Urteil des BPatG vom 17.10.2016

Stand der Technik, Patentanspruch, Erfindung, Anschluss

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
19 W (pat) 13/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
17. Oktober 2016
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
- 2 -
betreffend das Patent 10 2008 057 754
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2016 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Kirschneck sowie der
Richter Dr.-Ing. Scholz und Dipl.-Ing. J. Müller
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der
Patentabteilung 1.34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom
18. Dezember 2013 aufgehoben und das Patent 10 2008 057 754
widerrufen.
G r ü n d e
I.
Auf die am 17. November 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt einge-
gangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents mit der
Nummer 10 2008 057 754 am 5. Juli 2012 veröffentlicht worden. Es trägt die Be-
zeichnung
„Trennklemme“.
Gegen das Patent hat die Einsprechende am 5. Oktober 2012 beim Deutschen
Patent- und Markenamt Einspruch mit der Begründung eingelegt, der Gegenstand
des angegriffenen Patents sei nicht patentfähig (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG), insbe-
sondere nicht neu bzw. nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend. Außer-
dem offenbare das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein
Fachmann diese ausführen könne (§ 21 Abs. 1 Nr. 2, PatG).
- 3 -
Die Einsprechende hat ihren Vortrag bezüglich der fehlenden Patentfähigkeit auf
folgende Unterlagen gestützt:
(D1)
Phoenix Contact: Steckbare Zugfederklemmen ST-Combi
Messer- und Trennklemme, 15.03.03 TRN 5127182-01
(D2)
Phoenix Contact: CLIPLINE One system 4 connection
systems ©2004 TNR 5170647/01.04.2004-0.0;
(D3)
WAGO Kontakttechnik: Gesamtkatalog W3 Band 1, Seiten
2.20, 2.21, 2.24, 2.25, 0888-0301/0010-0101, 10.08.2001;
(D4)
DE 10 2006 019 160 A1;
(D5)
DE 196 16 516 C1;
(D6)
DE 44 44 551 A1;
(D7)
DE 1 274 715 A;
(D8)
DE 197 42 785 C1;
(D9)
DE 41 06 555 A1;
(D10)
DE 195 06 859 A1;
(D11)
DE 295 14 711 U1;
(D12)
EP 0 386 277 A1.
Durch einen am Ende einer Anhörung vor der Patentabteilung 1.34 des Deutschen
Patent- und Markenamtes am 18. Dezember 2013 verkündeten Beschluss ist das
Patent unverändert aufrechterhalten worden.
Gegen diesen Beschluss hat die Einsprechende mit Schreiben vom 14. Fe-
bruar 2014 Beschwerde eingelegt und im Laufe des Verfahrens zwei weitere
Druckschriften eingereicht:
(D13)
DE 197 48 640 C1
(D14)
DE 85 31 990 U1.
- 4 -
Sie beantragt:
den Beschluss der Patentabteilung 1.34 des Deutschen Patent-
und Markenamts vom 18. Dezember 2013 aufzuheben und das
Patent 10 2008 057 754 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin ist dem Vorbringen der beschwerdeführenden Einsprechen-
den entgegengetreten. Sie beantragt:
die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen,
hilfsweise, das angegriffene Patent aufgrund folgender Unterlagen
beschränkt aufrecht zu erhalten:
gemäß Hilfsantrag 1, die erteilten Patentansprüche unter Wegfall
von Patentanspruch 2 und Anpassung der Nummerierung und der
Rückbezüge,
gemäß Hilfsantrag 2, Patentansprüche 1 bis 11 gemäß Hilfsan-
trag 1 vom 7. Oktober 2016,
gemäß Hilfsantrag 3, Patentansprüche 1 bis 11 gemäß Hilfsan-
trag 2 vom 7. Oktober 2016,
übrige Unterlagen zu den Hilfsanträgen jeweils gemäß Patent-
schrift.
