Urteil des BPatG vom 10.12.2015

Stand der Technik, Patentanspruch, Epü, Fig

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
2 Ni 39/13 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
In der Patentnichtigkeitssache
Verkündet am
10. Dezember 2015
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 675 801
(DE 50 2004 012 888)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts durch den
Vorsitzenden Richter Guth, die Richterin Dr. Hoppe und die Richter Dr.-Ing. Fritze,
Dipl.-Ing. Fetterroll und Dipl.-Ing. Wiegele in der mündlichen Verhandlung vom
10. Dezember 2015
für R e c h t erkannt:
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Nichtigerklärung des europäischen
Patents 1 675 801. Der Beklagte ist Inhaber dieses am 15. Oktober 2004
angemeldeten Patents (im Folgenden: Streitpatent), das auf die PCT-Anmeldung
PCT/EP2004/011662 zurückgeht, die als WO 2005/037707 A1 veröffentlicht
worden ist, und für das die Priorität der deutschen Patentanmeldung
DE 103 48 341 vom 17. Oktober 2003 in Anspruch genommen wird. Das in der
Verfahrenssprache Deutsch mit der Bezeichnung
„Reit-/Fahrhalfter“ abgefasste
Streitpatent ist am 21. September 2011 als EP 1 675 801 B1 veröffentlicht worden
und wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer
DE 50 2004 012 888.2 geführt.
Der ursprünglich erteilte Patentanspruch 1, dem sich die darauf rückbezogenen
Unteransprüche 2 bis 8 anschließen, lautet in EP 1 675 801 B1 (K1):
- 3 -
Reit-/Fahrhalfter mit einem Sperrhalfter (11) und Backenriemen (7)
zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11) und mit
Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf,
dadurch gekennzeichnet, dass die Backenriemen (7) durch eine
Verschnallung abgewinkelt verlaufen, sodass eine Zugkraft im
Backenriemen (7) in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird.
Hinsichtlich des Wortlauts der rückbezogenen Patentansprüche wird auf die
Patentschrift EP 1 675 801 B1 (K1) verwiesen.
Auf Antrag des Beklagten hat die Patentabteilung des Europäischen Patentamts
das Streitpatent mit Entscheidung vom 18. Dezember 2014 beschränkt. Das
geänderte Streitpatent ist am 14. Januar 2015 als EP 1 675 801 B3 (K1B)
veröffentlicht worden. Aufgrund dieser Beschränkung hat die Klägerin den
Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2015 in der Hauptsache insoweit für
teilweise erledigt erklärt.
Das Streitpatent umfasst in seiner beschränkten Fassung nunmehr den
Anspruch 1 und die darauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6.
Anspruch 1 lautet:
Reit-/Fahrhalfter mit einem Sperrhalfter (11) und Backenriemen (7)
zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11) und mit
Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf
dadurch gekennzeichnet, dass die Backenriemen (7) durch eine
Verschnallung abgewinkelt verlaufen, wobei die Backenriemen (7)
jeweils aus einem oberen Backenriementeil (7A) und einem unteren
Backenriementeil (7B) bestehen und in einem Winkelpunkt (8)
miteinander verbunden sind, an dem auch ein Unterkieferriemen (9)
angreift,
der
über
die
Backenmuskulatur
unter
dem
Unterkieferknochen des Pferdes verläuft, und die Backenriemen (7)
jeweils am Winkelpunkt (8) durch den Unterkieferriemen (9)
- 4 -
abgewinkelt werden, sodass eine Zugkraft im Backenriemen (7) in
Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird.
Hinsichtlich des Wortlauts der rückbezogenen Patentansprüche wird auf die
Patentschrift EP 1 675 801 B3 (K1B) verwiesen.
Die Klägerin hat das ursprünglich erteilte Streitpatent in vollem Umfang
angegriffen und greift auch das beschränkte Streitpatent vollumfänglich an. Sie
macht zu beiden Fassungen den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit
und bezüglich der Patentansprüche nach der Beschränkung eine Erweiterung des
Schutzbereichs und eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Inhalt der
ursprünglich eingereichten Anmeldung geltend. Zur Stützung ihres Vorbringens
nennt sie folgende Druckschriften:
US 5,079,904
DE 203 06 705 U1
US 4,459,795
Die Klägerin meint, sowohl dem Gegenstand von Anspruch 1 des ursprünglich
erteilten Streitpatents als auch dem des Streitpatents in der beschränkten
Fassung mangele es im Hinblick auf die D1 an Neuheit; ungeachtet dessen
beruhe er unter Berücksichtigung der D1 und der D2 nicht auf erfinderischer
Tätigkeit. Der Gegenstand der abhängigen Unteransprüche sei
– jeweils für sich
gesehen
– ebenfalls nicht neu, beruhe jedoch zumindest nicht auf erfinderischer
Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik.
Das Streitpatent in der beschränkten Fassung beinhalte zudem eine
Schutzbereichserweiterung und eine unzulässige Erweiterung gegenüber der
ursprünglichen Anmeldung, weil letztere nicht erkennen lasse, dass der rechte und
der linke Backenriemen an einem Winkelpunkt miteinander verbunden seien.
Ferner finde sich keine Stütze für einen Unterkieferriemen, der auch an dem
Winkelpunkt (8) angreife, an dem die Backenriemen miteinander verbunden seien.
