Urteil des BPatG vom 23.04.2015

Stand der Technik, Tapete, Wand, Patentanspruch

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
15 W (pat) 701/13
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
23. April 2015
Höchner
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 10 2006 058 929
- 2 -
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 23. April 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr. Feuerlein, des Richters Dr. Egerer, der Richterin Dr. Hoppe und des
Richters Dr. Freudenreich
beschlossen:
Das Patent 10 2006 058 929 wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Auf die am 12. Dezember 2006 eingereichte, die Innere Priorität der
DE 10 2006 046 794.9 vom 29. September 2006 in Anspruch nehmende, Patent-
anmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das deutsche Patent
10 2006 058 929 mit der Bezeichnung
„Tapetensubstrat und Verfahren zu seiner Herstellung“
erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 25. August 2011.
- 3 -
Das Streitpatent umfasst zwölf Patentansprüche, die folgenden Wortlaut haben:
1.
Verfahren zur Herstellung eines Tapetensubstrates für eine
trocken abziehbare Tapete mit minimaler Nassdehnung, bei
dem eine mehrschichtige Bahn mit einer beim Einsatz der
Tapete zur Wand weisenden Unterseite und einer beim Ein-
satz der Tapete in den Raum weisenden Oberseite, erzeugt
wird, wobei eine faserige untere Lage aus einem Faser-
stoffgemisch aus Zellulose- und Synthesefasern und eine
faserige obere Lage aus einem synthesefaserfreien Zellulo-
sefasergemisch miteinander verbunden werden, dadurch
gekennzeichnet, dass die obere Lage (6) aus einer Zellulo-
sesuspension und die untere Lage (5) aus einer Zellulose-
suspension unter Zumischen von Synthesefasern mittels
Langsieben gebildet wird und anschließend die obere (6)
mit der unteren Lage (5) mittels Gautschen zusammenge-
fügt werden, auf die zur Oberseite (3) weisende Seite der
oberen Lage (6) ein die Oberseite (3) bildender Pigment-
strich (7) in situ oder separat aufgebracht wird und an-
schließend die Oberseite (3) mittels Satinieren mit einer für
einen Tiefdruck geeigneten hohen Druckqualität geschaffen
wird und dass alle Vorgänge bei einer Temperatur unterhalb
der Schmelztemperatur der Synthesefasern durchgeführt
werden, wobei die Synthesefasern unvernetzt bleiben.
2.
Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
der Pigmentstrich (7) aus der flüssigen Phase auf den vor-
getrockneten Verbund der Lagen (5; 6) aufgebracht wird.
3.
Verfahren nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch ge-
kennzeichnet, dass das Satinieren in situ mittels eines Ka-
landers durchgeführt wird.
4.
Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeich-
net, dass das Satinieren separat mittels eines Kalanders
durchgeführt wird.
5.
Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch ge-
kennzeichnet, dass auf die zu der Unterseite (2) weisende
Seite der unteren Lage (5) eine Funktionsschicht (4) aufge-
bracht wird.
6.
Tapetensubstrat für eine trocken abziehbare Tapete mit
minimaler Nassdehnung, bestehend aus einer mehrschich-
tigen Bahn mit einer beim Einsatz der Tapete zur Wand
- 4 -
weisenden Unterseite und einer beim Einsatz der Tapete in
den Raum weisenden Oberseite, zwischen denen in der
Richtung von Unterseite zu Oberseite eine faserige untere
Lage aus einem Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis und
Synthesefasern und eine faserige obere Lage aus einem
synthesefaserfreien Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis
angeordnet sind, hergestellt nach einem der Ansprüche 1
bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die untere Lage (5)
und die obere Lage (6) durch Gautschen miteinander verfilzt
sind, und auf der oberen Lage (6) ein die Oberseite (3) bil-
dender Pigmentstrich (7) aufgebracht ist, die Oberseite (3)
satiniert und für Tiefdruck, mit maximal 1 missing dot pro
cm
2
bedruckbar ausgebildet ist und die Unterseite (2) mitei-
nander unvernetzte Synthesefasern enthält.
7.
Tapetensubstrat nach Anspruch 6, dadurch gekennzeich-
net, dass auf der Unterseite (2) eine untere Funktions-
schicht (4) aufgebracht ist.
