Urteil des BPatG vom 09.06.2015

Künstliche Intelligenz, Abhängigkeit, Eigenschaft, Index

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
17 W (pat) 37/12
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2009 054 418.6 - 53
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 9. Juni 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt
sowie der Richterin Dipl.-Phys. Dr. Thum-Rung
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I.
Die vorliegende Patentanmeldung ist am 24. November 2009 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingereicht worden. Sie trägt nunmehr die Bezeichnung
„Künstliche Intelligenz mittels Objektorientierter Daten-/Sprachverarbeitung“.
Die Prüfungsstelle für Klasse G06N hat am 28. November 2011 die Anmeldung
aus den im Bescheid vom 22. September 2011 genannten Gründen zurück-
gewiesen. In diesem Bescheid ist dargelegt, dass der Gegenstand des ursprüng-
lich eingereichten Hauptanspruchs unter das Patentierungsverbot des § 1 PatG
falle und daher nicht gewährbar sei.
Gegen den Beschluss wendet sich die am 5. Dezember 2011 eingegangene
Beschwerde des Anmelders.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte
Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche,
Beschreibung Seiten 1 und 2 und
1 Blatt Zeichnung mit 1 Figur, jeweils vom 25. Januar 2010,
eingegangen am 26. Januar 2010.
Im Beschwerdeverfahren wurden dem Anmelder die Bedenken des Senats mitge-
teilt, unter anderem im Hinblick auf eine mögliche unzulässige Erweiterung der
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geltenden Patentansprüche. Bis zum Ende der gesetzten Äußerungsfrist hat der
Anmelder zu dieser Frage nicht Stellung genommen.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind folgende
Druckschriften genannt worden:
D1: Wikipedia-Artikel
„Künstliche Intelligenz“, Version vom 21.11.2009.
Im Internet unter:
http://de.wikipedia.org/w/index.php?titIe=K%C3%BCnstliche
lntelligenz&oldid=67097323,
D2: Kitamura Y., Mizoguchi R.: Ontology-based systematization of
functional knowledge, ln: Journal of Engineering Design, Vol. 15, Nr. 4,
Pages 327 - 351, August 2004. lm lnternet unter:
http://www.ei.sanken.osaka-u.ac.jp/members/kita/pub/kita-jed04.pdf,
D3: Wikipedia-
Artikel “Maschinelles Lernen“, Version vom 17.09.2009. Im
lntemet
unter:
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Maschinelles
Lernen&oldid=64596378,
D4: Wikipedia-
Artikel „Expertensystem“, Version vom 13.11.2009. lm
lntemet unter:
http://de.wikipedia.org/w/index.php?titIe=Expertensystem&oldid=66753490.
Die am Anmeldetag eingereichten Patentansprüche lauten:
„künstliche Intelligenz wird mittels IT-Programmierung, mit derzeit
gängigen Programmiersprachen und nach folgenden Kriterien, erstellt.:
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1. Eigenschaften:
alle Eigenschaften eines Objektes werden in Abhängigkeit zu der
jeweiligen Beschreibung, Prioritäten, Funktionalitäten und Abhängigkeiten
dargestellt.
2. Funktionalität:
in Abhängigkeit von Punkt 1 werden alle Funktionalitäten eines Objektes
zu der jeweiligen Beschreibung, Prioritäten, Eigenschaften und Ab-
hängigkeiten dargestellt.
3. Beschreibungen:
in Abhängigkeit von Punkt 1 und 2 werden alle Beschreibungen eines
Objektes zu der jeweiligen Funktionalitäten, Prioritäten, Eigenschaften und
Abhängigkeiten dargestellt.
4. Abhängigkeiten:
in Abhängigkeit von Punkt 1, 2 und 3 werden alle Abhängigkeiten eines
Objektes zu der jeweiligen Funktionalitäten, Prioritäten, Eigenschaften und
Beschreibungen dargestellt.