- 5 -
Die Klägerin beantragt,
1. das europäische Patent 1 675 801 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet
2. festzustellen, dass der Rechtsstreit im Umfang der Beschränkung
des europäischen Patents 1 675 801 gemäß Beschluss des EPA
vom 18. Dezember 2014 in der Hauptsache erledigt ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und
meint, der Gegenstand des beschränkten Streitpatents sei patentfähig; in der
neuen Fassung sei er weder unzulässig erweitert gegenüber der ursprünglichen
Anmeldung noch sei der Schutzbereich gegenüber dem Streitpatent in der zuerst
erteilten Fassung erweitert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist zulässig, aber in der Sache erfolglos.
I.
Der Feststellungsantrag der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Der Feststellungsantrag, mit dem die Klägerin beantragt festzustellen, dass
der Rechtsstreit im Umfang der Beschränkung des Streitpatents erledigt ist, ist
zulässig, denn nachdem das Europäische Patentamt das Streitpatent beschränkt
- 6 -
hat, hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der
Teilerledigung (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 256 Abs. 1 ZPO). Die teilweise
Beschränkung
des
Streitpatents
im
Beschränkungsverfahren
vor
dem
Europäischen Patentamt hat nämlich zur Folge, dass das Streitpatent insoweit mit
rückwirkender Kraft (Singer/Stauder, EPÜ, 6. Aufl., § 105b Rd. 27; Benkhard,
EPÜ, 2. Aufl., Art. 105b Rd. 35) beschränkt wird und eine Nichtigerklärung im
Umfang eines darüber hinaus gehenden Teils des Streitpatents ins Leere gehen
würde.
Eine übereinstimmende Teilerledigungserklärung liegt nicht vor. Der ursprüngliche
Antrag des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 30. Oktober 2013, das Verfahren
bis zum Abschluss des Beschränkungsverfahrens vor dem Europäischen
Patentamt auszusetzen und die Klage hinsichtlich der beschränkten Fassung
abzuweisen, ist nicht als Teilerledigungserklärung auszulegen, weil das
Streitpatent zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschränkt war. Hinzu kommt, dass
die Klägerin zu diesem Zeitpunkt auch noch keine Teilerledigung erklärt hatte, der
sich der Beklagte hätte anschließen können. Außerdem fehlt es an der für eine
Prozesshandlung erforderlichen Klarheit und Eindeutigkeit der notwendigen
Erklärung des Beklagten.
Eine Fiktion der Erledigungserklärung seitens der Beklagten nach § 91a Abs. 1
Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 99 Abs. 1 PatG ist ebenfalls nicht eingetreten, da
der Beklagte mit Zustellung des Schriftsatzes vom 16. Oktober 2015 nicht darauf
hingewiesen worden ist, dass seine Zustimmung zur Erledigungserklärung fingiert
wird, wenn er der Erledigungserklärung der Klägerin nicht innerhalb einer Notfrist
von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes widerspricht.
2.
Die Feststellungsklage wäre aber nur begründet, wenn die Klage
ursprünglich zulässig und begründet gewesen und erst durch ein Ereignis nach
Rechtshängigkeit unzulässig oder unbegründet geworden wäre. Das ist hier indes
nicht der Fall, weil die ursprüngliche, gegen das erteilte Streitpatent in der
unbeschränkten Fassung gerichtete Klage, mit der ausschließlich der
Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht worden ist
- 7 -
(Artikel II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m.
Artikel 54 und Artikel 56 EPÜ), unbegründet gewesen ist.
Die Erfolgsaussicht dieses Feststellungsantrags ist anhand einer umfassenden
Prüfung der Sach- und Rechtslage zu bestimmen; sie kann nicht schon daraus
gefolgert werden, dass der Patentinhaber sein Patent selbst beschränkt hat. Zwar
wird im Rahmen einer Erledigungserklärung vertreten, dass
eine Selbstbeschränkung (bzw. ein Patentverzicht) darauf hindeute, dass die
Klage insoweit zulässig und begründet gewesen wäre, sodass die entsprechenden
Kosten dem Beklagten aufzuerlegen seien (Schulte, PatG, 9. Aufl., § 81 Rd. 171,
174; vgl. BGH GRUR 1961, 278, 279
– Lampengehäuse; BPatGE 31, 191, 192; 3,
53; 3, 172; 18, 50; 31, 191). Der BGH begründet dies damit, dass der
Grundgedanke der auf eine Vereinfachung des Verfahrens abzielenden Vorschrift
des § 91a ZPO nicht mit einer umfassenden Prüfung der Rechtslage vereinbar sei
(BGH GRUR 1961, 278, 279
– Lampengehäuse). Es solle vermieden werden,
unübersichtliche Probleme einzig im Rahmen der Kostenentscheidung zu klären
(BGH GRUR 1961, 278, 279
– Lampengehäuse; relativierend aber: BGH GRUR
2004, 623, 624
– Stretchfolienumhüllung, wonach eine andere Kostenverteilung
geboten sein könne, wenn die Annahme, dass das Streitpatent sich ohne das
erledigende Ereignis nicht als patentfähig erwiesen hätte, nicht gerechtfertigt sei).
Im
Rahmen
eines
Feststellungsantrags
infolge
einer
nur
Erledigungserklärung ist aber stets eine strenge, am Sach- und Streitstand
ausgerichtete Prüfung der Erfolgsaussicht der ursprünglichen Nichtigkeitsklage
vorzunehmen, weil es sich insoweit um eine echte Sach- und nicht nur um eine
Kostenentscheidung handelt, bei der die mit § 91a ZPO bezweckte Vereinfachung
des Verfahrens nicht zum Tragen kommt.
3.
Die Prüfung der Erfolgsaussicht der ursprünglichen Nichtigkeitsklage hat
ergeben, dass die Gegenstände der Patentansprüche gemäß dem ursprünglich
erteilten Streitpatent (EP 1 675 801 B1) patentfähig waren.
