kein Unterschied zum Stand der Technik besteht, sind identische
- 16 -
4
4.1
Produkte in ihren körperlichen Eigenschaften führen.
2.1
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ist gegenüber der
Druckschrift K4 nicht mehr neu.
Die Druckschrift K4 beschreibt dekorative Verbunde aus einer transparenten
Deckschicht einerseits und einer Trägerschicht andererseits, die gegebenenfalls
über eine oder mehrere thermoplastische Zwischenschicht(en) festhaftend mitei-
nander verbunden sind (K4: S. 3, Abs. 1). Die dekorativen Verbunde und Teilver-
bunde können auch für Kaschierungen ebener Flächen verwendet werden, z. B.
für Kaschierungen von Holzwerkstoffen, wie Pressspanplatten (K4: S. 14, Abs. 3
bis S. 15, Abs. 1). In der einfachsten Verwendung werden die Verbunde der K4 als
Platten eingesetzt (K4: Beispiele). Für eine Befestigung an einer Haltekonstruktion
werden die Verbunde durch Abkanten nach einer Erwärmung randverformt. Für
nicht ebenflächige Wandbekleidungen kann die Verbundplatte thermoverformt
werden (K4: S. 15, Abs. 2). Dementsprechend handelt es sich um eine mehr-
1
nicht nur für ebene Flächen verwendet wird.
Der Verbund der K4 weist eine vorzugsweise mehr als 500 µm dicke Träger-
schicht aus Polyvinylchlorid oder einem Styrolpolymerisat auf, vorzugsweise
2
Dabei werden beide Werkstoffe als gleichwertig nebeneinander gestellt. Im Falle
der Trägerschicht aus einem Styrolpolymerisat muss mindestens eine haftvermit-
telnde Zwischenschicht zwischen Deck- und Trägerschicht verwendet werden (K4:
S. 7, Abs. 1). Die 50 bis 500 µm dicke transparente Deckschicht besteht aus Poly-
carbonat, einem niedrig schmelzenden thermoplastischen Polyester, einem trans-
parenten ABS-Polymerisat oder Polymethylmethacrylat (K4: S. 4, Abs. 1 // Merk-
2.4
- 17 -
Bei der Herstellung wird gemäß der K4 zwischen Verbunden ohne, mit einer oder
mit mehreren Zwischenschicht(en) unterschieden. Als Material der einzigen Zwi-
schenschicht für dreischichtige Verbunde wird eine Reihe von polyvinylchlorid-
und polyolefinfreien Polymeren genannt (K4: S. 8, Abs. 1). Im Falle eines vier-
schichtigen Aufbaus kann die der Trägerschicht benachbarte zweite Zwischen-
schicht und die der Deckschicht benachbarte erste Zwischenschicht aus den glei-
chen Materialien aufgebaut sein, wie die Zwischenschicht bei dreischichtigen Ver-
bunden, mit der Maßgabe, dass erste und zweite Zwischenschicht voneinander
verschieden sind (K4: S. 9, Abs. 2, Satz 2 i. V. m. S. 10, Abs. 1, Satz 1). Damit
3
lyvinychlorid- und polyolefinfrei sein.
Die Herstellung eines Verbundes mit zwei Zwischenschichten, also eines vier-
schichtigen Verbundes, erfolgt in der K4 dergestalt, dass zunächst eine Zwei-
schicht-Folie aus Deckschicht und erster Zwischenschicht hergestellt wird (K4:
S. 13, Abs. 4). Daneben wird ein Teilverbund aus Trägerschicht und zweiter Zwi-
schenschicht bevorzugt durch Coextrusion hergestellt (K4: S. 13, Z. 33 bis S. 14,
Z. 5). Entgegen der Auffassung der Beklagten wird also in der K4 nicht nur für
Verbundfolien aus PVC die Coextrusion beschrieben. Der coextrudierte Teilver-
bund aus Trägerschicht und zweiter Zwischenschicht ist
– bei der gebotenen funk-
tionellen Betrachtung (vgl. Abschnitt II.1.2)
– auch als zweischichtige coextrudierte
2.2
1
der K4 bekannt.
4
bundfolie definiert (vgl. Abschnitt II.1.3), die in der K4 angegebenen Schichtdicken
(K4: S. 4, Abs. 1) aber im Bereich derjenigen des Streitpatents liegen (vgl. Streit-
patentschrift: z. B. [0010]), ist die Verbundfolie gemäß Patentanspruch 1 nicht
mehr neu gegenüber der Lehre der K4.
