Urteil des BPatG vom 28.04.2016

Stand der Technik, Patentanspruch, Fig, Neuheit

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
15 W (pat) 1/16
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
28. April 2016
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 11 2006 003 330
- 2 -
hat der 15. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 28. April 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr. Feuerlein sowie der Richter Dr. Egerer, Heimen und Dr. Freudenreich
beschlossen:
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der
Patentabteilung 16 vom 4. April 2012 aufgehoben und das Patent
mit den folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag Ill, überreicht in der mündli-
chen Verhandlung,
im Übrigen wie beschränkt aufrechterhalten.
Die weitergehende Beschwerde der Einsprechenden wird zurück-
gewiesen.
G r ü n d e
I.
Auf die am 11. Juli 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte,
aus der internationalen Anmeldung PCT/CN2006/002084 mit dem internationalen
Anmeldedatum 16. August 2006 und der internationalen Veröffentlichung am
20. März 2008 in Form der WO 2008/031254 A1 hervorgegangene Patentanmel-
dung mit der Bezeichnung
„Eine Montagehalterung für Deckel und Sitz einer Toilettenschüssel“
- 3 -
hat die Prüfungsstelle für die Klasse A 47 K des Deutschen Patent- und Marken-
amtes das Patent DE 11 2006 003 330 B4 erteilt. Veröffentlichungstag der Patent-
erteilung ist der 9. September 2010.
Die Patentansprüche 1 bis 6 des erteilten Patents lauten:
- 4 -
- 5 -
Gegen das Patent hat die Beschwerdeführerin 1 Einspruch erhoben. Sie hat be-
antragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Ihre Argumentation hat sie
auf die Druckschriften E1 - E11 gestützt, zu denen die im Prüfungsverfahren er-
mittelte E7 und die von der Patentinhaberin als Stand der Technik in das Prü-
fungsverfahren eingeführte E3 zählen:
WO 2004/078017 A1 (P3)
DE 103 24 172 A1
- 6 -
Dabei nicht berücksichtigt ist die von der Patentinhaberin im Prüfungsverfahren in
Form des chinesischsprachigen Originals und der englischsprachigen Zusam-
menfassung (Abstract) vorgelegte CN 2540903 Y, welche eine durch Verschrau-
bung installierbare Toilettensitzhalterung betrifft und dem erfindungsgemäßen Ge-
genstand ferner liegt.
Die Einsprechende hat geltend gemacht, dass der Gegenstand des Patents we-
gen fehlender Neuheit gegenüber den jeweiligen Druckschriften E1 und E4 und
wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die Druckschriften E7 so-
wie die Kombination der Druckschriften E4 und E6 nicht patentfähig sei. Der von
der Patentinhaberin neu vorgelegte Hauptantrag und auch der Hilfsantrag seien
nicht zulässig und beruhten im Lichte des genannten Standes der Technik zumin-
dest nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Patentinhaberin hat im patentamtlichen Verfahren beantragt, das Patent im
Umfang des Hauptantrags, hilfsweise im Umfang des Hilfsantrags aufrechtzuer-
halten.
Mit Beschluss vom 4. April 2012 hat die Patentabteilung 16 des Deutschen Patent-
und Markenamtes das Patent im Umfang des in der Anhörung überreichten Hilfs-
antrags beschränkt aufrechterhalten. Dieser hat den folgenden Wortlaut:
- 7 -
Hilfsantrag
Die Unteransprüche 2 - 6 des Hilfsantrags entsprechen in ihrem Wortlaut dem er-
teilten Patent.
In der Beschlussbegründung vom 10. Mai 2012 hat die Patentabteilung 16 die von
der Patentinhaberin vorgelegten Anspruchsfassungen als zulässig gewertet. Der
Gegenstand nach Hauptantrag sei vor dem mit der Druckschrift E1 nachgewiese-
nen Stand der Technik wegen fehlender Neuheit nicht gewährbar, während dem
Gegenstand nach Hilfsantrag Neuheit und erfinderische Tätigkeit zukomme. Ins-
besondere zeigten die E1 und die E6 nicht, dass sich an zwei Seiten jeweils eine
zweite Achsenaufnahme am hinteren Ende des Deckels oder des Sitzes befinde.