5. Prioritäten:
in Abhängigkeit von Punkt 1, 2, 3 und 4 werden alle Prioritäten eines
Objektes zu der jeweiligen Funktionalitäten, Abhängigkeiten, Eigenschaf-
ten und Beschreibungen dargestellt.“
Die mit Schreiben vom 25. Januar 2010 eingereichten, geltenden Patent-
ansprüche lauten:
„künstliche Intelligenz wird mittels Darstellung aller Prozesse zu jedem
Objekt, die in „DATA DICTINARY beschrieben und einem
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DATAWAREHOUSE“ gespeichert sind und in Programmiersprachen nach
folgenden Kriterien erstellt werden. Siehe hierzu die Beschreibung:
1. Eigenschaften:
alle Eigenschaften eines Objektes werden in Abhängigkeit zu der
jeweiligen Beschreibung, Prioritäten, Prozesse, Sprache, Funktionalitäten
und Abhängigkeiten dargestellt.
2. Funktionalität:
in Abhängigkeit von Punkt 1 werden alle Funktionalitäten eines Objektes
zu der jeweiligen Beschreibung, Prioritäten, Prozesse, Eigenschaften und
Abhängigkeiten dargestellt.
3. Beschreibungen:
in Abhängigkeit von Punkt 1 und 2 werden alle Beschreibungen eines
Objektes zu der jeweiligen Funktionalitäten, Prioritäten, Eigenschaften,
Prozesse und Abhängigkeiten dargestellt.
4. Abhängigkeiten:
in Abhängigkeit von Punkt 1, 2 und 3 werden alle Abhängigkeiten eines
Objektes zu der jeweiligen Funktionalitäten, Prioritäten, Prozesse, Eigen-
schaften und Beschreibungen dargestellt.
5. Prioritäten:
in Abhängigkeit von Punkt 1, 2, 3 und 4 werden alle Prioritäten eines
Objektes zu der jeweiligen Funktionalitäten, Abhängigkeiten, Eigenschaf-
ten, Prozesse und Beschreibungen dargestellt.“
Zu den Einzelheiten wird auf die Akte verwiesen.
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II.
Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht und auch sonst zulässig. Sie
konnte jedoch keinen Erfolg haben, da die geltenden Patentansprüche Änderun-
gen umfassen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern (§ 44 Abs. 1 i. V. m.
§ 38 PatG).
1.
Die Patentanmeldung betrifft künstliche Intelligenz.
Gemäß der am Anmeldetag eingereichten Beschreibung wird eine System-
beschreibung zur Reali
sierung der „künstlichen Intelligenz“ bereitgestellt, die auf
der Objektdefinition und deren Beschreibungen basiert.
Hierzu sollen die Funktionalitäten, die Abhängigkeiten, die Eigenschaften, die Prio-
ritäten und die Beschreibungen aller Eigenschaften eines Objektes gehören.
Mittels Programmiersprachen sei es dann möglich, alle Beschreibungen zu einem
Objekt zu vernetzen. Dann sei es möglich, soweit alle Beschreibungen der Realität
entsprächen, eine Eigenständigkeit eines Objektes zu erreichen. Die Eigenschaft
basiere dann auf sprachlichen Fähigkeiten, auf Tätigkeiten aller Art und der Kom-
munikation. Alle neuen und erreichten Funktionalitäten, Abhängigkeiten, Eigen-
schaften, Prioritäten und Beschreibungen flössen dann in das System ein und
würden entsprechend intelligenter Programmierung als intelligentes Medium
erstellt und weiter entwickelt.
Mittels der Vernetzung von abhängigen Objekten entstehe dann ein intelligentes
Gebilde und reagiere, nach dem gleichen Prinzip eines Lernprozesses wie bei
Tieren und Menschen. Dabei würden erstmals alle neuen Eindrücke oder
Vokabel(n) der jeweiligen Funktionalität oder Abhängigkeit oder Eigenschaft oder
Priorität oder Beschreibung zugeordnet.
