Urteil des BPatG vom 24.03.2015

Stand der Technik, Pct, Auflage, Befangenheit

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
17 W (pat) 11/12
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
24. März 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 11 2005 002 097.5 - 53
hat der 17. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 24. März 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Phys. Dr. Morawek, der Richterin Eder sowie der Richter
Dipl.-Ing. Baumgardt und Dipl.-Ing. Hoffmann
- 2 -
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Die vorliegende Patentanmeldung ist eine PCT-Anmeldung in nationaler Phase,
welche die Priorität einer Voranmeldung beim Europäischen Patentamt vom 31.
August 2004 in Anspruch nimmt und als WO 2006 / 24 155 A1 in englischer Spra-
che veröffentlicht wurde. Ihr PCT-Anmeldetag ist der 31. August 2005. Sie trägt in
der deutschen Übersetzung (DE 11 2005 002 097 T5) die Bezeichnung:
„Tragbare elektronische Vorrichtung mit Textdisambiguierung“.
Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des
Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Februar 2012 mit der Begründung
zurückgewiesen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs mangels erfinderi-
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2004 / 153 975 A1) nahegelegt.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.
Sie stellt in der Beschwerdebegründung vom 3. Juli 2012 (sinngemäß) den Antrag,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom
15. Februar 2012 aufzuheben und die Patenterteilung auf die
Patentansprüche 1 bis 7, eingereicht am 2. Dezember 2011, zu
beschließen.
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Zur Begründung macht die Anmelderin geltend, im Zurückweisungsbeschluss
würden Argumente zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit in nicht nachvollzieh-
barer Weise vermischt. Die „Berücksichtigung“ des Vorbringens der Anmelderin
erschöpfe sich darin, lediglich die Argumente der Anmelderin in indirekter Rede zu
wiederholen, ohne auf die Argumente in erkennbarer und nachvollziehbarer Weise
einzugehen. Es sei schwer nachzuvollziehen, welche Argumente von der Prü-
fungsstelle als widerlegt angesehen und welche akzeptiert würden. Wesentliche
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stand kommen, weil nichts in den angeführten Druckschriften ihm den Schritt des
erneuten Initiierens einer Texteingabesitzung unter Fortsetzung der Disambigu-
ierungsfunktion für ein bereits vollständig eingegebenes Wort nach einer Trenn-
zeicheneingabe aufzeige.
Bezüglich des Wortlauts der geltenden Patentansprüche 1 bis 7 wird auf die Akte
verwiesen.
Aufgabe
Seite 2 letzter Absatz, angegeben: ein Verfahren bereitzustellen, um eine im Ver-
gleich zum Stand der Technik vereinfachte und beschleunigte Eingabe über eine
reduzierte Tastatur eines tragbaren elektronischen Geräts zu ermöglichen.
II.
Die Beschwerde ist rechtzeitig eingegangen und auch sonst zulässig. Sie hat je-
doch bereits deshalb keinen Erfolg, weil die geltenden Unterlagen über den Offen-
barungsgehalt der internationalen Anmeldung im Anmeldezeitpunkt hinausgehen
(Art. 28 Abs. 2 / 3 PCT i. V. m. § 38 PatG).
- 4 -
1.
Die vorliegende Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zur Texteingabe in
eine tragbare elektronische Vorrichtung über eine Eingabeeinrichtung (insbeson-
dere eine Tastatur), wobei eine Vielzahl von „Spracheingabeelementen“ (Tasten)
zum Einsatz kommt, welche jeweils „eine Vielzahl von zugeordneten Sprachele-
menten“ umfassen, d. h. mit mehreren eingebbaren Zeichen belegt sind. Weil
dadurch eine betätigte Taste nicht eindeutig einem bestimmten Eingabezeichen
zugeord
net werden kann, ist eine „Disambiguierung“ der Eingabe erforderlich, d.h.
ein Algorithmus zur Auflösung der Mehrdeutigkeit. Hierzu schlägt die Anmeldung
eine Verbesserung vor, um die Eingabe zu vereinfachen und zu beschleunigen.
2.
Das geltende Patentbegehren ist unzulässig, weil die von der Anmelderin
eingereichten Unterlagen den Rahmen der ursprünglichen Offenbarung verlassen.