- 5 -
Der Patentanspruch 1 erteilter Fassung (Hauptantrag und Hilfsantrag 1) lautet unter
Einfügung einer Gliederung:
a)
Baueinheit aus mindestens zwei nebeneinander angeordneten
Trennklemmen (1) und mindestens zwei miteinander verbunde-
nen Anschlusssteckern (10),
b)
wobei die Trennklemmen (1) jeweils
b
1
)
ein Klemmengehäuse (2),
b
2
)
eine aus zwei Teilstücken (3, 4) bestehende Strom-
schiene,
b
3
)
zwei Leiteranschlussstellen zum Anschließen von je
einem Leiter an einem der Teilstücke (3, 4) der Strom-
schiene und
b
4
)
ein schwenkbar im Klemmengehäuse (2) gelagertes
Trennmesser (5) aufweisen,
b
5
)
wobei die beiden Teilstücke (3, 4) in einer ersten Stel-
lung des Trennmessers (5) über das Trennmesser (5)
miteinander verbunden und
b
6
)
in einer zweiten Stellung des Trennmessers (5)
voneinander getrennt sind, und
c)
wobei die Anschlussstecker (10) jeweils
c
1
)
ein Steckergehäuse (11),
c
2
)
mindestens ein darin angeordnetes
Leiteranschlusselement (12) und
c
3
)
einen mit dem Leiteranschlusselement (12) elektrisch
verbundenen Steckkontakt (13) aufweisen,
dadurch gekennzeichnet,
d)
dass jeweils mindestens eine der Leiteranschlussstellen der
Trennklemmen (1) als mit einem der Teilstücke (3) der Strom-
schiene elektrisch verbundener Steckplatz (6) ausgebildet ist,
- 6 -
d
1
)
so dass jeweils einer der Anschlussstecker (10) mit sei-
nem Steckkontakt (13) auf das Klemmengehäuse (2)
aufsteckbar ist, und
e)
dass die Anschlussstecker (10) jeweils ein mit dem Leiteran-
schlusselement (12) elektrisch leitend verbundenes federndes
Kontaktelement (26) aufweisen, das derart angeordnet und
ausgebildet ist,
e
1
)
dass die Kontaktelemente (26) zweier Anschluss-
stecker (10) einander kontaktieren, wenn die An-
schlussstecker (10) nicht auf den Trennklemmen (1)
aufgesteckt sind,
e
2
)
während die Kontaktelemente (26) durch eine Seiten-
wand (27) einer der Trennklemmen (1) voneinander ge-
trennt sind, wenn die Anschlussstecker (10) auf den
Trennklemmen (1) aufgesteckt sind.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 vom 7. Oktober 2016 (geltender Hilfs-
antrag 2) lautet unter Fortführung der Gliederung (Änderungen gegenüber Haupt-
antrag sind durch Durch- bzw. Unterstreichung gekennzeichnet):
a)
Baueinheit aus mindestens zwei nebeneinander angeordneten
Trennklemmen (1) und mindestens zwei miteinander verbunde-
nen Anschlusssteckern (10),
b)
wobei die Trennklemmen (1) jeweils
b
1
)
ein Klemmengehäuse (2),
b
2
)
eine aus zwei Teilstücken (3, 4) bestehende Strom-
schiene,
b
3
)
zwei Leiteranschlussstellen zum Anschließen von je
einem Leiter an einem der Teilstücke (3, 4) der Strom-
schiene und
- 7 -
b
4
)
ein schwenkbar im Klemmengehäuse (2) gelagertes
Trennmesser (5) aufweisen,
b
5
)
wobei die beiden Teilstücke (3, 4) in einer ersten Stel-
lung des Trennmessers (5) über das Trennmesser (5)
miteinander verbunden und
b
6
)
in einer zweiten Stellung des Trennmessers (5) von-
einander getrennt sind, und
c)
wobei die Anschlussstecker (10) jeweils
c
1
)
ein Steckergehäuse (11),
c
2
)
mindestens ein darin angeordnetes Leiteranschluss-
element (12) und
c
3
)
einen mit dem Leiteranschlusselement (12) elektrisch
verbundenen Steckkontakt (13) aufweisen,
dadurch gekennzeichnet,
d)
dass jeweils mindestens eine der Leiteranschlussstellen der
Trennklemmen (1) als mit einem der Teilstücke (3) der Strom-
schiene elektrisch verbundener Steckplatz (6) ausgebildet ist,
d
1
)
so dass jeweils einer der Anschlussstecker (10) mit sei-