Damit sei der Gegenstand des Hilfsantrags bestandsfähig.
- 8 -
Gegen diesen Beschluss richten sich die von der Einsprechenden und von der
Patentinhaberin wechselseitig eingelegten Beschwerden.
Nach dem Vorbringen der Einsprechenden sei der Gegenstand des erteilten Pa-
tents nicht neu gegenüber der Druckschrift E1. Die Gegenstände der von der Pa-
tentinhaberin vorgelegten Hilfsanträge I und II seien unzulässig erweitert und im
Übrigen ebenfalls nicht neu gegenüber der Druckschrift E1. Gleichermaßen unzu-
lässig seien die Gegenstände der Hilfsanträge III bis V. Darüber hinaus beruhten
sie gegenüber der Kombination der Druckschriften E1 und E2 nicht auf einer erfin-
derischen Tätigkeit.
Die Einsprechende und Beschwerdeführerin zu 1) hat in der mündlichen Ver-
handlung beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 16 des Deutschen Patent- und
Markenamtes vom 4. April 2012 aufzuheben und das Patent in
vollem Umfang zu widerrufen, sowie
die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin zu 2) hat den Antrag gestellt,
die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.
Ferner hat sie beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 16 des Deutschen Patent- und
Markenamtes vom 4. April 2012 aufzuheben und das Patent in
vollem Umfang aufrechtzuerhalten;
- 9 -
hilfsweise das Patent mit den folgenden Unterlagen beschränkt
aufrechtzuerhalten;
1)
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I, eingereicht mit
Schriftsatz vom 31. März 2016, im Übrigen wie beschränkt
aufrechterhalten;
2)
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag ll, eingereicht mit
Schriftsatz vom 31. März 2016, im Übrigen wie beschränkt
aufrechterhalten;
3)
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lll, eingereicht in der
mündlichen Verhandlung, im Übrigen wie beschränkt auf-
rechterhalten;
4)
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag IV, eingereicht in der
mündlichen \/erhandlung, Patentansprüche 3 - 6 in der er-
teilten Fassung und im Übrigen wie beschränkt aufrecht-
erhalten;
5)
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag V, eingereicht in der
mündlichen Verhandlung, Patentansprüche 3 - 6 in der er-
teilten Fassung und im Übrigen wie beschränkt aufrecht-
erhalten.
Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin zu 2) tritt der Auffassung der Ein-
sprechenden in allen Punkten entgegen. Sie sieht die kennzeichnenden Merkmale
aller geltenden Patentansprüche 1 als ursprünglich offenbart und ihre Gegen-
stände gegenüber der Druckschrift E1 als neu an. Auch beruhten diese auf erfin-
derischer Tätigkeit gegenüber der Kombination der Druckschriften E1 mit E2 so-
- 10 -
wie der im Rahmen des Einspruchsverfahrens diskutierten Druckschrift E7 und
einer Kombination der Druckschriften E4 und E6.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I ist wortgleich mit dem Patentanspruch 1
gemäß beschränkter Aufrechterhaltung durch die Patentabteilung 16 des Deut-
schen Patent- und Markenamtes.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II lautet:
- 11 -
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag III lautet:
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und insbesondere
wegen des Wortlauts der Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen IV und V wird
auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerden der Einsprechenden und der Patentinhaberin sind frist- und
formgerecht eingelegt worden und zulässig (§ 73 PatG).
Zudem ist auch die Voraussetzung für die Überprüfung des Patents im vorliegen-
den Einspruchsbeschwerdeverfahren erfüllt, denn der vorangegangene Einspruch
der Einsprechenden ist frist- und formgerecht eingelegt und mit Gründen verse-
- 12 -
hen, wobei die Einsprechende in ihren Schriftsätzen auch die für die Beurteilung
der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen tatsächlichen Umstände im Ein-
zelnen so dargelegt hat, dass ohne eigene Ermittlungen daraus abschließende
Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes gezo-
gen werden können.
