Urteil des BPatG vom 23.06.2016

Stand der Technik, Übereinstimmung, Produktion, Anpassung

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
17 W (pat) 41/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
23. Juni 2016
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2009 056 467.5-53
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder sowie der Richter
Dipl.-Phys. Dr. Forkel und Dipl.-Ing. Hoffmann
- 2 -
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 1. Dezember 2009 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung:
„Verfahren zur Bestimmung von Oberflächen in Voxeldaten“.
Die Anmeldung wurde durch den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G06F
des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 19. September 2014 zurückgewie-
sen. Zur Begründung führt die Prüfungsstelle aus, dass die jeweiligen Gegen-
stände des Hauptanspruchs gemäß Hauptantrag sowie des Hilfsantrags 1 nicht
auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Die Beschwerdeführerin ist
– wie angekündigt – zur mündlichen Verhandlung nicht
erschienen.
Sie beantragt (sinngemäß), den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das
nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
gemäß Hauptantrag mit
Patentansprüchen 1 bis 14 vom 24. November 2010,
Beschreibung Seiten 1 bis 11 und 13 bis 21 vom 1. Dezember 2009,
- 3 -
Beschreibung Seite 12 vom 26. Februar 2010 und
1 Blatt mit Figur 1 vom 1. Dezember 2009;
gemäß Hilfsantrag mit
Patentansprüchen 1 bis 11 vom 13. August 2014,
im Übrigen wie Hauptantrag.
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag
hen) lautet:
A
Tomographievorrichtung und/oder einem Oberflächenscanner Voxeldaten gewon-
nen werden,
(a) dann die folgenden Schritte zur Bestimmung von Oberflächen in den
Voxeldaten in der aufgeführten Reihenfolge ausgeführt werden:
1) Festlegen einer Oberfläche als Startoberfläche,
2) Variation der Oberfläche,
3) Bewertung der Oberfläche durch Vergleich von Eigenschaften der
Oberfläche mit erwarteten Eigenschaften der zu bestimmenden Ober-
fläche,
4) für den Fall, dass die Bewertung eine Übereinstimmung zwischen den
Eigenschaften der Oberfläche und den erwarteten Eigenschaften
ergibt, die größer oder gleich ist als eine vorgegebene Soll-Überein-
stimmung, Festlegen der Oberfläche als zu bestimmende Oberfläche
und für den Fall, dass die Bewertung eine Übereinstimmung ergibt, die
kleiner ist als die vorgegebene Soll-Übereinstimmung, Fortsetzung
des Verfahrens mit den Schritten 2), 3) und 4) und
(b) nach Bestimmung der Oberflächen eine Behandlungsvorrichtung in
Bezug auf die bestimmten Oberflächen gesteuert wird.
Zu den Ansprüchen 2 bis 14 gemäß Hauptantrag wird auf die Akte verwiesen.
- 4 -
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag
nach Hauptantrag.
Zu den Ansprüchen 2 bis 11 gemäß Hilfsantrag wird auf die Akte verwiesen.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt wurden fol-
gende Druckschriften genannt:
D1:
DE 101 17 403 C2,
D2:
DE 10 2006 022 104 A1,
D3:
WO 03/071925 A2,
D4:
DE 36 89 851 T2.
Vom Senat wurde zusätzlich die Druckschrift
D5:
Kroll J. u. a. New solutions for industrial inspection based on 3D computer
tomography, Proc. SPIE 7000, Optical and Digital Image Processing,
700006 (25. April 2008)
eingeführt.
II.
Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht und auch sonst zulässig. Sie
hat jedoch keinen Erfolg, da die jeweiligen Gegenstände des Patentanspruchs 1
gemäß Hauptantrag sowie gemäß Hilfsantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit
beruhen (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 4 Satz 1 PatG).
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1.
Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zur Bestimmung
von Oberflächen in dreidimensionalen Daten mittels Variation einer Startoberflä-
che (Offenlegungsschrift, Absatz [0001]).
