Urteil des BPatG vom 04.06.2014

Verwechslungsgefahr, Bestandteil, Verkehr, Kennzeichnungskraft

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
26 W (pat) 520/13
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 30 2011 046 007
- 2 -
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der
Sitzung vom 4. Juni 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-
Wissemann sowie der Richter Reker und Dr. Himmelmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Der Markeninhaber hat am 22. August
2011 beantragt, die Wortmarke „BETTY-
BAG“ für die Waren der Klassen
18 (Lederwaren),
24 (Webstoffe/Textilwaren) und
28 (Sportartikel)
in das Register einzutragen.
Mit Verfügung vom 14. September 2011 hat die Markenstelle für Klasse 18 des
Deutschen Patent- und Markenamts zugunsten des Markeninhabers die genannte
Wortmarke für die angemeldeten Waren in das Register eingetragen.
Hiergegen hat die Widersprechende mit am 22. Dezember 2011 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingegangenen Schreiben Widerspruch aus den drei
nachstehenden Widerspruchsmarken erhoben. Die Widersprechende hat ihre Wi-
dersprüche jeweils auf die Waren der Klassen 18 und 24 gestützt. Ihre Widersprü-
che richten sich gegen die Waren der Klassen 18 und 24 der angegriffenen Marke.
- 3 -
1.
Wortmarke EM 009 476
425 „Betty Barclay“, eingetragen für die Waren der
Klassen
3 (Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und
Schönheitspflege, Haarwässer),
9 (Blendschutzbrillen, Brillen, Brillenetuis, Brillenfassungen, Brillenge-
stelle, Brillengläser, Ferngläser, Fotoapparate, Kneifer, Kneiferetuis,
Kneiferfassungen, Kneiferkettchen, Kneiferschnüre, Kontaktlinsen,
Kontaktlinsenetuis, Magnetdatenträger, Mobiltelefone, Sonnenbrillen
sowie Sportbrillen),
14 (Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder
damit plattierte Waren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten
sind; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine; Uhren und Zeitmess-
instrumente),
18 (Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in
anderen Klassen enthalten sind; Reise- und Handkoffer; Regenschirme,
Sonnenschirme und Spazierstöcke),
24 (Webstoffe und Textilwaren, soweit sie nicht in anderen Klassen ent-
halten sind; Bett- und Tischdecken) und
25 (Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen).
2.
Wort-/Bildmarke EM 005 705 405
,
eingetragen für die Waren der Klassen
3 (Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleif-
mittel; Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und
Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel),
9 (Wissenschaftliche, Schifffahrts-, Vermessungs-, fotographische,
Film-, optische, Wäge-, Mess-, Signal-, Kontroll-, Rettungs- und Unter-
richtsapparate und -instrumente; Apparate und Instrumente zur Vertei-
lung, Umwandlung, Speicherung, Regelung und Steuerung von elektri-
schem Strom; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe
von Ton und Bild; Magnetaufzeichnungsträger, Schallplatten; Verkaufs-
automaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Registrierkas-
sen, Rechenmaschinen, Datenverarbeitungsgeräte und Computer;
Feuerlöschgeräte),
14 (Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder
damit plattierte Waren, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten
sind; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine; Uhren und Zeitmess-
instrumente),
18 (Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in
anderen Klassen enthalten sind; Häute und Felle; Reise- und Handkof-
- 4 -
fer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen,
Pferdegeschirre und Sattlerwaren),
24 (Webstoffe und Textilwaren, soweit sie nicht in anderen Klassen ent-
halten sind; Bett- und Tischdecken) und
25 (Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen).
3.
Wort-/Bildmarke DE 302 24 271
,
eingetragen für die Waren „Seifen; Parfümeriewaren, ätherische Öle, Mittel
zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Edelmetalle und deren Le-
gierungen sowie daraus hergestellte oder damit platinierte Waren, nämlich
kunstgewerbliche Gegenstände, Ziergegenstände; Juwelierwaren, Schmuck-
waren, Edelsteine; Uhren und Zeitmessinstrumente; Leder und Lederimita-
tionen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle;
Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke;
Webstoffe und Textilwaren, soweit in Klasse 24 enthalten; Bett- und Tisch-
decken; Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbed
eckungen“.
Zur Begründung hat die Widersprechende vorgetragen, zwischen der angegriffe-
nen Marke und den Widerspruchsmarken bestünde Verwechslungsgefahr i. S. d.
