Urteil des BPatG vom 15.09.2014

Einspruch, Mangel, Rückzahlung, Neuheit

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
20 W (pat) 27/14
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In dem Einspruchsbeschwerdeverfahren
betreffend das Patent 10 2004 035 442
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hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
15. September 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys.
Dr. Mayer, der Richterin Kopacek und der Richter Dipl.-Ing. Albertshofer und
Dipl.-Geophys. Univ. Dr. Wollny
beschlossen:
Der Beschluss der Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 22. Januar 2014 wird aufgehoben und das Ver-
fahren zur erneuten Behandlung an das Deutsche Patent- und
Markenamt zurückverwiesen.
Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
G r ü n d e
I.
Gegen das Patent 10 2004 035 442 mit der Bezeichnung „Verfahren und Vorrich-
tung zum sicheren Schalten eines
Automatisierungsbussystems“, dessen Ertei-
lung am 1. Juni 2006 veröffentlicht wurde, hat die Einsprechende und Beschwer-
degegnerin mit Telefax vom 31. August 2006 schriftlich mit Begründung unter Hin-
weis auf die Druckschriften E1 bis E4 Einspruch eingelegt. Die Patentinhaberin hat
mit Eingabe vom 9. Juni 2007, eingegangen beim DPMA per Telefax am
25. Juni 2007 beantragt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen und vorab ge-
sondert über die Zulässigkeit des Einspruchs zu entscheiden. Sie hat die Auffas-
sung vertreten, die Druckschrift E2 sei nicht vorveröffentlicht. Hilfsweise hat sie
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beantragt, den Einspruch als unbegründet zurückzuweisen. Wegen der offensicht-
lichen Unzulässigkeit des Einspruchs würden es verfahrensökonomische Erwä-
gungen nahelegen, jegliche materiellrechtliche Prüfung zu unterlassen. Für den
Fall, dass eine vollständige Verwerfung oder Zurückweisung des Einspruchs frag-
lich sei, hat sich die Beschwerdeführerin weiteren Sachvortrag zur materiellrecht-
lichen Begründetheit vorbehalten.
Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin hat mit Schriftsatz vom 15. Okto-
ber 2007, eingegangen beim DPMA am 16. Oktober 2007, die Zulässigkeit des
Einspruchs für gegeben erachtet und zur Stützung ihres Vorbringens eine weitere
Druckschrift E5 übermittelt. In Folge hat die Beschwerdegegnerin mit Eingaben
vom 11. Oktober 2011, 9. Mai 2012, 15. Mai 2013 und 9. Januar 2014 Anfragen
an die zuständige Patentabteilung gerichtet, wann mit der weiteren Bearbeitung
des Verfahrens zu rechnen sei.
Mit Beschluss vom 22. Januar 2014 hat die Patentabteilung 31 des Deutschen Pa-
tent- und Markenamts am Ende der Sitzung, an der die Verfahrensbeteiligten nicht
teilgenommen haben, den Einspruch für zulässig erachtet und das Patent in vol-
lem Umfang widerrufen. Gegen diesen Beschluss, der der Beschwerdeführerin am
27. Januar 2014 zugegangen ist, hat sie mit Schriftsatz vom 24. Februar 2014, der
per Telefax am 25. Februar 2014 beim Deutschen Patent- und Markenamt einge-
gangen ist, Beschwerde eingelegt. Sie hat folgende Anträge gestellt:
1. Rückerstattung der Beschwerdegebühr
2. Zurückverweisung dieser Sache an die erste Instanz
3. den in dieser Sache ergangenen Beschluss zudem Aktenzeichen
10 2004 035 442.1 aufzuheben und das mit dem Einspruch ange-
griffene Patent in vollem, ursprünglich erteilten Umfang aufrecht
zu erhalten
4. hilfsweise zu 3. das mit dem Einspruch angegriffene Patent basie-
rend auf den Ansprüchen des Hilfsantrags 1 aufrecht zu erhalten
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5. hilfsweise zu 4. das mit dem Einspruch angegriffene Patent basie-