- 8 -
a)
Das Streitpatent betrifft ein Reit-/Fahrhalfter mit einem Sperrhalfter und
Backenriemen zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters und eines Gebisses
am Pferdekopf. Aus den Ausführungen zum Stand der Technik in der
Streitpatentschrift geht hervor, es sei bekannt, dass viele körperliche sowie reit-
und fahrsportliche Probleme bei Pferden ihren Ursprung im Genickbereich des
Pferdes hätten und dass starker Druck im Nacken des Pferdes, ausgelöst durch
die
Zäumung,
Ursache
körperlicher
Beschwerden
sein
könne.
Die
DE 203 06 705 U1 (hier als D2 im Verfahren) offenbare ein Zaumzeug für ein
Pferd gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1, das hinter den Ohren und am
Kopf des Pferdes anliege und das zumindest einen Kehlriemen und/oder
wenigstens einen Gebissriemen halte, wobei das Genickstück auf seiner den
Ohren zugewandten Seite wenigstens eine Aussparung aufweise; ferner offenbare
die DE 203 06 705 U1 einen Nasenriemen, der durch geradlinig verlaufende
Reithalfterriemen zu einem Genickstück festgelegt sei.
b)
Vor diesem Hintergrund besteht die Aufgabe des Streitpatents darin, ein
Reit-/Fahrhalfter zu schaffen, bei dem störende Einflüsse aus dem Druck auf den
Nacken des Pferdes vermindert werden.
c)
Gelöst wurde diese Aufgabe im ursprünglich erteilten Patent durch den
Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 8. Dabei umfasste der Patentanspruch 1
die folgenden Merkmale:
a)
Reit-/Fahrhalfter
ba)
mit einem Sperrhalfter (11) und
bb)
Backenriemen (7) zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11)
und
bc)
mit Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am
Pferdekopf
dadurch gekennzeichnet, dass
c)
die Backenriemen (7) durch eine Verschnallung abgewinkelt
verlaufen,
- 9 -
cb)
sodass eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den
Pferdehals gelenkt wird.
d)
Als Fachmann ist hier ein Sattlermeister mit einschlägigen Kenntnissen und
Erfahrungen auf dem Gebiet der Pferdehalfter, der einen Pferdeveterinär zu Rate
zieht, anzusehen. Für die Auslegung des Patentanspruchs, die nach ständiger
Rechtsprechung stets geboten ist (BGH GRUR 2015, 875 (Rd. 16)
Rotorelemente), sind die Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die
Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen (vgl. BGH GRUR
2015, 972 (Rd. 22) - Kreuzgestänge m. w. N.).
Zum Merkmal a), Reit-/Fahrhalfter, ist in der Streitpatentschrift dargelegt, das
erfindungsgemäße Reit-/Fahrhalfter könne für alle Reit- und Fahrtiere verwendet
werden; es werde von einem Einsatz an Pferden ausgegangen, da es sich dabei
um das Hauptanwendungsgebiet handele (K1, Sp. 2, Abs. [0008], erster Satz). Mit
so einem Reit- bzw. Fahrhalfter wird ein Reiter oder Fahrer in die Lage versetzt,
beispielsweise einem Pferd im Reit- und Fahrbetrieb Hilfen, insbesondere
lenkende und bremsende Zügelhilfen, zu vermitteln, um das Reit-/Fahrtier auf
diese Weise zu kontrollieren (vgl. D1, Sp. 1, Z. 21 bis 24). Ein Fachmann weiß,
dass dazu die Riemen eines Reit-/Fahrhafters, ohne das Tier zu beeinträchtigen,
an dessen Kopf straff anliegen müssen (vgl. K1, Sp. 1, Abs. [0003], Z. 39 bis 40).
Dies unterscheidet ein Reit-/Fahrhalfter von einem lose sitzenden Stallhalfter, das
dem Pferdemaul Bewegungsspielraum ermöglicht.
Ein Sperrhalfter 11 gemäß Merkmal ba) umfasst hier u. a. einen um die Nase des
Pferdes
verlaufenden
Riemen
eines,
beispielsweise
als
Trensenzaum
ausgebildeten, üblichen Reit-/Fahrhalfters (K1, Sp. 5, Abs. [0023], Z. 7 bis 9).
Fig. 2 zeigt ein Reit-/Fahrhalfter gemäß dem Stand der Technik mit diesem
Merkmal; die Fig. 3a, 3b, 4a und 4b zeigen das streitpatentgemäße Reit-
/Fahrhalfter als insoweit übereinstimmend ausgestaltet. Dem Fachmann ist
aufgrund seines Fachwissens bekannt, dass der Nasenriemen (11) verhindern
soll, dass das Pferd das Maul zu weit aufsperrt.
- 10 -
Zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters 11 sind gemäß Merkmal bb)
Backenriemen 7 vorgesehen. Die Zweckangabe ist hier als einschränkend zu
berücksichtigen, denn sie macht deutlich, dass die Backenriemen dem
Nasenriemen Halt geben und im Wesentlichen lediglich die vom Sperrhalfter
herrührenden Zugkräfte aufnehmen und weiterleiten und keine körperliche
Verbindung zu einem Gebiss besteht. bedeutet, dass an dem
Sperrhalfter zusätzlich beispielsweise ein Pullerriemen 12 befestigt sein kann (K1,
Sp. 5, Abs. [0025], Z. 50 und 51 sowie Fig. 3a). Die Fig. 3a und 3b zeigen das
noch unvollständige erfindungsgemäße Halfter jeweils ohne angeschnalltes
Gebiss - zum einen mit Blick auf die linke Seite, zum anderen auf die Unterseite
und teilweise die rechte Seite des Pferdekopfes; sie lassen erkennen, dass zwei
Backenriemen 7 vorhanden sind, jeweils einer auf jeder Seite des Kopfes.
