Urteil des BPatG vom 14.01.2016

Stand der Technik, Fig, Einlagerung, Ware

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
12 W (pat) 43/11
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
14. Januar 2016
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2004 025 070
- 2 -
hat der 12. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2016 unter Mitwirkung des
Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Ganzenmüller, der Richterin Bayer sowie der
Richter Dipl.-Ing. Schlenk und Dr.-Ing. Krüger
beschlossen:
Der Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 9. November 2010 wird aufgehoben und das
Patent 10 2004 025 070 mit folgenden Unterlagen beschränkt
aufrechterhalten:
-
Patentansprüche 1 bis 15 gemäß Hilfsantrag, überreicht in
der mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2016,
-
Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.
-
Im Übrigen wird die Beschwerde der Einsprechenden
zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Gegen das am 21. Mai 2004 angemeldete und am 26. März 2009 veröffentlichte
Patent 10 2004 025
070 mit der Bezeichnung „Verfahren und Vorrichtung zur
Einlagerung von Waren in eine automatisi
erte Lagervorrichtung“ hat die Ein-
sprechende mit Schriftsatz vom 19. Juni 2009 Einspruch eingelegt. Die Patent-
- 3 -
abteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in der mündlichen
Verhandlung vom 9. November 2010 das Patent beschränkt aufrechterhalten.
Die Beschwerdeführerin hat gegen diesen Beschluss am 20. Januar 2011 Be-
schwerde eingelegt. Sie macht geltend, das Patent sei von der Patentabteilung in
seinem technischen Sachverhalt falsch bewertet worden. Es sei weiterhin nicht
ausführbar und die Gegenstände der aufrechterhaltenen Ansprüche seien auch
weiterhin mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.
Sie verweist dazu auf folgende Druckschriften:
D1
DE 198 15 883 A1
D2
DE 198 12 147 A1
D3
DE 102 25 332 Al
D4
DE 295 15 627 U1
D5
DE 199 55 615 C2
D6
DE 195 09 951 C2 (berücksichtigt in der Anhörung)
D7
Firmenbroschüre: „Wie Sie es brauchen: Kommissionier-Automat der
Extraklasse. Universell. Effizient. Einfach doppelt gut." der APOSTORE
GmbH, Uferstr. 10, 5881 Gelsenkirchen, ohne Datum, jedoch unbestritten
vorveröffentlicht, von der Beschwerdeführerin als D2a bezeichnet.
Ferner macht sie mit den folgenden Unterlagen offenkundige Vorbenutzung
geltend und hat dazu Zeugenbeweis angeboten:
D12 Ein Automat zu D7, ausgestellt auf der Expopharm 2003, vom 18.-21.
September 2003 in Köln
D13 lnternetpräsentation zu D7 von der Apostore GmbH, aufgenommen am
20. Oktober 2003 durch die Beschwerdeführerin, auch als D2b bezeichnet.
D14 ausgedruckte Bildschirmwiedergaben zu (7) von den Internetseiten gemäß
D13, die jeweils eine Momentaufnahme des auf der jeweiligen Internetseite
- 4 -
abgelaufenen Videos und einen dazugehörigen Begleittext darstellen, auch
als D2d bezeichnet.
D15
Ausdruck der Internetseite „Apostore-Daten und Fakten“ vom 18.11.2003,
auch als D2e bezeichnet.
Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag,
den Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 9. November 2010 aufzuheben und das Patent
10 2004 025 070 zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin stellte den Antrag,
-
die Beschwerde zurückzuweisen,
-
hilfsweise,
den Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 9. November 2010 aufzuheben und das Patent
10 2004 025 070 mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Patentansprüche 1 bis 15 gemäß Hilfsantrag, überreicht in der
mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2016,
Beschreibung und Zeichnungen (Fig. 1 bis Fig. 6) gemäß Patent-
schrift.
- 5 -
Der geltende Anspruch 1 nach Hauptantrag hat, nach Merkmalen gegliedert,
folgenden Wortlaut:
1
Verfahren zur Einlagerung von Waren (13), die als quaderförmige
Packungseinheiten mit unterschiedlichen Abmessungen ausgebildet sind,
1a
in eine automatisierte Lagervorrichtung mit Regalböden (2a - 2f), auf denen
die Waren in Kanälen mittels mindestens eines Regalbediengeräts (3a, 3b), das
die Waren mittels eines Backengreifers (3a, 3b) aufnimmt, ablegbar sind.