nem Steckkontakt (13) auf das Klemmengehäuse (2)
aufsteckbar ist, und
dadurch gekennzeichnet,
e)
dass wobei [sic] die Anschlussstecker (10) jeweils ein mit dem
Leiteranschlusselement (12) elektrisch leitend verbundenes fe-
derndes Kontaktelement (26) aufweisen, das derart angeordnet
und ausgebildet ist,
e
1
)
dass die Kontaktelemente (26) zweier Anschlussstecker
(10) einander kontaktieren, wenn die Anschlussstecker
(10) nicht auf den Trennklemmen (1) aufgesteckt sind,
e
2
)
während die Kontaktelemente (26) durch eine Seiten-
wand (27) einer der Trennklemmen (1) voneinander ge-
- 8 -
trennt sind, wenn die Anschlussstecker (10) auf den
Trennklemmen (1) aufgesteckt sind,
f
1
)
wobei die Seitenwand (27) jeder der Trennklemmen (1) jeweils
in Längsrichtung (L) der Trennklemme (1) vom Steckplatz (6)
beabstandet ist und zwischen dem Steckplatz (6) und der Sei-
tenwand (27) jeweils eine Querwand ausgebildet ist.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 vom 7. Oktober 2016 (geltender Hilfs-
antrag 3) lautet unter Fortführung der Gliederung (Änderungen gegenüber Haupt-
antrag sind durch Durch- bzw. Unterstreichung gekennzeichnet):
a)
Baueinheit aus mindestens zwei nebeneinander angeordneten
Trennklemmen (1) und mindestens zwei miteinander verbunde-
nen Anschlusssteckern (10),
b)
wobei die Trennklemmen (1) jeweils
b
1
)
ein Klemmengehäuse (2),
b
2
)
eine aus zwei Teilstücken (3, 4) bestehende Strom-
schiene,
b
3
)
zwei Leiteranschlussstellen zum Anschließen von je ei-
nem Leiter an einem der Teilstücke (3, 4) der Strom-
schiene und
b
4
)
ein schwenkbar im Klemmengehäuse (2) gelagertes
Trennmesser (5) aufweisen,
b
5
)
wobei die beiden Teilstücke (3, 4) in einer ersten Stel-
lung des Trennmessers (5) über das Trennmesser (5)
miteinander verbunden und
b
6
)
in einer zweiten Stellung des Trennmessers (5) von-
einander getrennt sind, und
c)
wobei die Anschlussstecker (10) jeweils
c
1
)
ein Steckergehäuse (11),
- 9 -
c
2
)
mindestens ein darin angeordnetes Leiteranschlussele-
ment (12) und
c
3
)
einen mit dem Leiteranschlusselement (12) elektrisch
verbundenen Steckkontakt (13) aufweisen,
dadurch gekennzeichnet,
d)
dass jeweils mindestens eine der Leiteranschlussstellen der
Trennklemmen (1) als mit einem der Teilstücke (3) der Strom-
schiene elektrisch verbundener Steckplatz (6) ausgebildet ist,
d
1
)
so dass jeweils einer der Anschlussstecker (10) mit sei-
nem Steckkontakt (13) auf das Klemmengehäuse (2)
aufsteckbar ist, und
dadurch gekennzeichnet,
e)
dass wobei [sic] die Anschlussstecker (10) jeweils ein mit dem
Leiteranschlusselement (12) elektrisch leitend verbundenes fe-
derndes Kontaktelement (26) aufweisen, das derart angeordnet
und ausgebildet ist,
e
1
)
dass die Kontaktelemente (26) zweier Anschlussste-
cker (10) einander kontaktieren, wenn die Anschluss-
stecker (10) nicht auf den Trennklemmen (1) aufge-
steckt sind,
e
2
)
während die Kontaktelemente (26) durch eine Seiten-
wand (27) einer der Trennklemmen (1) voneinander ge-
trennt sind, wenn die Anschlussstecker (10) auf den
Trennklemmen (1) aufgesteckt sind,
f
1
)
wobei die Seitenwand (27) jeder der Trennklemmen (1) jeweils
in Längsrichtung (L) der Trennklemme (1) vom Steckplatz (6)
beabstandet ist und zwischen dem Steckplatz (6) und der Sei-
tenwand (27) jeweils eine Querwand ausgebildet ist,
f
2
)
die zwischen dem Steckkontakt (13) und dem Kontaktelement
(26) eines Anschlusssteckers (10) angeordnet ist, wenn die An-
- 10 -
schlussstecker (10) auf den Trennklemmen (1) aufgesteckt
sind.