Das Anwendungsgebiet werde dann unbegrenzt sein, in der Programmierung,
täglichem Leben, Technik, Logistik, Elektronik, Medizin, Forschung, Raumfahrt,
Lernprozesse, Nanotechnik, Mikroelektronik etc.
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Als Fachmann sieht der Senat hier einen Informatikingenieur mit Hochschul-
abschluss und Erfahrung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz an.
2.
Der Gegenstand der geltenden Patentansprüche verlässt den Rahmen der
ursprünglichen Offenbarung. Die Patentanmeldung wird hierdurch unzulässig
erweitert.
Zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung gehört im Zusammenhang mit
der Frage, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, nur das, was den ursprüng-
lich eingereichten Unterlagen unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist, vgl.
BGH GRUR 2010, 910 - Fälschungssicheres Dokument (Leitsatz, m. w. N.).
Die geltenden Patentansprüche gehen aus von den ursprünglich eingereichten
Patentansprüchen, enthalten jedoch über diese hinausgehend weitere Merkmale,
insbe
sondere bezogen auf „Prozesse“.
Da die geltende Beschreibung keine Einschränkungen hinsichtlich der in den
Patent
ansprüchen aufgeführten „Objekte“ und „Prozesse“ enthält, vielmehr Bei-
spiele aus unterschiedlichen Bereichen aufführt (etwa die Identifikation eines
unbekannten Objekts, die Erkennung einer gefährlichen Situation bei Fahrzeugen,
die Programmierung oder die Entwicklung eines Prototypen im Bauwesen), ist
davon auszugehen, dass es sich bei den zu modellierenden Objekten um Objekte
beliebiger Art und bei den Prozessen um Prozesse beliebiger Art handeln kann,
die den Objekten in irgendeiner Weise zugeordnet sind.
In der ursprünglichen Beschreibung ist diesbezüglich lediglich offenbart, dass eine
Eigen
schaft unter anderem auf „Tätigkeiten aller Art“ basieren kann. Zudem soll
das entstehende intelligente Gebilde nach dem Prinzip eines Lernprozesses
reagieren können. Die ursprünglichen Patentansprüche enthalten keinen Hinweis
auf Prozesse.
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Eine Darstellung etwa von Funktionalitäten, Abhängigkeiten oder Prioritäten eines
Objekts zu beliebigen Prozessen (siehe Punkt 2., 4. und 5. der geltenden Patent-
ansprüche) ist den ursprünglichen Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig zu
entnehmen.
Damit verlassen die geltenden Patentansprüche den Rahmen der ursprünglichen
Offenbarung.
Diese Patentansprüche sind schon deshalb nicht gewährbar.
3.
Es bedarf keiner Prüfung der Frage, ob die ursprünglich am Anmeldetag
eingereichten Patentansprüche patentfähig wären. Dennoch wird darauf hinge-
wiesen, dass auch ein auf die ursprünglichen Patentansprüche gestütztes Patent-
begehren keinen Erfolg haben könnte, da der Gegenstand dieser Patent-
ansprüche gemäß § 1 Abs. 3 und 4 PatG als Computerprogramm als solches vom
Patentschutz ausgeschlossen wäre.
3.1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verfahren, das
sich zur Herbeiführung des angestrebten Erfolges eines Programms bedient, mit
dessen Hilfe eine Datenverarbeitungsanlage so gesteuert wird, dass der ge-
wünschte Erfolg erzielt wird, nicht schon wegen des Vorgangs der elektronischen
Datenverarbeitung dem Patentschutz zugänglich. Die beanspruchte Lehre muss
vielmehr Anweisungen enthalten, die der Lösung eines konkreten technischen
Problems mit technischen Mitteln dienen (BGH GRUR 2005, 143
– Rentabilitäts-
ermittlung, III.4.a).
Durch die den ursprünglichen Patentansprüchen zugrunde liegende Lehre wird
kein technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst.
