Urteil des BPatG vom 23.02.2016

Stand der Technik, Zusammensetzung, Anhörung, Anteil

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
23 W (pat) 12/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
23. Februar 2016
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 11 2006 002 544.9-33
hat der 23. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 23. Februar 2016 unter Mitwirkung des Vorsit-
zenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Strößner sowie der Richter Dipl.-Phys. Brandt,
Dipl.-Phys. Dr. Zebisch und Dr. Himmelmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
- 2 -
G r ü n d e
I.
Die vorliegende Anmeldung mit dem Aktenzeichen 11 2006 002 544.9-33 und der
Bezeichnung „Aluminiumpastenzusammensetzung und Solarzellenelement, in
dem die Zusammensetzung verwendet wird
“ wurde am 8. September 2006 inter-
national in japanischer Sprache unter Inanspruchnahme der japanischen Priorität
JP 2005-302697 vom 18. Oktober 2005 angemeldet und am 26. April 2007 mit der
WO 2007/046 199 A1 offengelegt. Mit dem Eingang der deutschen Übersetzung
beim Deutschen Patent- und Markenamt am 25. März 2008, welche am
21. August 2008 mit der DE 11 2006 002 544 T5 veröffentlicht wurde, begann die
deutsche nationale Phase, in deren Verlauf am 3. November 2010 Prüfungsantrag
gestellt wurde.
Die Prüfungsstelle für Klasse H01L hat im Prüfungsverfahren auf den Stand der
Technik gemäß den folgenden Druckschriften verwiesen:
D1
EP 1 400 987 A2,
D2
US 7 042 706 B2,
D3
US 4 582 657,
D4
US 2005/0 194 575 A1,
D5
Plasticizer, Wikipedia, http://en.wikipedia.org/wiki/Plasticizer und
D6
Ester, Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Ester.
Sie hat in zwei Bescheiden und in einer Anhörung am 16. Dezember 2013 darge-
legt, dass die beanspruchten Gegenstände und Verfahren nicht patentfähig seien,
da sie entweder bereits aus Druckschrift D1 bekannt seien (§ 3 PatG) oder zumin-
dest durch die Zusammenschau der genannten Druckschriften nahegelegt würden
(§ 4 PatG). Die Anmelderin müsse deshalb mit einer Zurückweisung der Anmel-
dung rechnen.
- 3 -
Die Anmelderin hat den Ausführungen der Prüfungsstelle in zwei Eingaben und in
der Anhörung widersprochen, wobei sie jeweils neue Anspruchssätze eingereicht
und zu diesen ausgeführt hat, warum sie patentfähig seien.
Die Anmeldung wurde in der Folge als Ergebnis der Anhörung vom
16. Dezember 2013 am Ende der Anhörung zurückgewiesen, weil die Gegen-
stände der Ansprüche 1 des zu diesem Zeitpunkt geltenden Hauptantrags und des
zu diesem Zeitpunkt geltenden Hilfsantrags gegenüber einer Zusammenschau der
Lehren der Druckschriften D1 und D4 nicht patentfähig seien (§ 4 PatG).
In der elektronischen Akte des Deutschen Patent- und Markenamts findet sich
eine PDF-
Datei mit der Bezeichnung „Zurückweisungsbeschluss - Signiert“ und
eine Signaturdatei „SIG-1“.
Gegen diesen auf den 10. Januar 2014 datierten und der Anmelderin am
14. Januar 2014 zugestellten Beschluss hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom
13. Februar 2014, am selben Tag im Deutschen Patent- und Markenamt einge-
gangen, Beschwerde eingelegt, welche sie mit Schriftsatz vom 14. Mai 2014 be-
gründet hat. Mit ihrer Beschwerdebegründung hat die Anmelderin drei mit Haupt-
antrag, Hilfsantrag und 2. Hilfsantrag bezeichnete Sätze Patentansprüche einge-
reicht, wobei die mit Hauptantrag und Hilfsantrag bezeichneten Anspruchssätze
mit den in der Anhörung am 16. Dezember 2013 eingereichten Anspruchssätzen
übereinstimmen.