1b
wobei zumindest innerhalb mehrerer Kanäle (14) jeweils mehrere Wa-
ren - in Querrichtung zur Längserstreckung der Regalböden gesehen - hin-
tereinander liegend angeordnet werden und
1c
die einzulagernden Waren dem mindestens einen Regalbediengerät in
jeweils definierter Zwischenablageposition und
mit ihren Kanten ausgerichtet in einem Zwischenspeicher (15) abgelegt zugeführt
werden,
so dass das mindestens eine Regalbediengerät gezielt auf die neu einzulagernden
Waren zugreifen kann,
dadurch gekennzeichnet,
1d
dass zumindest ein Teil der neu einzulagernden Waren in der Weise in dem
Zwischenspeicher gruppenweise hintereinanderliegend jeweils in einem virtuellen
Kanal geordnet abgelegt wird,
1d1
dass jeweils mit einem einzigen Zugriff gleichzeitig mehrere dieser Waren
hintereinander liegend von dem mindestens einen Regalbediengerät aufnehmbar
(sind) und
- 6 -
1d2
mit einem einzigen Ablagevorgang in jeweils einen der Kanäle auf den
Regalböden einlagerbar sind, [.]
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag weist darüberhinaus folgende ergänzende Merk-
male auf:
1e
wobei die gruppenweise Ordnung der Waren (13) im Zwischenspeicher (15)
entsprechend den gleichen vorgegebenen geometrischen Anordnungskriterien
erfolgt, die bei der Einlagerung der Waren in die Kanäle (14) berücksichtigt
werden, nämlich,
1f
[dass] als Anordnungskriterium berücksichtigt wird, dass innerhalb eines
Kanals (14) - von dem Regalbediengerät (3a, 3b) aus gesehen - eine weiter hinten
liegende Ware (13) stets breiter sein muss als jede davor liegende Ware.
Der unabhängige Anspruch 8 nach Hauptantrag hat, nach Merkmalen gegliedert,
folgenden Wortlaut:
8.
Vorrichtung zum Einlagern von Waren, die als quaderförmige Packungs-
einheiten ausgebildet sind, insbesondere von Arzneimittelpackungen, in einer
automatisierten Lagervorrichtung mit
8a
mindestens einem Regal (1) mit mehreren übereinander angeordneten Re-
galböden (2),
8b
mindestens einem Regalbediengerät (3), das zum Ein- und Auslagern der
Waren horizontal und vertikal entlang der Regalböden (2) bewegbar ist und die
Waren mittels eines Backengreifers aufnimmt,
- 7 -
8c
mindestens einem Zwischenspeicher (15) im Arbeitsbereich des mindes-
tens einem[n] Regalbediengeräts (3), in dem die neu einzulagernden Waren (13)
zur Einlagerung bereitstellbar sind,
8d
einer Übergabevorrichtung (4) zur Positionierung der einzulagernden Wa-
ren in dem Zwischenspeicher (15),
8e
einer Identifizierungseinrichtung zur Identifizierung der neu einzulagernden
Waren (13),
8f
einer Vermessungseinrichtung zur Ermittlung der für die Einlagerung benö-
tigten Längenabmessungen der Waren (13) und
8g
einer Steuereinheit für das mindestens eine Regalbediengerät (3), das mit
einem Datenspeicher für mindestens folgende Daten versehen ist:
-
vertikale Position der Regalböden (2),
-
Positionsdaten in Längsrichtung des jeweiligen Regalbodens (2) für den
jeweiligen Kanal (14), in dem eine Ware (13) abgelegt ist,
-
erfasste Längenabmessungen der Waren (13),
-
Position der Ware (13) innerhalb des jeweiligen Kanals (14) quer zur
Längsrichtung der Regalböden (2),
8h
wobei die Übergabevorrichtung (4) steuerungstechnisch mit der Steuer-
einheit verbunden ist und von der Steuereinheit in der Weise führbar ist,
8h1
dass zumindest einzelne der neu einzulagernden Waren (13) gruppenweise
angeordnet in dem Zwischenspeicher (15) so ablegbar sind,
8h2
dass mit einem einzigen Zugriff des mindestens einen Regalbediengeräts
(3) gleichzeitig mehrere dieser Waren (13) hintereinanderliegend von dem Regal-
bediengerät (3) aufnehmbar [sind] und
- 8 -
8h3
mit einem einzigen Ablagevorgang in jeweils einen der Kanäle (14) auf den
Regalböden (2) einlagerbar sind, [.]