Die Beschwerde der Einsprechenden hat zumindest teilweise Erfolg, denn sie
führt zur Aufrechterhaltung des Streitpatents in weiter beschränktem Umfang.
1.
Zuständiger Fachmann ist in Übereinstimmung mit der Sicht der Patentabtei-
lung und von den Parteien unbestritten ein Ingenieur auf dem Gebiet des (allge-
meinen) Maschinenbaus.
2.
Das Streitpatent DE 11 2006 003 330 B4 (im Folgenden: SP), betrifft eine
Montagehalterung für Deckel und Sitz einer Toilettenschüssel. Bisherige Monta-
gehalterungen für Deckel und Sitz sind kompliziert zu montieren und weisen eine
unzureichende Stabilität auf. Ihr Aufbau ist nur schwer zu zerlegen sowie zu reini-
gen und er weist ein unschönes Aussehen auf (SP: Abs. [0002]). Vor diesem Hin-
tergrund sieht das Streitpatent als Aufgabe die Bereitstellung einer Montagehalte-
rung an, die die bei existierenden Montageverbindungshalterungen bestehenden
Probleme, wie instabiler Aufbau sowie komplizierte und unbequeme Montage und
Demontage überwindet, und dabei eine Montagehalterung für Deckel und Sitz ei-
ner Toilettenschüssel offen legt, die stabil und einfach zu montieren und demontie-
ren ist, sowie ein ansprechendes Aussehen aufweist (SP: Abs. [0002], [0005]).
3.
gend mit Merkmalen versehen ist:
M1
Eine Montagehalterung für Deckel (1) und Sitz (2) einer Toilettenschüssel,
die es Deckel (1) und Sitz (2) erlaubt, sich um eine Drehachse (32) zu
drehen,
- 13 -
M2
wobei sie Positionsfixierstifte (61),
M3
erste Achsenaufnahmen (11),
M4
zweite Achsenaufnahmen (21),
M5
Drehachsen (32) beinhaltet, und
M6
am hinteren Ende des Deckels (1) oder des Sitzes (2) sich an zwei Seiten
eine zweite Achsenaufnahme (21) befindet,
M7
wobei an der zweiten Achsenaufnahme (21) sich in radialer Richtung eine
längliche Aussparung (211) befindet,
M8
an dazu passender Position sich an der Halterung der Toilettenschüssel ein
Positionsfixierstift (61) befindet, der Positionsfixierstift (61) durch die oben
genannte längliche Aussparung (211) hindurchgeht und in die sich in der
zweiten Achsenaufnahme (21) befindende Drehachse (32) eingesteckt ist,
M9
wobei der Positionsfixierstift (61) mit der Drehachse (32) verbunden ist,
M10
bare Verbindung formen.
Gemäß Hilfsantrag I ist der erteilte Patentanspruch 1 um das Vorliegen
von Achsenaufnahmen, Aussparungen und Positionsfixierstiften (Merkmale
M6‘
M10‘
I
) ergänzt:
M6
I
am hinteren Ende des Deckels (1) oder des Sitzes (2) sich an zwei Seiten
eine zweite Achsenaufnahme (21) befindet,
- 14 -
M7
I
wobei an (21) sich in radialer Richtung
eine längliche Aussparung (211) befindet,
M8
I
an dazu passender Position sich an der Halterung der Toilettenschüssel ein
Positionsfixierstift (61) befindet, der Positionsfixierstift
(61) durch die oben genannte längliche Aussparung (211) hindurchgeht und
in die sich in der zweiten Achsenaufnahme (21) befindende Drehachse (32)
eingesteckt ist,
M9
I
wobei der Positionsfixierstift (61) mit der Drehachse
(32) verbunden ist,
M10
I
(21) eine drehbare Verbindung formen.
M11
I
Drehachse (32) verbunden ist.
Bei im Übrigen unveränderten Patentansprüchen ist im Hilfsantrag II der Pa-
M6
II
umformuliert:
M6
II
eine zweite Achsenaufnahme (21) angebracht ist,
M5
III
um
zwei zusätzliche Vorrichtungsbestandteile
M5
III
M11
I
durch ein diese neuen Bestandteile umfassendes Merk-
M11
III
ersetzt wird:
- 15 -
M11
III
aufweisen, in dem der Druckknopf (5), die Feder (4), die Drehachse (32)
und das Dämpfelement (31) angeordnet sind.