Der Senat hat mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung noch auf den Stand
der Technik gemäß den folgenden Dokumenten hingewiesen:
D7
DE 20 2004 003 112 U1
D8
Wikipedia-Artikel:
„Phthalsäureester“ vom 19. Juni 2005
D9
DE 199 45 866 A1
- 4 -
In der mündlichen Verhandlung am 23. Februar 2016 hat die Anmelderin bean-
tragt:
1.
Den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01L des Deut-
schen Patent- und Markenamts vom 16. Dezember 2013 (schrift-
lich begründet durch Beschluss vom 10. Januar 2014) aufzuhe-
2.a) Hauptantrag
Ein Patent zu erteilen mit der Bezeichnung
„Aluminiumpastenzusammensetzung und Solarzellenelement, in
dem die Zusammensetzung verwendet wird
“,
dem PCT-Anmeldetag 8. September 2006 unter Inanspruchnahme
der Priorität JP 2005-302697 vom 18. Oktober 2005
auf der Grundlage folgender Unterlagen:
-
Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Hauptantrag,
eingegangen am 15. Mai 2014;
-
Beschreibungsseiten 1 bis 15;
-
1 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 und 2, jeweils
eingegangen im Deutschen Patent- und Markenamt
am 25. März 2008;
2.b) Hilfsantrag 1
Hilfsweise das unter 2.a) genannte Patent
auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
-
Patentansprüche 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 1, einge-
gangen am 15. Mai 2014;
-
die unter 2.a) genannten Beschreibungsseiten und
Zeichnungen;
2.c) Hilfsantrag 2
Weiter hilfsweise das unter 2.a) genannte Patent
- 5 -
auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
-
Patentansprüche 1 bis 4 gemäß Hilfsantrag 2, einge-
gangen am 15. Mai 2014;
-
die unter 2.a) genannten Beschreibungsseiten und
Zeichnungen.
Die Anmelderin regt an, eine Neuklassifizierung der Anmeldung vorzunehmen.
Der mit der Beschwerdebegründung am 15. Mai 2014 erneut eingegangene An-
Hauptantrag
Gliederung:
„1. Aluminiumpastenzusammensetzung zum Bilden einer Elekt-
rode (8) auf einem Siliziumhalbleitersubstrat (1), aufweisend
1.1 ein Aluminiumpulver,
1.2 einen organischen Träger,
1.2.1 wobei der organische Träger ein oder mehrere Additive
und/oder
Harze
umfasst,
die
in
Diethylenglykolmo-
nobutylether,
Diethylenglykolmonobutyletheracetat
oder
Dipropylenglykolmonomethylether gelöst sind, und
1.3 einen Weichmacher,
1.3.1 wobei der Weichmacher mindestens ein Material umfasst,
ausgewählt aus der Gruppe, bestehend aus Verbindungen
auf der Basis von Phthalsäureestern
.“
Der ebenfalls mit der Beschwerdebegründung am 15. Mai 2014 erneut eingegan-
1. Hilfsantrags
trags dadurch, dass an das Ende des Anspruchs das zusätzliche Merkmal
„1.3.2 wobei der Gehalt an Weichmacher in der Pastenzusammensetzung 3,0
Gew.% oder mehr und 10,5 Gew.% oder weniger beträgt.
- 6 -
gesetzt ist.
