Urteil des BPatG vom 10.02.2015

Stand der Technik, Chip, Fig, Neuheit

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
23 W (pat) 28/12
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
10. Februar 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 11 2005 003 273.6
hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2015 unter Mitwirkung des Vorsit-
zenden Richters Dr. Strößner, des Richters Dr. Friedrich, der Richterin Dr. Hoppe
und des Richters Dr. Zebisch
- 2 -
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die vorliegende Anmeldung mit dem Aktenzeichen 11 2005 003 273.6
– 33 und
der Bezeichnung „Eingebetteter Wärmeverteiler“ wurde in deutscher Übersetzung
am
26. Juni 2007
als
deutscher
Teil
der
internationalen
Anmeldung
PCT/US2005/047689 (Veröffentlichungs-Nr. WO 2006/072107 A2) mit dem inter-
nationalen Anmeldetag 29. Dezember 2005 unter Inanspruchnahme der Priorität
US 11/027 291 vom 30. Dezember 2004 beim Deutschen Patent- und Markenamt
eingereicht. Die Prüfungsstelle für Klasse H01L hat im Prüfungsverfahren den
Stand der Technik gemäß den Druckschriften
D1 US 2003/0107118 A1 und
D2 US 5 659 952 A
berücksichtigt und in zwei Prüfungsbescheiden ausgeführt, dass die Vorrichtung
des jeweils geltenden Anspruchs 1 bezüglich der Druckschrift D1 nicht neu und
daher auch nicht patentfähig sei, woraufhin die Anmeldung nach Durchführung
einer Anhörung, zu der die Anmelderin wie telefonisch angekündigt nicht erschie-
nen war, durch Beschluss vom 18. Januar 2012 mit der Begründung fehlender
Neuheit zurückgewiesen wurde.
Ihre Entscheidung hat die Prüfungsstelle in einem auf den 18. Januar 2012 da-
tierten Beschluss begründet, der in der elektronischen Akte des DPMA als PDF-
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Datei mit der Bezeichnung „Zurückweisungsbeschluss - Signiert“ und einer Sig-
naturdatei „SIG-1“ zu finden ist.
Gegen diesen Beschluss, dem Vertreter der Anmelderin am 10. Februar 2012 zu-
gestellt, richtet sich die fristgemäß am 9. März 2012 beim DPMA eingegangene
Beschwerde mit der nachgereichten Beschwerdebegründung vom 9. Mai 2012.
Die Anmelderin beantragt:
1.
Den angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01L
des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 18. Januar 2012
aufzuheben.
2.
Ein Patent zu erteilen mit der Bezeichnung
„Eingebetteter Wärme-
verteiler“, dem Anmeldetag 29. Dezember 2005 und der US Prio-
rität 11/027 291 vom 30. Dezember 2004 auf der Grundlage fol-
gender Unterlagen:
- Patentansprüche 1 bis 17 vom 9. Mai 2012, eingegangen
am gleichen Tag,
- ursprüngliche deutschsprachige Beschreibungsseiten 2
bis 7, eingegangen beim Deutschen Patent- und Marken-
amt am 26. Juni 2007, Beschreibungsseiten 1 und 1a vom
9. Juli 2009, eingegangen beim Deutschen Patent- und
Markenamt am gleichen Tag, sowie
- 3 Blatt ursprüngliche Zeichnungen mit Figuren 1 bis 3, ein-
gegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am
26. Juni 2007.
- 4 -
Der Anspruch 1 lautet folgendermaßen (Gliederung ergänzt):
„1. Vorrichtung, die aufweist:
(a)
eine Elastomerschicht (125, 225, 325) mit Öffnungen,
an der ein Chip (130, 230, 330) angebracht ist;
(b)
eine Leitwegschicht (120, 220, 320), die an der Elasto-
merschicht (125, 225, 325) angebracht und fähig ist,
zu dem Chip (130, 230 330) Signale durch die Öff-
nungen in der Elastomerschicht (125, 225, 325) zu
leiten;
(c)
ein Trägerfilmsubstrat (115, 215, 315) aus Polymer-
harz, wobei eine erste Oberfläche des Trägerfilmsub-
strats an der Leitwegschicht (120, 220, 320) ange-
bracht ist und mit dieser in direktem Kontakt steht;
(d)
ein wärmeleitendes Substrat (110, 210, 310), das an
einer zweiten Oberfläche des Trägerfilmsubstrats, die
sich gegenüber der ersten Oberfläche des Träger-
filmsubstrats (115, 215, 315) befindet, angebracht und
fähig ist, aus dem Chip (130, 230, 330) Wärme abzu-
leiten, und
(e)
mindestens eine Lötkugelverbindung (240, 340), die
auf der gleichen Seite des wärmeleitenden Substrats
(110, 210, 310) wie der Chip (130, 230, 330) ange-
bracht ist.“
Hinsichtlich der selbständigen Ansprüche 7 und 10 und der abhängigen Ansprü-
che 2 bis 6, 8, 9 und 11 bis 17 sowie bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf
den Akteninhalt verwiesen.
- 5 -
II.