Der dem Anspruch 8 nach Hauptantrag entsprechende unabhängige Anspruch 6
nach Hilfsantrag weist neben den Merkmalen 8 bis 8h3 (jetzt als Merkmale 6 bis
6h3 bezeichnet) folgende ergänzende Merkmale auf:
6i
wobei die gruppenweise Ordnung der Waren (13) im Zwischenspeicher (15)
entsprechend den gleichen vorgegebenen geometrischen Anordnungskriterien
erfolgt, die bei der Einlagerung der Waren in die Kanäle (14) berücksichtigt
werden, nämlich,
6j
[dass] als Anordnungskriterium berücksichtigt wird, dass innerhalb eines
Kanals (14) - von dem Regalbediengerät (3a, 3b) aus gesehen - eine weiter hinten
liegende Ware (13) stets breiter sein muss als jede davor liegende Ware.
Diesen Ansprüchen sind beim Hauptantrag die erteilten Unteransprüche 2 bis 7
und 9 bis 17 und beim Hilfsantrag die Unteransprüche 2 bis 5 und 7 bis 15
nachgeordnet.
Zum Wortlaut der Unteransprüche sowie zum weiteren Vorbringen der Beteiligten
und wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
II.
1)
Die fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, aber nur teilweise
begründet.
- 9 -
2)
Zuständiger Fachmann ist ein Dipl.-Ing. des Maschinenbaus mit
Fachhochschulabschluss und Kenntnissen in der Konzeption und Konstruktion
von automatisierten Lagervorrichtungen und den zugehörigen Regalbedien-
geräten.
3)
Zur Zulässigkeit der geltenden Ansprüche 1 und 6 nach Hilfsantrag
Im Merkmal 1 des Anspruchs
1 nach Hilfsantrag ist im zusätzlichen Ausdruck…
mit unterschiedlichen Abmessungen
… gegenüber dem erteilten Anspruch 1 keine
unzulässige Erweiterung sondern eine Beschränkung zu sehen. Dieses Merkmal
ist in Abs. 0016 Z. 3 bis 7 und Fig. 5 i. V. m. Abs. 0034 der Patentschrift offenbart,
und der Beschreibung vom Anmeldetag S. 6, Z. 23 bis 26 und Fig. 5 i. V. m. S. 12,
Z. 21 bis 32 entnehmbar.
Auch ist im zusätzlichen Ausdruck… hintereinanderliegend jeweils in einem
virtuellen Kanal
… (Merkmal 1d) gegenüber dem erteilten Anspruch 1 ebenfalls
keine unzulässige Erweiterung sondern eine Beschränkung zu sehen. Zur
Offenbarung vgl. Abs. 0012, Z. 4 bis 15 der Patentschrift ( im Folgenden PS) und
Beschreibung vom Anmeldetag S. 4, Z. 33 bis S. 5, Z. 5.
Die Merkmale 1e und 1f sind in den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 3 offenbart.
Der geltende Anspruch 1 nach Hilfsantrag ist deshalb zulässig.
Das Gleiche gilt sinngemäß für die Merkmale des Anspruchs 6 nach Hilfsantrag.
Weiterhin enthält der nach Hilfsantrag geltende Patentanspruch 6 alle Merkmale
des ursprünglichen Patentanspruchs 9, durch die eine Vorrichtung mit eindeutigen
Merkmalen definiert wird. Die weiteren Merkmale 6i und 6j sind den ursprüng-
lichen Ansprüchen 2 und 3 entnehmbar.
