Urteil des BPatG vom 15.12.2015

Verwechslungsgefahr, Kennzeichnungskraft, Bestandteil, Reinigungsmittel

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
24 W (pat) 88/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
15. Dezember 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 30 2010 074 476
- 2 -
hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die
mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzen-
den Richters Metternich sowie des Richters Schmid und der Richterin am Landge-
richt Lachenmayr-Nikolaou
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Pa-
tent- und Markenamtes vom 6. Oktober 2014 wird aufgehoben.
Wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke EM
009 730 573 wird die Löschung der angegriffenen Marke
30 2010 074 476 angeordnet.
G r ü n d e
I.
Die am 7. Juli 2001 angemeldete nachfolgend abgebildete Wort-/Bildmarke
(Farben: rot, blau, grün, pink)
- 3 -
ist am 1. August 2011 unter der Nummer 30 2010 074 476 für die Waren:
Klasse 3: Reinigungsmittel; mit einem Reinigungsmittel imprägnierte Putztücher
in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister eingetra-
gen worden.
Gegen die Eintragung dieser Marke ist am 2. September 2011 Widerspruch erho-
ben worden aus der am 11. Februar 2011 angemeldeten und am 14. Juli 2011
eingetragenen Wortmarke EM 009 730 573
Lotusan
Die Widerspruchsmarke genießt Schutz für die nachfolgend genannten Waren:
Klasse 01: Chemische Erzeugnisse für gewerbliche oder wissenschaftliche Zwe-
cke; Chemische Erzeugnisse zum Beschichten von Materialien aller
Art; Kunstharze, Silicone, Wasserglas, alle diese Waren nicht zur
Verwendung in Verbindung mit Automobilen.
Klasse 02: Farben, Firnisse, Lacke; Farbanstrichmittel, Grundiermittel, alle diese
Waren mit Ausnahme flüssiger, unpigmentierter und ungefüllter Be-
schichtungsstoffe und nicht zur Verwendung in Verbindung mit Auto-
mobilen.
Klasse 03: Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleif-
mittel; alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit Au-
tomobilen.
Klasse 17: Isolieranstrichmittel, Kunstharzdispersionen; alle diese Waren nicht zur
Verwendung in Verbindung mit Automobilen.
Klasse 19: Baumaterialien (nicht aus Metall); Mörtel, Putze, Kalk, Zement; Spach-
telmassen; alle diese Waren nicht zur Verwendung in Verbindung mit
Automobilen.
- 4 -
Klasse 24: Webstoffe und Textilwaren, auch beschichtet, soweit sie nicht in ande-
ren Klassen enthalten sind; alle diese Waren nicht zur Verwendung in
Verbindung mit Automobilen.
Klasse 27: Teppiche, Fußmatten, Matten, Linoleum und andere Bodenbeläge; Ta-
peten (ausgenommen aus textilem Material); alle diese Waren nicht
zur Verwendung in Verbindung mit Automobilen.
Der Widerspruch wurde eingelegt durch die
… AG in S…. Diese wurde
nach Einlegung der Beschwerde mit Datum vom 26. März 2014 gem. § 190 f.
UmwG in die S
1… & Co. KGaA umgewandelt. Die S1 & Co. KGaA wurde
als Inhaberin der Widerspruchsmarke eingetragen und führt das Beschwerdever-
fahren auf Seiten der Widersprechenden fort.
Die mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 3
des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Erstbeschluss vom
17. Juni 2013 die Löschung der angegriffenen Marke auf den Widerspruch aus der
Marke EM 009 730 573 hin verfügt, da zwischen den Vergleichsmarken in klangli-
cher Hinsicht Verwechslungsgefahr bestehe gem. §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1
Nr. 2 MarkenG. Auf die Erinnerung der Markeninhaberin hin hat die Markenstelle
mit weiterem Beschluss vom 6. Oktober 2014 den Erstbeschluss aufgehoben und
den Widerspruch zurückgewiesen.
Die Erinnerungsprüferin hat zur Begründung ausgeführt, dass sich die Marken
zwar auf identischen Waren begegnen könnten bzw. die Vergleichswaren zumin-
dest in einem sehr engen Ähnlichkeitsbereich lägen und weiter von durchschnittli-
cher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen werden könne.