Zusätzlich zu den Backenriemen 7 sind Backenstücke 3 vorgesehen. Diese haben
gemäß Merkmal bc) eine andere Funktion als die Backenriemen 7, denn sie
dienen ausweislich des ursprünglich erteilten Anspruchs 1 nicht der Befestigung
des Sperrhalfters 11, sondern
„zur Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf“.
Dies ist bei der Beurteilung des Gegenstands des Anspruchs ebenfalls
entsprechend zu berücksichtigen, denn gemäß ihrem angegebenen Zweck
nehmen diese Backenstücke 3 die vom Gebissstück herrührenden Kräfte auf. Die
Fig. 4a und 4b illustrieren die Anordnung der Backenstücke 3 aus den
Perspektiven gemäß den Fig. 3a und 3b; sie zeigen sowohl die Backenriemen 7
als auch das mit einem linken und einem rechten Backenstück 3 in das Halfter
eingeschnallte Trensengebiss 13. Die Figuren 3a und 4a nebeneinander
betrachtet verdeutlichen, dass die Backenstücke 3, um ihrer Funktion als
Gebissbefestigung gerecht zu werden, am Nackenstück 5 an einer eigenen
Strupfe 18
befestigt
sind,
wogegen
die
Backenriemen 7
als
Sperrhalfterbefestigung an einer anderen Strupfe 19 angeschnallt sind.
Das Merkmal c) gemäß dem gegliederten Patentanspruch 1, wonach die
Backenriemen
(7) „durch eine Verschnallung“ abgewinkelt verlaufen, ist im Sinne
von zu verstehen (vgl. K1, Sp. 2, Abs. [0009] und
[0010]). Die konkrete Ausführung der Verschnallung lässt der Anspruch 1 offen.
Jedenfalls soll diese aber so ausgeführt sein, dass Merkmal cb) erfüllt ist, wonach
- 11 -
eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird.
Zum Verständnis dessen kann der Fachmann der Fig. 4a anhand des darin
abgebildeten Kräfteparallelogramms unmittelbar entnehmen, dass im Vergleich
zum Stand der Technik, den die Fig. 2 illustriert, die Zugkraft des Sperrhalfters 11
nicht mehr direkt über einen gerade verlaufenden Riemen 4 (Wangenstück vgl.
K1, Sp. 7, Abs. [0032]) auf den Pferdenacken einwirkt, sondern aufgrund des
abgewinkelten Verlaufs des Backenriemens 7 nun in zwei Komponenten 7A, 7B
aufgeteilt ist, von denen eine - 7B - in Richtung auf den Pferdehals weist.
e)
Ausgehend von dieser Auslegung war bereits das Reit-/Fahrhalfter gemäß
dem Anspruch 1 des zuerst erteilten Streitpatents patentfähig.
aa)
Zum einzigen gegen die ursprünglich erteilte Fassung des Streitpatents
geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit ist
festzustellen, dass das aus Druckschrift D1 hervorgehende Zaumzeug (bridle 10)
mit dem davon umfassten Halfter (headstall 13) schon nicht die im Oberbegriff des
Anspruchs 1 des zunächst erteilten Streitpatents angegeben Merkmale vollständig
erfüllt und daher die Neuheit bereits dieses Anspruchsgegenstandes gegeben
war.
Dem Halfter gemäß dem Stand der Technik D1 fehlen jedenfalls die beiden
Merkmale bb) und bc) des Halfters gemäß dem ursprünglich erteilten Streitpatent,
welche die Backenriemen 7 bzw. Backenstücke 3 und deren jeweilige Funktion
betreffen. Beim Streitpatent verlaufen diese als jeweils voneinander getrennte
Komponenten des Halfters seitlich über die Backen des Pferdekopfes und erfüllen
klar voneinander zu unterscheidende Funktionen. Wie oben dargelegt dienen die
Backenriemen 7 der Befestigung zumindest des Sperrhalfters 11, und die
Backenstücke 3 bezwecken die Befestigung eines Gebisses am Pferdekopf. Bei
dem aus der Druckschrift D1 hervorgehenden Halfter ist dagegen nur eine
Komponente erforderlich, die aber beide Funktionen zu leisten vermag: sowohl als
Stallhalfter (halter to tether a horse) als auch als Reithalfter (for riding purposes),
weist es beidseits des Pferdekopfes angeordnet ein Backenstück (cheek pieces,
17a bzw. 17b) mit einteilig damit verbundenen Teilbereichen (portions 33a
bis 33b) auf. Die Backenstücke 17 sind zweilagig (two layered) und haben an
- 12 -
gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Vereinzelung (separation 32a bzw. 32b),
worin das Nasenband (nose band 16) angebracht ist. Die Teilbereiche (portions
33a bzw. 33b) verlängern die Backenstücke nach dem Nasenband (extending
from cheek pieces 17a und 17b respectively, past nose band 16). Durch
Umbiegen der Teilbereiche 33 nach außen zurück (double outwardly back)
werden
Schlaufen
(loops 34)
geformt
und
die
Teilbereiche
mittels
Klettverschlüssen auf der Oberseite des Wangen- oder Backenstücks befestigt.
Auf diese Weise bildet man zunächst ein Stallhalfter, welches aber in ein
Reithalfter umgewandelt werden kann, indem man die Teilbereiche 33 durch die
Ringe 37 eines Gebisses (bit 14) führt, um dieses in den Schlaufen 34 zu
befestigen. Umgekehrt lässt sich das Gebiss durch Öffnen des Klettverschlusses
jederzeit abnehmen (D1 Sp. 3, Z. 5 bis 39 i. V. m. Fig. 4 und 5) und das Reithalfter
wieder in ein Stallhalfter zurückbauen.