8.
Tapetensubstrat nach Anspruch 6 oder 7, dadurch gekenn-
zeichnet, dass die Fasern auf Zellulosebasis aus 50 bis
100 % chemisch hergestellten Fasern bestehen und jeweils
einen ergänzenden Anteil von 0 bis 50 % mechanisch auf-
bereiteten Fasern und/oder 0 bis 50 % aus Altpapier ge-
wonnenen Fasern enthalten.
9.
Tapetensubstrat nach einem der Ansprüche 6 bis 8,
dadurch gekennzeichnet, dass der Pigmentstrich (7) anor-
ganische, insbesondere mineralische Bestandteile enthält.
10. Tapetensubstrat nach Anspruch 9, dadurch gekennzeich-
net, dass der Pigmentstrich (7) gemischt oder einzeln Cao-
line, Titandioxid, Carbonate, Talkum und Sonderpigmente
enthält.
11. Tapetensubstrat nach einem der Ansprüche 6 bis 10,
dadurch gekennzeichnet, dass die Funktionsschicht (4) eine
Grammatur von 0 bis 5 g/m
2
, die obere Lage eine
Grammatur von 5 bis 40 g/m
2
, der Pigmentstrich eine
Grammatur von 5 bis 35 g/m
2
und die untere Lage eine
Grammatur aufweist, die der einzustellenden Gesamt-
grammatur des Substrats (1) abzüglich der Grammaturen
der Funktionsschicht (4), der oberen Lage (6) und des Pig-
mentstriches (7) entspricht.
- 5 -
12. Tapetensubstrat nach Anspruch 11, dadurch gekennzeich-
net, dass das Tapetensubstrat (1) eine Gesamtgrammatur
von 60 bis 180 g/m
2
aufweist.
Gegen die Patenterteilung haben die Einsprechende 1 und die Einsprechende 2
mit Schriftsatz, jeweils eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am
25. November 2011, Einspruch erhoben.
Die Einsprechende 1 stützt sich auf folgende Druckschriften:
D1
DE 23 61 996 A1
GÖTTSCHING, Lothar; KATZ, Casimir: Papier-Lexikon, Band 3, R-Z,
1. Aufl., Gernsbach: Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH, 1999,
S. 76-81, 218-225, 250-251. - ISBN 3-88640-080-8
D3
NIKOLAEV, A.L.; ZAYZEVA, G.W.: „Versuchsmaschine zur Herstel-
lung von mehrlagigen Papiersorten“, Bumazhnaya prom-st, 1982/4,
S. 30 mit deutschsprachiger Übersetzung (2 Seiten).
Die Einsprechende 2 zieht zur Begründung der fehlenden Patentfähigkeit folgen-
den Stand der Technik heran:
DE 23 57 726 C3
DE 27 14 206 A1
E3
DE 201 13 109 U1
E4
AT 57 724 E
Handbuch der Papier- und Pappenfabrikation (Papierlexikon),
2. Aufl:, Bd. 1, Nierwalluf: Dr. Martin Sändig oHG, Verlagsabteilung
T+W, 1971, S. 589. - ISBN: 3-500-16-000-X
E6
GÖTTSCHING, Lothar; KATZ, Casimir: Papier-Lexikon, Band 3, R-Z,
1. Aufl., Gernsbach: Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH, 1999,
S. 76-81, 218-225, 250-251. ISBN 3-88640-080-8
- 6 -
E7
GÖTTSCHING, Lothar; KATZ, Casimir: Papier-Lexikon, Band 1, A-F,
1. Aufl., Gernsbach: Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH, 1999,
S. 324. - ISBN 3-88640-080-8
E8
GÖTTSCHING, Lothar; KATZ, Casimir: Papier-Lexikon, Band 2, G-
Q, 1. Aufl., Gernsbach: Deutscher Betriebswirte-Verlag GmbH, 1999,
S. 229-231. - ISBN 3-88640-080-8
E9
Liste: A0210 invoiced sales 01.06.2006-30.06.2006, 4 Seiten,
September 2011.
E10 Rechnung: Faktura Nr. 300453742, 1 Seite, Juni 2006.