In der Patentschrift (Absatz 0013) ist angegeben, der Erfindung liege die Aufgabe
zugrunde, eine Baueinheit zur Verfügung zu stellen, die den Anschluss eines
elektrischen Leiters an die Trennklemme, insbesondere beim Einsatz in einem
Zählerwechselschrank den elektrischen Anschluss einer Zählerwechseltafel er-
leichtere.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat Erfolg, da die Gegenstän-
de der Patentansprüche 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit beruhen (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 PatG) und die jeweiligen
Gegenstände der Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 2 und 3 über den In-
halt der Anmeldung hinausgehen, in der diese ursprünglich beim Deutschen Pa-
tent- und Markenamt eingereicht worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).
1.
Der Senat legt seiner Entscheidung als Fachmann einen Diplom-
ingenieur (FH) oder Techniker der Fachrichtung Elektrotechnik zugrunde, der Ein-
zelheiten elektrischer Klemmen und Stecker entwickelt, wobei dieser die bei
Stromwandlern zu beachtenden Vorschriften kennt und beachtet.
2.1
Aus der Entgegenhaltung DE 10 2006 019 160 A1 (D4) ist, in Worten des
Patentanspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag 1 ausgedrückt, Folgendes be-
kannt: eine
- 11 -
a)
Baueinheit aus mindestens zwei nebeneinander angeordneten
Kupplungsteil-Modulen 4 und mindestens zwei miteinander ver-
bundenen Anschlusssteckern 3,
c)
wobei die Anschlussstecker 3 jeweils
c
1
)
ein Steckergehäuse,
c
2
)
mindestens ein darin angeordnetes Leiteranschlussele-
ment und
c
3
)
einen mit dem Leiteranschlusselement elektrisch ver-
bundenen Steckkontakt 17 aufweisen, wobei
d)
jeweils mindestens eine der Leiteranschlussstellen der Kupp-
lungsteil-Module 4 mit einem Steckplatz 18 ausgebildet ist (vgl.
Figur 1),
d
1
)
wobei jeweils einer der Anschlussstecker 3 mit seinem
Steckkontakt 17 auf das Kupplungsteil-Modulgehäuse
aufsteckbar ist, und
e)
wobei die Anschlussstecker 3 jeweils ein mit dem Leiteran-
schlusselement elektrisch leitend verbundenes federndes Kon-
taktelement 19 aufweisen, das derart angeordnet und ausge-
bildet ist, dass
e
1
)
die Kontaktelemente 19 zweier Anschlussstecker 3
einander kontaktieren, wenn die Anschlussstecker 3
nicht auf den Kupplungsteil-Modulen 4 aufgesteckt sind
(vgl. Figur 6, Absatz 0020),
e
2
)
während die Kontaktelemente 19 durch eine Seiten-
wand 28 einer der Kupplungsteil-Module 4 voneinander
getrennt sind, wenn die Anschlussstecker 3 auf den
Kupplungsteil-Modulen 4 aufgesteckt sind (vgl. Figur 6,
Absatz0021, 0022).