- 18 -
2.2
genüber der K4 als neu anzusehen wäre, so beruht sie gegenüber dieser Druck-
schrift jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die K4 beschreibt für dreischichtige Verbunde (Deckschicht-Zwischenschicht-Trä-
gerschicht) die Herstellung eines Teilverbunds aus Zwischenschicht und Dekor-
schicht durch Kaschieren oder Extrusion der Deckschicht auf eine Zwischen-
schicht-Folie. Die Verbindung der Trägerschicht mit dem Teilverbund erfolgt wie-
derum mittels Extrusionsbeschichtung oder Kaschieren (K4: S. 13, Abs. 3). Ein
Fachmann, der ausgehend von der K4 einen dreischichtigen Verbund herstellt,
wird diesen mittels fachüblicher Herstellungsmethoden fertigen. Zu diesen zählen
neben dem Kaschieren und der Extrusion auch die Coextrusion (vgl. auch K4:
S. 13, Abs. 2 oder S. 14, Abs. 1, Satz 1), weshalb zu den für dreischichtige Ver-
1
2.3
Vorteilhaft ist es gemäß der K4 aber auch, die Trägerschicht selbst mehrschichtig
aufzubauen. Diese enthält dann vorzugsweise eine Schicht aus dem zerkleinerten
und extrudierten Verschnitt, welcher bei der Herstellung der Verbunde anfällt (K4:
2.2
Schicht aus Recyclat für den zweischichtigen Aufbau einer coextrudierten Träger-
schicht (Streitpatentschrift: [0015]). Der Abschnitt zur Herstellung mehrschichtiger
Trägerschichten in der K4 schließt sich im Übrigen unmittelbar an die Herstellung
von Teilverbunden aus Trägerschicht und Zwischenschicht mittels Coextrusion an
(K4: S. 13, Z. 33 bis S. 14, Z. 5 und Z. 9 bis 14). Auch deshalb hat die Herstellung
von coextrudierten mehrschichtigen Trägerschichten nahe gelegen.
3
Anmeldejahr 2001 des Streitpatents wünschenswert. Dem Fachmann war (auch
aus ökologischen Gründen) bereits vorher an der Vermeidung von Polyvinylchlorid
gelegen (vgl. z. B. auch K9: S. 4, Abs. 3).
- 19 -
Das Testverfahren gemäß Merkmalsgruppe 4 ändert dabei nichts an der Ver-
bundfolie selbst, sondern definiert nur, wie die inhärenten Merkmale der jeweiligen
Verbundfolie festgestellt werden können. Da das Testverfahren nichts an den in-
härenten Merkmalen der Verbundfolie selbst ändern kann, kann es auch nicht zur
Neuheit oder zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Im vorliegenden Fall wird der
Fachmann aber die Eigenschaften der Verbundfolie so wählen, dass diese für den
gewünschten Einsatzzweck (hier als Möbelfolie) verwendet werden kann oder op-
timiert ist. Da die Merkmalsgruppe 4 lediglich eine indirekte Schichtdickenangabe
darstellt und diese ebenfalls vor dem Hintergrund der K4 nahe gelegen hat (vgl.
K4: S. 4, Abs. 1), beruht die Verbundfolie gemäß Patentanspruch 1 nach Haupt-
antrag bereits deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Im Übrigen stellt der betreffende Wertebereich maximaler Zugkraft zwischen
4
den Polymere durchaus übliche Größenordnung dar (vgl. z .B. K9: S. 7, Zugfestig-
keiten von etwa 40 bis 50 MPa für ABS mit Polycaprolacton), zumal der Patentan-
spruch 1 nach Hauptantrag für die Deckschicht und Trägerschicht keine Schichtdi-
cken vorgibt. Damit kann eine der beiden Schichtdicken beliebig dünn gewählt
werden, womit sich die maximale Zugkraft im Wesentlichen durch die Zugspan-
nung der jeweiligen Reinkomponente ergibt. Es handelt sich also bei den Werten
4
des Patentanspruchs 1 immanente Parameter. Zur patentrechtlichen Beurteilung
solcher Bemessungs-, Auswahl- oder Einstellungsregeln wird im Übrigen auf die
ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwiesen (vgl. BGH, Be-
schluss vom 11. Juli 1985, X ZB 26/84
– borhaltige Stähle; BGH, Urteil vom
24. März 1998, X ZR 39/95
– Leuchtstoff; BPatG, Urteil vom 14. Dezember 2009,
3 Ni 23/08 (EU)
– Ophthalmische Linse; BGH, Beschluss vom 16. Juni 1998,
X ZB 3/97
– Alpinski).