E11 Produktblatt: Product sheet, Cresta NG2, September 2008.
E12 Produktfolie: Cresta NG2
– Set your imagination free, 1 Seite, un-
datiert.
Seite, undatiert.
– November 13 to 14, 2006 in Finnisch (2 Sei-
ten) und Englisch (2 Seiten), November 2006.
E15 US 4 460 643 A
E16 DE 21 48 423
E17 EP 0 118 221 A2.
Die Einsprechende 1 begründet den Einspruch damit, dass die Gegenstände des
Streitpatents gegenüber den Druckschriften D1 oder D3 in Verbindung mit dem in
Druckschrift D2 dokumentierten Fachwissen zumindest nicht auf erfinderischer
Tätigkeit beruhten.
Die Einsprechende 2 macht bei den Gegenständen des Streitpatents offenkundige
Vorbenutzung geltend, was durch die Druckschriften E9 bis E14 belegt werde. Vor
dem durch die Druckschriften E3 oder E4 in Kombination mit der Druckschrift E1
geschaffenen Stand der Technik sieht sie zudem keine erfinderische Tätigkeit ge-
geben. Weiterhin sei die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass
ein Fachmann sie ausführen könne.
- 7 -
Die Einsprechenden beantragen,
das Patent DE 10 2006 058 929 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
die Einsprüche zurückzuweisen.
Sie hat mit Schriftsatz, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt am
2. Oktober 2013, nach § 61 Abs. 2, Satz 1, Nr. 2 PatG beantragt, die anhängigen
Einsprüche dem Bundespatentgericht zur Entscheidung vorzulegen und mit
Schriftsatz, eingegangen beim Bundespatentgericht am 21. April 2015, zu dem
Vorbringen der Einsprechenden Stellung genommen und diesen in allen Punkten
widersprochen. Zum Einsatz von Langsieben bei der Herstellung des erfindungs-
gemäßen Tapetensubstrats verweist sie in diesem Schriftsatz auf die bisher nicht
im Verfahren befindliche Druckschrift
Lehrbuch der Papier- und Kartonerzeugung, VEB, Fachbuchverlag,
Leipzig 1985, S. 193, 194, 230, 238.
Bei dem streitpatentgemäßen Tapetensubstrat sieht sie wegen seiner Herstellung
und seines Aufbaus hinsichtlich der Nassdehnung und der Trockenabziehbarkeit
die Vorteile eines Tapetenvlieses gegeben und hinsichtlich seiner Oberfläche die
Papierschicht so gestaltet, dass sie im Tiefdruck bedruckbar sei, weshalb das Ta-
petensubstrat die Vorteile eines Tapetenvlieses mit den Vorteilen eines Tapeten-
papiers vereinige und die Nachteile der beiden Einzelsubstrate vermeide. Wäh-
rend im Stand der Technik eine Vernetzung der Synthesefasern üblich sei, laufe
die erfindungsgemäße Lösung des Einsatzes unvernetzter Synthesefasern dem
Ziel einer minimalen Nassdehnung und einer guten Trockenabziehbarkeit zuwider.
Überdies sei eine Bedruckbarkeit von maximal 1 missing dot pro cm
2
dem Stand
der Technik nicht zu entnehmen, bei dem beanspruchten Tapetensubstrat jedoch
- 8 -
ohne Weiteres zu verwirklichen, da sich der Fachmann eines Probedrucks mittels
Tiefdruck bedienen könne und die im Streitpatent angegebenen Merkmale, insbe-
sondere das Satinieren, fachgemäß so einstellen könne, dass er durch das von
ihm gewählte Druckverfahren maximal 1 missing dot pro cm
2
zähle.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt
der Akten verwiesen.
II.