- 10 -
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 6 nach Hilfsantrag sind damit
ursprünglich offenbart, ihr Schutzbereich ist nicht erweitert.
4)
Ausführbarkeit des Gegenstands des geltenden Anspruchs 1 nach
Hilfsantrag und technischer Hintergrund
Die Erfindung ist so ausführlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie
ausführen kann.
Bei der Auslegung eines Patents ist auf den technischen Gesamtzusammenhang
abzustellen, den der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann vermittelt, wobei
Patentschriften im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes
BGH "Spannschraube"
und 2). Weichen diese vom allgemeinen (technischen) Sprachgebrauch ab, ist
letztlich nur der aus der Patentschrift sich ergebende Begriffsinhalt maßgebend.
Folgende Fachbegriffe bedürfen hier nach Auffassung des Senats noch der
Definition:
"Virtuelle Kanäle"
körperliche bzw. reale Trennwände, bspw. auf einem Regalbrett, die lediglich
durch in einem Steuerungsrechner/-gerät gespeicherte Kanalgrenzen, also
"datenmäßig" voneinander getrennt sind. Sie bestehen idR aus dem Raum der
breitesten Verpackung plus einem Sicherheitsabstand zum Greifen der Ver-
packung(en). Die Verpackungen können deshalb, wenn genügend Raum in der
Regaltiefe vorhanden ist, auch hintereinander eingestellt werden. Durch die nur
"datenmäßige" Trennung der Verpackungen sind eine große Variabilität der Ver-
packungsgröße und eine leichte Umstellung des verfügbaren Lagerraums auf
andere Verpackungsgrößen möglich.
- 11 -
-
"automatisierten Lagervorrichtung"
eine automatisierte Vorrichtung zum Erfassen, definierten Einlagern und Aus-
geben von Teilen bzw. Verpackungen. Eine derartige automatisierte Lager-
vorrichtung besteht idR aus Eingabeband oder -gerät, Zwischenlager, Regal-
bediengerät, eigentlichem Lagerregal und Ausgabeband.
-
"Regalbediengerät",
Fahrzeug zum Verbringen der Verpackungen bspw. vom Zwischenlager oder
Zwischenspeicher 5a, 5b zum Lagerregal 2a - 2f mit seinen Regalböden. Hierzu
und auch vertikal verstellbare Regalbediengerät Backengreifer auf, durch die
einzelne oder auch mehrere Verpackungen zugleich gefasst und bewegt werden
können.
"Zwischenlager"
hier einen Speicher zur zeitlich befristeten bzw. "dynamischen" Speicherung oder
Aufbewahrung von Verpackungen. Beim Streitpatent werden darunter die Über-
gabetische 5a, 5b verstanden, auf denen die Verpackungen geordnet liegen,
bevor sie vom Regalbediengerät in das Lagerregal eingeräumt werden.
-
"Übergabevorrichtung 4"
nung und ein Arbeitsbereich eines vorzugsweise einachsigen Roboters (hier als
Umsetzer
Umsetzer greift die Waren vom Bandförderer 8 auf und transportiert sie horizontal
durch eine entsprechende Öffnung in der äußeren Regalwand 1 und legt sie auf
den im Übernahmebereich stehenden Übergabetisch 5a, 5b in definierter
Zwischenablageposition (also bspw. auch mehrere Waren hintereinander) ab, vgl.
PS, Abs. 0032, letzte 11 Zeilen auf S. 5 bis Z. 4 auf S. 6 i. V. m. Fig. 1 und 2.
Abs.0012 der Patentschrift beschreibt als Stand der Technik eine Vorrichtung zum
automatisierten Einlagern neuer Waren/Gegenstände, etwa von Arzneimittel-
- 12 -
packungen, in ein Regal mit mehreren übereinander angeordneten Tragebenen
aus lang gestreckten Regalböden, in welche neu einzulagernde Waren in virtuelle
Kanäle mittels mindestens eines Regalbediengerätes einzeln in die freien oder frei
gewordenen Lagerflächen auf den Regalböden abgelegt werden.
