Urteil des BPatG vom 15.05.2015

Digitales Buch, Stand der Technik, Schnittstelle, Stromversorgung

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
2 Ni 14/13 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
An Verkündungs Statt
zugestellt am:
15. Mai 2015
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 659 501
(DE 598 14 082)
hat der 2. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche
Verhandlung vom 29. Januar 2015 unter Mitwirkung des Richters Merzbach als
Vorsitzendem sowie der Richter Paetzold, Dipl.-Ing. Baumgardt, Dipl.-Phys.
Dr. Forkel und Dipl.-Ing. Hoffmann
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 659 501 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise
für nichtig erklärt, dass es folgende Fassung erhält:
1.
Digitales Buch zur Wiedergabe von Text und/oder
Bildinformationen, umfassend
ein Gehäuse mit einem Hauptteil (1) und zumindest einem
Nebenteil (2), wobei der Hauptteil und der zumindest eine
Nebenteil derart angeordnet sind, dass das Gehäuse
buchartig um genau eine Klappachse (A) eines Drehgelenks
auf- und zuklappbar ist,
eine Anzeigeeinheit mit mindestens einem Bildschirm (3, 4),
wobei im Drehgelenk eine Schnittstelle zur Stromversorgung
des digitalen Buchs angeordnet ist,
wobei die Schnittstelle in Form einer elektrischen
Steckverbindung ausgebildet ist,
- 3 -
wobei die Schnittstelle eine Führungs- und Versorgungs-
öffnung (7') aufweist,
wobei in der Führungs- und Versorgungsöffnung Gegenkon-
takte (8') für die Stromzuführung angeordnet sind,
wobei die Führungs- und Versorgungsöffnung zylindrisch
derart ausgebildet ist, dass die Längsachse der Führungs-
und Versorgungsöffnung koaxial zu der Klappachse liegt.
2.
Digitales Buch nach Anspruch 1, wobei die Schnittstelle im
Bereich einer Seite, insbesondere der Unterseite, des Dreh-
gelenks angeordnet ist.
3.
Digitales Buch nach Anspruch 1 oder 2, wobei die Schnitt-
stelle zur Übertragung von Datensignalen von oder zu
anderen Informationsverarbeitungssystemen ausgebildet ist.
4.
Digitales
Buch
nach
einem
der
vorangegangenen
Ansprüche, wobei die Schnittstelle zur bidirektionalen
und/oder
seriellen
Übertragung
von
Datensignalen
ausgebildet ist.
5.
Digitales Buch nach Anspruch 4, wobei die Führungs- und
Versorgungsöffnung Gegenkontakte (9') für die Zu- und
Abführung von Information aufweist.
6.
Digitales
Buch
nach
einem
der
vorangegangenen
Ansprüche, weiterhin umfassend eine Steuereinheit (10) mit
Mitteln zur Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung und
Wiedergabe von Informationen.
- 4 -
7.
Digitales Buch nach einem der vorangegangenen Ansprü-
che, weiterhin umfassend zumindest eine Bedienungsein-
heit (6) mit Bedienungselementen zur Benutzung des digita-
len Buchs als lnformationsaufnahme-/-bearbeitungs-/-wieder-
gabeeinrichtung.
8.
Digitales Buch nach Anspruch 7, wobei die Bedienungs-
elemente
Kombinationstastenelemente
umfassen,
die
insbesondere im Greifrandbereich angeordnet sind.
9.
Digitales
Buch
nach
einem
der
vorangegangenen
Ansprüche, wobei der Hauptteil und der zumindest eine
Nebenteil
mechanisch
und/oder
elektrisch
trennbar
miteinander verbunden sind.
10. Digitales Buch nach einem der Ansprüche 1 - 8, wobei der
Hauptteil und der zumindest eine Nebenteil fest miteinander
verbunden sind, ohne dass vorgesehen ist, die Teile
voneinander trennen zu können.
11. Digitales
Buch
nach
einem
der
vorangegangenen
Ansprüche, wobei die Anzeigeeinheit zumindest zweiteilig
ausgebildet und derart angeordnet ist, dass der Hauptteil mit
zumindest einem Bildschirm und der zumindest eine
Nebenteil mit zumindest einem Bildschirm im aufgeklappten
Zustand des Gehäuses dem Benutzer wie Seiten eines
Buches zur Ansicht zur Verfügung stehen.
12. Digitales
Buch
nach
einem
der
vorangegangenen
Ansprüche, wobei der Hauptteil und der zumindest eine
Nebenteil einen Buchrückenteil (BR) bilden, der zur
Aufnahme
einer,
insbesondere
wiederaufladbaren,
Batterie (B) zur Stromversorgung ausgebildet ist.
- 5 -
13. Digitales Buch nach Anspruch 12, wobei der Buchrückenteil
das Drehgelenk umfasst und das Drehgelenk zur Aufnahme
der Batterie ausgebildet ist.
14. Digitales Buch nach Anspruch 13, wobei das Drehgelenk zur
Aufnahme einer zylinderförmigen Batterie derart ausgebildet
ist, dass die Längsachse der Batterie koaxial zur Klappachse
liegt.
15. Digitales
Buch
nach
einem
der
vorangegangenen
Ansprüche, wobei die Steckverbindung als Haltevorrichtung
zum
Aufstellen
des
digitalen
Buchs
in
einer
Versorgungseinheit (VE) ausgebildet ist.
16. System umfassend
ein digitales Buch nach einem der vorangegangenen
Ansprüche und
eine
Versorgungseinheit
(VE)
mit
einer
Aufnahmeöffnung (VE')
und
einem
Führungs-
und
Versorgungsstift (7),
wobei das digitale Buch im zugeklappten Zustand des
Gehäuses zur Zu- und Abführung von Information, zur
Zuführung von Energie und zur Aufbewahrung des digitalen
Buchs mittels des Führungs- und Versorgungsstifts
einsteckbar ist.
- 6 -
II. Aus Änderungen der Beschreibung des Streitpatents gegenüber
der Beschreibung gemäß der Stammanmeldung, welche als
WO 99 / 15 982 A1 veröffentlicht ist, können keine Rechte
hergeleitet werden.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 2/3 und
die Klägerin 1/3.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 21. September 1998 in deutscher
Sprache angemeldeten und am 22. August 2007 veröffentlichten europäischen
EP 1 659 501 B1
Bezeichnung
„Anzeigevorrichtung mit einer Schnittstelle im Drehgelenk“, gegen
welches am 31. Januar 2013 Nichtigkeitsklage erhoben wurde.
Das Streitpatent ist durch Teilung aus der Stammanmeldung 98 950 065.7
(welche
als
EP
1 015 994 B1
patentiert
wurde)
entstanden.
Diese
Stammanmeldung
geht
zurück
auf
eine
PCT-Anmeldung
mit
der
die
Priorität
der
deutschen
Vor-Anmeldung
DE 197 41 453 A1
vom
19. September 1997 in Anspruch.
Das Streitpatent umfasst 18 Patentansprüche. Der Hauptanspruch ist auf eine
„Anzeigevorrichtung“ gerichtet, die Ansprüche 2 bis 17 sind darauf unmittelbar
oder mittelbar zurückbezogene Unteransprüche. Der formal nebengeordnete
Anspruch
18 ist auf ein „System“ gerichtet, umfassend eine Anzeigevorrichtung
- 7 -
nach einem der Ansprüche 1 bis 17 sowie eine Versorgungseinheit, in welche die
Anzeigevorrichtung einsteckbar ist.
Die Beklagte verteidigt ihr Patent im Umfang der mit Schriftsatz vom
1. Dezember 2014 (Bl. 168 ff. d. A.) als Hauptantrag eingereichten Ansprüche 1
Hauptantrag
einer Kombination der erteilten Ansprüche 1, 4, 5 und 6 beruht und darüber hinaus
klarstellt, dass sich der Anspruch auf eine
„digitale Anzeigevorrichtung zur
Wiedergabe von Text und/oder Bildinformationen“ bezieht, hat danach folgenden
Wortlaut (die Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 sind unter- bzw.
durchgestrichen):
Digitale Anzeigevorrichtung, insbesondere zur Wiedergabe von
Text und/oder Bildinformationen, umfassend
ein Gehäuse mit einem Hauptteil (1) und zumindest einem
Nebenteil (2), wobei der Hauptteil und der zumindest eine
Nebenteil derart angeordnet sind, dass das Gehäuse buchartig um
genau eine Klappachse (A) eines Drehgelenks auf- und
zuklappbar ist,
eine Anzeigeeinheit mit mindestens einem Bildschirm (3, 4),
dadurch gekennzeichnet, dass
wobei im Drehgelenk eine Schnittstelle zur Stromversorgung und/
oder zur Übertragung von Datensignalen von oder zu anderen In-
formationsverarbeitungssystemen angeordnet ist,
wobei die Schnittstelle in Form einer elektrischen Steckverbindung
ausgebildet ist,
- 8 -
wobei die Schnittstelle eine Führungs- und Versorgungsöff-
nung (7') aufweist,
wobei in der Führungs- und Versorgungsöffnung Gegenkon-
takte (8') für die Stromzuführung angeordnet sind,
wobei die Führungs- und Versorgungsöffnung zylindrisch derart
ausgebildet ist, dass die Längsachse der Führungs- und Versor-
gungsöffnung koaxial zu der Klappachse liegt.