Die angegriffene Marke halte aber den gebotenen Zeichenabstand ein. Bei der
jüngeren Wort-/Bildmarke messe der Verkehr dem
Wortbestandteil „Mr. Multi Lo-
tusan“ als einfachster und kürzester Bezeichnungsform eine prägende Bedeutung
zu. Die dementsprechend gegenüberzustellenden Bezeichnungen
„Mr. Multi Lo-
tusan“ und „LOTUSAN“ würden sich beim klanglichen Vergleich bereits durch ihre
Wortlänge und die sich hieraus ergebenden Abweichungen bei der Silbenzahl, der
- 5 -
Vokalfolge und dem Sprech- und Betonungsrhythmus ausreichend unterscheiden.
Der vorgenannte Wortbestandteil der jüngeren Marke werde als Gesamtmarke
aufgefasst und nicht seinerseits durch einzelne Elemente
– insbesondere nicht
durch das Element „Lotusan“ – geprägt. In schriftbildlicher Hinsicht scheide eine
Verwechslungsgefahr ebenfalls aufgrund der unterschiedlichen Wortlänge sowie
der typischen Umrisscharakteristik des Bestandteils „Mr. Multi“ der angegriffenen
Marke, der der Widerspruchsmarke fehle, aus. Zudem seien beim schriftbildlichen
Vergleich die graphischen Bestandteile der jüngeren Marke zu berücksichtigen.
Hiergegen wendet sich die Widersprechende mit ihrer Beschwerde.
Sie ist der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der Identität bzw. hochgradi-
gen Ähnlichkeit der Vergleichswaren, einer originär durchschnittlichen, durch lang-
jährige bundesweite Benutzung für Fassadenfarben und Fassadenputze aus Sicht
der Widersprechenden gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke
und einer hochgradigen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen Ver-
wechslungsgefahr zu bejahen sei.
Beim Zeichenvergleich seien die beiden graphischen Elemente der angegriffenen
Marke in Bezug auf den klanglichen Gesamteindruck nicht von Bedeutung, in Be-
zug auf den schriftbildlichen Gesamteindruck würden sie eine nur untergeordnete
Rolle spielen, so dass der Gesamteindruck der angegriffenen Marke sowohl in
visueller als auch in klanglicher Hinsicht durch die Wortzeichenbestandteile „Mr.
Multi“ einerseits und „Lotusan“ andererseits geprägt werde. Dabei trete in der
Wahr
nehmung der angesprochenen Verkehrskreise der Zeichenbestandteil „Mr.
Multi“ hinter den Bestandteil „Lotusan“ zurück, weil es sich bei „Mr. Multi“ um eine
erkennbare Herstellerangabe handele. Diese trete innerhalb der Widerspruchs-
marke als Gesamtzeichen in den Hintergrund, da der Verkehr die Waren zumeist
nicht nach dem Namen des Herstellers unterscheide, sondern seine Aufmerksam-
keit auf die sonstigen Zeichenbestandteile richte. Die Angabe „Mr. Multi“ werde
vom Markeninhaber zur Kennzeichnung verschiedener Produkte in einer Art und
Weise benutzt, dass ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrs-
kreise in diesem Zeichenbestandteil einen wiederkehrenden Hinweis auf einen
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bestimmten Hersteller unterschiedlicher Reinigungsmittel erkenne oder ihn als
Stamm einer Serienmarke auffasse.