§ 9 Abs. 1 MarkenG. Den Widerspruchsmarken käme erhöhte Kennzeichnungs-
kraft zu. Zwischen den Widerspruchsmarken und der angegriffenen Marke be-
stehe zudem hochgradige Ähnlichkeit, jedenfalls die Gefahr, dass die angegriffene
Marke mit den Widerspruchsmarken gedanklich in Verbindung gebracht werden
könnte.
Die Markenstelle für Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit
Beschluss vom 11. März 2013 die Widersprüche aus den Widerspruchsmarken
zurückgewiesen, weil zwischen den Vergleichsmarken trotz der Identität der Wa-
ren der Klassen 18 und 24 keine Gefahr der Verwechslung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2
MarkenG bestehe. Zur Begründung hat die Markenstelle erklärt, es müsse von ei-
ner durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken ausgegan-
gen werden. Die Widersprechende habe die erhöhte Kennzeichnungskraft der Wi-
derspruchsmarken auf Lizenzen für die Benutzung der jeweiligen Marke für Web-
- 5 -
stoffe und Textilwaren und auf Umsätze gestützt, die sie mit jährlich rund
210 Mio.
€ beziffert habe. Es sei aber unklar, für welche Waren diese Umsatz-
zahlen gelten würden, ob für „Webstoffe und Textilwaren“ oder für die ebenfalls
von der Widersprechenden erwähnte „Damenoberbekleidung“ (Klasse 25), auf die
sich die Widersprüche aber nicht stützen würden. Diese Angaben seien unklar und
allein als Beleg nicht ausreichend. Es würden beispielsweise zu den Umsätzen in
Relation zu setzende Absatzzahlen sowie Angaben über Marktanteile dieser Wa-
ren im Vergleich zu denen der Mitbewerber und die eingesetzten Werbemittel
fehlen. Die Widersprechende habe zwar Internetausdrucke mit Handtaschen vor-
gelegt. Diese würden zwar zumindest bei zwei abgebildeten Exemplaren den
Schriftzug „Betty Barclay“ gut lesbar enthalten. Als alleiniger Nachweis für eine er-
höhte Kennzeichnungskraft komme dies aber nicht ernsthaft in Frage. In visueller
und schriftbildlicher Hinsicht bestünden zwischen der angegriffenen und den Wi-
derspruchsmarken keine Ähnlichkeiten. Zwar würden beide Marken den Bestand-
teil „Betty“ an erster Stelle enthalten. Doch seien die beiden Marken vom visuellen
Eindruck her in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Diese Betrachtung bräche nicht
automatisch unwillkürlich nach dem Namen „Betty“ ab. Bei der angegriffenen
Marke komme noch die dritte Silbe „bag“ hinzu, verlängere also optisch die
eingliedrige Marke noch um drei Buchstaben. Die Widerspruchsmarken bestünden
aus zwei Wörtern, was in der Gesamtheit einen völlig verschiedenen optischen
Eindruck ergebe. Sie seien dadurch schriftbildlich sehr viel umfangreicher. Bei den
Wort-/Bildmarken trete hinzu, dass zwischen der angegriffenen und den Wider-
spruchsmarken keine nennenswerte Ähnlichkeit durch die graphische Gestaltung
der Widerspruchsmarken, die in einer bestimmten Schriftart gehalten seien, be-
stünde. Der Verkehr messe bei Wort-/Bildzeichen in der Regel den Wortbestand-
teilen prägende Bedeutung zu. Eine Mitprägung durch den Bildbestandteil könne
nur angenommen werden, wenn dieser eine Marke derartig beherrsche, dass das
Wort kaum mehr beachtet würde, wovon vorliegend nicht auszugehen sei. Auch
klanglich sei keine Verwechslungsgefahr zu befürchten. Zwar seien die beiden je-
weiligen ersten Silben „Betty“ von identischem Klang. Doch würden sich die fol-
genden Silben hinsichtlich Länge, Betonung und Vokalfolge deutlich genug unter-
- 6 -
scheiden, um auch insoweit eine Verwechslungsgefahr ausschließen zu können.
Wenn die Widersprechende den Schutzumfang ihrer Marken durch den Bestand-
teil „Betty“ der angegriffenen Marke beeinträchtigt sähe, sei Voraussetzung für
eine Verwechslungsgefahr, dass dieser Bestandteil die jüngere Marke präge.