Dazu werden die neu einzulagernden Waren vorher in einer Aufgabestation
identifiziert und vermessen und von einer Übergabeeinrichtung einzeln (d. h. in
einer fortlaufenden Reihe und nicht in Querrichtung hintereinander) auf einem
Zwischenspeicher/Förderer der Lagervorrichtung abgelegt (PS, Fig. 4).
Der Umsetzer nimmt jetzt die neu einzulagernden Verpackungen/Waren von dem
Förderband/Zwischenspeicher einzeln mittels eines Backengreifers auf und legt
sie in einen für die Packungsgröße frei gewordenen Lagerplatz auf dem Re-
galboden ab.
Gegenüber diesem Stand der Technik, der im Film D13 dargestellt wird, werden
gemäß Anspruch 1 des Patents die neu einzulagernden Waren, je nach Größe,
bereits auf dem Übergabetisch 5a, 5b auch schon gruppenweise geordnet
abgelegt (PS, Sp. 4 ab Z. 14 i. V. m. Fig. 5).
Wenn die Waren dabei vom Umsetzer 12 auf dem Übergabetisch 5a, 5b
entsprechend dem „Tannenbaum Prinzip“ nun so gruppenweise quer zur Längs-
richtung des Übergabetischs geordnet abgelegt werden, dass die jeweils hinter
der vordersten Ware liegenden Waren jeweils gleich breit oder breiter sind als die
davorliegenden (siehe PS, Fig. 6 i. V. m. Beschr. Abs. 0035 Mitte), ist es möglich,
eine ganze Gruppe von Waren mit einem einzigen Zugriff des Regalbediengeräts
3a, 3b zu greifen und in einem freien Kanal auf einem Regalboden 2a-2f des
Regals1 abzulegen.
Dazu enthält das an den Regalböden horizontal und vertikal verfahrbare Regal-
bediengerät eine Steuereinheit mit einem Datenspeicher für die vertikale und
horizontale Position der einzelnen Regalböden sowie die Koordinaten jedes
- 13 -
einzelnen Gegenstandes im Zwischenspeicher und längs des Regalbodens sowie
die Abmessung jedes eingelagerten und einzulagernden Gegenstandes.
Diese Vorgehensweise betrifft gemäß der Patentschrift nur neu von außen
zugeführte Packungseinheiten mit unterschiedlichen Abmessungen, die an ihrem
endgültigen Lagerplatz im Regal deponiert werden. Es geht deshalb um eine
effektive Einlagerung von neu zu deponierenden Packungen und nicht um die
Umlagerung von bereits schon früher eingelagerten Packungen, welche mittels
des Regalbediengerätes einen neuen Lagerplatz erhalten.
Für die Umlagerung von bereits früher eingelagerten Packungen (Umlagerung im
Regal) und die Ausgabe von mehreren Packungen war das Greifen mehrerer
Packungen, die nach dem „Tannenbaum-Prinzip“ bereits eingelagert wurden,
bereits bekannt.
Mit dem oben dargelegten Verständnis des Fachmanns ist die Erfindung so
ausführlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Um das von der Beschwerdeführerin als schwierig bzw. nicht ausführbar dar-
gestellte Einlagern der Waren mit einem Backengreifer erfolgreich durchzuführen,
muss der Fachmann im Zweifelsfall, d. h. wenn ihm etwas aufgrund seines
Fachwissens nicht sofort einleuchtend ist, lediglich anhand der in Abs. 0035
i. V. m. den Fig. 2 bis 6 der Patentschrift aufgezeigte Vorgehensweisen die
beispielhaft vorgegebenen Schritte ausführen um zum Erfolg zu kommen.
Damit ist die Klarheit und Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre gegeben, denn
die Patentansprüche i. V. m. der Beschreibung vermitteln dem Fachmann eine
hinreichend deutliche Lehre zum technischen Handeln.
- 14 -
5)
Patentfähigkeit
5.1)
Neuheit (§ 3 PatG) der Ansprüche 1 nach Haupt- und Hilfsantrag
sowie der selbstständig formulierten, auf die zugehörige Vorrichtung gerichteten
Ansprüche 8 nach Hauptantrag bzw. 6 nach Hilfsantrag.