Daher sei davon auszugehen, dass die angesprochenen Verkehrskreise dem Zei-
chenbestandteil „Lotusan“ der angegriffenen Marke eine prägende Bedeutung für
deren Gesamteindruck zumessen würden. Zumindest aber sei eine selbstständig
kennzeichnende Stellung des Bestandteils „Lotusan“ anzunehmen.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 des DPMA vom
6. Oktober 2014 aufzuheben und wegen des Widerspruchs aus
der Gemeinschaftsmarke EM 009 730 573 die Löschung der Mar-
ke 30 2010 074 476 anzuordnen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde der Widersprechenden zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass
„Hauptbestandteil“ der angegriffenen Marke die graphi-
schen Elemente sowie
der Begriff „Mr. Multi“ seien. Die von der Widersprechen-
den vertriebenen Produkte für Fassadenfarben und Fassadenputze stünden in
keinem Zusammenhang mit den Reinigungsprodukten, für die die angegriffene
Marke verwendet werde. Die mit den sich gegenüberstehenden Marken gekenn-
zeichneten Waren seien daher in Verkaufsstätten
„nicht einmal in näherer Umge-
bung zu finden
“, eine Verwechslungsgefahr sei aus diesem Grunde nicht gege-
ben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Mar-
kenstelle, die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
- 7 -
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft
sowie form- und fristgerecht eingelegt worden, § 66 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Mar-
kenG. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Zwischen den Vergleichsmarken besteht Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs. 1
Nr. 2 MarkenG i. V. m. § 125 b Nr. 1 MarkenG, so dass der Beschluss der Mar-
kenstelle aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen war,
§§ 43 Abs. 2 Satz 1, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG.
Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger
Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesge-
richtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu
beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933, Tz. 32
– BARBARA
BECKER; GRUR 2010, 1098, Tz. 44
– Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64,
Tz. 9
– Maalox/Melox–GRY; BGH GRUR 2012, 1040, Tz. 25 – pjur/pure; BGH
GRUR
2013,
833,
Tz. 30
– Culinaria/Villa
Culinaria;
Beschl.
vom
9. Juli 2015
- I ZB 16/14
–,
Tz. 7,
BSA/DSA
DEUTSCHE
SPORT-
MANAGEMENTAKADEMIE). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbe-
sondere die Identität oder Ähnlichkeit der Waren, die Identität oder Ähnlichkeit der
Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang
der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen
voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechts-
begriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343,
Tz. 48
- Il Ponte
Finanziaria
Spa/HABM;
BGH
GRUR
2012,
64,
Tz. 9 - Maalox/Melox
–GRY; BGH GRUR 2012, 1040, Tz. 25 – pjur/pure; siehe
auch Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 41 ff. m. w. N.). Dar-
über hinaus können für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren
relevant sein, wie u. a. etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen
Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu
- 8 -
erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrneh-
mung der Kennzeichen.
1. Die Vergleichszeichen können sich auf identischen bzw. weit überdurch-
schnittlich ähnlichen Waren begegnen.
a) Beim Warenvergleich ist auf die Registerlage abzustellen. Ob die Aus-
führungen
des
Markeninhabers
in
seinen
Schriftsätzen
vom
25. Juli 2013 (Bl. 114 Amtsakte), 25. November 2013 (Bl. 122 Amtsakte)
und 19. Februar 2015 (Bl. 32 Gerichtsakte) als Einrede der Nichtbenut-
zung aufzufassen sind, kann dahinstehen, da die Nichtbenutzungsein-
rede zu diesen Zeitpunkten noch nicht wirksam erhoben werden konnte.
Die Widerspruchsmarke wurde am 14. Juli 2011 eingetragen wurde, so
dass die Benutzungsschonfrist gem. § 43 Abs. 1 S. 1, 2 MarkenG
i. V. m. § 125 b Nr. 4 MarkenG bislang nicht abgelaufen ist.
b) Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der im vorliegenden Fall maßgebli-
chen Waren kommt es darauf an, ob diese unter Berücksichtigung aller
erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeich-
nen - insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betriebli-
chen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem
Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeu-
tung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander er-
gänzende Produkte und Leistungen und anderer für die Frage der Ver-
wechslungsgefahr wesentlicher Gründe
– so enge Berührungspunkte
aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könn-
ten, sie stammten aus denselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen
Unternehmen (vgl. z. B. EuGH GRUR 2006, 582, Tz. 85
– VITAFRUIT;
BGH GRUR 2009, 484, Tz. 25 - Metrobus; BGH GRUR 2015, 16, Tz. 16
– ZOOM; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 59
m. w. N.).