2. Hilfsantrags
det sich von dem des 1. Hilfsantrags dadurch, dass das Merkmal 1.3.1 einge-
schränkt ist. Es lautet:
„1.3.1‘ wobei der Weichmacher mindestens ein Material umfasst, ausgewählt
aus der Gruppe, bestehend aus Verbindungen auf der Basis von Di-
butylphthalat (DBP), Dioctylphthalat (DOP) und Diisononylphthalat
(DINP),
Hinsichtlich des Wortlauts der zu den Ansprüchen 1 der drei Anträge nebengeord-
neten Ansprüche 4 und 5 bzw. 3 und 4 sowie der jeweils auf Anspruch 1 rückbe-
zogenen Unteransprüche wird - wie auch bezüglich der weiteren Einzelheiten - auf
den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Anmelderin ist zulässig, er-
weist sich jedoch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom
23. Februar 2016 als nicht begründet, weil die Lehren der Ansprüche 1 aller drei
Anträge gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik auf keiner erfinderi-
schen Tätigkeit des Fachmanns beruhen (§ 4 PatG) und somit nicht patentfähig
sind.
1.
Die in der elektronischen Akte des DPMA als „Zurückweisungsbeschluss -
Signiert“ bezeichnete PDF-Datei enthält, ebenso wie die Dokumentanzeige in der
Signaturdatei, mehrere Beschlusstexte, so dass eine präzise Bestimmung der Ur-
schrift ebenso wie die Zuordnung der Signatur problematisch ist. Da der Tenor
und die Gründe der mehrfach vorhandenen Beschlusstexte jedoch übereinstim-
- 7 -
men, ist der Inhalt der Entscheidung, die mit einer qualifizierten Signatur versehen
werden sollte, zumindest bestimmbar (
), weshalb der Se-
nat keine Veranlassung sieht, das Verfahren nach § 79 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 PatG an
das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
2.
Die Anmeldung betrifft Aluminiumpastenzusammensetzungen und Solarzel-
lenelemente, in denen diese Zusammensetzungen verwendet werden. Insbeson-
dere betrifft die vorliegende Anmeldung eine Aluminiumpastenzusammensetzung,
die verwendet wird, wenn eine Aluminiumrückseitenelektrode auf einem p-Typ-Sili-
ziumhalbleitersubstrat, das einen Bestandteil einer Solarzelle mit kristallinem
Silizium bildet, gebildet wird, sowie ein Solarzellenelement, in dem die Zusam-
mensetzung verwendet wird), und
ein Verfahren zu dessen Herstellung.
Bei aus dem Stand der Technik bekannten Solarzellenelementen, welche ein p-
Typ Siliziumhalbleitersubstrat verwenden, das eine Dicke von 220 bis 300 µm
aufweist, ist eine n-Typ Verunreinigungsschicht mit einer Dicke von 0,3 bis 0,6 µm
auf der Seite der lichtempfangenden Fläche des Siliziumhalbleitersubstrats 1 aus-
gebildet, auf der eine Antireflexionsschicht und Gitterelektroden geformt sind.
Auf der Rückseite des p-Typ Siliziumhalbleitersubstrats ist eine Aluminiumelektro-
denschicht angeordnet. Diese Aluminiumelektrodenschicht wird hergestellt, indem
eine Aluminiumpastenzusammensetzung, welche aus Aluminiumpulver, Glasfritte
und einem organischen Träger besteht, durch Siebdrucken oder dergleichen auf-
gebracht wird. Die aufgebrachte Zusammensetzung wird getrocknet und anschlie-
ßend bei einer Temperatur von 660°C (dem Schmelzpunkt von Aluminium) oder
darüber für eine kurze Zeit gebrannt wird. Beim Brennen diffundiert das Aluminium
in das p-Typ Siliziumhalbleitersubstrat ein, wodurch eine Al-Si-Legierungsschicht
zwischen der Aluminiumelektrodenschicht und dem p-Typ Siliziumhalbleitersub-
strat gebildet wird und gleichzeitig eine p
+
-Schicht als weitere Verunreinigungs-
- 8 -
schicht basierend auf der Diffusion von Aluminiumatomen gebildet wird. Die An-
wesenheit dieser p
+
-Schicht führt zu der BSF (Back Surface Field)-Wirkung, die
verhindert, dass Elektronen rekombinieren, was die Ladungsträgerausbeute er-
höht.