Die Unteransprüche 2 und 3 entsprechenden denselben Ansprüchen der erteilten
Fassung. Hinsichtlich des Wortlauts der neu gefassten Unteransprüche 4 und 5
wird auf die Anlage zum Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 (Bl. 176 d. A.)
verwiesen. Die weiteren Unteransprüche 6 bis 16 sowie der formal
nebengeordnete Anspruch 17 gehen auf die erteilten Unteransprüche 7 bis 18
zurück mit entsprechend angepassten Rückbezügen.
Hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent im Umfang der ebenfalls mit
Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 vorgelegten Ansprüche 1 bis 8 nach
Hilfsantrag I (Bl. 179 - 180 d. A.) sowie der in der mündlichen Verhandlung
überreichten Ansprüche 1 bis 16 gemäß Hilfsantrag II.
Hilfsantrag I
gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind markiert):
Digitale Anzeigevorrichtung zur Wiedergabe von Text und/oder
Bildinformationen, umfassend ein Gehäuse mit einem Hauptteil (1)
und zumindest einem Nebenteil (2), wobei der Hauptteil und der
zumindest eine Nebenteil
Einteilige Ausgangsbasis mit einem Bildschirm und einer
angekoppelten Laptoptastatur,
- 9 -
wobei die Ausgangsbasis und die angekoppelte Laptoptastatur
derart angeordnet sind, dass sie das Gehäuse buchartig um
genau eine Klappachse (A) eines Drehgelenks auf- und
zuklappbar ist,
eine Anzeigeeinheit mit mindestens einem Bildschirm (3, 4),
wobei im Drehgelenk eine Schnittstelle zur Stromversorgung
angeordnet ist,
wobei die Schnittstelle in Form einer elektrischen Steckverbindung
ausgebildet ist,
wobei
die
Schnittstelle
eine
Führungs-
und
Versorgungsöffnung (7') aufweist,
wobei
in
der
Führungs-
und
Versorgungsöffnung
Gegenkontakte (8') für die Stromzuführung angeordnet sind,
wobei die Führungs- und Versorgungsöffnung zylindrisch derart
ausgebildet ist, dass die Längsachse der Führungs- und
Versorgungsöffnung koaxial zu der Klappachse liegt.
Die Unteransprüche 2 bis 6 nach Hilfsantrag I entsprechen denselben Ansprüchen
des Hauptantrags, Unteranspruch 7 basiert auf den Ansprüchen 13 und 14, und
Unteranspruch 8 entspricht Anspruch 15 des Hauptantrags, jeweils mit der
Maßgabe, dass das Merkmal
„Anzeigevorrichtung“ des Hauptantrags durch
„Ausgangsbasis mit angekoppelter Laptoptastatur“ ersetzt wurde.
Hilfsantrag II
„Digitale Anzeigevorrichtung“ im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch „Digitales
Buch“ ersetzt, hat danach folgenden Wortlaut (die Änderungen gegenüber dem
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind markiert):
- 10 -
Digitales Anzeigevorrichtung Buch zur Wiedergabe von Text
und/oder Bildinformationen, umfassend
ein Gehäuse mit einem Hauptteil (1) und zumindest einem
Nebenteil (2), wobei der Hauptteil und der zumindest eine
Nebenteil derart angeordnet sind, dass das Gehäuse buchartig um
genau eine Klappachse (A) eines Drehgelenks auf- und
zuklappbar ist,
eine Anzeigeeinheit mit mindestens einem Bildschirm (3, 4),
wobei im Drehgelenk eine Schnittstelle zur Stromversorgung des
digitalen Buchs angeordnet ist,
wobei die Schnittstelle in Form einer elektrischen Steckverbindung
ausgebildet ist,
wobei
die
Schnittstelle
eine
Führungs-
und
Versorgungsöffnung (7') aufweist,
wobei
in
der
Führungs-
und
Versorgungsöffnung
Gegenkontakte (8') für die Stromzuführung angeordnet sind,
wobei die Führungs- und Versorgungsöffnung zylindrisch derart
ausgebildet ist, dass die Längsachse der Führungs- und
Versorgungsöffnung koaxial zu der Klappachse liegt.
Die
weiteren
Unteransprüche
gemäß
Hilfsantrag II
entsprechen
den
Unteransprüchen 2 bis 5 sowie
– nach Streichung von Unteranspruch 6 – den
Unteransprüchen 7 bis 17 gemäß Hauptantrag (letztere neu nummeriert als
Ansprüche 6 bis 16 mit entsprechend geänderten Rückbezügen) mit der
Maßgabe, dass die Reihenfolge der Unteransprüche 3 und 4 gemäß Hauptantrag
- 11 -
geändert wurde (nunmehr 4 und 3) sowie in sämtlichen Unteransprüchen das
Merkmal „Anzeigevorrichtung“ durch „digitales Buch“ ersetzt wurde.
Die Klägerin hat im Nichtigkeitsverfahren insbesondere die folgenden
Druckschriften und Unterlagen eingereicht:
NK2
WO 99 / 15 982 A1 (Stammanmeldung)
NK3
DE 197 41 453 A1 (Vor-Anmeldung)
NK5
*) **)
NK6
Auszüge aus wikipedia über Scharniere und Gelenke
NK7
Auszug aus dem Internet zu „Doppelscharnier“
NK8, 8a
JP H5 - 77 979 U
NK9, 9a
JP H8
– 22 343
NK10
DE 42 18 179 A1
NK11
F.F. Mazda:
“Elektronische Bauelemente verstehen
und anwenden”
NK12
DE 93 09 032 U1
NK13
US 4 195 431 A
NK14
EP 0 737 908 A1
NK15, 15a
JP H5
– 11 604 U
NK16
US 5 436 954 A
NK17
DE 42 23 354 A1
NK18
Auszug aus wikipedia über TRS-Stecker
NK19
*)
NK20, 20a
JP H5
– 66 857
NK21, 21a
JP H6
– 141 089
NK22
*)
NK23
US 5 452 180 A
NK24
EP 0 793 164 A2
NK25
US 5 636 462 A
NK28
EP 1 659 501 A1 (Teilungsanmeldung)
*)
**)
Unter Bezug auf diese Unterlagen macht die Klägerin geltend, das Streitpatent sei
gemäß Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ wegen
unzulässiger Erweiterung gegenüber dem Inhalt der früheren Anmeldung nichtig.
- 12 -
Dies gelte auch für die Fassung des nunmehr geltenden Hauptantrags sowie des
Hilfsantrags I. Zudem offenbare das europäische Patent die Erfindung nicht so
deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Art. II § 6 (1)
Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. b) EPÜ). Ferner sei der Gegenstand des
Streitpatents in der Fassung des nunmehr geltenden Hauptantrags sowie der
Hilfsanträge I und II gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei
nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. II § 6
Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ, Art. 52 - 57 EPÜ). Im
Zusammenhang mit dem Vorwurf der
„unzulässigen Erweiterung“ wird auch
geltend gemacht, dass die Priorität der DE 197 41 453 A1 zu Unrecht in Anspruch
genommen werde.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent mit der Veröffentlichungsnummer
EP 1 659 501 B1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der
Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu
erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im
verteidigten Umfang richtet;
hilfsweise, dem Streitpatent eine der Fassungen der Hilfsanträge I,
vorgelegt mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 (Bl. 179 - 180 d.
A.) und II, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung, zu geben.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Sie
hält den Gegenstand des Streitpatents für schutzfähig, jedenfalls in den
Fassungen der Hilfsanträge; insbesondere sei eine unzulässige Erweiterung nicht
gegeben. Ferner offenbare das Europäische Patent die Erfindung auch so deutlich
und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
- 13 -
Die Klägerin hat gegenüber dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten
Hilfsantrag II Verspätung gerügt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den
Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, mit der in Bezug auf den nunmehr geltenden Hauptantrag
sowie die Hilfsanträge I und II neben dem Nichtigkeitsgrund mangelnder
Patentfähigkeit (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Abs. 1
Buchst. A) EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ) auch die
Nichtigkeitsgründe der unzureichenden Offenbarung sowie der unzulässigen
Erweiterung (Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1
Buchst. b und c) EPÜ) geltend gemacht werden, erweist sich überwiegend als
begründet.
