Urteil des BPatG vom 13.09.2016

Stand der Technik, Patentanspruch, Abhängigkeit, Patentschutz

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
17 W (pat) 3/16
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2007 027 642.9-31
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts
am 13. September 2016
unter
Mitwirkung
des
Vorsitzenden
Richters
Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder, des Richters Dipl.-Ing. Baumgardt
und des Richters Dipl.-Ing. Hoffmann
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beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prü-
fungsstelle für Klasse H04N des Deutschen Patent- und Marken-
amts vom 23. Januar 2014 aufgehoben und die Sache zur weite-
ren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Mar-
kenamt zurückverwiesen.
G r ü n d e
I.
Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 15. Juni 2007 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung:
„Verfahren zur Bearbeitung einer Bildfolge mit aufeinanderfolgenden
Videobildern zur Verbesserung der räumlichen Auflösung
“.
Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H04N des
Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. Januar 2014 zurückgewiesen. Zur
Begründung verweist die Prüfungsstelle auf den Bescheid vom 21. April 2008, in
dem ausgeführt ist, dass der damals geltende Patentanspruch 1 mangels Neuheit
seines Gegenstandes nicht gewährbar sei.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.
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Mit Eingabe vom 13. Juli 2016 stellt sie sinngemäß den Antrag,
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den angegriffenen Beschluss aufzuheben,
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die Anmeldung auf Grundlage der Patentansprüche 1 bis 15
(nach Hilfsantrag gemäß Eingabe vom 24. Juni 2014) an das
Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen,
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hilfsweise, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Die nunmehr geltenden selbstständigen Patentansprüche 1 und 12, mit einer Glie-
derung versehen, lauten:
1.
Verfahren zur Bearbeitung einer Bildfolge mit aufeinanderfolgenden Video-
bildern, die jeweils wenigstens einen Bildbereich mit einer Anzahl von Bild-
punkten aufweisen, denen jeweils wenigstens ein Intensitätswert zugeord-
net ist, wobei das Verfahren für jeden Bildbereich aufweist:
(a) Ermitteln eines Bewegungsmaßes, derart, dass das Bewegungsmaß
ein Maß für eine zeitliche Änderung eines Bildinhalts des Bildbereiches
darstellt,
(b) von Videobild zu Videobild Variieren der Intensitätswerte der Bildpunkte
des Bildbereiches gegenüber den zugeordneten Intensitätswerten,
wobei ein Maß für die Variation der Intensitätswerte von dem ermittelten
Bewegungsmaß abhängig ist und eine Änderung der Intensitätswerte
gegenüber den zugeordneten Intensitätswerten um so stärker ist, je
größer eine durch das Bewegungsmaß repräsentierte Bewegung ist,
wobei
(c) die Intensitätswerte der Bildpunkte abwechselnd von Bild zu Bild ange-
hoben und verringert werden.
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12.
Verfahren zur Bearbeitung einer Bildfolge, die Originalbilder und zwischen
jeweils zwei Originalbildern wenigstens ein bewegungskompensiertes Zwi-
schenbild mit wenigstens einem Bildbereich aufweist,
(A) wobei der wenigstens eine Bildbereich eine Anzahl von Bildpunkten
aufweist, denen jeweils wenigstens ein Intensitätswert zugeordnet ist,
und wobei das Verfahren aufweist:
(B) Ermitteln eines Gütemaßes einer Bewegungsschätzung des wenigstens
einen Bildbereiches des Zwischenbildes,
(C) Variieren der Intensitätswerte der Bildpunkte des Bildbereiches des
Zwischenbildes abhängig von dem ermittelten Gütemaß, wobei
(D) die Intensitätswerte der Bildpunkte des Bildbereiches des Zwischenbil-
des unverändert bleiben, wenn das Gütemaß oberhalb eines vorgege-
benen Schwellenwertes liegt und
(E) die Intensitätswerte der Bildpunkte des Bildbereiches des Zwischenbil-
des gegenüber den zugeordneten Intensitätswerten verringert werden,
wenn das Gütemaß unterhalb des vorgegebenen Schwellenwertes
liegt.
Zu den Unteransprüchen 2 bis 11 und 13 bis 15 wird auf die Akte verwiesen.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind folgende
Druckschriften genannt worden:
D1:
DE 10 2006 051 134 A1,
D2:
US 2006/0072664 A1,
D3:
DE 689 19 965 T2,
D4:
US 2007/0041446 A1.
Aufgabe
einer Bildfolge mit aufeinanderfolgenden Videobildern zur Verfügung zu stellen,
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das zu einer Reduktion einer wahrgenommenen Unschärfe bei sich bewegenden
Objekten führt (siehe Offenlegungsschrift, Absatz [0007]).