Wie z. B. in der japanischen Offenlegungsschrift JP 5-129640 A offenbart, wird in
der Praxis ein Solarzellenelement hergestellt, indem eine aus einer Aluminiu-
melektrodenschicht und einer Al-Si-Legierungsschicht bestehende Rückseiten-
elektrode beispielsweise mit einer Säure entfernt wird, und eine neue, besser re-
flektierende Sammelelektrode aus einer Silberpaste oder dergleichen hergestellt
wird. Dabei muss die Säure, welche zur Entfernung der Rückseitenelektrode ver-
wendet wurde, entsorgt werden, was das Verfahren verkompliziert. Um solche
Probleme zu vermeiden, wurden bei Solarzellenelementen häufig die Rückseiten-
elektroden nicht entfernt, so dass die Rückseitenelektroden, wie sie waren, als
Sammelelektroden verwendet wurden.
Vor dem Anmeldezeitpunkt wurde versucht, die Dicke der Siliziumhalbleitersub-
strate zu verringern, um die Kosten für die Herstellung von Solarzellen zu reduzie-
ren. Wenn das Siliziumhalbleitersubstrat jedoch dünner ist, wird, bedingt durch
die unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten von Silizium und
Aluminium, nach dem Brennen der Aluminiumpastenzusammensetzung eine
Rückseite mit einer Rückseitenelektrodenschicht erhalten, die konkav deformiert
ist, wodurch das Siliziumhalbleitersubstrat deformiert und verbogen wird. Es wurde
ein Verfahren vorgeschlagen, bei dem die aufgebrachte Menge an Aluminium-
pastenzusammensetzung verringert wird, und die Rückseitenelektrodenschicht
dünner gemacht wird, um solch ein Verbiegen zu verhindern. Wenn jedoch die
aufgebrachte Menge an Aluminiumpastenzusammensetzung verringert wird, tre-
ten beim Brennen leicht Bläschen und Aluminiumkügelchen auf. Auch kann das
Siliziumhalbleitersubstrat bei der Herstellung der Solarzellen zerbrechen, wodurch
die Ausbeute an Solarzellen bei ihrer Herstellung verringert wird.
- 9 -
Es wurden verschiedenste Aluminiumpastenzusammensetzungen vorgeschlagen,
um die zuvor beschriebenen Probleme zu lösen.
So wurde eine elektrisch leitfähige Paste beschrieben (),
die die Kontraktion eines Elektrodenfilms beim Brennen verringern kann, und die
ein Verbiegen eines Si-Wafers verhindern kann, wobei die Paste eine Aluminium-
pastenzusammensetzung ist, umfassend ein Aluminiumpulver, Glasfritte und ei-
nen organischen Träger, wobei der organische Träger Teilchen aus einer organi-
schen Verbindung oder Kohlenstoff enthält, die nicht oder nur wenig löslich sind.
Bei einem anderen Verfahren zum Herstellen eines Solarzellenelements (
) wird eine Rückseitenelektrode mit ausgezeichneten Eigen-
schaften erhalten. Die Bildung von Aluminiumkügelchen und Rauhigkeitsspitzen
sowie eine Bläschenbildung der Elektrode werden mit ihm verringert, und die Ver-
biegung eines Halbleitersubstrats wird verkleinert, was die Ausbeute erhöht. In der
Aluminiumpaste, die bei diesem Verfahren verwendet wird, ist ein Aluminiumpul-
ver enthalten, dessen mittlere Teilchengröße D
50
bei kumulativer Teilchengrößen-
verteilung, bezogen auf das Volumen, 6 bis 20 µm beträgt, und in dem Teilchen
mit jeweils einer Teilchengröße, die der Hälfte der mittleren Teilchengröße D
50
entspricht oder kleiner ist, in einem Anteil von 15% oder weniger, bezogen auf alle
Teilchen in der Teilchengrößenverteilung, enthalten sind.