Das Bundespatentgericht ist gemäß § 61 Abs. 2 PatG für die Entscheidung über
den Einspruch zuständig. Es entscheidet durch Beschluss auf Antrag nur eines
Beteiligten, wenn mindestens 15 Monate seit Ablauf der Einspruchsfrist vergangen
sind (§ 61 Abs. 2, Satz 1, Nr. 2 PatG) und wenn die Patentabteilung keine Ladung
zur Anhörung oder die Entscheidung über den Einspruch innerhalb von drei Mo-
naten nach Zugang des Antrags auf patentgerichtliche Entscheidung zugestellt hat
(§ 61 Abs. 2, Satz 2 PatG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Die rechtzeitig und formgerecht eingelegten Einsprüche sind zulässig, denn es
sind im Hinblick auf den druckschriftlich belegten Stand der Technik innerhalb der
Einspruchsfrist die die Widerrufsgründe der mangelnden Patentfähigkeit nach
§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG und der fehlenden Ausführbarkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 2
PatG rechtfertigenden Tatsachen im Einzelnen so dargelegt worden (§ 59 Abs. 1
PatG), dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Folgerun-
gen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe
ohne eigene Ermittlungen ziehen können.
- 9 -
III.
1.
Die zulässigen Einsprüche haben in der Sache Erfolg und führen zum Wider-
ruf des Patents.
2.
Nach den Angaben in der Streitpatentschrift Absatz [0001] betrifft die Erfin-
dung ein Verfahren zur Herstellung eines Tapetensubstrates für eine trocken ab-
ziehbare Tapete mit minimaler Nassdehnung, bei dem eine mehrschichtige Bahn
mit einer beim Einsatz der Tapete zur Wand weisenden Unterseite und einer beim
Einsatz der Tapete in den Raum weisenden Oberseite erzeugt wird. Dabei werden
eine faserige untere Lage aus einem Faserstoffgemisch aus Zellulose- und Syn-
thesefasern und eine faserige obere Lage aus einem synthesefaserfreien Zellulo-
sefasergemisch miteinander verbunden. Auch ein nach dem Verfahren herge-
stelltes Tapetensubstrat für eine trocken abziehbare Tapete mit minimaler
Nassdehnung ist nach Absatz [0002] Gegenstand der Erfindung, wobei diese aus
einer mehrschichtigen Bahn mit einer beim Einsatz der Tapete zur Wand weisen-
den Unterseite und einer beim Einsatz der Tapete in den Raum weisenden Ober-
seite besteht, zwischen denen in der Richtung von Unterseite zu Oberseite eine
faserige untere Lage aus einem Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis und Syn-
thesefasern und eine faserige obere Lage aus einem synthesefaserfreien Faser-
stoffgemisch auf Zellulosebasis angeordnet sind.
In der Beschreibungseinleitung des Streitpatents ist angegeben, dass aus dem
Stand der Technik bereits Tapetensubstrate bekannt sind, die aus zwei Schichten
bestehen, wobei eine untere Schicht sowohl Zellulosefasern als auch Synthesefa-
sern und eine obere Schicht lediglich Zellulosefasern aufweist.
Vor diesem technischen Hintergrund bezeichnet es die Streitpatentschrift in Ab-
satz [0009] als zu lösende technische Aufgabe, ein Verfahren zur Herstellung ei-
nes Tapetensubstrats und ein Tapetensubstrat selbst anzugeben, das bei Beibe-
haltung einer geringen Nassdehnung ein direktes, nahezu fehlerfreies Bedrucken
- 10 -
der Oberseite in guter Qualität insbesondere mittels Direktdruck und hierbei insbe-
sondere mittels Tiefdruck ermöglicht und das kostengünstig herstellbar ist. Dabei
soll insbesondere eine Bedruckbarkeit dadurch erreicht werden, dass die Anzahl
an Fehlstellen, so genannter
„missing dots“, im Ausdruck minimiert wird.
3.
Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung,
durch ein Verfahren sowie durch ein Tapetensubstrat gemäß Patentanspruch 6
mit den folgenden Merkmalen:
M1
Verfahren zur Herstellung eines Tapetensubstrates für
eine
trocken
abziehbare
Tapete
mit
minimaler
Nassdehnung, bei dem eine mehrschichtige Bahn mit
einer beim Einsatz der Tapete zur Wand weisenden
Unterseite und einer beim Einsatz der Tapete in den
Raum weisenden Oberseite, erzeugt wird,
M1.1
wobei eine faserige untere Lage aus einem Faserstoffge-
misch aus Zellulose- und Synthesefasern und
M1.2
eine faserige obere Lage aus einem synthesefaserfreien
Zellulosefasergemisch miteinander verbunden werden,
M1.3
wobei die obere Lage aus einer Zellulosesuspension
gebildet wird,
M1.4
wobei die untere Lage einer Zellulosesuspension unter
Zumischen von Synthesefasern mittels Langsieben
gebildet wird,
M1.5
Gautschen zusammengefügt wird,
M1.6
wobei auf die zur Oberseite weisende Seite der oberen
Lage ein die Oberseite bildender Pigmentstrich in situ oder
separat aufgebracht wird,
- 11 -
M1.7
wobei anschließend die Oberseite mittels Satinieren mit
einer für einen Tiefdruck geeigneten hohen Druckqualität
geschaffen wird,
M1.8
wobei alle Vorgänge bei einer Temperatur unterhalb der
Schmelztemperatur der Synthesefasern durchgeführt wer-
den, wobei die Synthesefasern unvernetzt bleiben.
M6
Tapetensubstrat für eine trocken abziehbare Tapete mit
minimaler
Nassdehnung,
bestehend
aus
einer
mehrschichtigen Bahn mit einer beim Einsatz der Tapete
zur Wand weisenden Unterseite und einer beim Einsatz
der Tapete in den Raum weisenden Oberseite,
M6.1
zwischen denen in der Richtung von Unterseite zu Ober-
seite eine faserige untere Lage aus einem Faserstoffge-
misch auf Zellulosebasis und Synthesefasern
M6.2
und eine faserige obere Lage aus einem synthesefaser-
freien Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis angeordnet
sind,
M6.3
hergestellt nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch ge-
kennzeichnet,
M6.5
dass die untere Lage und die obere Lage durch
Gautschen miteinander verfilzt sind,
M6.6
und auf der oberen Lage ein die Oberseite bildender
Pigmentstrich aufgebracht ist,
M6.7
die Oberseite satiniert und für Tiefdruck ausgebildet ist,
M6.8
die Unterseite miteinander unvernetzte Synthesefasern
enthält und
M6.9
die Oberseite mit maximal 1 missing dot pro cm
2
bedruckbar ist.
- 12 -
4.
Das Tapetensubstrat nach erteiltem Patentanspruch 6 ist im Wesentlichen
durch die sich im Verfahrensprodukt niederschlagenden Verfahrensmaßnahmen
gekennzeichnet.
Die zahlenmäßig offen gehaltene „minimale Nassdehnung“ orientiere sich nach
dem Dafürhalten der Patentinhaberin an einer Papiertapete und sei bei Vliesen
aus Cellulose- und Synthesefasern deutlich minimiert. Sie muss sich daher bei
gleichem Aufbau eines Tapetensubstrates ebenso wie eine verbesserte Trocken-
abziehbarkeit von alleine einstellen.
Unter Gautschen wird gemäß dem Handbuch E5 das Vereinigen mehrerer noch
nasser Papierbahnen zu einer einzigen mehrlagigen Papierbahn verstanden,
M1.5
(„Zusammenfügen durch
M6.5
M1.6
material aufgebrachte, deckende, pigmenthaltige Grundschichten (vgl. E1: Spalte
M1.7
also Glätten, in eine gut druckfähige Qualität mit verbesserter Planlage und Di-
mensionsstabilität überführt werden (vgl. E1: Spalte 3, Zeilen 39 bis 42 und
Spalte 4, Zeilen
M1.8
M6.8
fasern zu verstehen, die nicht miteinander klebend verbunden sind, weil das Her-
stellungsverfahren unterhalb der Schmelztemperatur der Synthesefasern durch-
geführt wird (Beschreibung vom Anmeldetag: Seite 4, Zeilen 19 bis 23).
Nach Patentanspruch 6 ist die satinierte, für Tiefdruck ausgebildete Oberseite zu-
sätzlich dadurch gekennzeichnet, dass sie mit „maximal 1 missing dot pro cm
2
M6.9
5.