Die zulässige Beschwerde der Anmelderin erweist sich nach dem Ergebnis der
mündlichen Verhandlung als nicht begründet, denn die Vorrichtung nach Pa-
tentanspruch 1 ist durch den vorgelegten Stand der Technik neuheitsschädlich
vorweggenommen und daher gemäß § 3 PatG wegen fehlender Neuheit nicht
patentfähig.
Bei dieser Sachlage kann die Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche sowie
die Erörterung der erfinderischen Tätigkeit dahingestellt bleiben
1.
Die in der elektronischen Akte des DPMA als „Zurückweisungsbeschluss -
Signiert“ bezeichnete PDF-Datei enthält, ebenso wie die Dokument-Anzeige in der
Signatur-Datei, mehrere Beschlusstexte, so dass eine präzise Bestimmung der
Urschrift ebenso wie die Zuordnung der Signatur problematisch ist. Da der Tenor
und die Gründe der mehrfach vorhandenen Beschlusstexte jedoch übereinstim-
men, ist der Inhalt der Entscheidung, die mit einer qualifizierten Signatur versehen
werden sollte, zumindest bestimmbar (vgl. BPatG BlPMZ 2014, 355, 356 - Anord-
nung zur Erfassung von Berührungen auf einer Trägerplatte), weshalb der Senat
keine Veranlassung sieht, das Verfahren nach § 79 Abs. 3 PatG an das Deutsche
Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
2. Die Anmeldung betrifft eine Vorrichtung, bei der ein Chip über eine mit Öffnun-
gen versehene Elastomerschicht an einer auf einem Trägerfilmsubstrat befindli-
chen Leitwegschicht angebracht ist, wobei das Trägerfilmsubstrat auf der Seite, an
der der Chip angeordnet ist, mindestens eine Lötkugelverbindung aufweist, und
auf der gegenüberliegenden Seite ein wärmeleitendes Substrat angebracht ist.
Infolge des Fortschritts in der Halbleitertechnologie können immer stärker inte-
grierte Halbleiterbauelemente zur Verfügung gestellt werden, die zudem aufeinan-
- 6 -
der gestapelt werden können und bei abnehmendem Platzbedarf eine zuneh-
mende Rechenleistung zur Verfügung stellen. Da jedoch Halbleiterbauelemente
im Betrieb Wärme produzieren, muss insbesondere bei stark integrierten Halblei-
ter-Bauelementanordnungen für eine ausreichende Wärmeabfuhr gesorgt werden,
ohne dabei den Platzbedarf übermäßig zu erhöhen.
Vor diesem Hintergrund liegt der Anmeldung als objektives technisches Problem
die Aufgabe zugrunde, eine Halbleitervorrichtung zu schaffen, die bei geringem
Platzbedarf eine gute Signalübertragung und Wärmeabfuhr gewährleistet,
Gelöst wird diese Aufgabe jeweils durch die Vorrichtung, das System und das
Verfahren der selbständigen Ansprüche 1, 7 und 10.
Die Vorrichtung des Anspruchs 1 zeichnet sich dadurch aus, dass ein Chip über
eine mit Öffnungen versehene Elastomerschicht an einer direkt auf einem Träger-
filmsubstrat aus Polymerharz befindlichen Leitwegschicht angebracht ist, wobei
das Trägerfilmsubstrat auf der Seite, an der der Chip angeordnet ist, mindestens
eine Lötkugelverbindung aufweist, und auf der gegenüberliegenden Seite über ein
wärmeleitendes Substrat verfügt. Für das System des Anspruchs 7 ist eine Sta-
pelanordnung von zweien dieser Vorrichtungen wesentlich, und das Verfahren
nach Anspruch 10 betrifft das Herstellungsverfahren einer Vorrichtung nach An-
spruch 1.
3. Der zuständige Fachmann ist hier als berufserfahrener Diplom-Physiker oder
Ingenieur der Elektrotechnik mit Hochschulabschluss und Kenntnissen der Halb-
leitertechnologie zu definieren, der mit der Entwicklung gestapelter Halbleiterbau-
elemente betraut ist.
- 7 -
4. Die Druckschrift D1 offenbart in Figur 20 i. V. m. den Figuren 1 bis 3 und der
zugehörigen Beschreibung in Absatz [0079] bzw. in den Absätzen [0040] bis
[0065] mit den Worten des Anspruchs 1 eine Vorrichtung, die aufweist:
(a‘) eine Klebschicht
mit Öffnungen
,
an der ein Chip
angebracht ist;
(b) eine Leitwegschicht
(c)
,
(d) die an der Klebschicht angebracht und fähig ist, zu
dem Chip Signale durch die Öffnungen in der
Klebschicht zu leiten
;
- 8 -
(e) ein Trägerfilmsubstrat
aus Polymerharz
, wobei eine erste Oberfläche des Trä-
gerfilmsubstrats an der Leitwegschicht ange-
bracht ist und mit dieser in direktem Kontakt steht
;
(f)
ein wärmeleitendes Substrat
, das an einer
zweiten Oberfläche des Trägerfilmsubstrats , die sich
gegenüber der ersten Oberfläche des Trägerfilmsubstrats
befindet, angebracht und fähig ist, aus dem Chip
Wärme abzuleiten, und
(g) mindestens eine Lötkugelverbindung
, die
auf der gleichen Seite des wärmeleitenden Substrats
wie der Chip angebracht ist.