4.
a.
sich um Vorrichtungsteile, die eine Achse aufzunehmen vermögen, wobei sich
erste und zweite Achsenaufnahmen in baulicher Hinsicht unterscheiden. Die
zweite Achsenaufnahme weist eine in radialer Richtung längliche Aussparung auf
M7
M8
ben dabei drehbar. Mit dem Ausdruck Achsenaufnahme ist nicht festgelegt, dass
die Achsenaufnahme nur die Achse aufnimmt, denn die Achse kann sich auch in
einer oder mehreren weiteren Achsenaufnahmen befinden.
b.
hinteren Ende des Deckels oder des Sitzes befindet
, legt der Ausdruck „befinden“
nicht fest, dass die zweite Achsenaufnahme kraftschlüssig und direkt mit Deckel
oder Sitz verbunden sein muss, denn dieser Ausdruck betrifft lediglich die räumli-
che Zuordnung beider Bauteile zueinander. Somit kann es dahingestellt bleiben,
ob der Ausdruck „oder“ nach Auffassung der Patentinhaberin exklusiv dahinge-
hend auszudeuten ist, dass sich die zweite Achsenaufnahme entweder am Deckel
M6
inklusive Auswahlmöglichkeit an Deckel und Sitz eröffnet. Nachdem die räumliche
Zuordnung auch im Stand der Technik (vgl. z. B. E1, E4) immer erfüllt ist, erlaubt
der Ausdruck „oder“ insoweit keine Abgrenzung.
c.
mangels weiterer Angaben nur eine Ausnehmung in einem zylinderähnlich ge-
formten Körper betreffen, deren Längserstreckung in radialer Richtung größer ist
- 16 -
als die Quererstreckung. Die Tiefe der Ausnehmung ist nicht definiert und somit
beliebig.
5.
der Patentinhaberin sind zulässig. Sie gehen auf die Patentansprüche 1 - 6 der
DE 11 2006 003 330 T5 zurück, deren mehrere Teilsätze und ganze Sätze umfas-
sender Wortlaut zu jeweils einem Satz umformuliert wurden. Die eingeführten Be-
zugszeichen finden sich in den Figuren der Übersetzung i. V. m. der zugehörigen
Beschreibung (DE 11 2006 003 330 T5: Abs. [0014]).
6.
Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist gegenüber den jeweili-
gen Druckschriften E1 und E4 nicht neu (§ 3 PatG).
Die DE 103 53 944 A1 (E1) beschreibt eine Einrichtung zum Dämpfen eines um
eine Drehachse drehbaren WC-Sitzes oder WC-Deckels, die mit dem WC-Becken
M1
M2
Achsenaufnahmen vorhanden (Fig. 5 und Absatz [0039] mit Bez. 14, 15 für den
M3
men dienen die Hülsen der Dämpfungsanordnung (E1: Bez. 1, 13, 27, 28 in den
M4
Die den zweiten Achsenaufnahmen entsprechenden Hülsen befinden sich nach
der gebotenen Auslegung am hinteren Ende des Deckels oder des Sitzes an zwei
Seiten (E1: Fig. 5, Bezugszeichen 1 und 13 am jeweiligen Ende von Sitz 14, 15
M6
sparung an der zweiten Achsenaufnahme (E1: Bezugszeichen 10 in Fig. 2, im
M7
hindurchgehende und in die Drehachse eingesteckte Positionsfixierstift ist in der
M8
- 17 -
Auch die DE 200 01 066 U1 (E4) stellt eine Befestigungsvorrichtung für einen
Toilettensitz (E4: Titel) vor. Sie beschreibt die drehbewegliche Befestigung von
Deckel und Ring über die Arme 2 und 16 um eine mit dem Bolzen 7 fluchtende
M1
M2
und 16 eingebrachte kreisförmige Bohrungen 4, 6, die als erste und zweite Ach-
M3
(E1: Fig. 1). Da das Basiselement 14 durch die Durchgangsbohrung am hinteren
Ende der Toilettenschüssel geführt wird (E4: S. 8 Z. 25-33) ergibt sich
– nach der
gebotenen Auslegung
– wegen der standardmäßig zwei vorhandenen Bohrungen
in der Schüssel das Vorhandensein von zwei Armen mit Achsenaufnahmen am
M6
liche Aussparungen zwischen den Flanschen auf, die in Richtung des Kreisradius
M7
zen 7 durch die Bohrung 8 verbunden, was eine dazu passende Position erfordert
M8
M10
beschluss unter Heranziehung der Zeichnungen keine längliche Aussparung im
Sinne der Patentschrift erkannt hat, muss festgestellt werden, dass die Zeichnun-
gen den Patentanspruch nicht zu beschränken vermögen. Denn sie dürfen nicht
zu einer Einengung oder Erweiterung desjenigen führen, was der Patentanspruch
bei sinnvollem Verständnis lehrt (BGH GRUR 07, 309
– Schussfädentransport;
BGH GRUR 04, 1023-1024
– Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
Damit hat der erteilte Patentanspruchs 1 keinen Bestand.