Die Ausgestaltung und Wahl der geeigneten Messmethode, und damit die Be-
stimmung von Eigenschaftsmerkmalen, um die Verbundfolie für den gewünschten
Einsatzzweck verwenden zu können, stellt zudem fachübliches Handeln dar,
- 20 -
selbst wenn diese Messmethode von der üblichen Ausgestaltung (insbesondere
bezüglich des Temperaturbereichs) abweichen mag. Zur Bestimmung der mecha-
nischen Zugeigenschaften lag es zudem nahe, auf die dem Fachmann allgemein
bekannten DIN-Vorschriften (D1B, D2B, D1K, D2K, K10) zur Auswahl geeigneter
Messmethoden zurückzugreifen. In Anbetracht der darin genannten Zugeigen-
schaften, gehörte es zum fachüblichen Handeln, unter anderem auch die Zugfes-
tigkeit σ
M
, d.
h. die der streitpatentgemäßen „maximalen Zugkraft“ proportionale
Maximalspannung, zu bestimmen und einen geeigneten Wert bei einem der Ver-
arbeitungstemperatur entsprechenden Temperaturbereich festzulegen. Konse-
quenterweise würde ein darauf abgestimmtes Testverfahren bei Temperaturen
durchgeführt werden, die im Bereich der Verarbeitungstemperatur liegen. Einen
„untypischen Zugversuch“, wie die Beklagte ihn bezeichnet, vermag der Senat da-
rin nicht zu sehen.
Im Ergebnis gelangt ein Fachmann ausgehend von polyvinylchlorid- und polyolef-
infreien Verbundfolien der K4, ohne erfinderisch tätig zu werden, zu solchen Ver-
4
zumal die K4 bereits auf das Zug-E-Modul als bedeutsame mechanische Eigen-
schaft der beschriebenen Verbunde verweist (K4: S. 7, Abs. 2).
2.3
Streitpatent zum Stand der Technik genannten EP 0 987 102 A2 (StdT3).
Die StdT3 beschreibt mehrschichtige thermoverformbare Möbel-Kunststoffver-
1
100 bis 500 µm dicke Polyolefin- oder polyolefinhaltige Unterschicht oder Unterfo-
2
Die StdT3 nennt als Aufgabe, eine verbesserte Kunststoffverbundfolie für Möbel
zu erzielen, welche eine gute Thermoverformbarkeit schon bei niedrigen Tempe-
raturen (100 °C) und ein wesentlich erweitertes Verarbeitungsfenster (90 bis
130 °C) aufweist. Zusätzlich sollte die Folie verbesserte Oberflächeneigenschaften
- 21 -
(Kratzfestigkeit, Chemikalienbeständigkeit) sowie gute Haftungseigenschaften auf
Holzwerkstoffen, Holzteilen, auf Gipskarton oder Metall besitzen (StdT3: [0004]).
Diese Aufgabe wird nach Absatz [0005] gelöst durch eine Verbundfolie, welche
mindestens eine Polyolefin- oder polyolefinhaltige Unterschicht (2) enthält, min-
destens eine Zwischenschicht als Haftschicht (3, 9) und darüber mindestens eine
polyesterhaltige ein- oder mehrschichtige Schicht (5 und/oder 6). Als Abschluss ist
eine Lackschicht (8) angeordnet (StdT3: [0007]), welche auch als Schutzschicht
bezeichnet wird (StdT3: [0036]).