Demnach sind die portions 33a und 33b des aus der D1 bekannten Halfters als
integraler Bestandteil jeweils der cheek pieces 17a bzw. 17b offenbart und
entsprechen nicht der Vorgabe des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents,
wonach das erfindungsgemäße Reit-/Fahrhalfter außer den Backenriemen 7
davon getrennte, zusätzliche Backenstücke 3 jeweils mit unterschiedlichen
Funktionen aufzuweisen hat.
Bereits aufgrund dieses Unterschiedes war die Neuheit des Reit-/Fahrhalfters
gemäß dem zuerst erteilten Streitpatent anzuerkennen, und es kann dahin gestellt
bleiben, in wieweit bezüglich der weiteren im Patentanspruch 1 angegebenen
Merkmale Übereinstimmungen zwischen dem Reit-/Fahrhalfter gemäß dem zuerst
erteilten Streitpatent und dem aus dem Stand der Technik gemäß Druckschrift D1
bekannten bestehen.
Die Auffassung der Klägerin, wonach der Patentinhaber sich die in Druckschrift D1
gezeigten und beschriebenen portions 33 als die patentgemäß vorgesehenen
Backenstücke 3 entgegenhalten lassen müsse, trifft nicht zu. Letztere sind
Gegenstand des in den Oberbegriff des Patentanspruchs 1 aufgenommenen
Merkmals bc) gemäß der Gliederung, das in die Neuheitsprüfung einzubeziehen
ist.
- 13 -
Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei Merkmal bc) um ein
einschränkendes Merkmal, denn es bildet mit den Merkmalen a), ba) und bb) den
Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs, und in ihrer Gesamtheit grenzen sie
diese aus einem einzigen Stand der Technik bekannten Merkmale von den
kennzeichnenden Merkmalen der Erfindung ab, für die der Patentinhaber in
Verbindung mit dem Oberbegriff Schutz begehrt.
Auch der Einwand der Klägerin, das Merkmal bc) sei nicht notwendig, um die
Lehre des Patents auszuführen, und betreffe daher eine Überbestimmung, greift
nicht durch, denn die Merkmale des Oberbegriffs und somit auch Merkmal bc)
gehören in ihrer Gesamtheit, wenn auch aus dem Stand der Technik bereits
bekannt, gleichwohl untrennbar zur erfindungsgemäßen Lehre.
Der Auffassung der Klägerin, Merkmal bc) an sich trage nicht zur Lösung der
zugrundeliegenden Aufgabe bei, ist zwar zuzustimmen, zumal die zweiteilige
Anspruchsfassung verdeutlicht, dass es zu den bereits aus dem Stand der
Technik bekannten Merkmalen zählt. Dennoch muss es -
wie bereits oben
ausgeführt - für die vollständige und sachgerechte Beurteilung, ob ein
Nichtigkeitsgrund vorliegt, mit in Betracht gezogen werden.
bb)
Das Reit-/Fahrhalfter gemäß dem ursprünglich erteilten Anspruch 1
beruhte zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand ergibt sich nicht in naheliegender Weise aus einer Kombination
der D1 mit der D2.
Wie bereits oben zur Neuheit ausgeführt, sind die Backenstücke 3 auch in diesem
Zusammenhang zu berücksichtigen, denn grundsätzlich sind alle in dem
Patentanspruch benannten Merkmale als erfindungswesentlich anzusehen, auch
die bereits aus dem Stand der Technik bekannten, weil damit diesem gegenüber
die Tragweite der Erfindung deutlich wird.
- 14 -
Die Klägerin geht von der Druckschrift D1 als nächstliegendem Stand der Technik
aus. Dieser offenbare bereits die abgewinkelte Verschnallung gemäß den
kennzeichnenden Merkmalen im Anspruch 1. Allein die Backenstücke 3 zur
Befestigung des Gebisses am Pferdekopf verblieben als Unterschied. Druckschrift
D1 offenbare ebenfalls Backenstücke, nämlich die portions 33, an denen dort das
Gebiss befestigt sei. Vor der Aufgabe, diese wenig stabile Befestigung zu
verbessern, habe der Fachmann Veranlassung, sich nach einer alternativen
Befestigung umzusehen und zöge die Druckschrift D2 heran, welche die im
Streitpatent konkret dargestellten Backenstücke sogar als Standardlösung
bezeichne (siehe S. 1, 3. Abs. in D2). Der Gegenstand des Streitpatentanspruchs
sei aus dem Stand der Technik somit nahegelegt.