III.
Von den mit den Hilfsanträgen I bis V beanspruchten Gegenständen erweist sich
der Gegenstand des Hilfsantrag III als bestandsfähig.
- 18 -
1.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I unterscheidet sich bei im Vergleich
zum erteilten Patent unveränderten Unteransprüchen 2
– 6 durch die Merkmale
M6
I
M10
I
), die auf Abs. [0017] des Streit-
patents (auch DE 11 2006 003 330 T5: Abs. [0015]) zurückgehen. Dieser Absatz
spricht von einem gleichen Aufbau, nicht jedoch, wie von der Einsprechenden
geltend gemacht, von vollständig identischen Halterungen auf der linken und
rechten Seite. Für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar behandelt dieser Ab-
satz ohnehin nur eine konkrete Ausführungsform, weshalb die Merkmale
„jeweils“
bzw. jeweilige(n)
“ zwar zulässig sind, den erteilten Patentanspruch 1 aber und
M6
I
nicht
weiter beschränken.
Das die Montagehalterung weiter ausgestaltende Dämpfelement gemäß Merkmal
M11
I
wird im Streitpatent für die beiden Seiten der Montagehalterung offenbart
(SP: Patentanspruch 4 und Abs. [0016] re. Sp. Z. 5 - 10 i. V. m. [0017]; vgl.
DE 11 2006 003 330 T5: Patentanspruch 4 und Abs. [0014] li. Sp. Z. 13
– 8 v. un-
ten). Wie nachfolgend ausgeführt wird, ist der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I
nicht bestandsfähig, weshalb es unentschieden bleiben kann, ob die Formulierung
„umfasst“ in Übereinstimmung mit der Offenbarung der Patentschrift nur dahinge-
hend auszulegen ist, dass es sich um zwei Dämpfelemente handelt, wie sie der
Stand der Technik üblicherweise (vgl. E1: Fig. 5 und Abs. [0042], E6: Fig. 1,
Dämpfungszylinder 9, E7: Fig. 1 Rotationsdämpfer 11, 12; E11: Fig. 4,5, Dämp-
fungseinrichtungen
5) vorgibt, oder ob der Ausdruck „ein Dämpfelement“ über die
Offenbarung des Streitpatents vom Anmeldetag hinausgeht.