Selbst bei Anwendung der nur für mehrteilige Kombinationsmarken geltenden
Prägetheorie, sei vorliegend eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zu verneinen.
Es seien keine Gründe ersichtlich, die das Publikum veranlassen könnten, in der
als Gesamtheit zu verstehenden Kombination „BETTYBAG“ nach einem den Ge-
samteindruck prägenden Einzelelement zu suchen. Der Verkehr bringe der Ge-
samtwortfolge „BETTYBAG“ Interesse entgegen, weshalb eine unmittelbare Mar-
kenkollision auszuschließen sei. Auch eine mittelbare Verletzungsgefahr bestehe
nicht, weil nicht ersichtlich sei, dass die Widersprechende bereits mit einer Serie
von Marken aufgetreten sei, die das in den Vergleichsmarken übereinstimmende
Element „Betty“ als Stammbestandteil enthalten würde. Eine ausschließliche Ver-
wendung des Vornamens „Betty“ im Modebereich und im Zusammenhang mit den
Marken der Widersprechenden sei nicht erkennbar. Auch sonst habe der Verbrau-
cher keine Veranlassung, aus der Marke „BETTYBAG“ auf eine Verbindung zur
Inhaberin der Widerspruchsmarken zu schließen. Dazu trete der Wortbestandteil
„Betty“ im Gesamteindruck des angegriffenen eingliedrigen Zeichens nicht ausrei-
chend genug hervor.
Die Widersprechende hat mit Schriftsatz vom 17. April 2013 gegen den Beschluss
der Markenstelle für Klasse 18 vom 11. März 2013 Beschwerde eingelegt und zur
Begründung vorgetragen, die Inhaberin der Widerspruchsmarken habe im Jahr
2000 der B
… GmbH & Co. KG in P… Lizenzen für die Verwendung
der Widerspruchsmarken für Damenhandtaschen, Geldbörsen, Etuis etc., d. h. für
alle Lederwaren-Accessoires erteilt. Die Boschagroup habe mit dem Verkauf allein
von Handtaschen unter der Kennzeichnung „Betty Barclay“ einen Umsatz von ca.
… € pro Jahr erwirtschaftet. Unterstelle man eine marktübliche Aufschlagskal-
kulation von 160
%, betrage der Umsatz mit „Betty Barclay“-Handtaschen im Ein-
zelhandel ca.
… € pro Jahr. Eine zuverlässige Aussage über den Marktanteil
- 7 -
der „Betty Barclay“-Damenhandtaschen ließe sich nur annäherungsweise machen.
Der Markt „Lederwaren/Accessoires“ zu Endverbraucherpreisen belaufe sich laut
dem Institut für Handelsforschung in Köln auf ca.
… €, wobei von den rele-
vanten Artikelgruppen auf Damentaschen ca.
… % entfallen würden, so dass sich
für Handtaschen ein Marktvolumen von ca.
… € pro Jahr ergeben würde.
Hiervon entfalle ein Umsatzanteil von ca.
… € (Endverbraucherpreis) auf
„Betty Barclay“-Handtaschen, d.h. ca. „… %“. Nach der „Imageanalyse Fashion
Bag 2012“ der „TextilWirtschaft“ würde „Betty Barclay“ zu den bedeutendsten
Marken auf dem aktuellen Damenhandtaschenmarkt, insbesondere im Lederwa-
renfacheinzelhandel zählen. Zwischen der angegriffenen Marke „BETTYBAG“ und
den Widerspruchsmarken „Betty Barclay“ bestehe kein Abstand. Das Zeichen
„BETTYBAG“ werde namentlich bei Verwendung für Damenhandtaschen als Zu-
sammensetzung aus „BETTY“ und „BAG“ verstanden, also aus einem Vornamen
und aus einer beschreibenden Angabe. Denn „BAG“ verstehe der Durchschnitts-
verbraucher als Synonym für Handtasche oder Einkaufstasche, jedenfalls als
einen beschreibenden Bestandteil. Geprägt werde die Anmeldemarke von dem
Zeichenbestandteil „BETTY“. Die betroffenen Verkehrskreise würden mit „Betty“
ohne weiteres im Segment der Damenhandtaschen „Betty Barclay“ assoziieren.