Dies trifft nicht zu, denn der Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents in der
ursprünglich erteilten Fassung bringt klar zum Ausdruck, dass hinsichtlich
Anordnung, Ausgestaltung und Zweck Unterschiede zwischen den Backenriemen
(7) zur Befestigung des Sperrhalfters und den Backenstücken (3) zur Befestigung
des Gebisses am Pferdekopf bestehen. Die von der Klägerin in der D1 dagegen
als Backenstücke angesehenen portions 33 sind
– wie zum Neuheitsvergleich im
vorigen Abschnitt bereits dargelegt ist
– Teilbereiche (eben: „portions“), die in der
in Druckschrift D1 aufgezeigten Ausgestaltung des bekannten Halfters
Verlängerungen und somit integrale Bestandteile der Backenriemen 17 (cheek
pieces) sind. Diese dienen
– erstens - zur Befestigung eines Nasenriemens und
sollen
– zweitens - zusätzlich ein Gebiss halten können, was die Umwandlung
eines Stallhalfters in ein Reithalfter ermöglicht. Davon abzuweichen, besteht aus
fachmännischer Sicht kein Anlass, schon weil zusätzliche Komponenten am
Halfter vorzusehen wären, und dies auch die in der Druckschrift D1 formulierte
Aufgabe nicht löst, ein neues und verbessertes Zaumzeug zu schaffen (provide a
new and improved bridle), das als sicheres Stallhalfter gebraucht werden kann
(which may be safely used as a halter), mit einem Gebiss, das einfach angebracht
und entfernt werden kann (with a bit that can easily attached and removed) und
das leicht in ein Stallhalfter umgewandelt werden kann (which can be easily
transformed into a halter (Sp. 1, Z. 56 bis 64)). Die von der Klägerin gemäß ihrer
Definition zugrunde zu legende Aufgabe, das Gebiss stabiler zu befestigen, kann
dort vom Fachmann beispielsweise bereits mit einem längeren und/oder breiteren
- 15 -
Klettverschluss einfacher gelöst werden. Die von der Klägerin als Standardlösung
bezeichnete Lehre gemäß der D2, die jeweils separate Riemen (S. 3, 3. Abs. und
Fig. 1 und 2, Gebissriemen 15) zur Befestigung des Gebisses vorsieht, ist
demgegenüber technisch ersichtlich aufwändiger. Unter anderem ist dann an dem
aus D1 bekannten Zaum anstelle des dortigen aus einem einfachen Riemen
gebildeten Kopfstücks (crown piece 18) ein Kopfstück nach dem Vorbild der Lehre
aus der Druckschrift D2 mit Strupfen zur Befestigung der Backenriemen und
Backenstücke vorzusehen. Das bekannte Halfter wäre demnach komplett
umzugestalten, wobei für den Benutzer auch noch der eigentliche Vorteil des aus
Druckschrift D1 bekannten Zaumzeugs fortfiele, auf einfache Weise den Umbau
von einem Stall- in ein Reithalfter vornehmen zu können. Die streitpatentgemäße
Lösung ist dem Fachmann daher ausgehend von der Druckschrift D1 als
nächstem Stand der Technik nicht nahegelegt.
Weiterhin vertritt die Klägerin den Standpunkt, dem Streitgegenstand liege eine
erfinderische
Tätigkeit
ausgehend
von
einem
Reithalfter
gemäß
der
dieses Reithalfter gemäß D2 bereits den Oberbegriff des Patentanspruchs 1, und
es stellt sich objektiv dieselbe Aufgabe wie im Streitpatent, den Druck auf den
Nacken des Pferdes zu verringern. Indes offenbart die Druckschrift D2 die
kennzeichnenden Merkmale des Reit-/Fahrhalfters gemäß dem erteilten
Anspruch 1 nicht und legt diese auch nicht nahe.
Die Klägerin vertritt den Standpunkt, der Fachmann werde ausgehend von dem
Stand der Technik der Druckschrift D2 auf die Druckschrift D1 zugreifen und
könne Anregungen zur Lösung der Aufgabe des Streitpatents daraus entnehmen;
D1 offenbare eine abgewinkelte Verschnallung der Backenriemen mit der
erkennbaren Wirkung der Linderung des Drucks auf die Ohrhöcker. Dieser Stand
der Technik setze so die entscheidende Lehre des Streitpatents um, nach der eine
Druckentlastung des Pferdenackens erreicht werden solle, so dass dem
Fachmann die vom Beklagten als patentbegründend angesehene Lösung aus der
Zusammenschau von Merkmalen der aus den Druckschriften D2 und D1
bekannten Halfter nahegelegt sei.
- 16 -
Dem ist nicht zuzustimmen. Vielmehr hat ein Fachmann schon keinen Anlass, von
einem Stand der Technik gemäß der D2 ausgehend auf die Druckschrift D1
zuzugreifen, denn diese befasst sich
– wie bereits aufgezeigt – nicht mit dem
Problem, wie störende Einflüsse aus dem Druck auf den Nacken des Pferdes
vermindert werden können, sondern mit dem Problem der leichteren Umwandlung
von einem Reithalfter in ein Stallhalfter und umgekehrt (D1, Spalte 1, Z. 56 bis 64).
Sollte ein Fachmann dennoch diese Druckschrift betrachten, kann er zwar aus den
zeichnerischen Darstellungen des Halfters auf einen abgewinkelten Verlauf der
das Gebiss haltenden Backenriemen auch bei am Pferdekopf angelegtem Halfter
schließen. An keiner Stelle der Druckschrift D1 sind aber Hinweise darauf
enthalten, dass dort eine abgewinkelte Verschnallung im Sinne des
kennzeichnenden Merkmals c) des Anspruchs 1 des Streitpatents vorzunehmen
ist, weil damit eine Zugkraft im Backenriemen soweit in Richtung auf den
Pferdehals gelenkt werden kann, dass eine Entlastung des Pferdenackens eintritt.
Die mit der Lösung gemäß dem Streitpatent korrespondierenden Vorteile legt der
Stand der Technik gemäß Druckschrift D1 jedenfalls nicht nahe, denn dort ist nicht
das Wohlbefinden des Pferdes bei der Verwendung eines Reit-/Fahrhalfters im
Fokus, sondern die doppelte Verwendbarkeit eines Stallhalfters und dessen
erleichterte Handhabbarkeit durch den Reiter.
welche die Klägerin in dem Klageschriftsatz lediglich mit Blick auf den erteilten
Unteranspruch 7 herangezogen hat, hat der Fachmann keine Veranlassung, denn
diese betrifft ausdrücklich ein gebissloses Zäumungssystem im Gegensatz zum
Anspruchsgegenstand, der ein Zaumzeug mit Gebiss voraussetzt. Zudem ist dort
lediglich ein in den Nackenriemen übergehender Riemen vorgesehen, nicht aber
der im Streitpatent neben dem Backenstück (3) zusätzlich vorgesehene
Backenriemen (7). In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin diese
Druckschrift zu Recht nicht mehr berücksichtigt.