Aus dem Stand der Technik sei die Bestimmung von Oberflächen in tomographi-
schen Daten mit Hilfe des Marching-Cubes-Algorithmus bekannt (Offenlegungs-
schrift, Absatz [0008]).
Ebenso seien lokale Schwellwertverfahren bekannt, die zwar eine Steigerung der
Genauigkeit gegenüber globalen Schwellwertverfahren und eine Verbesserung
bezüglich Artefakten und „falscher“ Grauwertschwankungen haben, aber diesel-
ben Nachteile bezüglich Materialtrennung und Datenkontrolle (Offenlegungsschrift,
Absatz [0010]).
Nachteilig bei diesen Lösungen ist die große Datenmenge und die Qualität der
Oberflächen, die für eine messtechnische Auswertung meist nicht ausreicht.
Aufgabe
mung von Oberflächen in Voxeldaten zur Verfügung zu stellen, das es ermöglicht,
kontrolliert Oberflächendaten aus Voxeldaten zu erzeugen, wobei es insbesondere
möglich sein soll, in bestimmten Bereichen die Genauigkeit zu erhöhen und in
anderen Bereichen zu reduzieren oder bestimmte Bereiche ganz von der Berech-
nung auszuschließen. Es soll außerdem möglich sein, verschiedene Materialien
zu trennen und deren Oberflächen separat zu ermitteln (siehe Offenlegungsschrift
Absatz [0012]).
Aufgabe
erhöhen, insbesondere dann, wenn das zu bearbeitende Objekt verschiedene
Materialien aufweist, und wenn Strahlungsartefakte die Objekterkennung beein-
trächtigen können (Beschwerdebegründung, Seite 2).
Fachmann
Informatiker mit Hochschulausbildung und mehrjähriger Berufserfahrung in der
Bildbearbeitung mit fundierten Kenntnissen der hier relevanten Algorithmen an.
- 6 -
2.
Die jeweiligen Gegenstände des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag
sowie Hilfsantrag beruhen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
2.1.
Einige Bezeichnungen bedürfen der Auslegung.
Im Folgenden geht der Senat davon aus, dass
-
„Voxeldaten“ diskrete, volumetrische, dreidimensionale Daten sind, die nor-
malerweise Grauwerte beinhalten. Jedem einzelnen Voxel wird ein Grau-
wert zugeordnet, der die Eigenschaften der dargestellten Objekte oder
Materialien wiedergibt. Diese Daten bilden die Grundlage für die Rekon-
struktion bzw. die Darstellung der Objektoberflächen eines Bauteils oder
der im Objekt liegenden Strukturen (vgl. Offenlegungsschrift Absatz [0002]);
- mit der Bezeichnung
„Eigenschaften“ bzw. „erwartete Eigenschaften“ einer
Oberfläche die Grauwerte des Materials definiert werden. Aus diesen Wer-
ten wird, bspw. in Abhängigkeit des Grautons, ein Gütemaß (z. B. eine
Energiefunktion) für die Bewertungsfunktion festgelegt (vgl. Offenlegungs-
schrift Absatz [0051]);
- die
„Fortsetzung des Verfahrens mit den Schritten 2 bis 4“ einem Algorith-
mus entspricht, bei dem mittels eines numerischen Verfahrens eine iterative
Annäherung an eine vorgegebene Soll-Übereinstimmung erfolgt (vgl. Offen-
legungsschrift Absätze [0065], [0066]);
-
eine „Soll-Übereinstimmung“ einem vorgegebenen Wert entspricht, der mit
dem Ergebnis eines Vergleichs der Eigenschaften der berechneten Ober-
fläche mit den erwarteten Eigenschaften der Oberfläche verglichen wird. Ist
der Wert der Soll-Übereinstimmung erreicht oder überschritten, wird die
berechnete Oberfläche als die zu bestimmende Oberfläche ausgegeben
(vgl. Offenlegungsschrift Absatz [0066]);
- d
as „Steuern“ einer Behandlungsvorrichtung die Anwendung der messtech-
nischen Auswertung der Daten betrifft. Dies wird bspw. bei der Material-
prüfung oder der Qualitätssicherung eingesetzt. Dabei können die ermittel-
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ten Oberflächendaten als Ausgangsdaten für eine weitere 3-D-Untersu-
chung des Objekts, als Grundlage für ein sogenanntes Reverse-Enginee-
ring oder zur Verbesserung der Qualität in der Produktion genutzt werden
(vgl. Offenlegungsschrift Absätze [0058], [0067]).