Davon unterscheidet sich der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ledig-
lich dadurch, dass das Kupplungsteil-Modul Teil einer Trennklemme sein soll, bei
- 12 -
der ein Teil der Stromschiene als Steckplatz ausgebildet ist. Klemmen mit Trenn-
funktion in Längsrichtung der Klemme werden üblicherweise im Zusammenhang
mit Mess- und Schutzeinrichtungen, unter anderem zum Anschluss von Strom-
wandlern, eingesetzt.
Eine Baueinheit mit Trennklemmen mit Steckplatz ist beispielsweise aus der Pro-
duktschrift Phoenix Contact: Steckbare Zugfederklemmen ST-Combi Messer- und
Trennklemme, 15.03.03 TRN 5127182-01 (Entgegenhaltung D1) bekannt.
Dort ist, in Worten der Patentansprüche 1 nach Haupt- und Hilfsanträgen ausge-
drückt, Folgendes dargestellt: eine
a)
Baueinheit aus mindestens zwei nebeneinander angeordneten
Trennklemmen
b)
wobei die Trennklemmen jeweils
b
1
)
ein Klemmengehäuse,
b
2
)
eine aus zwei Teilstücken bestehende Stromschiene,
b
3
)
zwei Leiteranschlussstellen zum Anschließen von je ei-
nem Leiter an einem der Teilstücke der Stromschiene
und
b
4
)
ein schwenkbar im Klemmengehäuse gelagertes Trenn-
messer aufweisen,
b
5
)
wobei die beiden Teilstücke in einer ersten Stellung des
Trennmessers über das Trennmesser miteinander ver-
bunden und
b
6
)
in einer zweiten Stellung des Trennmessers voneinan-
der getrennt sind,
wobei
d)
jeweils eine der Leiteranschlussstellen jeder Trennklemme als
mit einem der Teilstücke der Stromschiene elektrisch verbunde-
ner Steckplatz ausgebildet ist,
- 13 -
d
1
)
so dass ein (nicht dargestellter) Anschlussstecker mit
seinem Steckkontakt auf das Klemmengehäuse auf-
steckbar ist.
Nach Überzeugung des Senats hat der Fachmann die augenfällige Eignung der
Steckverbindung gemäß Entgegenhaltung D4 für den Sekundäranschluss eines
Stromwandlers erkannt, der im Leerlauf zwingend kurzzuschließen ist, wenn we-
der ein Strommessgerät noch eine andere niederohmige Last angeschlossen ist,
da ansonsten hohe Kernverluste oder sogar gefährliche Spannungen auf der Se-
kundärseite auftreten können (vgl. DE 44 44 551 A1 (D6), Spalte 1, Zeilen 56 bis
68; DE 197 48 640 C1 (D13), Spalte 1, Zeilen 19 bis 30; DE 85 31 990 U1 (D14),
Seite 1, Zeilen 18 bis 20).
Es ist allerdings ungewöhnlich, im Verlauf der sekundären Anschlussleitungen ein-
es Stromwandlers einen Steckverbinder vorzusehen, der nicht auf einer tragenden
Unterlage
– in der Regel einer Montageschiene – fixiert ist.
Der Fachmann hatte also Anlass, den Anschlussstecker gemäß Entgegenhaltung
D4 auf eine Trennklemme aufzustecken, wie sie beispielsweise aus der Entge-
genhaltung D1 bekannt ist, zumal bei letzterer bereits ein Steckplatz vorgesehen
ist. Die dazu erforderliche Umgestaltung des Isolierstoffgehäuses der Trennklem-
me nimmt der Fachmann im Rahmen seines routinemäßigen Handelns derart vor,
dass das Isolierstoffgehäuse der Trennklemme entsprechend dem Kupplungsteil-
Modul gemäß Entgegenhaltung D4 eine Seitenwand aufweist, mittels derer die
federnde Kontaktelemente zweier benachbarter Anschlussstecker erfindungsge-
mäß kurzschließbar sind.