Das Streitpatent ist ohne Sachprüfung insoweit für nichtig zu erklären, als es über
die von der Beklagten nur noch beschränkt verteidigte Fassung hinausgeht (st.
Rspr. vgl. BGHZ 170, 215
– ; GRUR 1996, 857 – ).
Die weitergehende Klage hat insoweit Erfolg, als das Streitpatent für nichtig zu
erklären ist, soweit es über die von der Beklagten beschränkt verteidigte Fassung
nach Hilfsantrag II hinausgeht. Dem Streitpatent steht sowohl in der beschränkt
verteidigten Fassung gemäß Hauptantrag als auch in der Fassung des
Hilfsantrags I bereits der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gemäß
Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Artikel 138 Absatz 1 Buchst. c) EPÜ
entgegen. Die mit Hilfsantrag II verteidigte Fassung der Patentansprüche ist
hingegen zulässig. Der Gegenstand des Streitpatents ist in diesem Umfang auch
neu und wird dem Fachmann durch den Stand der Technik nicht nahegelegt. In
- 14 -
dieser Fassung ist das Streitpatent somit patentfähig und die Klage daher insoweit
unbegründet.
I.
Soweit die Klägerin im Hinblick auf den erst in der mündlichen Verhandlung am
29. Januar 2015 zur hilfsweisen Verteidigung des Streitpatents vorgelegten
Hilfsantrag II die Verspätungsrüge nach § 83 Abs. 4 PatG erhoben hat, muss
diese erfolglos bleiben.
Zwar fällt die Verteidigung mit einer geänderten Fassung des Patents ausdrücklich
unter die Präklusionsvorschrift des § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG, wenn sie wie hier von
der Beklagten erst nach Ablauf der nach § 83 Abs. 2 Satz 1 PatG gesetzten Frist
vorgebracht wird. Eine Zurückweisung als verspätet kommt daher auch dann in
Betracht, wenn die Verteidigung des Beklagten mit einem geänderten Patent
tatsächliche oder rechtliche Fragen aufkommen lässt, die in der mündlichen
Verhandlung nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand zu klären
sind (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und
Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 315). Kann das an sich
verspätete Vorbringen dagegen noch ohne Weiteres in die mündliche
Verhandlung einbezogen werden, ohne dass es zu einer Verfahrensverzögerung
kommt, liegen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83
Abs. 4 PatG nicht vor (Busse/Keukenschrijver, PatG 7. Aufl., § 83 Rn. 15 a. E.).
So liegt der Fall hier. Mit Hilfsantrag II beschränkt die Beklagte den Gegenstand
des Streitpatents
auf das ursprünglich beschriebene „digitale Buch zur
Wiedergabe von Text und/oder Bildinformationen“. Nachdem der Senat sowohl im
qualifizierten Hinweis vom 21. August 2014 als auch in der mündlichen
Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die in Patentanspruch 1 der (nicht
mehr verteidigten) erteilten Fassung allgemein beanspruchte „Anzeigevorrichtung“
wie auch die „digitale Anzeigevorrichtung zur Wiedergabe von Text und/oder
Bildinformationen“ gemäß Anspruch 1 nach Hauptantrag bzw. die „Einteilige
- 15 -
Ausgangsbasis mit ei
nem Bildschirm und einer angekoppelten Laptoptastatur“
gemäß Anspruch 1 nach Hilfsantrag I über den Gegenstand der Stammanmeldung
und der Prioritätsunterlagen hinausgehen dürften, lag eine solche vom Senat auch
im Hinweis vom 21. August 2014 bereits angedeutete und der Beseitigung der
unzulässigen Erweiterung dienende Beschränkung zur Beseitigung durchaus
nahe. Wenngleich
– worauf die Klägerin zu Recht hingewiesen hat – eine solche
Beschränkung auch innerhalb der im Hinweis vom 21. August 2014 gesetzten
Frist möglich gewesen wäre, so konnte die Patentfähigkeit der ansonsten
gegenüber Hauptantrag bzw. Hilfsantrag I inhaltlich unveränderten Ansprüche
nach Hilfsantrag II gleichwohl auf Grundlage des in das Verfahren eingeführten
und zwischen den Parteien thematisierten Standes der Technik in der mündlichen
Verhandlung erörtert und entschieden werden. Mit der Anspruchsfassung nach
Hilfsantrag II waren keine tatsächlichen oder rechtliche Fragen verbunden, die in
der mündlichen Verhandlung nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen
Aufwand zu klären gewesen wären, so dass der geänderte Antrag der Beklagten
ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden konnte.
Dementsprechend hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch zu
Hilfsantrag II Stellung genommen.
II.
1.
Ausweislich der Beschreibung des Streitpatents (vgl. Absätze [0001]
bis [0005]) betrifft die vorliegende Erfindung ein digitales Buch, d. h. eine mobile
Anzeigevorrichtung, insbesondere zur Wiedergabe von Buch-, Zeitungs-, und
Zeitschrifteninformationen und anderen Dokumentationen bzw. Publikationen in
elektronischer bzw. digitaler Form mittels Text-, Grafik-, Foto- und/oder Video- und
Audioinformationen zur Bedienung durch Laienanwender. Dank moderner
Informationstechnologien sei es zwar möglich geworden, einen großen Teil des
immer größer werdenden Informationsbedarfs über Computer zu produzieren,
diese über beispielsweise Internet, Online-Dienste oder Datenbanken anzubieten
oder in Form von CDs zu vermarkten; jedoch könnten diese nurüber PCs,
Laptops und Notebooks vom Verbraucher konsumiert werden. Somit müsse einer
- 16 -
der vorgenannten Computer angeschafft, notwendige Applikationen installiert und
ihre Anwendung beherrscht werden, bevor eine erste Publikation gelesen werden
könne. Vorgenannte Gründe und die damit verbundenen Investitionskosten, der
notwendige Zeitaufwand und das aus Sicht eines technischen Laien erforderliche
Spezialwissen zur Installation und Bedienung von Hard- und Software machten es
einem großen Teil der Bevölkerung schwer, den Vorteil elektronischer
Publikationen
zu
nutzen.
Laptops
und
Notebooks
seien
durch
ihre
konstruktionsbedingten baulichen Merkmale primär kein ergonomisches, d. h.
handliches und reduziert zu bedienendes Informationsmittel zur Aufnahme z. B.
von schöngeistiger Literatur oder zum Lesen von Berichten, Artikeln, Reportagen
und Nachrichten aus Zeitschriften und Zeitungen oder zum Studieren von
Publikationen in entspannter Haltung oder in Situationen, wo keine Auflagefläche
vorhanden sei. Aufwand und Zeit zur Bedienung stünden oft in keiner Relation zu
den häufig spontanen Anforderungen, die vielfach auch noch kurzfristig zu
erledigen seien, z. B. das Nachschlagen von Informationen aus einem Lexikon,
Telefonbuch oder einer Fernsehzeitschrift.
Aufgabenstellung
digitales Buch der eingangs genannten Art zu schaffen, das gegenüber dem Stand
der Technik trotz kompakter Bauweise zum einen eine wesentlich vergrößerte
Anzeigefläche und zum anderen eine für den Computerlaien leicht verständliche,
benutzerfreundliche und einfache Handhabungsmöglichkeit bietet, um ihn in die
Lage zu versetzen, umfangreiche Literatur lesen zu können, und um dem
Benutzer somit auch gegenüber einem herkömmlichen voluminöseren und
schwereren Buch den Vorteil zu bieten, beliebig viele Seiten über beispielsweise
nur zwei digitale Buchseiten in handlicher Form zumindest lesen und/oder
gegebenenfalls bearbeiten zu können. Dabei sollen nicht nur die Lese- und
Sehgewohnheiten der konventionellen Buch-, Zeitschriften-und Zeitungsleser
berücksichtigt, sondern auch ein sicheres und ergonomisches Halten und
Bedienen in unterschiedlichen Situationen sichergestellt werden. Es werde
bezweckt,
eine
schnelle
und
reduzierte
Bedienung
mit
minimalen
Haltungsänderungen beim Lesen zu ermöglichen (Absatz [0008]).
- 17 -
2.