Daher bestehe zumindest eine mittelbare Verwechslungsgefahr, weil der Durch-
schnittsverbraucher vermuten würde, dass es sich um eine Linie von „Betty
Barclay“-Handtaschen handeln würde. Für die Waren „Webstoffe und Textilien“
gelte da
sselbe. Der Anteil von Nichtlederwaren im Sortiment von „Betty Barclay“
betrage nahezu
… %, wobei allerdings ein erheblicher Teil aus Damenoberbeklei-
dung bestehe.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß, den Beschluss der Markenstelle für
die Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts von 11. März 2013 aufzu-
heben und die angegriffene Marke zu löschen.
Der Beschwerdegegner hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
- 8 -
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, weil zwischen der angegriffenen
Marke und den Widerspruchsmarken keine Verwechslungsgefahr besteht. Die
Markenstelle für die Klasse 18 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die
Widersprüche der Beschwerdeführerin zu Recht zurückgewiesen.
1.
Zulässigkeit der Beschwerde
a)
§ 66 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 MarkenG
Die Beschwerde ist nach § 66 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 MarkenG zulässig, weil
die Widersprechende gegen den ihr am 19. März 2013 zugestellten Beschluss der
Markenstelle für Klasse 18 vom 11. März 2013 am 17. April 2013 gegenüber dem
Deutschen Patent- und Markenamt schriftlich Beschwerde eingelegt hat.
b)
§ 82 Abs. 1 S. 3 MarkenG i. V. m. Nr. § 6 Abs. 2 PatKostG
Die Beschwerde der Widersprechenden gegen den Zurückweisungsbeschluss der
Markenstelle für Klasse 18 vom 11. März 2013, die sich auf drei Widerspruchs-
marken stützt, und für die die Widersprechende eine Beschwerdegebühr i. H. v.
200
€ gezahlt hat, gilt nicht nach § 82 Abs. 1 S. 3 MarkenG in Verbindung mit § 6
Abs. 2 PatKostG als (teilweise) zurückgenommen.
Nach § 82 Abs. 1 S. 3 MarkenG i. V. m. Nr. 401 300 Gebührenverzeichnis zu § 2
Abs. 1 PatKostG ist regelmäßig für jede Beschwerde eine Beschwerdegebühr zu
entrichten. Für mehrere Beschwerden sind deshalb grundsätzlich auch mehrere
Gebühren zu zahlen. Hat ein Widersprechender aus mehreren Marken Widersprü-
che gegen eine Marke erhoben, die
– wie hier – alle mit einem Beschluss zurück-
gewiesen worden sind, ist indes nur eine Beschwerdegebühr zu zahlen, weil nur
ein Verfahrensbeteiligter einen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts
anficht (, in: Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Auflage 2012, § 66 Rn. 47;
, in: HK-Markenrecht, 2. Auflage 2008, § 66 Rn. 5).
- 9 -
2.
Unmittelbare Verwechslungsgefahr, § 9 Abs. 1 Nr. 2 HS. 1 MarkenG
Zwischen der angegriffenen und den Widerspruchsmarken besteht keine unmittel-
bare Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 HS. 1 MarkenG.
a)
Ähnlichkeit der Waren
Zwischen den für die angegriffene Marke eingetragenen Waren der Klasse 18
(Lederwaren) und der Klasse 24 (Webstoffe/Textilwaren) und den für die Wider-
spruchsmarken eingetragenen Waren der Klassen 18 (u. a. Leder und Lederimita-
tionen sowie Waren daraus) und 24 (u. a. Webstoffe und Textilwaren) besteht
Identität.
b)
Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken
Den Widerspruchsmarken kommt nicht mehr als durchschnittliche Kennzeich-
nungskraft und damit ein normaler Schutzumfang zu, weil sie von Hause aus un-
abhängig von ihrer Benutzung im Markt normal unterscheidungskräftig und unein-
geschränkt geeignet sind, die hier relevanten Waren ihrer betrieblichen Herkunft
nach zu individualisieren. Konkrete Anhaltspunkte, die für eine hohe oder für eine
geringe Kennzeichnungskraft sprechen, fehlen vorliegend.
Der Vortrag der insoweit darlegungspflichtigen Widersprechenden (BPatG GRUR
1997, 840, 842 f.
– Lindora/Linola; MarkenR 2001, 106, 107; , in:
Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Auflage 2012, § 9 Rn. 148) genügt nicht, um
eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken begründen zu
können.