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Welches technische Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach
zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet (BGH GRUR 2005, 141
– An-
bieten interaktiver Hilfe).
Wie die Formulierung „künstliche Intelligenz wird mittels IT-Programmierung, mit
derzeit gängigen Programmiersprachen ... erstellt“ zeigt, handelt es sich bei der
beanspruchten „künstlichen Intelligenz“ um ein reines Softwaresystem.
In den ursprünglichen Patentansprüchen werden Anweisungen gegeben, mit Hilfe
von Computerprogrammen Beschreibungen für ein beliebiges Objekt (mit dessen
Eigenschaften, Funktionalitäten, Beschreibungen, Abhängigkeiten und Prioritäten)
einschließlich gegenseitiger Abhängigkeiten zu erstellen und darzustellen.
Damit besteht die Leistung der beanspruchten Lehre allenfalls darin, mit Hilfe
bekannter Programmiermethoden ein Softwaresystem für eine möglichst um-
fassende Beschreibung eines beliebigen Objektes zu erstellen.
Dies bewegt sich vollständig innerhalb des Gebiets der Sammlung, Speicherung
Auswertung und Verwendung von Daten, welche Vorgänge als außertechnisch
anzusehen sind (BGH GRUR 2009, 479
– Steuerungseinrichtung für Unter-
suchungsmodalitäten). Ein Problem wird hierdurch nicht gelöst.
Die ursprünglichen Patentansprüche sind ganz allgemein formuliert. Weder wird
ein beanspruchter Verfahrensablauf durch technische Gegebenheiten außerhalb
der Datenverarbeitungsanlage bestimmt, noch nimmt das zur Problemlösung ein-
gesetzte Datenverarbeitungsprogramm Rücksicht auf spezielle technische Ge-
gebenheiten der Datenverarbeitungsanlage, was nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur Überwindung der Ausschlusstatbestände des § 1 PatG
beitragen könnte (vgl. BGH GRUR 2010, 613
– Dynamische Dokumenten-
generierung). Auch gehen keine auf technischen Überlegungen beruhenden
Erkenntnisse in die beanspruchte Lehre ein.
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3.2.
Auch das Vorbringen des Anmelders kann nicht zu einer anderen Beur-
teilung führen.
Der Anmelder bringt vor, das technische Problem resultiere daraus, dass das
beanspruchte System in der Lage sein werde, eigene Entscheidungen zu treffen
und weitere Aktivitäten zu erzeugen, insbesondere auch eigenständige Prozesse
zu erzeugen und in der Praxis umzusetzen (siehe Eingabe vom 10. März 2015).
Dem ist entgegenzuhalten, dass gemäß den ursprünglichen Patentansprüchen
lediglich ein Computer
programm („künstliche Intelligenz“) mit einer Beschreibung
eines Objekts einschließlich aller Abhängigkeiten erstellt bzw. dargestellt wird. Auf
welche Weise eine solche Objektbeschreibung zur Entscheidungsfindung einge-
setzt, wie hiermit weitere Aktivitäten oder Prozesse erzeugt und umgesetzt werden
sollen, ist nicht Gegenstand dieser Patentansprüche. Es kommt nicht darauf an,
ob eine solche sich vielleicht einstellende Folge tatsächlich eintritt, da sie nicht
Gegenstand der patentgemäßen Anweisungen ist, sondern sich erst unter Um-
ständen als deren mittelbare Folge ergeben kann, vgl. BGH GRUR 2011, 610
Webseitenanzeige (III.1.d). Insoweit geben die vorhandenen anmeldungsgemä-
ßen Anweisungen keine konkrete technische Problemlösung, sondern definieren
im günstigsten Fall ein Umfeld, das erst durch weitere, vorliegend nicht beschrie-
bene Maßnahmen zu einer technischen Problemlösung in der Lage sein .
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist
sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
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das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er
nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichts-
hof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Morawek
Eder
Baumgardt
Thum-Rung
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