Der erteilte Patentanspruch 1 und der ihm formal nebengeordnete, jedoch
auf einen der Ansprüche 1 bis 17 rückbezogene Patentanspruch 18 lehren
hingegen für eine Anzeigevorrichtung mit einem mindestens zweiteiligen, um eine
Drehachse auf- und zuklappbaren Gehäuse als Besonderheit eine Schnittstelle im
Drehgelenk, d. h. sie befassen sich (nur) mit einem Teil-Aspekt der zuvor sehr
allgemein dargestellten Problematik. Nach Absatz [0014] des Streitpatents ist eine
solche Schnittstelle im Drehgelenk angeordnet
„zur Kopplung mittels
Kabelverbinder
vorzugsweise
mit
Klinkenstecker,
um
unterschiedliche
Vorrichtungen, Geräte und Einrichtungen mit dem Buch wirksam zu verbinden
(Fig. 1, 2, 3, 5, 11, 25, 26) und/oder um als Halterung für die Buchstation zu
dienen (Fig. 5) und das digitale Buch mittels Signalübertragung mit
Dateninformationen und/oder Energie zu versorgen (Fig. 1)
“; wodurch ermöglicht
werde:
„a) ein unkompliziertes Anschließen;
b)
eine Vermeidung von Beschädigung bei unsachgemäßer
Handhabung;
c)
eine Reduzierung der Schnittstellen und damit verbunden
günstigere Herstellungskosten;
d)
ein kabel- und steckerfreier Buchrücken zum besseren
Ablegen auf z. B. Tischfläche oder Schoß;
e)
eine Nutzung sowohl für Kabelanschluss wie auch für den
Haltestift der Versorgungsstation;
f)
eine
günstigere
Symmetrie
und
Balance
bei
evtl.
Zugentstehung durch angeschlossene Versorgungskabel;
g)
eine geringere Irritation durch störende Kabel; und
- 18 -
h)
eine Reduzierung des
„technischen Eindruckes“ beim
Benutzer.
Der erteilte Patentanspruch 1, und mit ihm der auf ihn rückbezogene
Nebenanspruch
18, liefern durch die Lehre einer „Schnittstelle im Drehgelenk“
auch bei objektiver Betrachtungsweise eine teilweise Lösung für diese
Benutzerwünsche.
3.
Hauptantrag
(hier mit einer vom Senat vorgenommenen Merkmalsgliederung):
(1a)
und/oder Bildinformationen, umfassend
(1b)
Nebenteil (2),
(1c)
angeordnet sind, dass das Gehäuse buchartig um genau
eine Klappachse (A) eines Drehgelenks auf- und zuklappbar
ist,
(1d)
(1e)
angeordnet ist,
(1f)
Steckverbindung ausgebildet ist,
(1g)
die
Schnittstelle
eine
Führungs-
und
Versorgungsöffnung
(7‘) aufweist,
- 19 -
(1h)
in
der
Führungs-
und
Versorgungsöffnung
Gegenkontakte
(8‘) für die Stromzuführung angeordnet sind,
(1i)
derart ausgebildet ist, dass die Längsachse der Führungs-
und Versorgungsöffnung koaxial zu der Klappachse liegt.
Der formal nebengeordnete Anspruch 17 gemäß Hauptantrag, welcher dem
erteilten Anspruch 18 entspricht, ist auf e
in „System“ gerichtet, welches u. a. eine
„Anzeigevorrichtung nach einem der vorangegangenen Ansprüche“, d. h. des
Anspruchs 1 bzw. der auf diesen Anspruch unmittelbar oder mittelbar
zurückbezogenen Ansprüche 2 bis 16 umfasst. Er steht und fällt somit mit diesen
Ansprüchen, eine separate Beurteilung ist nicht erforderlich.
4.
Hilfsantrag I
(1d)
(2a)
(2b)
(2c)
die
Ausgangsbasis
und
die
angekoppelte
Laptoptastatur derart angeordnet sind, dass sie um genau
eine Klappachse eines Drehgelenks auf- und zuklappbar ist.
(1e)
Hauptantrag an. Die Unteransprüche nehmen entsprechend Bezug auf diese
„Ausgangsbasis mit angekoppelter Laptoptastatur“.
5.
Hilfsantrag II
Hauptantrag i. w. dadurch, dass der Begriff
„Anzeigevorrichtung“ durchgängig in
(1e)
Patentanspruchs 1 klarstellend eingeschränkt:
- 20 -
(1e
‘)
des digitalen Buches angeordnet ist.
6.
Fachmann
mit einem mindestens zweiteiligen, um eine Drehachse auf- und zuklappbaren
2.
Benutzerwünsche befriedigt werden, ist ein Ingenieur der Elektrotechnik mit
Fachhochschulabschluss und mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Konzeption
und Entwicklung solcher mobiler Informationsgeräte anzusehen.
III.
Hauptantrags
Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG
i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c) EPÜ) entgegen.
1.
Das auf einer Teilanmeldung beruhende europäische Patent kann für nichtig
erklärt werden, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der früheren Anmeldung in
der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).
1.1
„unzulässige Erweiterung“ vorliegt,
ist demnach die Stammanmeldung (Veröffentlichungsnr. EP 1 015 994 A1); dort
wird auf die zugrundeliegende PCT-Anmeldung verwiesen, welche als
NK2
Nicht zu den maßgeblichen Unterlagen gehören die Prioritätsunterlagen (vgl.
Busse, PatG, 7. Auflage (2013), § 34 Rn. 241). In dieser Hinsicht kann nur geprüft
NK3
genommen werden darf.
- 21 -
1.2
Zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung gehört im Zusammenhang
mit der Frage, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, nur das, was den
ursprünglich eingereichten Unterlagen
„unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen
ist, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann erst
aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der
offenbarten Lehre gelangen kann (BGH GRUR 2010, 910
).
Zwar muss dabei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. zuletzt BGH
GRUR 2014, 542
– , insbesondere Absatz 23 f.
)
das
Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung in einer Weise
angewendet werden, die eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei
der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Der
Anmelder darf weder auf die aufgezeigten Anwendungsbeispiele noch auf die
ursprünglichen Patentansprüche beschränkt werden, ihm steht ein möglichst
breiter Schutz zu (vgl. auch BGH GRUR 2013, 1210
).
Eine Grenze in dieser Richtung stellt jedoch die berechtigte Erwartung der
Öffentlichkeit dar ,nicht durch Patentansprüche überrascht zu werden, welche
aufgrund der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht unmittelbar und
eindeutig
zu
erwarten
waren
(vgl.
Stauder/Luginbühl:
Europäisches
Patentübereinkommen EPÜ, 6. Auflage (2013), Art. 123 Rn. 37, mit Verweis auf
EPA T 1118/98 vom 23.01.2002, Nr. 8; ebenso Schulte, PatG, 9. Auflage (2013),
§ 21 Rn. 53). Dabei ist auch die ursprüngliche Anmeldung an den Fachmann
gerichtet: „Der Patentanspruch darf mithin nicht auf einen Gegenstand gerichtet
werden, von dem der Durchschnittsfachmann aufgrund der ursprünglichen
Offenbarung nicht erkennen kann, dass er von vornherein von dem
Schutzbegehren
umfasst
sein
soll
(BGH
GRUR 2002,
49
, II. Abschnitt 3 bb).
- 22 -
2.
NK2
auf eine
„Digitale Anzeigevorrichtung“ erteilt werden könnte, war für den
Durchschnittsfachmann nicht unmittelbar und eindeutig zu erwarten.
2.1
„Anzeigevorrichtung“ nicht vor.
NK28
sind die
Patentansprüche verallgemeinernd auf eine „Anzeigevorrichtung“
gerichtet, doch lässt sich auch in der dortigen Beschreibung der Begriff
„Anzeigevorrichtung“ nicht finden. Insbesondere die Einfügung im Absatz [0001]
des Streitpatents: „Die vorliegende Erfindung betrifft ein digitales Buch, d. h. eine
mobile Anzeigevorrichtung
“, wie auch weitere Anpassungen in diesem Sinne
erfolgten erst im Laufe des Prüfungsverfahrens der Teilungsanmeldung.
2.2
Intention, ein „digitales Buch“ zu verbessern. Sämtliche Ansprüche sind dort auf
ein solches
„digitales Buch“ gerichtet. Darüber hinaus werden Laptops oder
Notebooks ausdrücklich als Stand der Technik genannt, der für den
geradezu ungeeignet
NK2
Abgrenzung
ihres Gegenstands
gegenüber bekannten Computern. Das „digitale Buch“ soll sich
von Laptops und Notebooks insbesondere durch „benutzerfreundliche und
NK2
unterscheiden und den Benutzer gerade nicht durch einen zu sehr an der
NK2
NK2
dass die einfache Handhabbarkeit im Vordergrund steht, ferner gemäß Seite 7
Unterpunkt
h: Reduzierung des „technischen Eindrucks“ beim Benutzer.
Textstellen,
in
denen
die
einzelnen
beschriebenen
Verbesserungen
„verallgemeinert“ würden, sind nicht zu finden.