Eine gesteigerte Verkehrsbekanntheit kann den Schutzumfang einer Marke er-
weitern. Zur Feststellung der gesteigerten Verkehrsbekanntheit sind im Einzelfall
alle relevanten Umstände zu berücksichtigen. Dazu zählen auch der von der
Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, geographische Verbreitung und Dauer
der Markenverwendung, die dafür aufgewendeten Werbemittel und die dadurch
erreichte Bekanntheit in den beteiligten Verkehrskreisen (BGH GRUR 2003, 1040,
- 10 -
1044
– Kinder; GRUR 2007, 780, 784 Rn. 36 – Pralinenform; GRUR 2007, 1066,
1068 Rn. 33
– Kinderzeit; GRUR 2007, 1071, 1072 Rn. 27 – Kinder II; ,
a. a. O., § 9 Rn. 138 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen in Fußn. 337).
Diese Bekanntheit kann jedoch nicht in jedem Fall ohne weiteres allein aus den
erzielten Umsatzzahlen hergeleitet werden, weil selbst umsatzstarke Marken we-
nig bekannt, wie andererseits Marken mit geringen Umsätzen weithin bekannt sein
können (OLG Köln MarkenR 2007, 126
– Schlaufuchs und Lernfuchs; PAVIS
PROMA
BPatG,
26 W (pat) 23/06
– Grüne
Bierflasche;
BPatG,
29 W (pat) 15/09 - BLUE PANTHER/Panther; , a. a. O., § 9 Rn. 139). Ob-
jektive Statistiken oder demoskopischen Befragungen sowie Angaben über Wer-
beaufwendungen können Schlüsse auf die Verkehrsbekanntheit einer Marke zu-
lassen (BGH GRUR 2002, 544, 547
– BANK 24; GRUR 2010, 1103, 1105 f.
Rn. 33-34
– Pralinenform II; , a. a. O., § 9 Rn. 140 mit weiteren Nachwei-
sen in Fußn. 341).
Die Widersprechende hat nur eigene Schätzungen der von ihr erzielten Umsätze
mitgeteilt und im Übrigen lediglich darauf verwiesen, dass die Widerspruchsmar-
ken „Betty Barclay“ zu den bedeutendsten Marken auf dem Markt für Damen-
handtaschen zählen würden. Eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarken hat sie mit diesem Vortrag nicht bewiesen. Nur am Rande sei er-
wähnt, dass bei einem von der Widersprechenden geschätzten Marktvolumen für
Handtaschen von ca. .
… €, von dem auf „Betty Barclay“-Handtaschen
… € entfallen soll, das Marktvolumen von „Betty Barclay“-Handtaschen gut
… % betragen würde und nicht – wie es die Widersprechende vorgetragen
hat
– „ca. … %“.
c)
Zeichenvergleich und Grad der Zeichenähnlichkeit
Für den Zeichenvergleich ist auf die Marken in Form ihrer jeweiligen Gesamtzei-
chen abzustellen, also auf die angegriffene Marke „BETTYBAG“ und die Wider-
spruchsmarken „Betty Barclay“. Klanglich, bildlich und begrifflich genügt der Ab-
- 11 -
stand zwischen diesen Zeichen, um eine unmittelbare Verwechslungsgefahr aus-
zuschließen.
Hinsichtlich des Grades der Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Zeichen ist
auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Vergleichszeichen dem angespro-
chenen Verkehr, also dem normal informierten und angemessen aufmerksamen
und verständigen Durchschnittsverbraucher vermitteln (EuGH GRUR 2004, 843,
845 Rn. 29
– MATRATZEN; GRUR 2007, 700, 701 Rn. 35 – HABM/Shaker;
GRUR Int. 2010, 129, 132 Rn. 60
– Carbonell/La Espanola; GRUR 2010, 1098,
1099 Rn. 45
– Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2011, 148, 149 Rn. 13 – Goldhase
II; GRUR 2010, 833, 834 Rn. 12
– Malteserkreuz II). Eine künstlich zergliedernde,
analysierende Betrachtungsweise ist zu vermeiden, weil auch eine größere Anzahl
von Übereinstimmungen im Einzelnen nicht notwendig zu einem übereinstimmen-
den Gesamteindruck führen muss. Der Verkehr nimmt eine Marke regelmäßig so
auf, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise
zu unterziehen (EuGH GRUR 1998, 387, 390 Rn. 23
– Sabèl/Puma; GRUR Int.