rend auf den Ansprüchen des Hilfsantrags 2 aufrecht zu erhalten
6. Anberaumung mündlicher Verhandlung.
Mit weiterem Schriftsatz vom 20. Juni 2014, bei Gericht eingegangen am 25. Ju-
ni 2014, hat die Beschwerdeführerin die Anträge zu 2., 3., 4. und 5. nur noch hilfs-
weise aufrecht erhalten, falls die Zulässigkeit des Einspruchs angenommen wer-
den sollte und den Antrag zu 6. nur noch hilfsweise aufrecht erhalten, falls die Zu-
lässigkeit des Einspruchs nach Aktenlage bereits aus dem schriftlichen Verfahren
angenommen werden sollte.
Zur Begründung ihrer Anträge hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, die Ent-
scheidung der Patentabteilung verstoße gegen die Grundsätze der Gewährung
rechtlichen Gehörs, da sie u. a. aufgrund des Telefonats mit dem DPMA vom
22. Juli 2013 davon habe ausgehen können, eine weitere Mitteilung der Patentab-
teilung zu erhalten, bevor eine Entscheidung getroffen würde und sie somit genü-
gend Zeit gehabt hätte, einen Schriftsatz einzureichen. Das Vorgehen des DPMA
sei nicht mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes in Bezug auf behördliche
Mitteilungen vereinbar. Darüber hinaus bekräftigt die Beschwerdeführerin ihre Auf-
fassung, wonach der Einspruch der Beschwerdegegnerin unzulässig sei, denn sie
habe im Rahmen ihrer Substantiierungspflicht sämtliche Nachweise, demnach
auch die E5, bereits vor Ablauf der Einspruchsfrist vorlegen müssen. Den umfäng-
lichen Vortrag zur mangelnden Zulässigkeit hat die Beschwerdeführerin auch für
die Begründung mangelnder Neuheit herangezogen. Da eine Veröffentlichung des
Dokuments E2 nicht ausreichend nachgewiesen worden sei, könne dies folglich
den Widerruf des Streitpatents nicht in zulässiger Weise begründen. Zudem sei
sowohl von der Neuheit der Ansprüche des ersten und des zweiten Hilfsantrags
als auch von deren ausreichender Erfindungshöhe auszugehen.
Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin hat sich bisher im Verfahren nicht
geäußert und keine Anträge gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses der Patentab-
teilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. Januar 2014 und zur
Zurückverweisung der Sache gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG aufgrund des Vorlie-
gen eines schwerwiegenden Verfahrensverstoßes.
Soweit im vorliegenden Verfahren die Amtsakte des Deutschen Patent- und Mar-
kenamts ausschließlich in elektronischer Form vorliegt und im Zuge dessen der
Beschluss der Patentabteilung gewisse formelle Mängel aufweist, sieht der Senat
von einer Zurückverweisung bereits in diesem Zusammenhang ab (vgl. hierzu
ausführlich Beschl. des Senats vom 12.05.2014
– 20 W (pat) 28/12).
Nach § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG kann eine Zurückverweisung, die im Ermessen des
Gerichts liegt, ausgesprochen werden, wenn das Verfahren vor dem Patentamt an
einem wesentlichen Mangel leidet. Dies ist hier der Fall, da die Patentinhaberin
und Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf
die Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs.1 GG verletzt ist.