- 23 -
Demgegenüber stellt der Gattungsbegriff „Digitale Anzeigevorrichtung zur
Wiedergabe von Text und/oder Bildinformationen
“ des Hauptantrags eine
Verallgemeinerung dar, welche Laptops und Notebooks mit umfasst.
Weil aber die ursprüngliche Anmeldung Laptops und Notebooks für den
Fachmann erkennbar nicht mit einbezog, ist eine nachträgliche, diese Geräte
umfassende Verallgemeinerung unzulässig. Der Fachmann hätte nicht damit
NK2
erteilt werden würde.
2.3
werden.
Sie
vertritt die Auffassung, der Gattungsbegriff „Digitale Anzeigevorrichtung zur
Wiedergabe von Text und/oder Bildinformationen
“ sei in den ursprünglichen
NK28
würden unterschiedliche Aspekte beschrieben, welche unterschiedliche Probleme
lösten und eigenständige Erfindungen darstellten, was sich auch in der großen
NK2
stelle eine Lösung für alle in der Beschreibungseinleitung genannten Probleme
dar. Es sei zu berücksichtigen, dass die meisten der dort genannten Nachteile
keinerlei Zusammenhang mit dem durch das Streitpatent geschützten Gegenstand
hätten.
NK2
mehrteiliger Geräte in unterschiedlichsten Ausführungsformen. Der Begriff
„digitales Buch“ habe in diesem Zusammenhang keine einschränkende
Bedeutung, vielmehr würden die erfindungsgemäßen Gegenstände durch ihre
zusätzlichen strukturellen Merkmale charakterisiert. Für den Fachmann sei durch
den Begriff „digitales Buch“ bei keinem dieser Gegenstände eine zusätzliche
Einschränkung erkennbar. Vielmehr sei für ihn unmittelbar ersichtlich, dass der
Vorteil der patentierten Schnittstelle im Drehgelenk, nämlich die verbesserte
Ausnutzung des vorhandenen Bauraums und die daraus resultierende Möglichkeit
- 24 -
zur Verringerung des Gesamtvolumens, gleichermaßen für Laptops, Notebooks
und elektronische Bücher gelte, welche allesamt in der Beschreibungseinleitung
NK2
Erfindung nicht auch Notebooks oder Laptops umfassen solle.
Dazu verweist die Beklagte ausdrücklich auf die Entscheidungen BGH
GRUR 2014, 542
– , Absatz 23, und BGH GRUR 2013,
1.2
Jedoch enthält a
uch die zitierte Entscheidung „Kommunikationskanal“ im Folge-
Absatz 24 bereits die Ein
schränkung: „Danach ist ein „breit“ formulierter Anspruch
unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann
unbedenklich,
wenn
sich
ein
in
der
Anmeldung
beschriebenes
Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im
Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese
Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung
– sei es
in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem
Gesamtzusammenhang der Unterlagen
– als zu der angemeldeten Erfindung
gehörend entnehmbar ist
“ .
Es genügt somit nicht, dass der Fachmann vielleicht erkannt hätte, für welche
Geräte die beschriebenen Maßnahmen möglicherweise
„auch“ geeignet sein
NK2
für möglich gehalten und erwartet
Letzteres war aber, wie dargestellt, aufgrund der deutlichen Abgrenzung
nicht
Ebenso kann der Beklagten nicht darin beigepflichtet werden, dass die
Stammanmeldung in Wirklichkeit zwischen Note
books, Laptops und „digitalen
Büchern“ nicht unterscheide. Notebooks und Laptops waren auch schon zum
Prioritätszeitpunkt (19. September 1997) aus der Sicht des Fachmanns typische
Vertreter eines universell einsetz
baren „persönlichen Computers“, der über ein
beliebige
- 25 -
Anwendungsprogramme
Anwendungen auf demselben Gerät zu ermöglichen. Demgegenüber stellt, wie
auch in der Stammanmeldung deutlich erkennbar, ein „digitales Buch“ eine
Spezialanwendung
ausgeführt wird und auf die speziellen Anforderungen hin optimiert ist, so wie es
die Stammanmeldung etwa in den Absätzen Seite 3 Zeile 25 bis Seite 4 Zeile 20,
Seite 4 Zeile 28 bis Seite 5 Zeile 10 u. a. konkretisiert. Der Fachmann konnte der
Stammanmeldung daher eine klare Unterscheidung
zwischen „digitalen Büchern“
einerseits und Notebooks bzw. Laptops andererseits entnehmen.
3.
Der Hauptantrag ist sonach unzulässig, weil sich dessen sämtliche
Patentansprüche mittelbar oder unmittelbar auf einen Gegenstand beziehen, der
NK2
„zur
Erfindung ge
hörig“ erkennbar war.
IV.
Hilfsantrag I
„Einteilige Ausgangsbasis mit einem Bildschirm und einer angekoppelten
Laptoptastatur“ stellt als Verallgemeinerung eine unzulässige Erweiterung dar
(Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).
1.
Der
Patentanspruch 1
des
Hilfsantrags I
unterscheidet
sich
vom
(1a)
welche im Hauptantrag die zugrundeliegende Anzeigevorrichtung mit mindestens
zweiteiligen, um eine Drehachse auf- und zuklappbaren Gehäuse definieren,
(2a)
des Hilfsantrags I nunmehr gerichtet auf eine
„Einteilige Ausgangsbasis mit einem Bildschirm und einer
angekoppelten Laptoptastatur,
wobei die Ausgangsbasis und die angekoppelte Laptoptastatur
- 26 -
derart angeordnet sind, dass sie um genau eine Klappachse eines
Drehgelenks auf- und zuklappbar is
t … “
Die Beklagte bezieht sich dazu auf Figur 26a, Bild e, und die zugehörige
Beschreibung (Patentschrift Seite 8 Mitte sowie Absatz [0066]), wo die
Formulierung
„Einteilige Ausgangsbasis“ wörtlich offenbart sei. Sowohl die
Zeichnung als auch der wortidentische Text (lediglich mit unkorrigierter
NK2
Bild e sowie Seite 20 vorletzter Absatz, Seite 41 Zeile 15 bis 19).
2.
Der Hilfsantrag I ist trotz der wörtlichen Offenbarung
des Begriffs „Einteilige
Ausgangsbasis
“ unzulässig erweitert, weil durch diesen Begriff Gegenstände mit
einbezogen werden, die in der zugrundeliegenden früheren Anmeldung nicht als
„zur Erfindung gehörig“ erkennbar waren.
2.1
Die Formulierung „Einteilige Ausgangsbasis mit einem Bildschirm und einer
angekoppelten Laptoptastatur
“ umfasst alle Arten von Bildschirmen, an welche
sich eine Laptoptastatur ankoppeln lässt. So könnte darunter auch ein beliebiger
mobiler Rechner mit Bildschirm, ggf. auch ein Laptop oder ein Notebook
verstanden werden, sofern eine Laptoptastatur (hier: über ein Drehgelenk)
ankoppelbar ist.
2.2
Lehre der Stammanmeldung aber so, dass nur eine bestimmte Art von mobilen
Rechnern mit Bildschirm
– nämlich das dort beschriebene „digitale Buch“, das eine
für den Computerlaien leicht verständliche, benutzerfreundliche und einfache
Handhabungsmöglichkeit bietet und dem Nutzer z. B. den Zeitaufwand und das
Spezialwissen zur Installation und Bedienung von Hard- und Software eines
üblichen Computers erspart
– in die Erfindung einbezogen war.
NK2
die Figur 26a, bezieht sich selbst ausdrücklich zurück auf Figur 26, welche gemäß
Seite 41 Zeile
11 von einem „zweiteiligen Digitalen Buch“ ausgeht. Trotz der
- 27 -
breiten Formulierung „Einteilige Ausgangsbasis mit einem Bildschirm“ in Zeile 15
kann dieses im Kontext der Stammanmeldung daher nicht so verstanden werden,
dass hier über ein „digitales Buch“ hinaus auch andere Geräte mit beansprucht
werden sollten.
Dass etwa ein üblicher Laptop oder ein Notebook mit in den Schutzbereich eines
auf die Stammanmeldung erteilten Patentes fallen könnten, hätte der Fachmann
III. 2.
Damit verlässt der auf eine
„Einteilige Ausgangsbasis mit einem Bildschirm und
einer angekoppelten Laptoptastatur“ gerichtete Patentanspruch den Rahmen der
ursprünglichen Offenbarung, was den Gegenstand des Hilfsantrags II unzulässig
erweitert.
2.3
NK2
Seite 41: „… am Beispiel einer Einteiligen Ausgangbasis …“) unterscheide
semantisch zwischen dem Bezug auf Figur 26 („… die in Figur 26 beschriebene
ankopplung
…“) und einer anderen Alternative („oder die ankopplung einer
Laptoptastatur…“). Die an die einteilige Ausgangsbasis gekoppelte Laptoptastatur
stelle somit nur die zweite Alternative dar und sei nicht auf Figur 26
zurückbezogen.