- 9 -
Die für die angegriffene Marke
in Klasse 3 eingetragenen „Reinigungs-
mittel“ können mit den für die Widerspruchsmarke ebenfalls in Klasse 3
eingetragenen „Putzmitteln“ identisch sein.
Bei dem Vergleich der weiter für die angegriffene Marke in Klasse 3 ein-
getragenen „mit einem Reinigungsmittel imprägnierte(n) Putztücher“ mit
den für die Widerspruchsmarke in Klasse 24 eingetragenen „Textilwa-
ren,
auch beschichtet“ ist zu berücksichtigen, dass die Waren Überein-
stimmungen in ihrer Beschaffenheit und den verwendeten Stoffen auf-
weisen sowie demselben Verwendungszweck dienen können. Insbe-
sondere kann die Beschichtung der Textilwaren deren besondere Eig-
nung zu Reinigungs- und Putzzwecken begründen.
Ebenso ist im Rahmen des Vergleichs der für die jüngere Marke in
Klasse 3 eingetragenen
„mit einem Reinigungsmittel imprägnierte(n)
Putztücher“ mit den für die ältere Marke ebenfalls in Klasse 3 eingetra-
genen „Putzmitteln“ zu berücksichtigen, dass sich die Vergleichswaren
an dieselben Abnehmerkreise richten und demselben Verwendungs-
zweck dienen können. Die Imprägnierung eines Putztuchs mit einem
Reinigungsmittel stellt gleichsam eine besondere Darreichungsform des
Reinigungs- bzw. Putzmittels dar.
Vor diesem Hintergrund ist zwischen den
„mit einem Reinigungsmittel
imprägnierte(n) Putztücher(n)
“ auf der einen Seite und den „Textilwaren,
auch beschichtet“ sowie den „Putzmitteln“ auf der anderen Seite eine
weit überdurchschnittliche Ähnlichkeit anzunehmen.
2. Die Widerspruchsmarke verfügt über eine durchschnittliche Kennzeich-
nungskraft.
a) Das Z
eichen „Lotusan“ weist als in der deutschen Sprache nicht vorhan-
dener Gesamtbegriff einen eigenschöpferischen Gehalt auf (vgl. BGH
GRUR GRUR 2008, 258, Tz. 24
– INTERCONNECT/T-InterConnect).
Der Umstand, dass die Bezeichnung
„LOTUSAN“ auf einen „Lotusef-
- 10 -
fekt“, mit dem die Selbstreinigungsfähigkeit wasserabweisender Ober-
flächen zum Ausdruck gebracht wird, anspielen könnte, führt nicht zu
einer originären Kennzeichnungsschwäche. Ein beschreibender An-
klang an den Begriff „Lotus“ erschließt sich den angesprochenen Ver-
kehrskreisen nicht ohne mehrere gedankliche Zwischenschritte, da die
sprachübliche Silbenbildung „Lo-tu-san“ und die Betonung der Endsilbe
„san“ den Wortbestandteil „Lotus“ nur noch begrenzt erkennen lassen.
Aufgrund der ausreichenden Verfremdung des Begriffes „Lotus“ in dem
phantasievollen Gesamtbegriff „Lotusan“ werden die angesprochenen
Verkehrskreise die Widerspruchsmarke dementsprechend als Kunstwort
mit originär durchschnittlicher Kennzeichnungskraft auffassen. Auch im
Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die angespro-
chenen Verkehrskreise dem Zeichen „Lotusan“ im konkreten Warenzu-
sammenhang einen beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen, der zu ei-
ner relevanten Schwächung der Kennzeichnungskraft der Wider-
spruchsmarke führen könnte.
b) Die Frage einer durch Benutzung bewirkten Steigerung der Kennzeich-
nungskraft der Widerspruchsmarke, wie sie von der Widersprechenden
geltend gemacht wurde, kann dahingestellt bleiben, da auch bei Zu-
grundelegung durchschnittlicher Kennzeichnungskraft Verwechslungs-
gefahr zu bejahen ist (s. u. Ziff. 4.).