Jedoch selbst wenn diese Aluminiumpasten verwendet wurden, konnten weder die
Bildung von Bläschen und Aluminiumkügelchen in der Rückseitenelektroden-
schicht beim Brennen noch die Verbiegung des Halbleitersubstrats ausreichend
verringert werden ().
Hiervon ausgehend liegt der Anmeldung als technisches Problem die Aufgabe
zugrunde, die zuvor genannten Probleme zu lösen und eine Aluminiumpastenzu-
sammensetzung bereitzustellen, die die Bildung von Bläschen und Aluminiumkü-
gelchen in einer Rückseitenelektrodenschicht beim Brennen verhindert, die das
- 10 -
Verbiegen eines Siliziumhalbleitersubstrats verringert, selbst wenn ein dünneres
Siliziumhalbleitersubstrat verwendet wird, und die einen großen BSF-Effekt und
einen hohen Energieumwandlungsgrad (Wirkungsgrad) ermöglicht. Außerdem soll
ein Solarzellenelement bereitgestellt werden, mit einer Elektrode, die unter Ver-
wendung der Zusammensetzung hergestellt ist (
).
Diese Aufgabe wird durch die Gegenstände und Verfahren der unabhängigen An-
sprüche des Hauptantrags und der beiden Hilfsanträge gelöst.
Beansprucht wird demnach eine Aluminiumpastenzusammensetzung, die min-
destens drei Bestandteile aufweist. Diese sind Aluminiumpulver, ein organischer
Träger und ein Weichmacher. Der organische Träger und der Weichmacher wer-
den näher spezifiziert. Dabei wird für den organischen Träger angegeben, dass
dieser wiederum ein oder mehrere Additive und/oder Harze umfasst, die in Diet-
hylenglykolmonobutylether, Diethylenglykolmonobutyletheracetat oder Dipropy-
lenglykolmonomethylether gelöst sind, was bedeuten dürfte, dass er einen in den
angegebenen Lösungsmitteln gelösten organischen Stoff und möglicherweise
weitere organische Stoffe enthält. Vom Anspruchstext mitumfasst ist aber auch die
Möglichkeit, dass der organische Träger entweder ein Additiv oder ein in den auf-
geführten Lösungsmitteln gelöstes Harz umfasst, da der Bezug des die Lösungs-
mittel bestimmenden Relativsatzes nicht eindeutig ist und nach einer der mögli-
chen Interpretationen auch ausschließlich auf die Harze bestehen kann.
Der Weichmacher umfasst eine Verbindung auf der Basis von Phthalsäureestern
und möglicherweise noch weitere Materialien. Dabei wird nicht näher ausgeführt,
was „auf Basis“ bedeutet, so dass dieser Begriff weit auszulegen ist, also dahin-
gehend, dass das genannte Material oder ein von dem genannten Material abge-
leitetes Material in ihm enthalten ist. Zudem wird in Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags
noch die Menge des Weichmachers angegeben. Sie beträgt 3,0 Gew.% bis 10,5
Gew.%.
- 11 -
In Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags wird das Material des Weichmachers noch nä-
her spezifiziert, indem angegeben wird, dass er aus einer Gruppe ausgewählt ist,
die aus Verbindungen auf der Basis von Dibutylphthalat (DBP), Dioctylphthalat
(DOP) und Diisononylphthalat (DINP) besteht. Bei allen drei Verbindungen handelt
es sich um Phthalsäureester.
3.
Als zuständiger Fachmann ist hier ein berufserfahrener Chemiker mit Hoch-
schulabschluss zu definieren, der über Erfahrung in der Entwicklung von Pasten
zur Bildung von Metallisierungen, wie sie in der Halbleiterindustrie verwendet wer-
den, verfügt.
4.