Der Einwand des Vertreters der Patentinhaberin, der Fachmann würde die Trenn-
klemmen gemäß Entgegenhaltung D1 nicht zum sekundärseitigen Anschluss von
Stromwandlern verwenden, konnte zu keiner anderen Bewertung führen.
- 14 -
Zum einen ist gemäß Streitpatentschrift (Absätze 0016 und 0017) eine Trenn-
klemme mit dem in der Entgegenhaltung D1 gezeigten Trenn- und Betätigungs-
prinzip für den Einsatz mit Stromwandlern vorgesehen, so dass der behauptete
Hinderungsgrund den Fachmann offensichtlich doch nicht davon abgehalten hat,
diese Trennklemme zum Anschluss von Stromwandlern zu verwenden. Zum ande-
ren ist unbeachtlich, dass die Patentinhaberin auch andere Trennklemmen anbie-
tet, die nach anderen Kriterien konstruiert sind und möglicherweise einen höheren
Schutz gegen Fehlbedienungen bieten.
Dadurch ergibt sich für den Fachmann die Baueinheit gemäß der Patentansprü-
che 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag 1, ohne dass es dazu einer erfinderischen
Tätigkeit bedürfte.
2.2
Die Überlegungen der Patentabteilung in ihrer Begründung des durch die
Beschwerde angegriffenen Beschlusses zur Aufrechterhaltung des Patents halten
einer Überprüfung nicht stand. Es mag zwar zutreffend sein, dass durch die
Trennmesser der Trennklemme gemäß Entgegenhaltung D1 der Sekundärstrom-
kreis eines Stromwandlers aufgetrennt werden kann, ohne dass dabei die Kurz-
schließung des Anschlusssteckers wirksam wird, jedoch tritt dieses Problem
gleichermaßen auch beim Gegenstand des Streitpatents auf, ohne dass angege-
ben wäre, welche überraschenden Vorteile sich daraus ergeben oder durch wel-
che anderen Maßnahmen verhindert wird, dass die Trennklemme geöffnet wird
solange der Anschlussstecker gesteckt ist.
Nach Überzeugung des Senats kann das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit
nicht mit dem angeblichen Nachteil einer Lösung begründet werden, die sich in
naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, sofern mit der vermeintli-
chen Erfindung demgegenüber keine Verbesserung eintritt. Eine die Patentfähig-
keit begründende Überwindung einer technischen Fehlvorstellung liegt nicht vor,
wenn gegenüber der vorgeschlagenen Lösung zu Recht bestehende Bedenken
lediglich ignoriert und mit ihr tatsächlich und vorhersehbar verbundene Nachteile
- 15 -
einfach in Kauf genommen werden. (BGH, Urteil vom 4. Juni 1996
– X ZR 49/94,
GRUR 1996, 857
– Rauchgasklappe).
3.
Gegenüber der erteilten Fassung ist gemäß geltendem Hilfsantrag 2 an den
Wortlaut des Patentanspruchs 1 angefügt:
f
1
)
wobei die Seitenwand (27) jeder der Trennklemmen (1) jeweils
in Längsrichtung (L) der Trennklemme (1) vom Steckplatz (6)
beabstandet ist und zwischen dem Steckplatz (6) und der Sei-
tenwand (27) jeweils eine Querwand ausgebildet ist.
Soweit der Vertreter der Anmelderin in der Verhandlung ausgeführt hat, es sei für
den Fachmann der zeichnerischen Darstellung des Streitgegenstandes, insbeson-
dere der Figur 6 zu entnehmen, dass zwischen dem Steckplatz 6 und der Kam-
mer, die der Aufnahme des Kontaktelementes 26 des Anschlusssteckers 10 dient,
eine Isolierstoffwand angeordnet ist, die quer zur Seitenwand 27 orientiert ist, mag
dieses Detail zwar in der besagten Figur 6 dargestellt sein. Allein aufgrund der
zeichnerischen Wiedergabe dieser Ausgestaltung konnte jedoch der Fachmann
nicht erkennen, dass es darauf ankommt und dies als Merkmal zu werten ist, das
für die Erfindung wesentlich ist und zu einem späteren Zeitpunkt Aufnahme in den
Hauptanspruch finden könnte.