Der Senat kann sich dieser Sichtweise nicht anschließen. Zum einen ist,
angesichts einiger Ungenauigkeiten der in der Stammanmeldung verwendeten
Sprache und der daraus resultierenden schweren Lesbarkeit (siehe
– rein
beispielhaft
NK2
und 19, oder Seite 26 Mitte ff.), bereits fraglich, ob eine streng semantische
Auslegung einer bestimmten Textstelle überhaupt angemessen wäre. Zum
anderen kann aber auch eine allenfalls mit Mühe zu extrahierende Einzel-
Information
nicht
darüber
hinweghelfen,
dass
der
Fachmann
die
Stammanmeldung aus ihrem Gesamt-Kontext heraus interpretiert und allein schon
deshalb nicht erwartet hätte, dass hieraus ein Patent für Laptops oder Notebooks
III. 2.
- 28 -
V.
Hilfsantrag II
Klägerin vermochte den Senat insbesondere nicht zu überzeugen, dass der
Gegenstand der Patentansprüche nicht mehr neu war oder angesichts des
angeführten Standes der Technik für den Durchschnittsfachmann nahegelegen
hätte.
1.
Das Patentbegehren gemäß Hilfsantrag II ist zulässig. Durch die Änderungen
werden weder der Gegenstand der Stammanmeldung noch der Schutzbereich des
Streitpatents in unzulässiger Weise erweitert.
1.1
Erweiterung gegenüber der Stammanmeldung besteht hier nicht mehr.
Mit der Fassung des Hilfsantrags II wurde in den Patentansprüchen der
Gattungsbegriff „Digitale Anzeigevorrichtung“ in „Digitales Buch“ geändert, ebenso
bei sämtlichen Bezugnahmen auf die gattungsgemäße Anzeigevorrichtung (siehe
Anspruch 7, 15 und 16). Dies entspricht der ursprünglichen Offenbarung (vgl. die
NK2
NK3
Insoweit ist auch der bezüglich der erteilten Fassung des Streitpatents erhobene
Einwand der Klägerin, dass die Priorität der Vor-Anmeldung zu Unrecht in
Anspruch genommen werde, gegenstandslos geworden.
1.2
zulässiger Weise beschränkt, ohne dass ein „Aliud“ entsteht.
Denn der Begriff „Digitales Buch“ beschreibt nach dem Verständnis des
Fachmanns eine Untermenge dessen, was in den Ansprüchen des Streitpatents
- 29 -
mit „Anzeigevorrichtung“ bezeichnet wird (d. h. jedes digitale Buch stellt eine
Anzeigevorrichtung dar, aber es gibt eine große Menge von Anzeigevorrichtungen,
die kein
„digitales Buch“ sind). Durch den Begriff „Digitales Buch“ wird der
Schutzbereich des Streitpatents gemäß der erteilten Fassung daher nicht
verlassen. Die nach der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer des
EPA mögliche „unentrinnbare Falle“ (EPA G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 –
) liegt hier nicht
vor.
1.3
Gegen eine einteilige Anspruchsfassung (Streichung von „dadurch gekennzeich-
net, dass“ im Patentanspruch 1) bestehen hier keine Einwände.
Die Strei
chung von „insbesondere“ im Patentanspruch 1, Zeile 1, sowie die
Einfügung von „genau“ („genau eine Klappachse“) in Zeile 3 stellen eine erlaubte
Beschränkung dar.
Im bisherigen kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 wird von den
Alternativen „eine Schnittstelle zur Stromversorgung und/oder zur Übertragung
von Da
(1e)
Stromversor
gung beansprucht (mit der Klarstellung: „des digitalen Buchs“). Auch
dieses ist als Einschränkung zu verstehen und zulässig.
Die Klägerin hat hierzu noch vorgetragen, für die „und/oder“-Verknüpfung der
Stromversorgung und der Datensignale gebe es keine Grundlage in der Vor-
Anmeldung, weil dort immer von einer Schnittstelleneinheit für die Zu- und
und
NK3
Zeile 49 = ursprüngliche Patentansprüche 1 und 3). Dies betrifft aber allenfalls die
NK3
III. 1.1
Patentanspruch
38) findet sich die „und/oder“-Verknüpfung bereits. Unabhängig
- 30 -
davon folgt der Senat hier der Argumentation der Beklagten, dass der Fachmann
die elektrische Steckverbindung zur Stromversorgung und diejenige für die
Übertragung von Datensignalen als unterschiedliche Baugruppen betrachtet (vgl.
die unterschiedlichen Bezugszeichen 8,
8‘ für die Stromzuführung und 9, 9‘ für die
Zu- und Abführung von Information), so dass für ihn kein Grund ersichtlich wäre,
dass immer beide als Schnittstellen im Drehgelenk ausgebildet sein müssten.
Diese Abweichung von der konkreten Offenbarung kann daher als zulässige
III. 1.2
, Leitsatz a).
(1g)
Hilfsantrag II entsprechen den erteilten Unteransprüchen 4 und 6 sowie einer
Alternative
des
Unteranspruchs 5.
Sie
beschränken
den
erteilten
Patentanspruch 1 noch weiter.
Die Alternative einer „Schnittstelle zur Übertragung von Datensignalen von oder zu
anderen Informationsverarbeitungssystemen
“ des erteilten Patentanspruchs 1
wurde zum Gegenstand des neuen Unteranspruchs 3 gemacht. Der neue
Unteranspruch 2
entspricht
dem
erteilten
Unteranspruch 2,
der
neue
Unteranspruch 4 dem erteilten Unteranspruch 3. Die zweite Alternative des
erteilten Unteranspruchs 5 verbleibt als neuer Unteranspruch 5.
Die neuen Unteransprüche 6 bis 15 entsprechen den erteilten Unteransprüchen 8
bis 17, unter Anpassung der Rückbeziehungen. Der Nebenanspruch 16 geht auf
den erteilten Anspruch 18 zurück, mit der bereits genannten Einschränkung auf
ein „digitales Buch“.
1.4
Nichtigkeitsverfahren nicht statt (siehe Busse, PatG, 7. Auflage (2013), § 84 Rn. 7
– zu Fußnote 19). Mit der dennoch in den Tenor aufgenommenen, an sich
selbstverständlichen Feststellung, dass aus Änderungen der Beschreibung
gegenüber der Beschreibung der Stammanmeldung keine Rechte hergeleitet
werden können, soll der Sorge der Klägerin Rechnung getragen werden, dass die
- 31 -
in der Beschreibung verbleibenden Erweiterungen (wie Streitpatent Absatz [0001]:
„…ein digitales Buch, d. h. eine mobile Anzeigevorrichtung“) eine nachträgliche
Umdeutung des beschränkt aufrechterhaltenen Streitpatents ermöglichen könnten.
2.
Die Erfindung ist im Streitpatent so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie
ausführen kann.
2.1
(1e
‘)
Nebenteil verbindet, eine Schnittstelle in Form einer elektrischen Steckverbindung
zur Stromversorgung des beanspruchten „Digitalen Buchs“ ausgebildet sein.
Die eher unspezifische Angabe
(1g)
(1h)
und Versorgungsöffnung
(7‘) aufweisen, deren Längsachse koaxial zu der
Klappachse (A) des Drehgelenks ist
. Der Begriff „Öffnung“ macht im gegebenen
Zusam
menhang („koaxial zur Klappachse“) deutlich, dass sich die Führungs- und
Versorgungsöffnung
(7‘) im Innern des Drehgelenks befinden muss. Ferner sollen
gemäß
(1h)
„in
der
Führungs-
und
Versorgungsöffnung
Gegenkontakte
(8‘) für die Stromzuführung angeordnet“ sein. Das heißt mit
anderen Worten: die Gegenkontakte einer elektrischen Steckverbindung (= die
Steckbuchse) für die Stromversorgung soll(en) sich im Innern des Drehgelenks
befinden.
2.2
um die Erfindung erfolgreich auszuführen.
Die Klägerin macht als Nichtigkeitsgrund geltend, die beanspruchte Schnittstelle in
Form einer im Drehgelenk angeordneten elektrischen Steckverbindung sei nicht
so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie realisieren könne. Es
sei nicht offenbart, wie die Schnittstelle im Drehgelenk genau angeordnet sein
solle, insbesondere nicht deren Anordnung in Bezug auf die sonstigen
- 32 -
mechanischen Elemente, durch welche die Drehbewegung ermöglicht werde, so
dass alle gewünschten Funktionen auch während einer Drehbewegung beim Auf-
und Zuklappen des Gehäuses zuverlässig gewährleistet seien.