2.4
des Streitpatents dar, auch wenn gemäß dem Streitpatent die Deckschicht mehr-
schichtig aufgebaut sein kann und dann zusammen mit einer Schicht aus amor-
phem Polyester als Deckschicht bezeichnet wird. Die polyesterhaltige Schicht 5
und/oder 6 der StdT3 ist bei der gebotenen funktionellen Auslegung zur Träger-
schicht im Sinne des Streitpatents zu rechnen. Denn in der StdT3 werden z. B.
gemäß dem Beispiel 1 die Schichten 2 (Polyolefin-Unterschicht), 9 (Haftschicht), 5
(amorpher Polyester), 6 (teilkristalliner Polyester) und 5 (amorpher Polyester) so-
wie gemäß dem Beispiel 2 die Schichten 2 (Polyolefin-Unterschicht), 9 (Haft-
schicht) und 6 (teilkristalliner Polyester) coextrudiert, weshalb die polyesterhaltige
Schicht der StdT3 zur Unterschicht (Trägerschicht) zählt und damit einen Teilver-
bund als Trägerschicht im Sinne des Streitpatents darstellt. Die Lackschicht der
StdT3 kann im Übrigen neben einem 2-Komponenten PUR-Lack (StdT3: Bei-
spiele 1 und 5) ein Acrylat-Polymer aufweisen (StdT3: Beispiele 2, 3, 4 und 6),
ähnlich wie die Deckschicht des Streitpatents, welche PMMA oder schlagzähmo-
difiziertes PMMA aufweist (Streitpatentschrift: [0018] i. V. m. [0051], Schicht 1).
Die polyolefinhaltige(n) Unterschicht(en) der StdT3 werden extrudiert und/oder
coextrudiert oder kalandriert (StdT3: [0033]). Die Vereinigung der polyesterhalti-
gen Schichten mit der polyolefinhaltigen Unterschicht erfolgt durch kaschieren
und/oder Prägen oder durch Mehrschichtextrusion (StdT3: [0033]). Dementspre-
chend wird in den Beispielen 1 und 2 der Schichtverbund aus polyolefinhaltiger
- 22 -
Schicht und polyesterhaltiger Schicht coextrudiert und anschließend lackiert (vgl.
StdT3: [0041], V1 und V2 sowie [0042] und [0043]). Damit stellt die Coextrusion im
2.3
Handlungsweise dar. Die Unterschicht der StdT3 zusammen mit der polyesterhal-
2.1c
2.2
1
StdT3 bekannt. Die Verbundfolie der StdT3 unterscheidet sich in stofflicher Hin-
3
polyolefinfrei ist.
Die Verarbeitungseigenschaften der Verbundfolien gemäß StdT3 und gemäß
Streitpatent sollen identisch sein, nämlich eine gute Thermoverformbarkeit schon
bei niedrigen Temperaturen (100 °C) und ein Verarbeitungsfenster von 90 bis
120 °C aufweisen (K1: [0005] // StdT3: [0004]). Zur Bestimmung des geeigneten
Verarbeitungsfensters führt das Streitpatent Zugversuche durch (Merkmals-
4
die Zuggeschwindigkeit im Zugversuch sowie die Temperatur des Probekörpers
4
selbst sind (s. o.), verbleiben als die Verbundfolie selbst charakterisierende Merk-
male allein deren Aufbau und Dicke, insbesondere das Material der einzelnen
Schichten und deren Dicke. Die Dicke wird der Fachmann aber so wählen, dass
die Folie geeignet verarbeitet werden kann. Eine erfinderische Tätigkeit lässt sich
damit nicht begründen.
Ausgehend von der identischen Aufgabe der StdT3 stellt sich der Gegenstand von
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lediglich als eine Umgehungslösung dar,
weshalb jede nicht polyolefinhaltige und aus ökologischen Gründen nicht polyvi-
3
langt, also auch aus dem Stand der Technik bekannte mehrschichtige coextru-
dierte Trägerschichten. Solche Trägerschichten, z. B. aus Styrolpolymerisat (K4:
- 23 -
2.1b
der Basis von Polycarbonat oder schlagzähem PMMA zusammen mit ABS (K6:
2.1a
auch als zusätzlicher Vorteil, da
– wie von der Beklagten schriftsätzlich ausgeführt
– Polyolefine teuer und schlecht haltbar sind sowie zur Delamination neigen. Dies
gilt insbesondere für die Coextrusion styrolhaltiger Polymere mit Polyolefinen (vgl.
K8: S. 49, Tabelle; die Haftung zwischen Styrolen und Polyolefinen wird als P
(= poor) bezeichnet). Ausgehend von der StdT3 ist es damit auch aus Gründen
der Wirtschaftlichkeit und/oder Haltbarkeit geboten, von Polyolefinen abzusehen.