Die Neuheit des Gegenstands der angegriffenen Patentansprüche 1 und 8 bzw. 1
und 6 ist gegeben, da aus keiner der im Verfahren befindlichen Entgegen-
haltungen und Schriften alle Merkmale der geltenden Ansprüche unmittelbar
entnehmbar sind:
Die Merkmale 1d, 1d1 und 1d2 beschreiben, wie an derÜbergabevorrichtung 4
einzeln aufgenommen werden und auf dem im Übernahmebereich stehenden
Übergabetisch 5a, b bzw. dem Zwischenspeicher 15 in definierter Zwischenab-
lageposition (also bspw. auch mehrere Waren hintereinander) abgelegt werden,
vgl. PS, Abs. 0032, letzte 11 Zeilen auf S. 5 bis Z. 4 auf S. 6 i. V. m. Fig. 1 und 2.
Diese Vorgehensweise für die neu einzulagernden Waren ist aus dem im
Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht bekannt.
Das gleiche gilt für die selbstständig formulierten Merkmale 8h, 8h1 und 8h2 bzw.
6h, 6h1 und 6h2, die die dazugehörende Vorrichtung beschreiben, die die Ablage
mehrerer neu einzulagernden Waren auch schon zumindest zum Teil grup-
penweise in Querrichtung hintereinander angeordnet bereits auf dem Übergabe-
tisch 5a, 5b bzw. dem Zwischenspeicher 15 erlaubt (PS, Sp. 4 ab Z. 14 i. V. m.
Fig. 5).
5.2
Erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit beim Verfah-
rensanspruch 1 und Vorrichtungsanspruch 8 nach Hauptantrag:
- 15 -
Der offensichtlich gewerblich anwendbare Gegenstand des erteilten Anspruchs 1
nach Hauptantrag, bestehend aus den Merkmalen 1 bis 1d2 der vorstehenden
Gliederung, wird durch eine fachmännische Kombination des aus den SchriftenD6
und D1 Bekannten sowie durch die Internetpräsentation D7 für den Fachmann
nahegelegt.
Aus der Schrift D6 sind die Merkmale 1 bis 1c bekannt (vgl. Beschr. Sp. 5, Z. 11
bis 33 und Sp. 6, Z. 65 bis Sp. 7, Z. 1 i: V: m: Fig. 2 bis 4). Dabei wird zwar im
Merkmal
1c von einem „Backengreifer“ gesprochen, der aber durch die Beschr.
Sp. 5, Z. 26 bis 33 und Sp. 6, Z. 65 bis Sp. 7, Z. 1 i: V. m. Fig. 2 bis 4 hier vom
Fachmann mitgelesen wird, da nur mit einem „Sauggreifer“ eine Entnahme
mehrerer hintereinanderliegender gleichgroßer Waren von vorne nicht möglich ist.
Auch die Schrift D1 zeigt eine automatisierte Lagervorrichtung mit Regalböden
und einem Regalbediengerät auf. Dort werden im Wareneingang als Schüttgut
ausgeschüttete Artikel maschinell ausgerichtet und dann durch eine geeignete
Maschine ausgerichtet zu Säulen (Stapeln) geordnet und in einen Zwischenpuffer
als Zwischenspeicher gefördert (Sp. 14, Z. 5 bis 10).
Diese Stapel können dann vom Regalbediengerät entnommen und im Vorrats-
regal eingelagert werden. Damit sind aus dieser Schrift die Merkmale d, d1 und d2
zumindest nahegelegt.
Die Internetpräsentation D7 zeigt die Merkmale des Anspruchs 1 für das Um- und
Auslagern von Waren unmittelbar auf. Darüber hinaus zeigt dieser Film auch, wie
beim Umlagern und Auslagern von Waren zumindest zum Teil gruppenweise in
Querrichtung hintereinander im Lagerregal angeordnete Waren mit dem Greifer
gepackt und auf das Regalbediengerät gezogen und von dort entweder an einer
anderen Stelle im Regal wieder eingelagert werden (Umlagerung) oder teilweise in
den Auswurfschacht geworfen werden (Auslagerung).
