Urteil des BPatG vom 30.09.2014

Stand der Technik, Patentanspruch, Nanotechnologie, Anhörung

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
14 W (pat) 1/11
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2009 053 659.0-41
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 30. September 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr. Maksymiw, der Richterin Dr. Proksch-Ledig, des Richters Schell sowie der
Richterin Dr. Wagner
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. Oktober 2010 hat die Prüfungsstelle
für Klasse C 02 F des Deutschen Patent- und Markenamtes die Patentanmeldung
10 2009 053 659.0-41 mit der Bezeichnung
„Trinkwassergewinnung aus Meerwasser“
zurückgewiesen.
Dem Beschluss liegt der in der Anhörung vom 18. Oktober 2010 überreichte
Patentanspruch 1 zugrunde, der folgenden Wortlaut hat:
„1. Verfahren zur Trinkwassergewinnung aus Meerwasser mit-
tels Elektrodialyse, Nanotechnologie und Mikrosystemtechnik.“
Die Zurückweisung ist im Wesentlichen damit begründet, dass das anmeldungs-
gemäße Verfahren zur Trinkwassergewinnung nicht ausführbar sei. Nähere Anga-
ben, wie der Gegenstand von Patentanspruch 1 vom Fachmann technisch umge-
setzt werden könne, seien der Anmeldung weder zu entnehmen, noch habe der
Anmelder diese in der Anhörung benennen können. Bei den Oberbe
griffen „Nano-
technologie“ und „Mikrosystemtechnik“ handele es sich zwar um selbstverständli-
che technische Merkmale, jedoch fänden sich im Stand der Technik eine Vielzahl
von Verfahren und Vorrichtungen, die unter diesen Begriffen subsumierbar seien,
so dass der Fachmann erst erfinderisch tätig werden müsse, um zu einem brauch-
baren, technischen Gegenstand zu gelangen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Er macht im
Wesentlichen geltend, dass das beanspruchte Verfahren zur Trinkwassergewin-
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nung ausführbar sei und dass er zur Anhörung am 18. Oktober 2010 keine offi-
zielle Ladung erhalten habe. Erhalten habe er eine Ladung/Bestätigung per Mail
nur zu dem Aktenzeichen 10 2009 053 657.4-41. Eine Ladung, wie in der als
Anlage beigefügten E-Mail angekündigt, habe er in der Sache dagegen nicht
erhalten.
Der Anmelder beantragt sinngemäß,
den Zurückweisungsbeschluss aufzuheben.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Anmelders ist zulässig; sie führt aber nicht zum Erfolg.
1.
Die ursprüngliche Offenbarung des Gegenstands gemäß dem geltenden
Patentanspruch 1 ist nicht zu beanstanden. Der geltende Patentanspruch 1 geht
inhaltlich auf die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1 bis 3 zurück.
2.
Das im Patentanspruch 1 beanspruchte Verfahren zur Trinkwassergewin-
nung ist nicht so deutlich und vollständig i. S. von § 34 IV PatG offenbar, dass ein
Fachmann das Verfahren am Anmeldetag hätte ausführen können (vgl. Schulte,
PatG, 9. Auflage, § 34 PatG, Rdn. 338, 349, 352, 360).
Geltender Rechtsprechung folgend, ist bei der Bewertung, inwiefern eine Erfin-
dung ausführbar offenbart ist, zunächst zu klären, ob die in der Patentanmeldung
enthaltenen Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Informa-
tion vermitteln, dass er mit seinem Wissen und seinem Können in der Lage ist, die
Erfindung erfolgreich auszuführen (BGH, GRUR 2010, 916 -
„Klammernahtgerät“).
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Diesen Anforderungen genügen die Angaben in den Anmeldeunterlagen jedoch
nicht.
Die Anmeldung betrifft ein Verfahren zur Trinkwassergewinnung aus Meerwasser
mittels Elektrodialyse, Nanotechnologie und Mikrosystemtechnik (vgl. Patentan-
sprüche 1 bis 3 der Erstunterlagen). Laut der Beschreibung der Anmeldeunterla-
gen sei es mittels der Nanotechnologie möglich, eine Wasserentsalzung und
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bereitung von Salzwasser zu erzielen, indem Nanostrukturen definiert, erkannt
und selektiert werden (vgl. Beschreibung S. 1, 2. Abs. der Erstunterlagen). Dabei
liefere die Mikrosystemtechnik die für die Nanotechnologie nötigen Schnittstellen.