Die Gegenstände der Ansprüche 1 des Haupt- und beider Hilfsanträge
beruhen ausgehend von der Druckschrift D1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit
des Fachmanns (§ 4 PatG). Damit kann dahingestellt bleiben, ob die Ansprüche
zulässig und ihre Lehren ausführbar sind (
).
4.1.
So ist aus der Druckschrift D1 in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des
Hauptantrag
1.
Aluminiumpastenzusammensetzung zum Bilden einer Elektrode auf einem
Siliziumhalbleitersubstrat bekannt (
), aufweisend
1.1
ein Aluminiumpulver (
),
1.2
einen organischen Träger (
)
1.2.1 wobei der organische Träger ein oder mehrere Additive und/oder Harze
umfasst, die in Diethylenglykolmonobutylether, Diethylenglykolmonobutylether-
- 12 -
acetat oder Dipropylenglykolmonomethylether gelöst sind (
), und
1.3
einen Weichmacher (
),
Damit unterscheidet sich die in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchte Alu-
miniumpastenzusammensetzung dadurch von der aus Druckschrift D1, dass der
Weichmacher mindestens ein Material umfasst, ausgewählt aus der Gruppe, be-
stehend aus Verbindungen auf der Basis von Phthalsäureestern (Merkmal 1.3.1).
Dieser Unterschied beruht aber auf keiner erfinderischen Tätigkeit des Fach-
manns. So waren Weichmacher auf der Basis von Phthalsäureestern dem Fach-
mann schon zum Prioritätszeitpunkt als weit verbreitete Weichmacher vor allem
für PVC, aber auch für andere Kunststoffe wohlbekannt (
). Als weiterer Nachweis sei hier auch Druckschrift D7 genannt, die die Ver-
wendung von Phthalaten für PVC-freie Kunststoffe beschreibt (
).
Der Fachmann wird nun auch in der Aluminiumpastenzusammensetzung aus
Druckschrift D1 einen weit verbreiteten Weichmacher, wie dies die Phthalate sind,
einsetzen. Damit kommt er, ohne erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand
des Anspruchs 1 nach Hauptantrag, der deshalb nicht patentfähig ist (§ 4 PatG).
- 13 -
Der Ansicht der Anmelderin, dass der Fachmann wegen des Brennprozesses
nicht auf die allgemein bekannten Phthalate als Weichmacher zurückgreifen wird,
folgt der Senat nicht, denn der Fachmann wird, egal welchen Weichmacher er
verwendet, davon ausgehen, dass dieser nach dem Brennprozess nicht mehr in
der Elektrodenschicht vorhanden ist. Er wird deshalb den in Druckschrift D1 offen-
barten Weichmacher eher in Hinblick auf das verwendete Harz auswählen. Hier
liegt es für den Fachmann nahe, Phthalate als Weichmacher für das in Druck-
schrift D1 verwendeten Harz auf Zellulosebasis (
)
einzusetzen, da gemäß dem Wikipedia-Artikel D8 Phthalate ausdrücklich für Nitro-
cellulose verwendet werden (
).
Im Übrigen waren auch die im Anspruch 1 genannten Lösungsmittel dem Fach-
mann zum Prioritätszeitpunkt als solche bekannt, so dass auch ihre Verwendung
in einer Aluminiumpastenzusammensetzung eine erfinderische Tätigkeit nicht be-
gründen kann. Zwar wird, wie bereits ausgeführt, keines der in Anspruch 1 aufge-
führten Lösungsmittel in Druckschrift D1 offenbart, doch unterschieden sich die
dort genannten Lösungsmittel nicht grundlegend von den in Anspruch 1 genann-
ten. So handelt es sich beispielsweise bei dem mit dem Markennamen „Carbitol“
bezeichneten organischen Lösungsmittel in der von der vorliegenden Anmeldung
verwendeten Nomenklatur um Diethylenglykolmonoethylether, der sich nur wenig
vom beanspruchten Diethylenglykolmonobutylether unterscheidet. Letzterer wird
auch unter der Markenbezeichnung „Butyl Carbitol“ vertrieben. Da in Druckschrift
D1 die dort genannten Lösungsmittel nur beispielhaft genannt werden (
), ist es
für den Fachmann naheliegend, auch den nahe mit „Carbitol“ verwandten Diethyl-
englykolmonobutylether als Lösungsmittel zu verwenden, zumal dieser, wie bei-
spielsweise Druckschrift D9 zeigt, zum Prioritätszeitpunkt bereits in einer Alumini-
umpastenzusammensetzung verwendet wurde (
- 14 -
).