III.
Das Streitpatent hat auch in der Fassung der insgesamt vier Hilfsanträge keinen
Bestand.
1.
Durch die Hilfsanträge I bis IV ergeben sich gegenüber Patentanspruch 1
nach Hauptantrag Änderungen bzw. Ergänzungen, welche kursiv gesetzt sind. Mit
der hochgestellten Ziffer wird angegeben, ab welchem Hilfsantrag das Merkmal in
die Fassung des Patentanspruchs aufgenommen ist.
1.1
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I ergänzt die Verbundfolie von Pa-
tentanspruch 1 nach Hauptantrag mit einem Merkmal betreffend ihre Schichtdicke,
1
1
Mehrschichtige Verbundfolie,
1.1
insbesondere Möbelfolie,
,
1.2
1
2.4.1
2
. Die gegenüber dem Haupt-
antrag geänderten Merkmale lauten:
- 24 -
1
Mehrschichtige Verbundfolie,
1.1
insbesondere Möbelfolie,
,
2.2
die Trägerschicht (2, 3, 5, 10, 11, 12) ist mindestens
zweischichtig,
2.3
ein Coextrudat,
2.4
unter einer Deckschicht (1, 6, 7, 8, 9) angeordnet,
;
1.3
1
2.5
3
. Die gegenüber dem Hauptan-
trag geänderten Merkmale lauten:
1
Mehrschichtige Verbundfolie,
1.1
insbesondere Möbelfolie,
,
2.2
die Trägerschicht (2, 3, 5, 10, 11, 12) ist mindestens
zweischichtig,
2.3
ein Coextrudat,
2.4
unter einer Deckschicht (1, 6, 7, 8, 9) angeordnet,
;
1.4
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag IV nimmt alle zusätzlichen Merk-
male der Hilfsanträge 1 bis 3 auf. Die gegenüber dem Hauptantrag geänderten
Merkmale lauten:
1
Mehrschichtige Verbundfolie,
1.1
insbesondere Möbelfolie,
- 25 -
,
2.2
die Trägerschicht (2, 3, 5, 10, 11, 12) ist mindestens
zweischichtig,
2.3
ein Coextrudat,
2.4
unter einer Deckschicht (1, 6, 7, 8, 9) angeordnet,
,
;
2.
Die Hilfsanträge I und II sind zulässig. Die Hilfsanträge III und IV sind im Hin-
2.5
3
, wonach die Deckschicht und Trägerschicht ohne Primer-
schicht unmittelbar miteinander verbunden sind, nicht zulässig.
2.5
3
zwar nicht wörtlich offen-
bart, es soll sich aber aus dem Kontext der Beschreibung, insbesondere in Ver-
bindung mit den Figuren 2 und 3 ergeben, welche solche Ausführungsformen
zeigten. Aus Sicht des Senats fehlt jedoch in der gesamten Anmeldung eine Defi-
nition, was bei einer beliebigen Verbundfolie Deckschicht und was Trägerschicht
sein soll. Damit sind diese Begriffe entsprechend breit auszulegen. So können
zum Beispiel in der Figur 4 die Schichten 2 und 3 als Trägerschicht und die
Schichten 6, 7 und 8 als Deckschicht angesehen werden. Die in Figur 4 mit Bz. 9
benannte Schicht kann dann sowohl zur Deckschicht als auch zur Trägerschicht
2.5
3
Deck- und Träger-
schichten verbindende Primerschicht sein, wie sie auch im Streitpatent benannt
ist (K1: [0061]). Dem steht nicht entgegen, dass das Streitpatent diesen vier-
schichtigen Aufbau aus den Schichten 6, 7, 8 und 9 dann als mehrschichtige
Deckschicht bezeichnet (vgl. K1: [0026] mit [0061]). Eine zur Erfindung des Streit-
patents gehörende, eine eigenständige erfinderische Leistung begründende An-
weisung, wonach die Deckschicht und Trägerschicht ohne Primerschicht unmittel-
bar miteinander verbunden sind, konnte der Fachmann daher dem Streitpatent
- 26 -
2.5
3
ist daher als nicht ursprünglich offenbart an-
zusehen.