Dem ist entgegenzuhalten, dass im Streitpatent in den Figuren 1 bis 4 und den
Absätzen [0022] und [0024] mit der Führungs- und Versorgungsöffnung
7‘
innerhalb des Drehgelenks (Klappachse A), welche Gegenkontakte 8' für die
Stromzuführung und Gegenkontakte 9' für die Zu- und Abführung von Information
aufweist, und in welche ein Führungs- und Versorgungsstift 7 einer
Versorgungseinheit VE einsteckbar ist (siehe Fig. 5), wobei der Stift ein Paar von
Stromzuführungskontakten 8 und eine Vielzahl von Kontaktringen 9 zur Zu- und
ein Beispiel
Realisierung beschrieben ist, das der Fachmann ohne Weiteres nacharbeiten
kann. Dass ein konkretes, ausführbares Beispiel angegeben wird, ist nicht einmal
notwendig, hier aber hinreichend für die Ausführbarkeit der Erfindung (vgl. BGH
GRUR 2010, 916
– ).
- 33 -
Dass darüber hinaus
„alle gewünschten Funktionen auch während einer
Drehbewegung beim Auf- und Zuklappen des Gehäuses zuverlässig
gewährleistet“ sein sollten, wird im Streitpatent nicht behauptet und von der
allgemeinen Lehre, eine Schnittstelle im Innern eines Drehgelenks anzuordnen,
auch nicht verlangt.
3.
Die
Klägerin
konnte
den
Senat
nicht
überzeugen,
dass
der
entgegengehaltene Stand der Technik den Gegenstand des Patentanspruchs 1
gemäß
Hilfsantrag II
vorwegnähme,
oder
dass
dieser
für
den
Durchschnittsfachmann nahegelegen hätte.
- 34 -
3.1
gegenüber dem von der Klägerin zitierten Stand der Technik.
3.1.1
NK10
eine insbesondere zweiteilige (Figur 1, Figur 5) Ausgabeeinrichtung mit
Gehäusehälften 5 und 6, welche eine Steuerelektronik, Anschluss-Elemente und
eine Stromversorgung enthalten, sowie ein die Gehäusehälften verbindendes
Drehgelenk 7 (Seite 3 Zeile 14 bis 18). Das Gerät kann mittels eines internen
(nach Verständnis des Fachmanns: digitalen) Speichers zur Darstellung von
Texten und Grafiken, z. B. Redemanuskripten, eingesetzt werden (Seite 2 Zeile 54
bis 56) und soll ergonomisch handhabbar und besser an bewährte, vertraute
Arbeitsweisen angenähert sein (Seite 2 Zeile 43 bis 46); damit entspricht es
weitestgehend einem
„Digitalen Buch“ im Sinne des Streitpatents (vgl. Seite 3
Zeile 19 / 20, Zeile 28 bis 32 und Figur 3 / 4
(1a)
(1b)
In der Ausführung gemäß Figur 1, Figur 5 oder auch Figur 15 ist das Drehgelenk
jedoch so klein, dass eine Schnittstelle dort gar nicht untergebracht werden
könnte. Für größere Ausführungsformen (Seite 9 Zeile 28 ff.) ist gemäß Figur 16
ein „doppelt kammartiges Drehgelenk“ mit zwei Drehpunkten 7, 7‘ und einem
Gehäuse-Mittelstück 44
(vergleichbar
einem
Buchrücken)
vorgeschlagen.
Stirnseitig sind an diesem Mittelstück zentrale Interface-Anschlüsse 45 angeordnet
(siehe Seite 9 Zeile 32 bis 35 / Anspruch 25), wobei aber offen bleibt, ob diese
auch zur Stromversorgung des beschriebenen digitalen Buches dienen, und in
NK10
zur Stromversorgung vorgesehen (Stromversorgung 20, Stromversorgungsteil 31,
Wandlerschaltung 33); der einzige Absatz, der dies etwas detaillierter beschreibt
(Seite 7 Zeile
24 bis 30), betrifft jedoch die Stromversorgung von sog. „Sonder-In-
terfaces“ zur Informationsübertragung (Seite 6 Zeile 63 ff.) – die Stromversorgung
der zweiteiligen Ausgabeeinrichtung selbst ist nicht weiter erläutert.
- 35 -
Damit bestehen zur Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag II folgende
Unterschiede:
Die Ausführungsform nach Figur 1, Figur 5 oder Figur 15 der
NK10
lehrt keine „Schnittstelle im Drehgelenk“ (und kann
wegen der dort ersichtlich kleinen Ausführung des
Drehgelenks eine solche auch nicht nahelegen).
Näher kommt die Ausführungsform nach Figur 16 mit den
Interface-Anschlüssen
45, wobei hier aber nicht „genau eine
Klappachse
(A) eines Drehgelenks“ beschrieben ist, sondern
eine kammartige Struktur mit einem Buchrücken und zwei
Drehgelenken; insofern sind die Interface-Anschlüsse nicht
„im Drehgelenk“ angeordnet, sondern im für sich
unbeweglichen Buchrücken. Dies erlaubt den Einsatz eines
nahezu beliebigen vorbekannten Steck-Kontakts, während in
Richtung auf eine Schnittstelle im Innern eines Drehgelenks
2.1
Fachmanns wegen der Berücksichtigung der drehbaren
Elemente deutlich komplizierter sein würde, keine Anregung
gegeben wird.
Insbesondere
ist
eine
konkrete
Auslegung
als
(1f)
oder
explizit
zur
Stromversorgung
des
Gerätes
(1e)
3.1.2
verwiesen. Diese zeigt in den Figuren 6A und 6B ein Klapp-Handy (Mobiltelefon),
dessen eine Hälfte 34 ein Tastenfeld und dessen andere Hälfte 32 eine
rechteckige Markierung
35 aufweist: nämlich ein „Aufnahmeteil“, das wie das
Aufnahmeteil 27 ausgebildet sein soll (Seite 9, letzte drei Zeilen) und demnach zur
Aufnahme und Wiedergabe von Telefongesprächen dient, wie z. B. ein
- 36 -
Kassettentonbandgerät (Seite 8, am Ende von Absatz 1). Eine Anzeigeeinheit wird
hierzu nicht erwähnt. Die beiden Hälften 32 und 34 des Klapp-Handys sind durch
ein scharnierartiges Gelenkteil 36 schwenkbar miteinander verbunden; in diesem
befindet sich seitlich eine Anschlussbuchse 33 für einen Kopfhörer (Seite 9
Absatz 3), welche aber nicht weiter beschrieben ist.
Nachdem für Kopfhör
er sog. „Klinkenstecker“ allgemein üblich waren (vgl.
Wikipedia-Auszug
gemäß
NK18
konnte
der
Fachmann
diese
Anschlussbuchse 33 als Steckbuchse für einen solchen Klinkenstecker erkennen.
NK12
(1b)
(1c)
Steckverbindung 33
in
einem
Drehgelenk 36
anzuordnen
(1f)
(1e)
(1i)
welcher die Gegenkontakte der elektrischen Steckverbindung angeordnet sind
(dies entnimmt der Fachmann aufgrund seines Fachwissens über Klinkenstecker
(1g)
Im Unterschied zum Patentanspruch 1 des Hilfsantrags II ist das Basisgerät
jedoch nicht als „Digitales Buch“ beschrieben und weist insbesondere keine
(1a)
Klinkenstecker-Buchse 33 nicht zur Stromversorgung des Geräts (fehlender Teil
(1e)
3.1.3
dieser Hinsicht nicht weiter.
NK5
Digitalen Buch, ohne aber sämtliche Anspruchsmerkmale aufzuweisen.