Hinsichtlich der für die Klebschicht
zu verwendenden Materialien verweist Druckschrift D1 im dritten
Satz von Absatz [0046] explizit auf die Lehre der Druckschrift D2 (US 5 659 952
A):
wobei in Druckschrift D2 an zahlreichen Stellen
auf ein Elastomer als bevorzugtes Material für diese Schicht verwiesen wird, vgl.
bspw. deren Fig. 1 mit Beschreibung im letzten Absatz der Spalte 4
- 9 -
oder deren Anspruch 2
Aufgrund des deutlichen Verweises der Druckschrift D1 auf die Lehre der Druck-
schrift D2 sind deren Ausführungen bezüglich des Materials der Klebschicht in den
Offenbarungsgehalt der Druckschrift D1 miteinzubeziehen
.
Somit offenbart die auf Druckschrift D2 explizit Bezug nehmende Druckschrift D1
eine Vorrichtung mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1.
5. Der Vertreter der Anmelderin hat demgegenüber vorgetragen, dass der Fach-
mann keine Veranlassung habe, die Lehren der Druckschriften D1 und D2 mitei-
nander zu kombinieren. Zudem offenbare die Druckschrift D2 keine Elastomer-
schicht im Sinne der Patentanmeldung. So zeichne sich die anmeldungsgemäße
Elastomerschicht dadurch aus, dass sie
– wie im seitenübergreifenden letzten Ab-
satz der ursprünglichen Beschreibungsseite 3 erläutert
– große und reversible
elastische Verformungen erfahren könne und zum Absorbieren von Spannungen
zwischen Schichten, die unterschiedliche thermische Ausdehnungskoeffizienten
haben könnten, verwendet werde, wohingegen das in der Druckschrift D2 be-
schriebene Elastomer nach der Verarbeitung starr und fest sei.
Dies ist jedoch nicht zutreffend, denn zum einen ist die das Material der Kleb-
schicht betreffende Lehre der Druckschrift D2 wegen der in Druckschrift D1 er-
- 10 -
folgten Bezugnahme auf diese Druckschrift dem Offenbarungsgehalt der Druck-
schrift D1 zuzurechnen, so dass der fachkundige Leser der Druckschrift D1
zwangsläufig die entsprechende Lehre von Druckschrift D2 berücksichtigt. Zum
anderen ist die Elastizität eine Grundeigenschaft von Elastomeren, weswegen
auch die in Druckschrift D2 verwendeten Elastomere diese Elastizität aufweisen
und Verformungen elastisch verarbeiten können. Wie Druckschrift D2 zudem im
Abstract und in der Beschreibungseinleitung (vgl. bspw. deren Spalte 1, Zeilen 12
bis 18 und Spalte 2, Zeilen 62 bis 65) hervorhebt, sollen mittels dieses Elastomers
bei einem auf einer Leiterplatte angeordneten Halbleiterchip die durch unter-
schiedliche thermische Ausdehnungskoeffizienten hervorgerufenen Spannungen
zwischen dem Chip und der Leiterplatte, kompensiert werden. Dies bedingt, dass
die in Druckschrift D2 erläuterten Elastomere auch elastisch sind.
Die Vorrichtung des Anspruchs 1 ist somit wegen fehlender Neuheit nicht patent-
fähig.
6. Es kann dahingestellt bleiben, ob das System bzw. das Verfahren der
selbständigen Ansprüche 7 und 10 oder die Gegenstände bzw. Verfahren der
Unteransprüche patentfähig sind, denn wegen der Antragsbindung im Patenter-
teilungsverfahren fallen mit dem Patentanspruch 1 auch die selbständigen Pa-
tentansprüche und die mittelbar oder unmittelbar auf die selbständigen Patentan-
sprüche rückbezogenen Unteransprüche
7. Bei dieser Sachlage war die Beschwerde der Anmelderin zurückzuweisen.
- 11 -
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Rechtsbe-
schwerde
nur statthaft, wenn einer der nachfolgenden Verfahrensmängel gerügt wird, näm-
lich
1. dass das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt
war,
2. dass bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der
Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder
wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. dass, einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. dass ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Geset-
zes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens
ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5. dass der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung
ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des
Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. dass der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
innerhalb eines Monats
schlusses
schriftlich durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als
Bevollmächtigten beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, ein-
zureichen oder
durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmäch-
tigten in elektronischer Form bei der elektronischen Poststelle des BGH,
www.bundesgerichtshof.de/erv.html. Das elektronische Dokument ist mit einer
prüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz oder mit
einer prüfbaren fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen. Die Eig-
- 12 -
nungsvoraussetzungen für eine Prüfung und für die Formate des elektronischen
Dokuments
werden
auf
der
Internetseite
des
Bundesgerichtshofs
www.bundesgerichtshof.de/erv.html bekannt gegeben.
Dr. Strößner
Dr. Friedrich
Dr. Hoppe
Dr. Zebisch
prö