Auf dem vorliegenden technischen Gebiet der Papier- und Textiltechnik ist
als zuständiger Fachmann ein Fachhochschulingenieur anzusehen, der aufgrund
seiner Ausbildung und seiner mehrjährigen Berufserfahrung über fundierte Kennt-
- 13 -
nisse auf dem Gebiet der Tapetenherstellung verfügt. Dieses Fachwissen schließt
auch mehrschichtige Tapeten und deren Materialien ein. Er ist zugleich mit den
Problemen und Anforderungen beim Tapezieren vertraut, wird sich aber hinsicht-
lich des Einsatzes von Synthesefasern im Bedarfsfall an einenaus
dem Bereich der Polymerchemie wenden.
6.
Der Inhalt der Patentansprüche 1 bis 12 der Patentschrift geht nicht über den
Inhalt der Anmeldung hinaus, die beim Deutschen Patent- und Markenamt ur-
sprünglich eingereicht worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG). Das in die Patentan-
sprüche 1 und 6 aufgenommene, oben diskutierte Merkmal „unvernetzte Synthe-
sefasern“ findet sich in den Ursprungsunterlagen auf Seite 4, Zeilen 19 bis 23. Die
weiteren Merkmale des Verfahrensanspruchs 1 gehen zurück auf die Patentan-
sprüche 9, 11 und 12 der Ursprungsunterlagen. Die Merkmale des auf das Verfah-
ren nach Patentanspruch 1 präzisierten Sachanspruchs 6 lassen sich aus den
Patentansprüchen 1 und 4 der Ursprungsunterlagen herleiten. Die Unteransprü-
che 2 bis 5 finden ihre Offenbarung in den Unteransprüchen 10 und 13 bis 15 vom
Anmeldetag, die Unteransprüche 7 bis 12 in den ursprünglichen Unteransprü-
chen 2 bis 3 und 5 bis 8. Auch die eingeführten Bezugszeichen sind in der einzi-
gen Figur und auf Seite 5, Zeile 29 bis Seite 6, Zeile 6 der Ursprungsunterlagen
offenbart.
7.
Die Ausführbarkeit der Erfindung ist gegeben, da der Fertigung des bean-
spruchten Tapetensubstrats geläufige Ausgangsmaterialien zugrunde liegen und
die Verfahrensschritte dem auf diesem Gebiet üblichen Vorgehen entsprechen.
Besondere Abweichungen sind weder zu erkennen, noch geltend gemacht. Das
Tapetensubstrat und sein Herstellungsverfahren sind somit in einer Weise bean-
sprucht, die dem Fachmann eine Bereitstellung ermöglicht. Hinsichtlich der Be-
messungsregel „maximal 1 missing dot pro cm
2
M6.9
stimmung in bekannter Weise, entweder mit bloßem Auge oder unter Einsatz opti-
scher Hilfsmittel. Die beanspruchte Qualität kann beliebig über das Fertigungs-
verfahren des Zwischenprodukts und/oder das Druckverfahren erzielt werden,
- 14 -
M6.9
vermag. Aus den genannten Gründen ist der Auffassung der Einsprechenden 2,
dass die Oberflächenbeschaffenheit der Oberseite definiert sein müsse, nicht zu
folgen.
8.
Die Neuheit der Gegenstände gemäß den Patentansprüchen 1 und 6 ist
gegeben, da in keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften alle das Ver-
fahren und das Verfahrensprodukt kennzeichnenden Merkmale unmittelbar offen-
bart sind.
9.
Eine Entscheidung darüber, ob der geltend gemachte Widerrufsgrund der
offenkundigen Vorbenutzung gemäß § 21 (1) Nr. 2 PatG vorliegt, kann dahinge-
stellt bleiben.
10.
Das erfindungsgemäße Tapetensubstrat ist durch einen definierten Aufbau und
ein diesen Aufbau ermöglichendes Herstellungsverfahren gekennzeichnet, welche
das gewünschte Eigenschaftsprofil des Tapetensubstrats gewährleisten. Dieses
ist im Wesentlichen durch zwei Eigenschaften gekennzeichnet, nämlich eine mi-
nimale Nassdehnung sowie eine Trockenabziehbarkeit, die sich auf den Einsatz
von Synthesefasern in der zur Wand weisenden Unterseite der mehrschichtigen
Tapete zurückführen lassen (Patentschrift: Absatz [0001]), und eine durch Pig-
mentieren und Satinieren erzielbare ebene Oberfläche, die beim Direktdruck „mis-
si
ng dots“ vermeidet (Patentschrift: Absätze [0011] und [0016]).
Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist damit die Frage zu beantwor-
ten, ob sich dem Fachmann am Anmeldetag im Stand der Technik Anregungen für
ein Tapetensubstrat mit dem streitgemäßen Eigenschaftsprofil sowie für dessen
- 15 -
Herstellung boten, was ausweislich des im Verfahren befindlichen Standes der
Technik der Fall ist.
Hinsichtlich eines bedruckbaren Tapetensubstrats wird der Fachmann die Druck-
schrift DE 23 57 726 C3 (E1) beachten. Diese lehrt bereits ein Verfahren zur Her-
stellung im Tiefdruck bedruckbarer Druckträger wie Papiertapeten als Verfahrens-
M1
M6
M1.6
mehrlagig gegautscht sein können (E1: Spalte 2, Zeilen 46 bis 50; Merkmale
M1.5
E1
M1
: „minimale Nassdehnung“). Auch
ist der Gegenstand der Druckschrift E1 explizit auf die Vermeidung von „missing
M6.9
netzter Synthesefasern, die damit verbundene verbesserte Abziehbarkeit der Ta-
pete und auch die Verbindung der Celluloselage mit einer synthesefaserhaltigen
Lage kommen in der Druckschrift E1 nicht zur Sprache. Auch die Verbindung die-
M1
M1.1
Wie die Druckschrift E1 hat auch die Druckschrift DE 2 148 423 (E16) ein Verfah-
ren für ein leichter bedruckbares Tapetenpapier zum Gegenstand (E16: Seite 5,
2. Absatz), weshalb sie gleichermaßen im Blickfeld des Fachmanns lag. Sie be-
schreibt abziehbare Tapeten auf Cellulosebasis (E16: Patentanspruch 1; Teil-
M1
sind, so dass sie beim Abziehen von der Wand in der Mitte beider Lagen gespal-
ten werden (E16: Patentanspruch 1 und Seite 3, letzter Absatz bis Seite 4, Ende
M1.5
das Bedrucken erleichtert (E16: Seite 5, 2.
Absatz: „toniger Überzug“ und Seite 6,
M1.6
- 16 -
schrieben (E16: Seite 9, 2.
M1.7
M6.7
E16
allerdings keine Hinweise auf den Einsatz von Synthesefasern, die damit verbun-
dene minimale Nassdehung und die entsprechenden Verfahrensschritte.
Die Lehren der Druckschriften E1 und E16 stehen im Einklang mit der dem Fach-
mann bekannten guten Bedruckbarkeit von Papier und deren Verbesserung durch
Satinieren (Druckschrift E6), die auch die Patentinhaberin nicht in Zweifel zieht.
Ausgehend von diesem Stand der Technik steht der Fachmann vor der Aufgabe,
wahlweise für eine bessere Formstabilität oder für eine bessere Trockenabzieh-
barkeit
der
Tapete
zu
sorgen.
Hier
gelangen
die
Druckschriften
DE 23 61 996 A1 (D1) und DE 57 724 B (E4) in sein Blickfeld, die ebenfalls mehr-
lagige Tapeten betreffen und somit gattungsgemäß sind.