4.2
1. Hilfsantrags
der Gehalt an Weichmacher in der Pastenzusammensetzung 3,0 Gew.% oder
mehr und 10,5 Gew.% oder weniger beträgt. Dieses zusätzliche Merkmal kann
eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen (§ 4 PatG).
So gibt Druckschrift D1 an, dass der organische Träger (
) 15 bis
40 Gew.% der Paste umfasst (
). Zu diesem organischen Träger gehört auch der Weichma-
cher, so dass hier bereits eine Grenze von weniger als 15 Gew.% angegeben ist.
Dabei ist der Weichmacher aber nur ein Zusatz zu einem in einem Lösungsmittel
gelösten Harz, so dass der Anteil des Weichmachers deutlich niedriger ist. Druck-
schrift D7 zeigt nun, dass in weichen Kunststoffmassen etwa halb so viel Weich-
macher wie damit weich zu machendes Harz vorhanden ist (
). Vernachlässigt man das Lösungsmittel, so ist der Weichmacher im
Beispiel von Druckschrift D1 mit einem Anteil zwischen 15 Gew.%/3 = 5 Gew.%
und 40 Gew.%/3 = 13,3 Gew.% vorhanden. Da aber zusätzlich das Lösungsmittel
vorhanden ist, liegt der Anteil etwas niedriger, fällt aber zumindest teilweise mit
dem beanspruchten Anteil von 3 Gew.% bis 10,5 Gew.% zusammen. Dies ist die
Ausgangslage für den Fachmann, von dem aus er den Weichmacheranteil opti-
mieren wird. Damit kommt er, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen, zum Ge-
genstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags, so dass dieser nicht patentfähig ist.
- 15 -
Auch hier ist der Ansicht der Anmelderin, dass der Fachmann die Druckschrift D7
nicht heranziehen würde, nicht zu folgen, denn auch wenn es sich in Druckschrift
D7 um Kunststoffmassen handelt, welche für einen anderen Zweck verwendet
werden, so haben die dort offenbarten Kunststoffmassen dennoch Eigenschaften,
welche auch für eine Aluminiumpaste, die zur Herstellung einer Aluminiumelekt-
rode auf einem Siliziumsubstrat verwendet wird, zumindest erwünscht sind. Sie
sind gut plastisch verformbar und erzeugen beim Verbrennen keine problemati-
schen Gase (
und
). Dem Fach-
mann, der ausgehend von Druckschrift D1 über die in der Aluminiumpastenzu-
sammensetzung enthaltene Menge an Weichmacher entscheiden muss, wird sich
deshalb mangels einer anderen Alternative im Bereich der Aluminiumpasten an
vergleichbaren Kunststoffmassen aus anderen Verwendungsbereichen orientie-
ren. Eine der sich ihm dabei bietenden Möglichkeiten, die ihm geeignet erscheint,
ist die Druckschrift D7, die als Weichmacher im Übrigen auch die naheliegenden
Phthalsäureester verwendet (
).
4.3
2. Hilfsantrags
gen auf der Basis von Dibutylphthalat (DBP), Dioctylphthalat (DOP) und Diiso-
- 16 -
nonylphthalat (DINP) näher spezifiziert
(Merkmal 1.3.1‘). Diese Spezifizierung
kann aber eine erfinderische Tätigkeit ebenfalls nicht begründen § 4 PatG).