3.1
Druckschrift K4 nicht mehr neu. Gemäß der K4 beträgt die Dicke der Deckschicht
50 bis 500 µm, die der Trägerschicht mehr als ca. 500 µm. Daraus ergibt sich eine
Gesamtschichtdicke von mindestens 550 µm, welche im Bereich des Merk-
1.2
1
liegt.
Darüber hinaus wird der Fachmann die Dicke der Verbundfolie so wählen, dass
sie geeignet verarbeitet werden kann. Eine erfinderische Tätigkeit lässt sich damit
nicht begründen. Ausgehend von der Druckschrift StdT3 beruht der Gegenstand
von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I daher auch nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit.
3.2
der K4 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Das Verhältnis zwischen der Stärke der Deckschicht und der Gesamtstärke der
2.4.1
2
liegt ebenfalls in einem fachüblichen Bereich.
So hat die Trägerschicht gemäß Beispiel 2 der K4 eine Deckschicht aus Polyb-
utylenterephthalat (einem Polyester) mit einer Stärke von 100 µm. Wird die Haft-
vermittlerfolie mit 50 µm Dicke zur Deckschicht hinzugerechnet, ergibt sich eine
Deckschicht von 150 µm. Die Trägerschicht selbst weist eine Dicke von 3500 µm
aus, womit sich eine Gesamtdicke von 3650 µm ergibt. Die Deckschicht hat dann
eine Stärke von etwa 4 % des Gesamtverbundes, was im Bereich des Merk-
2.4.1
2
liegt.
3.3
3
ursprünglich als zur Erfindung gehörig
offenbart wäre und die Hilfsanträge III und IV damit zulässig wären, so ergäben
sich z. B. aus der K4 Schichtfolgen, in denen eine Trägerschicht unmittelbar an
- 27 -
eine Deckschicht angrenzt, so dass auch mit diesem Merkmal eine erfinderische
Tätigkeit nicht begründet werden könnte.
In der K4 ist z. B. im Falle eines dreischichtigen Verbundes der als mehrschichtige
Trägerschicht im Sinne des Streitpatents zu verstehende Teilverbund aus Träger-
schicht und Zwischenschicht mit der Deckschicht verbunden, ohne dass eine
weitere Zwischenschicht, insbesondere eine weitere Primerschicht vorgesehen ist.
(K4: S. 13, Abs. 3). Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag III
und IV hätte deshalb auch mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.
4.
Da die Patentanspruchssätze gemäß Haupt- und Hilfsanträgen jeweils als in
sich geschlossene Einheit zu verstehen sind, braucht auf die Unteransprüche der
Hilfsanträge nicht weiter eingegangen zu werden. Für eine abweichende Beurtei-
lung der Patentfähigkeit des Gegenstands der untergeordneten Patentansprüche
ist von der Beklagten weder etwas geltend gemacht noch sonst aufgrund des fest-
gestellten Sachverhalts erkennbar (vgl. BGH v. 12.12.2006
– X ZR 131/02,
GRUR 2007, 309 Rn. 42
– Schussfädentransport; v. 29.09.2011 – X ZR 109/08,
GRUR 2012, 149 Rn. 96
– Sensoranordnung). Im Übrigen ist der jeweilige Pa-
tentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag III und IV nicht zulässig (s. o.), so dass auch die
auf ihn rückbezogenen Unteransprüche nicht zulässig sind.
5.
Bei dieser Sachlage kam es auf die von der Klägerin im Schriftsatz vom
16. Juni 2015 erstmals aufgeworfene Frage der Ausführbarkeit der beanspruchten
Erfindung nicht mehr an. Die Frage, ob insoweit eine zulässige Klageerweiterung
vorliegt, kann daher dahingestellt bleiben.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
- 28 -
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
V.
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Die Berufungsschrift muss von einer in der Bundesrepublik Deutschland zugelas-
senen Rechtsanwältin oder Patentanwältin oder von einem in der Bundesrepublik
Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder Patentanwalt unterzeichnet und in-
nerhalb eines Monats beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133
Karlsruhe eingereicht werden. Die Berufungsfrist beginnt mit der Zustellung des in
vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf
Monaten nach der Verkündung.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung
gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung
eingelegt werde.
Vors. Richter
Schramm ist
wegen
Ur-
laub an der
Unterschrift
verhindert.
Dr. Egerer
Dr. Egerer
Kätker
Dr. Wismeth
Dr. Freudenreich
Pr