3. Im Rahmen der bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr erforderli-
chen Gesamtabwägung hält die angegriffene Marke mit Blick auf die vor-
genannten Umstände den gebotenen Abstand zur Widerspruchsmarke
nicht ein.
a) Eine für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr relevante Marken-
ähnlichkeit kann in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht
bestehen, wobei es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regel-
- 11 -
mäßig ausreicht, wenn zwischen den jeweiligen Vergleichsmarken nur
in einer dieser Kategorien ausreichende Übereinstimmungen festzustel-
len sind (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 254
m. w. N.). Dabei sind grundsätzlich die Vergleichsmarken als Ganzes
gegenüberzustellen, da der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie
ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden und zergliedernden Be-
trachtungsweise zu unterziehen (Ströbele/Hacker, Markengesetz,
11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 237 m. w. N.).
Dies schließt nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Be-
standteile einer komplexen Marke für den durch die Marke im Gedächt-
nis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamtein-
druck prägend sein können (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042
– THOMSON
LIFE; BGH GRUR 2006, 859, Tz. 18
– Malteserkreuz).
Des Weiteren kann ein Zeichen, das als Bestandteil in eine zusammen-
gesetzte Marke oder eine komplexe Kennzeichnung aufgenommen wird,
eine selbstständig kennzeichnende Stellung haben, ohne dass es das
Erscheinungsbild der zusammengesetzten Marke oder komplexen
Kennzeichnung im vorgenannten Sinne dominiert oder prägt (vgl.
EuGH, GRUR 2005, 1042, Tz. 30
– THOMSON LIFE; BGH GRUR
2009, 772, Tz. 57
– Augsburger Puppenkiste m. w. N.). Bei Identität o-
der relevanter Ähnlichkeit dieses selbstständig kennzeichnenden Be-
standteils mit einer angemeldeten oder eingetragenen Marke mit älte-
rem Zeitrang kann das Vorliegen von Verwechslungsgefahr zu bejahen
sein, weil dadurch bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Ein-
druck hervorgerufen werden kann, dass die fraglichen Waren oder
Dienstleistungen zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen
Unternehmen
stammen
(vgl.
EuGH,
GRUR
2005,
1042,
Tz. 30 - THOMSON LIFE; BGH GRUR 2009, 772, Tz. 57
– Augsburger
Puppenkiste m. w. N.).
- 12 -
b) Vorliegend stellt sich die prioritätsjüngere Wort-/Bildmarke dem ange-
sprochenen Verkehr als ein aus zwei Teilen zusammengesetztes Zei-
chen dar, mit einem oberen, rot(-blau) gestalteten Bereich (mit dem
Wortelement „Mr. Multi®“ und dem Bildelement eines Mannes in einem
gezackten Halbkreis) und dem unteren grün(-blau-pink/violett) gestalte-
ten Bereich (mit
dem Wortelement „Lotusan“ und dem Bildelement eines
Kreises mit einer Blüte).
Die Vergleichszeichen weichen in ihrem Gesamteindruck bildlich, be-
grifflich und klanglich deutlich voneinander ab, so dass eine unmittel-
bare Verwechslungsgefahr bei Berücksichtigung aller Markenbestand-
teile zu verneinen ist. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob
die angegriffene Marke durch den Bestandteil
„Lotusan“ geprägt wird,
da dieser innerhalb der angegriffenen Marke jedenfalls eine selbstän-
dige kollisionsbegründene Stellung einnimmt (s. nachfolgend c)).
c) Im vorliegenden Fall ist Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt des ge-
danklichen In-Verbindung-Bringens der Vergleichszeichen anzunehmen.
Denn d
em Wortbestandteil „Lotusan“ kommt innerhalb der jüngeren
Marke eine selbstständig kennzeichnende Stellung zu.