NK5
Anzeigeflächen 103, 108 und einem nicht allzu schmal
en „Buchrücken“ 112
- 37 -
zwischen diesen, der an seinen beiden Kanten jeweils über ein Scharnier mit den
Anzeigeflächen verbunden ist, sowie am Buchrücken innen befestigte weitere
Anzeigeseiten 116 (Figur 2). Außen an diesem Buchrücken sind als elektrische
Steckverbindungen ausgebildete Schnittstellen 118 zur Übertragung von
Datensignalen angeordnet (in Spalte 2 Zeile 64 bis Spalte 3 Zeile 1 beschrieben,
NK5
Prüfungsverfahren berücksichtigt und ist im Streitpatent in den Absätzen [0006] /
[0007] abgehandelt. Die elektrischen Steckverbindungen sind deutlich am
Buchrücken angeordnet, nicht stirnseitig. Eine Schnittstelle zur Stromversorgung
ist nicht weiter beschrieben, Spalte 5 Zeile 46 bis 50 gibt lediglich den Hinweis,
NK5
NK10
NK17
beschreibt ein „elektronisches Buch“, bestehend
aus zwei tafelförmigen Displays 1 und 2, die durch eine Scharnierverbindung 3
buchartig gegeneinander klappbar miteinander verbunden sind (Figur 1, Spalte 2
Zeile 7 bis 10). Das Gerät lässt sich über eine Datenempfangs- und Sendestation
4 drahtlos mit einem Rechner verbinden (siehe Spalte 3 Zeile 30 bis 32). Das
Kabel zwischen Anzeigegerät und dessen Datenempfangs- und Sendestation 4 ist
gemäß der Darstellung in Figur 1 augenscheinlich aus dem Drehgelenk
herausgeführt. Eine Steckverbindung zum Anschluss des Kabels am Anzeigegerät
ist nicht beschrieben. Gemäß Spalte 3 Zeile 32 bis 35 kann statt der drahtlosen
Verbindung auch eine übliche Kabelverbindung eingesetzt werden. Wie und wo
NK17
NK17
hinausginge.
NK19
zum Lesen und Darstellen von Daten bekannt, mit zwei buchartig angeordneten,
über eine scharnierähnliche Verbindung 16 zusammengehaltenen Bildschirmen 3
und 4. Die Stromversorgung erfolgt über eine Steckbuchse 18 am unteren Rand
eines der Bildschirme. Das Scharnier ist so klein und dünn, dass keine Anregung
- 38 -
in Richtung auf eine Schnittstelle im Drehgelenk entstehen kann. Die übrigen
Ausführungsbeispiele (Figuren 3 bis 10) gehen ebenfalls nicht weiter.
3.2
Fachmann die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag II durch den
entgegengehaltenen Stand der Technik nahegelegt worden wäre.
3.2.1
NK12
Es ist bereits fraglich, welche Veranlassung der Fachmann gehabt haben könnte,
NK10
sie betreffen offensichtlich recht unterschiedliche Geräte.
Aber selbst wenn man eine solche Kombination unterstellt, wären doch mehrere
Schritte erforderlich gewesen, um zur beanspruchten Lehre zu gelangen:
NK10
doppelt kammartige Struktur mit zwei Drehgelenken und einem relativ stabilen, für
den Einbau bekannter Steckverbindungen geeigneten Buchrücken gegen ein
einziges Drehgelenk austauschen müssen
– wofür es keinen Anlass gab, und
wobei nach
NK10
oder 15) der Platz für die erforderlichen Steckverbindungen verlorenging. Um
NK12
zurückgreifen und ein recht dickes Drehgelenk vorsehen müssen, um in diesem
eine Schnittstelle in Form einer Klinkenstecker-Buchse z. B. für einen Kopfhörer
anordnen zu können. Als nächstes hätte er Überlegungen zur Stromversorgung
NK10
NK12
für Kopfhöreranschluss bekannte Klinkenstecker-Buchse alternativ für eine
Stromversorgung zu nutzen, wäre er zu einer elektrischen Steckverbindung mit
(1f)
gelangt.
- 39 -
Das Erfordernis solcher mehrerer gedanklicher Schritte ist i. d. R. bereits ein
Hinweis darauf, dass die beanspruchten Merkmale nicht nahelagen.
Hier kommt noch hinzu, dass der Gedanke, eine Steckbuchse für einen Kopfhörer-
Ausgang als Stromversorgungs-Eingang zu benutzen, sich keinesfalls aufdrängt
oder schlüssig ist. Gerade bei Steckverbindungen zur Stromversorgung muss der
Fachmann sich Gedanken machen hinsichtlich Strombelastbarkeit und
NK12
bekannten Kopfhörer-Steckbuchse: Zum einen ist der Kopfhörer-Strom um eine
Größenordnung geringer als der Versorgungsstrom, und zum anderen besteht für
einen Kopfhörer-Klinkenstecker keine echte Kurzschluss-Gefahr (der Strom
kommt aus der Steckbuchse), während eine solche bei einem
„nackten“,
Versorgungsstrom-führenden
Klinkenstecker
(siehe
NK18
wegen
der
offenliegenden beiden Pole deutlich erhöht ist.
Nachdem somit mehrere gedankliche Schritte erforderlich waren und die
Veranlassung dafür jeweils als fraglich, wenn nicht gar als unwahrscheinlich zu
beurteilen ist, konnte der Senat nicht die Feststellung treffen, dass ein solches
Vorgehen nahelag.
3.2.2
3.1.3
NK10
3.2.3
NK13
Gehäusehälften
12 und 13 und einem „Buchrücken“ 11, mit einer Schnittstelle 66
für die Stromzuführung (Figur 1, Figur 3, Figur 4) als koaxial im Buchrücken
angeordnete Steckbuchse; diese befindet sich jedoch ersichtlich nicht in einem
Drehgelenk. Eine elektronische Anzeigeeinheit ist nicht vorgesehen, der Strom
wird hier zur rückseitigen Beleuchtung eines aufgelegten Papiers oder einer
Folie 22 benötigt.
Weil es sich weder um ein „Digitales Buch“ handelt, noch die
- 40 -
NK13
besonderen Anregungen in Richtung auf den Patentanspruch 1 liefern.
NK14
ein Drehgelenk (hinge assembly 60) verbundene Anzeigeeinheit 38 mit
Bildschirm 42 (siehe Figur 2 und Spalte 15 Zeile 14 bis 22), bei welcher ein
bidirektionales Kommunikationskabel 40 an die Stirnfläche eines Drehgelenks 66
angeschlossen ist (Spalte 15 Zeile 14 ff., Spalte 16 Zeile 7 ff.). Nachdem das
Display abnehmbar sein soll (Figur 3), wird der Fachmann erwarten, dass auch die
Stromversorgung über das Kabel 40 erfolgt. Allerdings ist nicht klar erkennbar, ob
das Kabel lösbar (Schnittstelle?) oder fest verbunden ist. Auch fehlt jeder Anlass,
gerade dieses permanent mit einem Rechner verbundene Display zur
Wei
terbildung eines „Digitalen Buches“ heranzuziehen.
NK25
von Texten, z. B. für Kraftfahrzeuge bei Pannen (Spalte 1 Zeile 7 bis 25, Spalte 3
Zeile 40 ff.), mit einem Verbindungsstecker 86, der an einem aus dem Drehgelenk
herausführenden Kabel 84 angeschlossen ist. Sie zeigt aber keine im Innern des
Drehgelenks angeordnete Steck-Buchse, und es ist auch keine Anregung in dieser
Richtung erkennbar.
NK15 / NK15a
NK12
Klinkenstecker für einen Kopfhörer, der in eine Buchse im Drehgelenk eines
Handfunkgeräts gesteckt wird. Eine externe Stromversorgung ist nicht weiter
beschrieben, insbesondere nicht unter Benutzung einer Steckbuchse im
Drehgelenk.
Auch den übrigen Entgegenhaltungen ist hinsichtlich des Patentanspruchs 1 des
Hilfsantrags II nicht mehr zu entnehmen (sie wurden von der Klägerin gegen die
Unteransprüche und den ursprünglichen Nebenanspruch 18 angeführt).
3.3
Der Patentanspruch 1 in der Fassung nach Hilfsantrag II hat sonach
Bestand. Denn keine der von der Klägerin benannten Druckschriften nimmt seinen
- 41 -
Gegenstand neuheitsschädlich vorweg. Es findet sich auch keine Anregung, ein
„Digitales Buch“ so wie beansprucht auszugestalten, so dass nicht die
Feststellung getroffen werden kann, der beanspruchte Gegenstand habe für den
Fachmann nahegelegen.
4.
Die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag II trägt auch die auf
diesen direkt oder indirekt zurückbezogenen Unteransprüche 2 bis 15 sowie den
ebenfalls darauf zurückbezogenen, auf
ein „System“ gerichteten Anspruch 16, der
inhaltlich nicht über den Anspruch 1 hinausgeht.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1
Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99
Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
VII.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG
eingelegt werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des in vollständiger Form
abgefassten Urteils - spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung -
durch einen in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt oder
Patentanwalt
schriftlich
zum
Bundesgerichtshof,
Herrenstraße
45a,
76133 Karlsruhe, einzulegen.
- 42 -
Die Berufungsschrift muss
- die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet ist, sowie
- die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde,
enthalten. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte
Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Auf die Möglichkeit, die Berufung nach § 125a PatG in Verbindung mit § 2 der
Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und
Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV) auf elektronischem Weg zum Bundes-
gerichtshof einzulegen, wird hingewiesen (s. www.bundesgerichtshof.de/erv.html).
Merzbach
Paetzold
Baumgardt
Dr. Forkel
Hoffmann
Pr