Die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 trägt auch die darauf rückbezogenen
Unteransprüche 2 bis 8.
- 17 -
Das Streitpatent war somit in der ursprünglich erteilten Fassung rechtsbeständig.
II.
Der Antrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents in der beschränkten Fassung,
mit der außer fehlender Patentfähigkeit zusätzlich die Nichtigkeitsgründe der
unzulässigen Erweiterung (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m.
Artikel 138 Absatz 1 lit. c) EPÜ) und der Erweiterung des Schutzbereichs (Artikel II
§ 6 Absatz 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1 lit. d) EPÜ) geltend
gemacht werden, ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Die Klägerin hat erstmals im Schriftsatz vom 16. Oktober 2015 als weiteren
Nichtigkeitsgrund
eine
unzulässige
Erweiterung
und
eine
Schutzbereichserweiterung geltend gemacht. Dies stellt eine Klageänderung dar
(BGH GRUR 2010, 901 - polymerisierbare Zementmischung), die gem. § 99
Abs. 1 PatG i. V. m. § 263 ZPO sachdienlich und damit zulässig ist (vgl. BGH
2.
a)
Das
beschränkte
Streitpatent
schützt
mit
seinem
neuen
Patentanspruch 1 - hier gegliedert und mit durch Fettdruck kenntlich gemachten
ergänzten Merkmalen - ein:
a)
Reit-/Fahrhalfter
ba)
mit einem Sperrhalfter (11) und
bb)
Backenriemen (7) zur Befestigung zumindest des Sperrhalfters (11)
und
bc)
mit Backenstücken (3) zur Befestigung eines Gebisses am
Pferdekopf
dadurch gekennzeichnet, dass
- 18 -
c)
die Backenriemen (7) durch eine Verschnallung abgewinkelt
verlaufen,
ca1)
wobei die Backenriemen (7) jeweils aus einem oberen
Backenriementeil (7A) und einem unteren Backenriementeil (7B)
bestehen und
ca2)
in einem Winkelpunkt (8) miteinander verbunden sind, an dem
auch ein Unterkieferriemen (9) angreift, der
ca3)
über die Backenmuskulatur unter dem Unterkieferknochen des
Pferdes verläuft, und
ca4)
die Backenriemen (7) jeweils am Winkelpunkt (8) durch den
Unterkieferriemen (9) abgewinkelt werden,
cb)
sodass eine Zugkraft im Backenriemen (7) in Richtung auf den
b)
Die zusätzlich aufgenommenen Merkmale bedürfen teilweise einer
Erläuterung.
Der Deutung des Anspruchswortlauts durch die Klägerin, wonach gemäß den
Merkmalen ca1) und ca2) des beschränkten und in Kraft stehenden
Hauptanspruchs 1 die Backenriemen (7) selber
– d. h. der rechte und der linke
Backenriemen (7)
– in einem Winkelpunkt (8) miteinander verbunden seien, ist
nicht zu folgen.
Ein zutreffendes Verständnis der Merkmale ca1) und ca2) ergibt sich für den
Fachmann, wenn er bei einer sachgerechten Auslegung des Patentanspruchs die
Beschreibung und die Zeichnungen der Patentschrift heranzieht.
Die Patentschrift des beschränkten Streitpatents (EP 1 675 801 B3; K1B)
beschreibt in Absatz
[0011], dass „die Backenriemen jeweils aus einem oberen
Backenriementeil und einem unteren Backenriementeil, welche am Winkelpunkt
miteinander verbunden s
ind“ bestehen. In den Figuren 3a bis 5 werden diese
beiden Backenriementeile (7A/7B) gezeigt. In Absatz [0025] wird zu der Figur 3a
ausgeführt, dass der Backenriemen
7 „aus einem oberen Teil 7A zwischen dem
- 19 -
Nackenstück 5 und einem Winkelpunkt 8 und einem unteren Teil 7B zwischen
dem Winkelpunkt 8 und dem Sperrhalfter
11 gebildet“ ist. Legt man den geltenden
Patentanspruch 1 im Sinne dieser Beschreibungspassagen und der zugehörigen
Zeichnungen aus, so ergibt sich eindeutig, dass das Patentanspruch 1
hinzugefügte Merkmal
„und in einem Winkelpunkt (8) miteinander verbunden sind“
sich auf die beiden Backenriementeile 7A und 7B bezieht. Für die von der Klägerin
vorgenommene Auslegung, dass damit eine unmittelbare Verbindung des linken
Backenriemens mit dem rechten Backenriemen in einem Winkelpunkt gemeint
sein soll, ergibt sich demgegenüber in der gesamten Patentschrift keinerlei
Anhaltspunkt, und es ist deshalb ausgehend von der Patentschrift auch nicht
ersichtlich, inwieweit dadurch die erfindungsgemäße Lehre verwirklicht werden
könnte. Eine derartige Auslegung stünde daher im Widerspruch zu einer
sinnvollen Auslegung des Patents.
3.