Die Druckschrift D1 lehrt zur leichten Ablösung von der Wand ein mit Langsieben
gegautschtes doppellagiges Papier, bei dem die obere Schicht ein übliches Ta-
petenrohpapier, die untere Schicht ein Tapetenrohpapier mit 40 bis 80 Gew.-%
Polyolefinfasern und ausgeflockten thermoplastischen Stoffen darstellt (D1:
M1
M6.5
Auch die Druckschrift E4 empfiehlt Kunstfasern in der unteren Phase des doppel-
lagigen mit Langsieben gegautschten Tapetensubstrats zur Gewährung der Maß-
haltigkeit und der gleichförmigen Ablösbarkeit (E4: Seite 4, Zeilen 3 bis 22;
Seite 6, erster ganzer Satz und letzter Absatz sowie Seite 7, erster Absatz; Merk-
M1
In keiner der beiden Druckschriften wird eine Vernetzung der Synthesefasern
M1.8
einer erhöhten Temperatur keine Angaben, so dass der Fachmann nicht angeregt
- 17 -
sein konnte, das Verfahren bei Temperaturen oberhalb des Schmelzpunktes der
eingesetzten Polyolefine durchzuführen, da dies zu einem Verkleben des Materi-
als auf den Walzen im Zuge der Herstellung hätte führen können. Entgegen der
Ansicht der Patentinhaberin setzen die in der Druckschrift D1 beschriebenen zwei
„ineinander verfilzten Faserschichten (D1: Seite 4, Zeilen 12 bis 13) kein Auf-
schmelzen von Fasern voraus, da das Verfilzen bereits ohne Temperatureinwir-
kung durch mechanische Behandlung erfolgt. In der Druckschrift E4 werden die
Synthesefasern bei etwa 105°C oder höher getrocknet (E4: Seite 7, Zeilen 13 bis
16), wobei sie darauf hinweist, dass die dort empfohlenen Synthesefasern (nur)
bis etwa 165°C stabil sind (E4: Seite 7, Zeilen 22 bis 24). Einzig beim Einsatz von
Polyolefin-Holzstoffen statt Zellulose in der oberen Phase regt sie beispielhaft eine
Teilverschmelzung an (E4: Seite 10, 2. Absatz).
Somit konnte der Fachmann gut bedruckbare Tapetensubstrate, wie sie in den
Druckschriften E1 oder E16 gelehrt werden, durch die in den Druckschriften D1
oder E4 empfohlene, einfache Zugabe von Synthesefasern in die der Wand zuge-
wandten Schicht hinsichtlich Trockenablösbarkeit und Formbeständugkeit verbes-
sern, ohne Gedanken von erfinderischer Qualität entwickeln zu müssen.
In gleicher Weise gelangt der Fachmann auch ausgehend von den Druckschriften
D1 oder E4 zum erfindungsgemäßen Gegenstand. Ausgangspunkt sind dann tro-
ckenabziehbare und formstabile mehrschichtige Tapetensubstrate, die es hinsicht-
lich der Bedruckbarkeit zu verbessern gilt. Der Fachmann wird die Druckschriften
E1 oder E16, die beide den Pigmentstrich und das Satinieren für die bessere Be-
druckbarkeit mehrschichtiger gegautschter Tapetensubstrate lehren, beachten und
gelangt ohne erfinderisches Zutun zu den Gegenständen des Streitpatents. Da die
die Oberseite der doppellagigen Tapetensubstrate nach D1 oder E4 aus Cellulose
besteht, waren ohnehin keine Schwierigkeiten bei den Schritten Pigmentstrich und
Satinierung zu befürchten.
- 18 -
11.
chen 1 und 6, auf welche sie rückbezogen sind, ohne dass es einer gesonderten
Prüfung und Begründung dahingehend bedarf, ob diese etwas Schutzfähiges ent-
halten, da die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents erkennbar nur im
Umfang des erteilten Patents begehrt hat. Auch haben sich im Verlauf der Ver-
handlung keine weiteren Anhaltspunkte für ein stillschweigendes Begehren einer
weiter beschränkten Fassung ergeben. Da der Anspruchssatz - wie oben aufge-
zeigt
– zumindest einen nicht rechtsbeständigen Patentanspruch enthält, war das
Patent insgesamt zu widerrufen (BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermitt-
lungsverfahren II; GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).
IV.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten
– vorbe-
haltlich des Vorliegens der weiteren Rechtsmittelvoraussetzungen, insbesondere
einer Beschwer
– das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die
Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird,
dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
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innerhalb eines Monats
schlusses
schriftlich durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als
Bevollmächtigten beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, ein-
zureichen oder
durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmäch-
www.bundesgerichtshof.de/erv.html. Das elektronische Dokument ist mit einer
prüfbaren qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz oder mit
einer prüfbaren fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen. Die Eig-
nungsvoraussetzungen für eine Prüfung und für die Formate des elektronischen
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werden
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Internetseite
des
Bundesgerichtshofs
www.bundesgerichtshof.de/erv.html bekannt gegeben.
Feuerlein
Egerer
Hoppe
Freudenreich
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