Wenn die Einsprechende im Übrigen geltend macht, dass ursprünglich nur die
gesamte Merkmalskombination im Sinne von zwei Dämpfelementen offenbart sei,
die über die erste und zweite Achsenaufnahme Deckel und Sitz dämpften, und ein
Dämpfelement mit einem Verbindungsteil in eine quadratische Öffnung der Dreh-
achse eingesteckt sei, dieses Element mit einem Druckknopf, einer Feder und ei-
ner Drehachse verbunden sei (SP: Abs. [0016], re. Sp. Z. 5 - 10), was zwingend
- 19 -
erforderliche Merkmale seien, die die Funktionsfähigkeit der Gesamtanordnung
bedingten, kann diesem Vorbringen nicht gefolgt werden. Der Einsatz in diesem
Bereich üblicher Dämpfelemente (s. oben) dient dazu, das Absenken von Deckel
und/oder Sitz zu verlangsamen (vgl. E6: S. 2 Abs. 2). Dass derartige Dämpfele-
mente, um als Teil der Drehachse wirken zu können, eine in der Regel von der
Kreisform abweichende Ausgestaltung haben, um ohne Verklebung drehfest in
Achsenaufnahmen verankert zu werden, ist dem Fachmann geläufig und bedarf
keiner gesonderten Erwähnung. Der Fachmann entnimmt somit dem Streitpatent
das Vorsehen von Dämpfelementen als nähere mögliche Ausgestaltung der Erfin-
dung (vgl. BGH, MittdtschPatAnw. 2012, 344 Ls. 1-2
– Antriebseinheit für Trom-
melwaschmaschine).
Da nach den obigen Ausführungen die Merkmale
„jeweils“ bzw. jeweilige(n)“ den
M6
I
M10
I
) nicht
weiter beschränken und die E1 die Verbindung von Drehachse und Dämpfelement
bereits offenbart (E1: vgl. Fig. 2 Endstück 3 und Dämpfer 2 i. V. m. Abs. [0035])
sind alle Merkmale des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag I in der E1 beschrie-
ben.
Mit Ausnahme des Dämpfungselements gehen aus der Druckschrift E4 bereits alle
patentgemäßen Merkmale einer schnell und einfach montier- und demontierbaren
(E4: S. 3 Z. 18
– S. 5 Z. 5) WC-Sitzeinrichtung hervor, weshalb sie der Fachmann
als möglichen Ausgangspunkt in Betracht zieht. Nach Hilfsantrag 1 ist die patent-
gemäße Montagehalterung nun durch einen Dämpfer gekennzeichnet, dem ge-
mäß der Beschreibung des Streitpatents keine ungewöhnliche Funktion zukommt
(SP: Patentanspruch 4 und Abs. [0016] re. Sp.). Da der patentgemäße Dämpfer
den einzigen Unterschied zur E4 ausmacht, ist die Frage zu beantworten, ob der
Fachmann veranlasst war, von diesem konstruktiven Mittel Gebrauch zu machen.
Wie die Druckschrift E6 einleitend feststellt, stellen Dämpfer ein erprobtes und aus
dem Stand der Technik für Klosettbecken geläufiges Mittel dar, ein heftiges und
geräuschvolles Schließen zu verhindern (E6: S. 2 Abs. 2). Steht der Fachmann
- 20 -
vor der Aufgabe, die Sitzeinrichtung der E4 hinsichtlich des Schließens geräusch-
arm zu gestalten, drängt sich ihm die Verbindung des Bolzens 7, dem zur dreh-
festen Verankerung bereits ein Sektor zum Vollkreis fehlt (vgl. E4 S. 11 Z. 10 - 11)
mit einem Dämpfungszylinder unmittelbar auf. Dass dies mit einem höheren kon-
struktiven Aufwand verbunden sein mag, wie die Patentinhaberin geltend macht,
steht dem gewonnenen Zusatznutzen nicht im Wege.
Damit ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 gegenüber
der E1 nicht neu und gründet gegenüber der Kombination der Druckschriften E4
mit E6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.
M6
II
. Da-
nach sind die zweiten Achsenaufnahmen am hinteren Ende des Deckels oder des
M6
I
gemäß Hilfsantrag I
dort befinden
. Wenngleich das „Anbringen“ der zweiten Achsenaufnahmen dem
Streitpatent zu entnehmen und damit zulässig ist (SP: Abs. [0006] re. Sp. Z. 4
– 6;
vgl. DE 11 2006 003 330 T5: Abs. [0004] li. Sp. Z. 8
– 10), beschreibt auch dieses
Teilmerkmal keine kraftschlüssige und direkte Verbindung der zweiten Achsenauf-
nahme mit dem Sitz oder dem Deckel. Weil die Begriffe „sich befinden“ und „an-
bringen“ weder zum Ausdruck bringen, dass die beiden Bauteile in Kontakt ste-
hen, noch festlegen, dass eine drehfeste Verbindung zwischen den zweiten Ach-
senaufnahmen und dem Sitz oder Deckel bestehen muss, bleibt die mit der geän-
derten Formulierung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag II beanspruchte
Montagehalterung im Vergleich zum Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I in kon-
struktiver Hinsicht unverändert.