2.2.
Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag
dem Stand der Technik naheliegend.
D5
Computertomographen ein Objekt aufnimmt und ein Modell dieses Objekts mit
(A)
Weiterhin ist (in Kapitel 3.3) der Ablauf, d. h. die Reihenfolge der Schritte eines
iterativen Verfahrens zur Bestimmung von Oberflächen aus den Voxeldaten
(a)
1)
„initial 3D contour“).
Anschließend erfolgt die Zuweisung eines Energiewertes (Bewertungsfaktors), der
aus den Eigenschaften der Oberflächendaten (z. B. Grauwert, Gradient) generiert
3)
Dieser Energiewert wird in einem iterativen Verfahren (Kapitel 3.3
, „This energy
has to be minimized iteratively“) minimiert, um die bestmögliche Übereinstimmung
mit vorgegebenen Eigenschaften der Oberfläche (Soll-Werten) zu erreichen. Dies
bedeutet, dass der ermittelte Energiewert mit einem Energiewert verglichen wird,
der den Soll-Werten entspricht, um den Grad der Übereinstimmung zu bestimmen
3)
- 8 -
Schließlich ist auch die Verwendung der ermittelten Oberflächendaten für die Qua-
litätsprüfung (Abstract, Kapitel
1, „quality assurance like material testing“) gezeigt,
wobei die Daten der Objekte für eine optimierte Produktion benötigt werden. Dies
bedeutet, dass die Daten, welche aus der Qualitätskontrolle stammen, auch für
(b)
D5
angegeben, ein iteratives, numerisches Verfahren (Kapitel 3.3) verwendet. Dem
Fachmann ist geläufig, dass derartige iterative Verfahren stets von einer Startbe-
dingung ausgehen, entsprechend dem verwendeten Algorithmus Werte berechnen
und diese mit vorgegebenen Zielwerten vergleichen. Ergibt der Vergleich dabei
einen Wert, der den vorgegebenen Kriterien entspricht, d. h. die gewünschte Über-
einstimmung bzw. Annäherung ist erreicht, wird das Verfahren beendet. Entspricht
der Wert allerdings nicht den vorgegebenen Kriterien, so erfolgt eine weitere Itera-
tionsschleife mit angepassten Startbedingungen (Anpassung/Variation eines Start-
D5
eine Fehlerkorrektur (Kapitel 4.1) vorgesehen, d. h. eine bessere Annäherung an
den Zielwert, die auf einer Veränderung der Objektoberfläche (Anpassung der
Startbedingung) beruht. Aufgrund dieses Hinweises konnte der Fachmann zu den
2)
Sonach ergeben sich alle Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag für
D5
2.3.
Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag
gegenüber dem Stand der Technik naheliegend.
Da sich das Verfahren des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag nicht von dem Ver-
fahren des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag unterscheidet, gelten hierfür die
obigen Ausführungen analog.
- 9 -
Somit ergeben sich alle Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag für den
D5
2.4.
Technische Merkmale und ursprüngliche Offenbarung
Die Frage, ob im vorliegenden Fall einzelne nicht-technische Merkmale enthalten
sind, die bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen sind,
kann nach allem genauso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob die jeweiligen
Gegenstände der Patentansprüche 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag unzulässig
erweitert worden sind.
3.
Mit den jeweiligen Patentansprüchen 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag fallen
auch die jeweiligen übrigen Patentansprüche, da über einen Antrag nur einheitlich
entschieden werden kann (BGH GRUR 1997, 120 -
).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist
sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richter-
amtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit
Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
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5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichts-
hof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Morawek
Eder
Dr. Forkel
Hoffmann
Fa