II.
Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht eingelegt und ist auch sonst zuläs-
sig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückver-
weisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt gemäß § 79 Abs. 3
Satz 1, Nummer 1 PatG.
1.
Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Verfahren und eine Vorrich-
tung zur Bearbeitung einer Bildfolge mit aufeinanderfolgenden Videobildern zur
Verbesserung einer räumlichen Auflösung von Videobildern mit bewegtem Inhalt
bzw. zur Reduzierung einer Bewegungsunschärfe.
Dabei wird für jeden Bildbereich ein Bewegungsmaß ermittelt, welches die zeitli-
che Änderung eines Bildinhalts des Bildbereichs zwischen zwei aufeinanderfol-
genden Videobildern darstellt. Anhand dieses Bewegungsmaßes wird die Intensi-
tät bzw. Helligkeit der Bildpunkte in dem Bildbereich verändert.
In einer ersten Ausgestaltung erfolgt eine Änderung der Intensität der Bildpunkte,
indem diese in einem ersten Bild angehoben und im folgenden Bild abgesenkt
wird. In einer weiteren Ausgestaltung erfolgt die Änderung der Intensität in einem
eingefügten Zwischenbild.
Fachmann
der Bewegungsunschärfe in Videobildern zu verbessern, ist ein Diplom-Ingenieur
der Elektrotechnik oder ein Physiker mit Hochschulabschluss und mehrjähriger
Berufserfahrung im Bereich der Bildverarbeitung anzusehen.
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2.
Das geltende Patentbegehren ist zulässig. Darüber hinaus sind die Gegen-
stände nach den Patentansprüchen 1 und 12 dem Patentschutz grundsätzlich
zugänglich und auch durch den Stand der Technik weder neuheitsschädlich vor-
weggenommen noch durch diesen nahegelegt.
2.1.
Das geltende Patentbegehren ist zulässig.
Der geltende Patentanspruch 1 geht aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 2
hervor.
Die Unteransprüche 2 bis 11 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 3 bis
12.
Der nebengeordnete Anspruch 12 geht aus den ursprünglichen Ansprüchen 13,
14 und 15 hervor.
Die Unteransprüche 13 bis 15 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 16 bis
18.
Die in den Beschreibungsseiten vorgenommenen Änderungen sind zulässig. Glei-
ches gilt für die nachgereichten Figuren, die die ursprünglichen Handzeichnungen
ersetzen.
2.2.
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 ist ebenso wie das Verfahren nach
Patentanspruch 12 dem Patentschutz grundsätzlich zugänglich, da es die Lösung
eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln liefert (vgl. die
oben angegebene Aufgabe).
2.3.
Das jeweilige Verfahren nach den Patentansprüchen 1 und 12 ist durch den
bisher bekannten Stand der Technik weder vorbekannt noch nahegelegt.
D1
rang, die gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 PatG nur bei der Neuheitsprüfung zu berück-
sichtigen ist.
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D1
gezeigt. Die Bewegungsvektoren werden dabei in einzelnen Frames, d. h. in Teil-
bereichen, des ursprünglichen Bildes erfasst. Weisen die Bilddaten des Frames
eine Bewegung auf, so werden für das entsprechende Frame zwei neue Frames
(Wandlungsframes) erzeugt. Jeder der neu erzeugten Frames wird mit dem
ursprünglichen Bild, d. h. mit den unbewegten Bildelementen, zu einem neuen Bild
ergänzt und anschließend auf der Anzeige dargestellt. Dabei wird die Bildwieder-
holungsfrequenz verdoppelt (Absätze [0054]
– [0058]). Zur Reduzierung der Be-
wegungsunschärfe wird im ersten Wandlungsframe die Helligkeit an der Grenze
des Frames in zwei Pixeln weich gefiltert, wenn sich die ursprüngliche Helligkeits-
komponente verringert, und in einem Pixel weich gefiltert, wenn sich die ursprüng-
liche Helligkeitskomponente erhöht.
Im zweiten Wandlungsframe wird die Helligkeit an der Grenze des Frames in zwei
Pixeln scharf gefiltert, wenn sich die ursprüngliche Helligkeitskomponente verrin-
gert, und in einem Pixel scharf gefiltert, wenn sich die ursprüngliche Helligkeits-
komponente erhöht (Absätze [0107]
– [0109]).