1999, 734, 735 Rn. 25
– Lloyd; , a. a. O., § 9 Rn. 211, 294 ff. mit weiteren
Rechtsprechungsnachweisen).
Die Widersprechende ist der Auffassung, sowohl die angegriffene Marke als auch
die Widerspruchsmarken würden von dem Zeichenbestandteil „Betty“ geprägt,
weshalb zwischen ihnen die Gefahr unmittelbarer Verwechselung bestünde. Die-
ser Auffassung kann der Senat nicht zustimmen.
Mehrgliedrige Kombinationsmarken sind solche Marken, die mehrere getrennte
Bestandteile aufweisen, wie zum Beispiel mehrere Wörter. Zu den Kombinations-
marken gehören aber auch zusammengefügte Marken, die sich aus sonstigen
Gründen als mehrgliedrig darstellen. Nach der Rechtsprechung des BGH gelten
die Grundsätze für mehrbestandteilige Marken auch für Einwortmarken, aber nur
dann, wenn sie aus mehreren Bestandteilen gebildet sind und der Verkehr auf-
grund besonderer Umstände Veranlassung hat, das zu einem Wort zusammenge-
- 12 -
setzte Zeichen zergliedernd und nicht als einheitliche Bezeichnung aufzufassen.
Dies soll zum Beispiel dann der Fall sein, wenn der Inhaber eines bekannten Zei-
chens dieses mit einer älteren Marke zu einem zusammengesetzten Zeichen
kombiniert (BGH GRUR 2008, 905, 907 f. Rn. 26, 38
– Pantohexal; GRUR 2010,
729, 732 Rn. 35
– MIXI; , a. a. O., § 9 Rn. 296 mit weiteren Rechtspre-
chungsnachweisen).
Anders als in dem Beschluss „Pantohexal“ (BGH, a. a. O.) kommt dem Bestandteil
„BETTY“ in der jüngeren Marke „BETTYBAG“ keine eigenständige kennzeich-
nende Stellung zu. Denn der Bestandteil „BAG“ ist kein dem Verkehr bekanntes
oder für ihn zumindest erkennbares Unternehmenskennzeichen der Markeninha-
berin. Der Verkehr hat insofern keine Veranlassung, den Bestandteil „BETTY“ des
zusammengesetzten Zeichens „BETTYBAG“ abzuspalten und ihm eine selbst-
ständig kennzeichnende Stellung im Gesamtzeichen beizulegen. Besondere Um-
stände, die den Verkehr veranlassen würden, das zu einem Wort zusammenge-
setzte Zeichen „BETTYBAG“ zergliedernd und nicht als einheitliche Bezeichnung
aufzufassen, sind weder von der Widersprechenden vorgetragen noch erkennbar.
Insofern kann bei der angegriffenen Marke der Bestandteil „BAG“ nicht vernach-
lässigt werden, auch wenn er für die für die Marke eingetragenen Waren der Klas-
sen 18 und 24 beschreibend ist. Denn die angegriffene Marke besteht aus der
Alliteration „BETTYBAG“ und gewinnt dadurch eine gewisse Einprägsamkeit. Der
Verkehr wird deshalb hinsichtlich des ohnehin recht kurzen Gesamtzeichens den
Markenbestandteil „BAG“ nicht vernachlässigen, sondern die angegriffene Marke
so wahrnehmen, wie sie ihm entgegentritt.
Bei den Widerspruchsmarken handelt es sich zwar um Kombinationszeichen, weil
sie aus den Wörtern „Betty“ und „Barclay“ zusammengesetzt sind. Insofern ist die
vom BGH entwickelte Prägetheorie (grundlegend GRUR 1976, 353 - COLORBOY)
hier durchaus anwendbar. Doch werden die Widerspruchsmarken „Betty Barclay“
nicht durch den Allerweltsvornamen „Betty“ geprägt, sondern erlangen eine ge-
wisse Einprägsamkeit durch das recht kurze Gesamtzeichen „Betty Barclay“, zu-
- 13 -
mal auch das Gesamtzeichen der Widerspruchsmarken eine Alliteration aufweist.
Der Markenbestandteil „Barclay“ tritt für die angesprochenen Verkehrskreise nicht
in einer Weise zurück, dass er für den Gesamteindruck der Widerspruchsmarken
„Betty Barclay“ vernachlässigt werden könnte.