Vielmehr durfte er darauf vertrauen, dass Merkmale, die zu einem tragenden
Merkmal eines Patents werden könnten, nicht nur zeichnerisch dargestellt, son-
dern auch in einem Patentanspruch oder zumindest in der Beschreibung genannt
sind. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, zumal die Figuren 5 und 6 der-
art detailreich sind, dass auch der Fachmann selbst die in den erteilten Patentan-
sprüchen genannten Einzelheiten erst nach intensiver Beschäftigung mit den Figu-
ren zuordnen kann (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1984
– X ZR 30/79,
GRUR 1985, 214
– Walzgut-Kühlbett). Der von der Beschwerdegegnerin zitierten
Entscheidung
„Teilreflektierende Folie“ (BGH, Urteil vom 15. September 2015 –
- 16 -
X ZR 112/13, GRUR 2016, 50), liegt ein anderer Sachverhalt zugrunde, da dort
durchaus in der Beschreibung auf die fragliche Eigenschaft eingegangen wurde,
wie im Punkt III.1.b der dortigen Entscheidungsgründe (Rdn. 26) erörtert ist.
Somit geht der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 über den
Inhalt der Anmeldung hinaus, in der diese ursprünglich beim Deutschen Patent-
und Markenamt eingereicht worden ist. Deshalb ist der Hilfsantrag 2 nicht zuläs-
sig.
4.
Da der Patentanspruch 1 gemäß geltendem Hilfsantrag 3 ebenfalls auf die
Querwand Bezug nimmt, die den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht un-
mittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend zu entnehmen war, ist auch
der Hilfsantrag 3 aus den zum Hilfsantrag 2 dargelegten Gründen nicht zulässig.
Somit war der Beschwerde der Einsprechenden stattzugeben und das Patent zu
widerrufen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den an dem Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechts-
mittel der Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Abs. 2, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 PatG).
Nachdem der Beschwerdesenat in dem Beschluss die Einlegung der Rechtsbeschwerde
nicht zugelassen hat, ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn einer der nachfolgen-
den Verfahrensmängel durch substanziierten Vortrag gerügt wird (§ 100 Abs. 3 PatG):
1. Das beschließende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt.
2. Bei dem Beschluss hat ein Richter mitgewirkt, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war.
3. Einem Beteiligten war das rechtliche Gehör versagt.
- 17 -
4. Ein Beteiligter war im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes
vertreten, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder
stillschweigend zugestimmt hat.
5. Der Beschluss ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind.
6. Der Beschluss ist nicht mit Gründen versehen.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, schriftlich einzulegen (§ 102
Abs. 1 PatG).
Die Rechtsbeschwerde kann auch als elektronisches Dokument, das mit einer qualifizier-
ten oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen ist, durch Übertragung in
die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes eingelegt werden (§ 125a Abs. 3
Nr. 1 PatG i. V. m. § 1, § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 2a, Anlage (zu § 1) Nr. 6 der Ver-
ordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof und Bundes-
patentgericht (BGH/BPatGERVV)). Die elektronische Poststelle ist über die auf der Inter-
netseite des Bundesgerichtshofes bezeichneten
Kommunikationswege erreichbar (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGH/BPatGERVV). Dort sind
auch die Einzelheiten zu den Betriebsvoraussetzungen bekanntgegeben (§ 3
BGH/BPatGERVV).
- 18 -
Die Rechtsbeschwerde muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwalt als Bevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeführers eingelegt werden
(§ 102 Abs. 5 Satz 1 PatG).
Kleinschmidt
Kirschneck
RiBPatG Dr.-Ing. Scholz ist
wegen Eintritts in den
Ruhestand gehindert, seine
Unterschrift beizufügen
Kleinschmidt
J. Müller
Ko