Anspruch 1
Ansatz aus, da die Reduktion der Bewegungsunschärfe durch das Einfügen von
Zwischenbildern erreicht wird. Weiterhin ist ein abwechselndes Anheben bzw. Ver-
ringern der Intensitätswerte der Bildpunkte nicht zu entnehmen.
(b)
Anspruchs 12
offenbart ist, dass die Bildpunkte unverändert bleiben, wenn das Gütemaß (der
Bewegungsvektor) oberhalb eines vorgegebenen Schwellwertes liegt, und die
Intensitätswerte verringert werden, wenn das Gütemaß unterhalb des vorgegebe-
(D)
zu entnehmen.
D2
gungsunschärfe (Absatz [0014]). Hierzu wird ein Bild in Blöcke aufgeteilt (Absatz
[0056]). Anschließend werden die Bewegungen zwischen den Bildpunkten des
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Blocks eines ersten Bildes und den Bildpunkten des Blocks eines zweiten Bildes
ermittelt und in Form eines Bewegungsvektors angegeben (Absatz [0057]). Aus
diesen Vektoren wird ein Zwischenbild mit kompensierten Bewegungsvektoren
gebildet und zwischen die ursprünglichen Bilder eingefügt (Absatz [0059]).
Anspruch 1
male betreffen das Variieren von Intensitätswerten, abhängig von einem Bewe-
gungsmaß und das abwechselnde Anheben und Verringern der Intensitätswerte
der Pixel und sind aus der Druckschrift nicht zu entnehmen.
(D)
Druckschrift zu entnehmen, da die Einbeziehung eines Schwellwertes bei der
Änderung der Intensitätswerte der Pixel nicht offenbart ist.
D3
sehbilder, die aus sogenannten Halbbildern bestehen (S. 6 Z. 4
– S. 7 Z. 13).
Zwischen zwei aufeinanderfolgenden Halbbildern wird ein Bewegungsfeld ermittelt
mit dem die Bewegung eines jeden Bildpunktes als Vektor dargestellt wird (S. 13
Z. 8
– S. 14 Z. 4). Damit betrifft der Gegenstand der Druckschrift die verbesserte
Wiedergabe von Bewegungen an dem Übergang zwischen Halbbildern, d. h. zwi-
schen zwei Teilbildern von denen das erste Teilbild die ungeraden Zeilen und das
zweite Teilbild die geraden Zeilen des Fernsehbildschirms darstellen.
Davon abgesehen, dass die vorliegende Anmeldung von dem Übergang zwischen
(b)
spruch 1
Druckschrift zu entnehmen.
D4
(Absatz [0017]). Dabei wird ein Bild in Frames aufgeteilt und innerhalb der Frames
von einem ersten und dem folgenden Bild oder von einem ersten und dem über-
nächsten Bild ein Bewegungsvektor ermittelt (Absätze [0039]-[0043]). Anschlie-
ßend erfolgt die Berechnung eines Helligkeitswertes (Absätze [0045], [0052]) und
die Änderung der Helligkeitswerte in dem angezeigten Bild (Absatz [0064]).
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Eine Abhängigkeit der Änderung der Intensitätswerte und ein abwechselndes
Anspruch 1
(c)
Ebenso wenig ist die Variation der Intensitätswerte in Abhängigkeit eines Gütema-
ßes sowie die Änderung der Intensitätswerte in Abhängigkeit von Schwellwerten
Anspruch 12
men.
Nach allem ist auch nicht erkennbar, wie der Fachmann in Kenntnis des aus den
ermittelten Druckschriften bekannten Standes der Technik zur Lehre des Patent-
anspruchs 1 bzw. des Patentanspruchs 12 hätte gelangen können. Dabei sind nur
die Druckschriften D2 bis D4 zu betrachten, da die D1 lediglich bei der Prüfung auf
Neuheit zu berücksichtigen ist.
Denn durch keine der Druckschriften D2 bis D4 ist ein Verfahren mit den Merk-
(c)
gelegt. Darüber hinaus ist aus diesen Druckschriften auch keinerlei Anregung zu
entnehmen, die Intensitätswerte eines Bildes abhängig von der Bewegung
(c)
spruch 1
(D)
spruch 12
3.
Die Anmeldung war an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuver-
weisen.
Denn das Amt hat für den Patentanspruch 1 und für den nebengeordneten
Anspruch 12 bislang nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für die Erteilung eines
Patents erfüllt sind.
- 10 -
(c)
(E)
fahrens. Es deutet nichts darauf hin, dass die bisherige Recherche zum Stand der
Technik auch auf diese Merkmale ausgerichtet war.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist
sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richter-
amtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit
Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundesgerichts-
hof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Morawek
Eder
Baumgardt
Hoffmann
Fa