Insofern stehen sich das angegriffene Zeichen „BETTYBAG“ und die Wider-
spruchsmarken „Betty Barclay“ gegenüber. Die Beurteilung des Gesamteindrucks
getrennt in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht ergibt, dass keine hin-
reichenden Ähnlichkeiten in einer Wahrnehmungsrichtung festzustellen sind, die
eine Verwechslungsgefahr der angegriffenen Marke „BETTYBAG“ mit den Wider-
spruchsmarken „Betty Barclay“ begründen könnte. Der Zeichenabstand zwischen
der angegriffenen und den Widerspruchsmarken ist so groß, dass der Verkehr die
beiden Marken auseinander hält, weshalb zwischen ihnen keine unmittelbare
Verwechslungsgefahr besteht.
3.
Verwechslungsgefahr durch gedankliches Inverbindungbringen,
§ 9 Abs. 1 Nr. 2 HS. 2 MarkenG
a)
Mittelbare Verwechslungsgefahr wegen Benutzung einer Zeichenserie
Die hier maßgebenden Verkehrskreise werten den in den Marken übereinstim-
mend enthaltenen Bestandteil „Betty“ nicht als Stammzeichen des Inhabers der
Widerspruchsmarken, weil sie diesem Markenbestandteil für sich nicht schon die
maßgebliche Herkunftsfunktion beimessen und daher auch nicht die übrigen ab-
weichenden Markenbestandteile („BETTYBAG“, „Betty Barclay“) nur noch als
Kennzeichen für bestimmte Waren aus dem Geschäftsbetrieb des Inhabers der
Widerspruchsmarken ansehen.
Allein der Umstand, dass die angegriffene und die Widerspruchsmarken überein-
stimmende Elemente enthalten, genügt noch nicht zur Annahme einer mittelbaren
Verwechslungsgefahr. Vielmehr muss das übereinstimmende Element auf den
Betrieb des Inhabers der älteren Marke hinweisen (EuGH GRUR 1998, 387, 389
- 14 -
Rn. 18-21
– Sabèl/Puma; GRUR Int. 1999, 734, 736 Rn. 17 – Lloyd; GRUR
Int. 2000, 899, 901 Rn. 34
– Marca/Adidas).
Hieran fehlt es vorliegend. Zweifelhaft ist bereits, ob die Widersprechende im Ver-
kehr bereits mit dem Wortstamm „Betty“ als Bestandteil mehrerer eigener entspre-
chend gebildeter Serienmarken aufgetreten ist.
Gegen eine mittelbare Verwechselungsgefahr sprechen die abweichenden Mar-
kenbestandteile insbesondere dann, wenn sie sich mit dem gemeinsamen Be-
standteil zu eigenen, in sich geschlossenen Gesamtbegriffen verbinden, die von
der Vorstellung wegführen, es handle sich um Serienmarken eines Unternehmens
(BGH GRUR 2009, 484, 488 Rn. 40
– Metrobus; GRUR 2009, 672, 676 f.
Rn. 40 - OSTSEE-POST; , a. a. O., § 9 Rn. 464 mit weiteren Rechtspre-
chungsnachweisen in Fußn. 1120). Vorliegend verschmelzen die übereinstim-
menden Bestandteile „Betty“ mit den jeweiligen weiteren Bestandteilen zu den
Gesamtbe
griffen „BETTYBAG“ und „Betty Barclay“, weshalb eine mittelbare Ver-
letzungsgefahr ausscheidet.
b)
Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne
Besondere Umstände, aufgrund derer der Durchschnittsverbraucher darauf
schließen könnte, dass zwischen den Unternehmen der Markeninhaberin und der
Inhaberin der Widerspruchsmarken Beziehungen geschäftlicher, wirtschaftlicher
oder organisatorischer Art bestehen könnten (BGH GRUR 2004, 779,
783 - Zwilling/Zweibrüder; GRUR 2009, 772, 777 Rn. 69
– Augsburger Puppen-
kiste; GRUR 2009, 1055, 1057 Rn. 37
– airdsl; GRUR 2010, 729, 732
Rn. 43 - MIXI; , a. a. O., § 9 Rn. 471), sind nicht ersichtlich, weshalb eine
Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne ausscheidet.
- 15 -
4.
Kosten des Beschwerdeverfahrens, § 71 Abs. 1 MarkenG
Für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen besteht keine Veranlassung.
Dr. Fuchs-Wissemann
Reker
Dr. Himmelmann
Bb