So handelt es sich bei den in Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags als Weichmacher
beanspruchten Stoffen um übliche, dem Fachmann wohlbekannte Phthalsäu-
reester (
), die der Fachmann als Weichmacher auf der
Basis von Phthalsäureestern einsetzt. Damit beruht auch der Gegenstand des An-
spruchs 1 des 2. Hilfsantrags auf keiner erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns
(§ 4 PatG) und ist somit auch nicht patentfähig.
5.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gegenstände und Verfahren nach den
weiteren selbständigen Ansprüchen oder den untergeordneten Ansprüchen pa-
tentfähig sind, denn wegen der Antragsbindung im Patenterteilungsverfahren
fallen mit dem Patentanspruch 1 auch alle anderen Ansprüche eines Anspruchs-
satzes (BGH
)
6.
Bei dieser Sachlage war die Beschwerde der Anmelderin zurückzuweisen
7.
Die Anmelderin hat die Neuklassifizierung der Anmeldung angeregt, da ihre
Hauptmerkmale chemischer Natur seien und nicht, wie es der derzeitigen Klassifi-
zierung entsprechen würde, elektrotechnischer Natur. Letzterem ist zwar zuzu-
stimmen, doch ist die Klassifizierung einer Patentanmeldung eine rein interne, or-
ganisatorische Angelegenheit des Deutschen Patent- und Markenamtes. Sie dient
primär der Verteilung der Anmeldungen auf die einzelnen Prüfungsstellen und er-
folgt nach den Richtlinien zur Durchführung der Klassifizierung von Patent- und
Gebrauchsmusteranmeldungen (Klassifizierungsrichtlinien). Mit ihr wird nach dem
Prinzip des gesetzlichen Richters der für eine Anmeldung zuständige Prüfer fest-
- 17 -
gelegt. Nach diesen Richtlinien legt der Eingangsprüfer die Patentklassen als
Haupt- und Nebenklassen fest. Danach entscheidet der nach dieser Festlegung
zuständige Prüfer, ob eine Umklassifizierung angestoßen werden soll, denn er
muss die angegebene Hauptklasse für unzutreffend halten, damit eine Umklassifi-
zierung erfolgen kann (
). Ein Anstoßen der Umklassifizierung durch eine andere Person ist,
anders als bei eingetragenen Gebrauchsmustern, nicht vorgesehen.
Dies bedeutet, dass der Senat eine Umklassifizierung weder anstoßen noch selbst
vornehmen kann. Er kann lediglich für den Fall einer Zurückverweisung an das
Deutsche Patent- und Markenamt, welcher hier nicht vorliegt, anordnen, auf wel-
chen Gebieten der Technik eine Recherche erfolgen soll. Im vorliegenden Fall war
die ursprüngliche Klassifizierung auch richtig, denn die Anmeldung betraf und be-
trifft immer noch sowohl ein Solarzellenelement als auch eine Aluminiumpasten-
zusammensetzung, so dass nicht gegen die Klassifizierungsrichtlinien verstoßen
wurde.
III. R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Rechtsbe-
schwerde
gel gerügt wird, nämlich
1. dass das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt
war,
2. dass bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der
Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder
wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. dass einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. dass ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Geset-
zes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens aus-
drücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
- 18 -
5. dass der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung
ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des
Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. dass der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
innerhalb eines Monats
schlusses
schriftlich durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als
Bevollmächtigten beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, ein-
zureichen oder
durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmäch-
www.bundesgerichtshof.de/erv.html.
prüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz oder mit
einer prüfbaren fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen. Die Eig-
nungsvoraussetzungen für eine Prüfung und für die Formate des elektronischen
Dokuments
werden
auf
der
Internetseite
des
Bundesgerichtshofs
www.bundesgerichtshof.de/erv.html
Dr. Strößner
Brandt
Dr. Zebisch
Dr. Himmelmann
prö