Aus den für den Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I genannten Gründen hat da-
her auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag II keinen Be-
stand.
- 21 -
3.
M5
III
M11
III
), die zusammen mit Drehachse und Dämpfelement in einem Hohlraum
M11
III
). Die Formulie-
M11
III
ist hinsichtlich der zwei im Streitpatent offenbarten
Dämpfungselemente zweifelsfrei zulässig. Der Druckknopf und die Feder finden
sich als Vorrichtungsbestandteile zusammen mit Drehachse und Dämpfelement im
Streitpatent als verbundenes 4 Komponentensystem offenbart (SP: Abs. [0016] re.
Sp. Z. 8
– 10; auch: DE 11 2006 003 330 T5: Abs. [0014] li. Sp. Z. 10 – 8 von
unten), wobei das für die Funktionstüchtigkeit des Druckknopfs notwendige Fixier-
element streitpatentgemäß auch als integraler Bestandteil des Druckknopfs defi-
niert ist (SP: Abs. [0007] Z. 3-6; auch DE 11 2006 003 330 T5: Abs. [0005] Z. 3
6). Das Streitpatent beschreibt nur eine Art Druckknopf, weshalb sich dem Fach-
M11
III
) aus der Beschrei-
bung
zweifelsfrei
und
unmittelbar
erschließt
(SP:
Abs. [0007];
auch
DE 11 2006 003 330 T5: Abs. [0005]). Soweit die Einsprechende diesbezüglich
der Auffassung ist, dass es sich bei dem federgetriebenen Druckknopf um eine
willkürliche Auswahl und eine Aneinanderreihung von Merkmalen handele, kann
diesem Vorbringen nach den obigen Ausführungen nicht gefolgt werden. Auch
brauchten nicht alle im Patentanspruch 2 des erteilten Patents den Druckknopf
betreffende Merkmale in den Patentanspruch 1 aufgenommen zu werden, denn
die bauliche Gestaltung eines federgetriebenen Druckknopfs ist dem Grundwissen
des Fachmanns zuzurechnen.
Nachdem die Druckschrift E1 die Anordnung von Drehachse und Dämpfelement
im Hohlraum der zweiten Achsenaufnahme (E1: Fig. 2 i. V. m. Abs. [0036]; Teil-
M11
III
) vorwegnimmt, unterscheidet sich der Gegenstand nach Patentan-
spruch 1 des Hilfsantrag III - von der Einsprechenden unbestritten - von dem
durch die E1 ausgewiesenen Stand der Technik durch einen Druckknopf mit Fe-
der. Hinsichtlich des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG) ist somit
die Frage zu beantworten, ob der Fachmann ausgehend von der E1 Anlass hatte,
- 22 -
die reversible Befestigung der Montagehalterung durch einen federgetriebenen
Druckknopf in der zweiten Achsenaufnahme auszugestalten.
Die E1 bietet keinen Hinweis in diese Richtung, da die Befestigung von WC-Sitz
bzw. -Deckel mit im Endstück eingesteckten Befestigungszapfen ohne einen
Druckknopf erfolgt (E1: Abs. [0012] und Fig. 11), wobei die Zapfen wohl lösbar
bleiben, was aber mit einem hohen Kraftaufwand verbunden ist.
Soweit sich die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften überhaupt mit
federgetriebenen reversiblen Befestigungen von Deckel bzw. Sitz an Toiletten-
schüsseln befassen, vermögen sie den Fachmann nicht in die erfindungsgemäße
Richtung zu leiten.