Die Patentabteilung 31 hat in der Sitzung am 22. Januar 2014 auf den Einspruch
der Beschwerdegegnerin das Patent in vollem Umfang widerrufen, obwohl sich die
Patentinhaberin und Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 9. Juni 2007 für
den Fall, dass die Patentabteilung den Einspruch nicht durch Vorabentscheidung
als unzulässig verwerfen würde, Sachvortrag zur materiellrechtlichen Begründet-
heit des Einspruchs ausdrücklich vorbehalten hat (vgl. dort S. 6). Die Patentabtei-
lung 31 hat diesen Vorbehalt sogar in ihrem Beschluss vom 22. Januar 2014 aus-
drücklich erwähnt (vgl. dort S. 2 und S. 9 letzter Absatz). Hinzu kommt, dass die
Patentinhaberin und Beschwerdeführerin mehrmalige Sachstandsanfragen an das
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DPMA gerichtet hat. Ob die Patentabteilung den Erlass einer Vorabentscheidung
über die Zulässigkeit des Einspruchs in zutreffender Weise abgelehnt hat, kann
dabei dahinstehen. Es kommt entscheidend darauf an, dass der Einspruch für zu-
lässig und begründet erachtet wurde ohne der Patentinhaberin und Beschwerde-
führerin
– entgegen ihrer ausdrücklichen Bitte - Gelegenheit zur Stellungnahme
die Begründetheit des Einspruchs betreffend zu gewähren. Dies rechtfertigt bereits
die Zurückverweisung des Verfahrens gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 2 PatG (vgl. hierzu
BPatGE 47, 21, 22
– Reversible Krawattenbefestigung; Schulte/Püschel, Patent-
gesetz, 9. Aufl., § 79 Rn. 24 m. w. N.) ohne dass es noch darauf ankommt, ob sich
das DPMA in dem Telefonat vom 23. Juli 2013 nochmals ausdrücklich dahin-
gehend geäußert hat, dass vor einer Entscheidung eine weitere Mitteilung an die
Patentinhaberin und Beschwerdeführerin erfolgen werde. Ein solcher Hinweis der
Patentabteilung an die Verfahrensbeteiligten, dass zu einem bestimmten Termin
auch in der Sache selbst entschieden werde, wäre in jedem Fall angezeigt gewe-
sen. Dass die Beschwerdeführerin von einem Antrag auf mündliche Verhandlung
abgesehen hat, vermag angesichts ihrer ausdrücklich vorbehaltenen Stellungnah-
me zur Begründetheit den Vorwurf des mangelnden rechtlichen Gehörs ebenfalls
nicht auszuräumen.
2. Die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr beruht auf Billigkeits-
erwägungen (§ 80 Abs. 3 PatG), da
– wie vorstehend ausgeführt - die Versagung
des rechtlichen Gehörs vor Beschlussfassung durch die Patentabteilung einen
schwerwiegenden Verfahrensfehler darstellt.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diesen Beschluss des Beschwerdesenats steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten
die Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Absatz 2, § 100 Absatz 1, § 101 Absatz 1 des Patentgesetzes).
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Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird,
dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes
kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abge-
lehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er
nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vor-
schriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist
(§ 100 Absatz 3 des Patentgesetzes).
Die Rechtsbeschwerde ist beim Bundesgerichtshof einzulegen (§ 100 Absatz 1 des Patent-
gesetzes). Sitz des Bundesgerichtshofes ist Karlsruhe (§ 123 GVG).
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof schriftlich einzulegen (§ 102 Absatz 1 des Patentgesetzes). Die Postanschrift
lautet: Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe.
Sie kann auch als elektronisches Dokument eingereicht werden (§ 125a Absatz 2 des Patent-
gesetzes in Verbindung mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim
Bundesgerichtshof und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) vom 24. August 2007 (BGBl. I
S. 2130)). In diesem Fall muss die Einreichung durch die Übertragung des elektronischen
Dokuments in die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes erfolgen (§ 2 Absatz 2
BGH/BPatGERVV).
Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass der Beschluss auf einer Verletzung
des Rechts beruht (§ 101 Absatz 2 des Patentgesetzes). Die Rechtsbeschwerde ist zu begründen.
Die Frist für die Begründung beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Einlegung der Rechtsbe-
schwerde und kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 102 Absatz 3 des
Patentgesetzes). Die Begründung muss enthalten:
1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und seine Abänderung oder Auf-
hebung beantragt wird;
2.
die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm;
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3.
insoweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das
Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben
(§ 102 Absatz 4 des Patentgesetzes).
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen beim Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 102 Absatz 5 des Patent-
gesetzes).
Dr. Mayer
Kopacek
Albertshofer
Dr. Wollny
Ko