Es müssen besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, in ei-
nem zusammengesetzten Zeichen einzelne oder mehrere Bestandteile
als selbstständig kennzeichnend anzusehen (BGH GRUR 2013, 833,
Tz. 50
– Culinaria/Villa Culinaria). Dabei spricht für eine selbstständig
kennzeichnende Stellung, wenn der der übernommenen Marke hinzu-
gesetzte andere Bestandteil des jüngeren Zeichens durch das bekannte
oder als solches erkennbare Unternehmenskennzeichen des jüngeren
Markeninhabers
gebildet
wird
(BGH
GRUR
2013,
833,
Tz. 51 - Culinaria/Villa Culinaria) oder es sich bei dem anderen Be-
standteil um eine bekannte Marke bzw. um den bekannten Stammbe-
standteil eines Serienzeichens des Jüngeren handelt (Ströbele/Hacker,
Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 463). Daneben kann dem Ver-
- 13 -
kehr auch durch die äußere Gestaltung der jüngeren Marke, insbeson-
dere die deutlich abgesetzte Darstellung des betreffenden Bestandteils,
eine selbstständig kennzeichnende Stellung nahegebracht werden
(Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9 Rn. 469).
Letzteres ist hier zu bejahen. Denn im vorliegenden Fall sind besonde-
ren Umstände gegeben, die für eine selbstständig kennzeichnende Stel-
lung des Wortbestandteils „LOTUSAN“ der jüngeren Marke sprechen. In
diesem Zusammenhang ist zunächst zu beachten, dass der Zeichenbe-
standteil „Mr. Multi“ gesondert als registrierte Marke mit dem Symbol ®
gekennzeichnet ist. Dies weist darauf hin, dass es sich insoweit um eine
gesondert eingetragene (Stamm-)Marke handeln kann. Unstreitig wird
„Mr. Multi“ vom Markeninhaber auch markenmäßig in Verbindung mit
weiteren Wortelementen verwendet (Bl. 25
VA: „Mr. Multi® Edelstahl-
pflege-
Spray“, „Mr. Multi® Backofen & Grillreiniger“ etc.). Auch wenn der
Bestandteil „Mr. Multi®“ dem angesprochenen Verkehr nicht bereits als
Stammbestandteil eines Serienzeichens bekannt ist, so lässt die konkre-
te Gestaltung
– insbesondere die gesonderte Kennzeichnung des Be-
standteils „Mr. Multi“ mit dem Symbol ® (vgl. zum Hinweischarakter des
Symbols „R im Kreis“ auf eine eingetragene Marke: BGH GRUR 2014,
376, Tz. 24
– Grillmeister) – darauf schließen, dass es sich um eine
Kombination aus Erst- und Zweitmarke handelt und dass der Bestandteil
„Mr. Multi“ auf einen bestimmten Hersteller hinweisen soll. Der ange-
sprochene Verkehr, insbesondere der normal informierte, angemessen
aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher, wird deswe-
gen die eigentliche Produktkennzeichnung in dem Bestandteil „Lotusan“
sehen. Auch die konkrete graphische Ausgestaltung der angegriffenen
Marke ruft ein solches Verständnis hervor: Die Bestandteile des Ge-
samtzeichens sind nicht ineinander verwoben oder eng miteinander
verbunden, vielmehr ist der Zeichenbestandteil
„Mr. Multi®“ räumlich
abgesetzt
– getrennt von dem Wort „Lotusan“ und oberhalb desselben
angeordnet
– sowie in einer deutlich abweichenden und auffälligen
- 14 -
Schrift sowie in einer anderen Farbe als
der Bestandteil „Lotusan“ ge-
halten. Je deutlicher aber die einzelnen Markenteile voneinander abge-
setzt sind, umso näher liegt die Annahme einer selbstständigen Kenn-
zeichnungsfunktion
eines
Einzelelements
(BGH
GRUR
2002,
171 - Malboro-Dach; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl. 2015, § 9
Rn. 469).
4. Unter Berücksichtigung der Identität bzw. weit überdurchschnittlichen Ähn-
lichkeit der sich gegenüberstehenden Waren, einer durchschnittlichen
Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und der klanglichen Über-
einstimmung des Wortbestandteils
„Lotusan“, der innerhalb der jüngeren
Marke eine selbstständig kennzeichnende Stellung einnimmt, mit der älte-
ren Marke ist Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 Mar-
kenG zu bejahen.
5. Eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen auf einen der Beteiligten ist
nicht veranlasst, § 71 Abs. 1 MarkenG.
III.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
- 15 -
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
oder in elektronischer Form einzulegen.
Metternich
Schmid
Lachenmayr-Nikolaou
Bb