Gemäß den Erstunterlagen sind unter dem Begriff „Mikrosystemtechnik“ unter-
schiedliche Basistechnologien wie die Mechanik, die Optik, die Fluidik, die Poly-
merelektronik oder neue Materialien zu subsumieren (vgl. Beschreibung S. 1,
3. Abs. der Erstunterlagen). Nähere Ausführungen zur Ausgestaltung der Elektro-
dialyse finden sich in den Anmeldeunterlagen jedoch nicht. Damit aber liefern die
Anmeldeunterlagen dem Fachmann, einem Diplomingenieur auf dem Gebiet der
Umwelttechnik mit Kenntnissen der Wasseraufbereitung, keinerlei technische Hin-
weise oder Anregungen für konkret zu ergreifende Maßnahmen im Rahmen der
Elektrodialyse, der Nanotechnologie und der Mikrosystemtechnik, um das anmel-
dungsgemäße Verfahren zur Trinkwasseraufbereitung zu realisieren. Der Hinweis
auf allgemeine Definitionen dieser Technologien ändert hieran nichts. Auf Grund
dessen ist der Fachmann vorliegend nicht in die Lage versetzt, das angestrebte
Ergebnis ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen. Vielmehr musste er dazu
erst selbst erfinderisch tätig werden, denn mangels konkreten Hinweisen in den
Anmeldeunterlagen sieht sich der Fachmann zur Durchführung eines Forschungs-
auftrags aufgefordert, der ein übliches Maß an Versuchen überschreitet (vgl.
Schulte, PatG, 9. Auflage, § 34 PatG, Rdn. 355, 359 b) und c), 401). Damit ist die
Ausführbarkeit der vorliegend beanspruchten technischen Lehre nicht gegeben.
Der Patentanspruch 1 ist daher mangels Ausführbarkeit nicht gewährbar.
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3.
Soweit der Beschwerdeführer vorgetragen hat, keine Ladung zu der Anhö-
rung am 18. Oktober 2010 erhalten zu haben, vermag dies ebenfalls nicht die
beantragte Zurückverweisung der Sache zu begründen. Zwar hat im Zweifelsfall
die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nach-
zuweisen. Allerdings trägt die Behörde diese Feststellungslast nur bei berechtigten
Zweifeln am Zugang einer Postsendung. Die bloße Behauptung, die Postsendung
nicht erhalten zu haben, genügt insoweit in der Regel nicht, denn anderenfalls
würde die gesetzliche Zugangsvermutung des § 4 Abs. 2 VwZG ihren Sinn weit-
gehend verlieren und die vom Gesetzgeber vorgesehene Zustellungsart mittels
eingeschriebenen Briefes wäre de facto wertlos (vgl. Engelhardt/App, VwVG/
VwZG, 9. Aufl., § 4 VwZG Rdn. 9). Aus diesem Grund müssen grundsätzlich
berechtigte Zweifel bzw. konkrete Anhaltspunkte für einen von der gesetzlichen
Zugangsvermutung abweichenden Geschehensablauf vorliegen, wobei der
schlüssige und substantiierte Vortrag dieser Anhaltspunkte dem jeweiligen Zustel-
lungsadressat obliegt. Im vorliegenden Fall ist dies nicht erfolgt, was umso schwe-
rer wiegt, als der Beschwerdeführer ausweislich des Protokolls tatsächlich an der
Anhörung teilgenommen und sich dort auch aktiv und ohne den Einwand der feh-
lenden Ladung zur Sache eingelassen und dabei u. a. einen neuen Patentan-
spruch vorgelegt hat.
4.
Bei dieser Sachlage war die Beschwerde zurückzuweisen.
5.
Diese Entscheidung konnte im schriftlichen Verfahren ergehen, da der
Beschwerdeführer im vorliegenden Fall keinen Antrag auf Durchführung einer
mündlichen Verhandlung gestellt und auch der Senat eine solche nicht für sach-
dienlich erachtet hat (§ 78 PatG).
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III.
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben,
wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss von einer beim Bundesgerichtshof zugelasse-
nen Rechtsanwältin oder von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet und innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einge-
reicht werden.
Maksymiw
Proksch-Ledig
Schell
Wagner
Fa