2.1
Für den Offenbarungsgehalt der internationalen Anmeldung im Anmel-
dezeitpunkt ist die PCT-Veröffentlichung WO 2006 / 24 155 A1 (in englischer
Sprache) maßgeblich.
2.2
Der Patenterteilungsantrag der Anmelderin erstreckt sich nach Aktenlage
auf folgende Unterlagen:
Patentansprüche 1 bis 7 vom 2. Dezember 2011,
Beschreibung Seite 1, 2 und 4 bis 48, eingeg. am 28. Fe-
bruar 2007, und Seite 3 und 3a eingeg. am 16. November 2010,
sowie 9 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1 bis 12, eingeg. am
28. Februar 2007.
2.3
Die geltende Beschreibung geht über den Offenbarungsgehalt der inter-
nationalen Anmeldung hinaus.
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Die Anmelderin hat am 28. Februar 2007 als deutsche Übersetzung ihrer PCT-An-
meldung 48 Beschreibungsseiten eingereicht (und mit Eingabe vom 16. November
2010 mit der Seite 3a einen Einschub auf Seite 3 hinzugefügt).
Doch der auf Seite
47 in der vorletzten Zeile beginnende Absatz („In einem weite-
ren Aspekt der Erfindung …“), der bis zur Zeile 24 der Seite 48 reicht (das ist Ab-
satz [0126] der DE 11 2005 002 097 T5), hat keine Entsprechung in der ursprüng-
lichen Offenbarung. Der Absatz auf Seite 32, Zeile 4 bis 9, der WO 2006 / 24 155
A1 entspricht der geltenden Beschreibung Seite 47 vorletzter Absatz (das ist Ab-
satz [0125] der DE 11 2005 002 097 T5). Der in der WO 2006 / 24 155 A1 folgen-
de Absatz (Seite 32 Zeile 10 bis 15) entspricht der geltenden Beschreibung Sei-
te 48 Absatz 2 (das ist Absatz [0127] der DE 11 2005 002 097 T5). Offensichtlich
ist in der geltenden Beschreibung ein zusätzlicher Absatz eingefügt.
Dieser zusätzliche Absatz gibt die Lehre, eine Unterscheidung zwischen Groß-
buchstaben und Kleinbuchstaben am Wortanfang vorzunehmen und dafür zusätz-
liche Präfix-Objekte vorzusehen. Eine solche Lehre ist in der gesamten internatio-
nalen Anmeldung gemäß WO 2006 / 24 155 A1 nicht enthalten. Die für den zu-
sätzlichen Absatz charakteristischen englisch-
sprachigen Begriffe „capital“ und
„lower case“ finden sich in der WO 2006 / 24 155 A1 an keiner Stelle. Die damit
eingebrachte zusätzliche technische Lehre stellt somit eine unzulässige Erweite-
rung dar.
2.4
Nach dieser Feststellung kann dahingestellt bleiben, dass auch die Ausführ-
barkeit der beanspruchten Lehre fraglich ist und darüber hinaus begründete Zwei-
fel am Vorliegen einer erfinderische Tätigkeit bestehen, wie der Senat in einem
Ladungszusatz erläutert hat.
3.
Der Senat ist im vorliegenden Fall an einer abschließenden Entscheidung
nicht gehindert, auch wenn der Anmelderin der Mangel, mit dem sich die Entschei-
dung begründet, zuvor nicht mitgeteilt wurde.
- 6 -
Im Patenterteilungsverfahren ist es zwar üblich, die Anpassung der Beschreibung
zurückzustellen, bis Einigkeit über einen gewährbaren Anspruchssatz besteht.
Der Senat hat aber für eine abschließende Entscheidung über die Beschwerde zur
mündlichen Verhandlung geladen.
Die Anmelderin ist, wie zuvor angekündigt, zur Verhandlung nicht erschienen. Da-
mit hat sie sich selbst der Möglichkeit begeben, ggf. auch neu geltend gemachte
Mängel des Erteilungsantrags zu beheben. Das Recht auf Gehör ist nicht verletzt,
weil die Anmelderin durch ihr Fernbleiben darauf verzichtet hat (vgl. Busse, PatG,
7. Auflage (2013), § 93 Rdn. 9; Schulte, PatG, 9. Auflage (2013), § 89 Rdn. 12,
Einl Rdn. 279 / 280).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist
sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen beim Bundes-
gerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich einzulegen.
Dr. Morawek
Eder
Baumgardt
Hoffmann
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