Nach WO 2004/078017 A1 (E3) erfolgt die lösbare Verankerung des Zapfens 6
(E3: Fig. 1) mit der Deckel/Sitz-Garnitur in der Drehachse 9, wobei der Fig. 5 un-
mittelbar zu entnehmen ist, dass es sich bei der lösbaren Verbindung von Zap-
fen 36 und Loch 40 um eine federgetriebene Verbindung handelt, bei der die L-
förmige Feder 53 mit dem Vorsprung 55 in die Nut 37 des Zapfens 36 greift. Da
kein vorheriges Lockern der Verbindung möglich ist, erfordert zumindest die Dein-
stallation einen erhöhten Kraftaufwand.
Die WC-Sitzkonstruktion der US 4 404 695 (E8) ist in üblicher Weise mit dem Toi-
lettensitz fest verschraubt (E8: Fig. 3 und Sp. 4 Z. 4
– 8). Sie lehrt zwar einen fe-
dergetriebenen Verschlussmechanismus für die Sitzkonstruktion, der über eine
Spiralfeder 20 mit zur Stauchung der Feder über L-förmige Öffnungen 13 geführ-
ten Hebeln 15 das reversible Einrasten des Deckels in die
– fest verankerten -
Seitenteile 17 ermöglicht. Diese Lehre führt offensichtlich nicht in Richtung einer
reversiblen Verankerung der Deckel/Sitz-Garnitur selbst.
Soweit die Einsprechende die DE 202 03 093 U1 (E2) in Kombination mit der E1
als nahe liegend für die erfindungsgemäße Lösung heranzieht, hat die E2 zwar
- 23 -
eine lösbare Schnellbefestigung für einen WC-Sitz zur Aufgabe, bei welcher wie
nach Streitpatent das dem Positionsfixierstift entsprechende Befestigungsele-
ment 7 eine Blockiervertiefung 7b unterhalb des Kopfes 7a (E2: Fig. 3) aufweist.
Allerdings erfolgt die Befestigung nicht in der Drehachse, sondern mithilfe eines
jeweils translatorisch verschiebbaren Fixierelements (E2: Bezugszeichen 3 in
Fig. 4) außerhalb der Drehachse und ohne Federkraft, bei dem der Kopf 7a durch
die Öffnung 5 gesteckt und entlang des Klemmteils 4 verschoben wird. Eine Anre-
gung, diese Befestigung mittels federgetriebenem Mechanismus in der Drehachse
zu gestalten, entnimmt der Fachmann dieser Druckschrift nicht.
Die übrigen Druckschriften liegen, soweit es sich überhaupt um gattungsgemäße
und damit für den Fachmann beachtliche Druckschriften handelt, ferner. Schon die
in der am nächsten kommenden gattungsgemäßen Druckschrift E3 beschriebene
Lösung erlaubt kein vorheriges Lockern der Verankerung. Daher zeichnet sich
erfindungsgemäße Ausgestaltung vorteilhaft durch eine leichte Handhabung ins-
besondere beim Demontieren aus. Durch das Drücken des Druckknopfs kann die
Verankerung ohne großen Kraftaufwand (vor)gelockert werden, so dass der An-
wender
– beim andernfalls ggf. ruckartigen – Abnehmen der Deckel/Brillen-Garni-
tur nicht Gefahr läuft, dass ihm diese aus der Hand gleitet und Schaden anrichtet
oder nimmt.
Nach alledem ergibt sich der Gegenstand nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsan-
trag III für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Tech-
nik (§ 4 PatG). Somit haben auch die auf diesen rückbezogenen Unteransprüche
2
– 6 Bestand, die vorteilhafte Ausgestaltungen der Montagehalterung beschrei-
ben.
Das Streitpatent war danach auf Basis der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag III
in beschränktem Umfang aufrechtzuerhalten.
- 24 -
IV.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten
– vorbe-
haltlich des Vorliegens der weiteren Rechtsmittelvoraussetzungen, insbesondere
einer Beschwer
– das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die
Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird,
dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung
des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen
Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes
vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens
ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist,
bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens
verletzt worden sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
innerhalb eines Monats
schlusses schriftlich durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechts-
anwalt
als
Bevollmächtigten
beim
Bundesgerichtshof,
Herrenstr. 45 a,
76133 Karlsruhe, einzureichen.
Feuerlein
Egerer
Heimen
Freudenreich
prö