Dieses Verständnis der nunmehr maßgeblichen Patentansprüche in dem
beschränkten Streitpatent (EP 1 675 801 B3; K1B) zu Grunde gelegt, wird der
Gegenstand des Streitpatents gegenüber der ursprünglichen Anmeldung nicht
unzulässig erweitert (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138
Eine fehlende ursprüngliche Offenbarung der Merkmale a), ba), bb), bc), c) und
cb) wurde ebenso wie die der zusätzlichen Merkmale ca3) und ca4) nicht geltend
gemacht. Aber auch die in den neuen Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale
ca1) und ca2) sind entgegen der Meinung der Klägerin in den zur
Patentanmeldung eingereichten ursprünglichen Unterlagen offenbart.
Merkmal ca1) und der erste Teil des Merkmals ca2) stammen aus Anspruch 4 der
ursprünglichen Anmeldung, wobei aber hinsichtlich Merkmal ca2) an die Stelle von
„am Winkelpunkt (8) miteinander“ klarstellend der Wortlaut aus dem von S. 5 auf
S. 6 der Offenlegungsschrift WO2005/037707 übergreifenden Satz gesetzt wurde,
wonach der Backenriemen
7 aus einem oberen Teil 7A…und einem unteren Teil
7B gebildet ist, die …im Winkelpunkt 8 miteinander verbunden sind. Der zweite
Teil von Merkmal ca2), wonach an dem Winkelpunkt auch ein Unterkieferriemen
- 20 -
angreift, stammt aus dem Anspruch
2 der ursprünglichen Anmeldung (…durch
einen an einem Winkelpunkt
(8) …angreifenden Unterkieferriemen…).
4.
Mit den nunmehr maßgeblichen Patentansprüchen des beschränkten
Streitpatents (EP 1 675 801 B3) wird der Schutzbereich gegenüber dem der
Patentansprüche in der ursprünglich erteilten Fassung des Streitpatents nicht
erweitert (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 4 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1
lit. d) EPÜ).
Die in den geltenden Patentanspruch 1 aufgenommenen zusätzlichen Merkmale
ca1 bis ca4 bewirken eine Beschränkung des mit der erteilten Fassung gewährten
Patentschutzes. Ausgehend von der Auslegung unter Ziffer II. 2. b), wonach sich
die Verbindung an dem Winkelpunkt 8 auf die Backenriementeile 7A und 7B
bezieht, präzisieren diese Merkmale die Ausgestaltung des bereits gemäß dem
zuerst erteilten Patentanspruch 1 vorgesehenen Backenriemens 7 als aus zwei
Teilen bestehend, die jeweils an einem Winkelpunkt 8 angreifen. Zusätzlich ist nun
der Unterkieferriemen 9 Bestandteil des beanspruchten Reit-/Fahrhalfters, der
ebenfalls an dem Winkelpunkt 8 angreift. Zudem benennt der Anspruch den
Verlauf und die Lage des Unterkieferriemens 9
(„über die Backenmuskulatur unter
dem Unterkieferknochen“) und dessen Funktion, wonach durch den
Unterkieferriemen 9 die Backenriemen 7 jeweils am Winkelpunkt 8 abgewinkelt
werden. Die neue Anspruchsfassung gibt somit nunmehr konkret die Mittel vor,
welche bewirken, dass gemäß Merkmal cb) eine Zugkraft im Backenriemen 7 in
Richtung auf den Pferdehals gelenkt wird. Gegenüber dem erteilten
Patentanspruch 1, der die Auswahl dieser Mittel in das Belieben des Fachmanns
stellte, umfasst der neue Anspruch 1 somit zusätzliche, den Schutzgegenstand
und den Schutzbereich beschränkende Merkmale.
Demzufolge wurde - entgegen der Auffassung der Klägerin
– auch der
ursprünglich erteilte auf den Anspruch 1 rückbezogene Patentanspruch 2 durch
diese zusätzlichen Merkmale nicht erweitert, da dieser lediglich ein auf
Patentanspruch 1 rückbezogener Unteranspruch ist, dessen Schutzbereich kleiner
ist, als der des Hauptanspruchs.
- 21 -
5.
Die Gegenstände der geltenden, beschränkten Patentansprüche in der
Fassung des Streitpatents gemäß der EP 1 675 801 B3 sind zudem patentfähig,
weil die darin beanspruchte Lehre zum maßgeblichen Prioritätszeitpunkt
gegenüber dem Stand der Technik neu und erfinderisch war (Artikel II § 6 Abs. 1
Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ i. V. m. Artikel 54 und
Artikel 56 EPÜ). Das folgt schon daraus, dass die zusätzlich aufgenommenen
Merkmale - wie unter Ziffer II. 4. Begründet - lediglich zu einer Beschränkung des
zuerst erteilten Patentanspruchs 1 geführt haben. Da bereits der Gegenstand des
zuerst erteilten Streitpatents mit dem weiter gehenden Schutzgegenstand und
Schutzbereich patentfähig war (vgl. Ziffer I, 3.e)), muss dies schon zwangsläufig
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1
Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99
Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
IV.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG
statthaft.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form
abgefassten Urteils - spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung -
durch einen in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder
Patentanwalt
schriftlich
beim
Bundesgerichtshof,
Herrenstraße
45a,
76133 Karlsruhe, einzulegen.
- 22 -
Die Berufungsschrift muss
- die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet ist, sowie
- die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde,
enthalten. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte
Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Auf die Möglichkeit, die Berufung nach § 125a PatG in Verbindung mit § 2 der
Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und
Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) auf elektronischem Weg beim Bundes-
gerichtshof einzulegen, wird hingewiesen (www. bundesgerichtshof.de/erv.html).
Guth
Dr. Fritze
Fetterroll
Dr. Hoppe
Wiegele