Damit ist für den Fachmann das beanspruchte Verfahren für eine automatisierte
Lagerungsvorrichtung durch die Internetpräsentation D7 auch für das Neuein-
lagern hintereinanderliegender gleichgroßer Waren nahegelegt.
- 16 -
Somit ist der Anspruch 1 nach Hauptantrag gegenüber einer fachmännischen
Kombination der D6 mit der D1 bzw. gegenüber der D7 in Kombination mit dem
Wissen und Können des Fachmanns nicht rechtsbeständig.
Die erfinderische Tätigkeit beim Vorrichtungsanspruch 8 nach Hauptantrag
braucht hier nicht abgehandelt zu werden, da ein Antrag immer als Ganzes
beurteilt wird und mit der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 nach
Hauptantrag auch die weiteren Ansprüche 2 bis 15 nach Hauptantrag fallen.
5.3
Erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit beim Verfah-
rensanspruch 1 und Vorrichtungsanspruch 6 nach Hilfsantrag
Die offensichtlich gewerblich anwendbaren Gegenstände der geltenden Patentan-
sprüche 1 und 6 nach Hilfsantrag beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit,
da sich die Gegenstände dieser Patentansprüche für den Fachmann aus dem
Stand der Technik nicht in naheliegender Weise ergeben.
Aus dem Internetauftritt der Fa. Apostore GmbH (D13) mögen die Merkmale 1, 1a,
1b und 1c, also der Oberbegriff des geltenden Anspruchs 1 bekannt sein:
Dabei gliedert sich in Übereinstimmung mit der Auffassung der Patentabteilung die
lnternetpräsentation D13 in Verbindung mit den davon gemachten Ausdrucken in
fünf Kapitel:
1) Medikamenteneinlagerung
2) In den Automaten
3) Die Greifarme des Automaten
4) Das Stauband
5) Die Auslagerung
Die in den Kapiteln 1) bis 3) gezeigte Einlagerung einer neuen Ware durch eines
der beiden Regalbediengeräte in einen Regalboden mittels eines Backengreifers
entspricht den Merkmalen 1 bis 1b.
- 17 -
Die Anordnungen der Packungen werden dann auf dem Stauband als Zwi-
schenspeicher (Merkmal 1c), vgl. Kapitel 4, vom Einlagerungsband mittels eines
Backengreifers (Kapitel 2) einzeln nacheinander und nicht in Gruppen quer zur
Längsrichtung des Bandes geordnet abgelegt. Im weiteren Verlauf der Video-
darstellung nimmt das Regalbediengerät einzelne Packungen unterschiedlicher
Größe mit seinem Backengreifer vom Stauband auf, um sie einzeln in die Kanäle
auf dem Regalboden des Lagerregals einzulagern.
Im letzten Kapitel "Die Auslagerung" wird als erstes ein Auslagerungsvorgang
einer auf einem Regalboden eingelagerten Packung durch das Regalbediengerät
bis zur Ausgabeöffnung gezeigt. Anschließend fährt das Regalbediengerät einen
Kanal auf einem anderen Regalboden mit bereits eingelagerten Packungen an,
entnimmt gleichzeitig alle 3 Packungen aus dem Kanal, und legt die vorderste
(letzte des Kanals) davon in der Ausgabeöffnung ab. Mit den verbleibenden
Packungen auf einem Boden des Regalbediengerätes begibt sich dieses dann zu
einem leeren Bereich eines weiteren Regalbodens, wo diese noch umzulagernden
Packungen in einem einmaligen Vorgang auf dem Regalboden abgelegt werden.
Davon unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch die
Merkmale 1d, 1d1 und 1d2, nämlich dass zumindest ein Teil der neu einzu-
lagernden Waren in der Weise in dem Zwischenspeicher jeweils in einem
virtuellen Kanal geordnet abgelegt wird, dass jeweils mit einem einzigen Zugriff
gleichzeitig mehrere dieser Waren hintereinander liegend von dem mindestens
einen Regalbediengerät aufnehmbar und mit einem einzigen Ablagevorgang in
jeweils einen der virtuellen Kanäle auf den Regalböden einlagerbar sind.
Dazu werden gemäß der Beschreibung an der Übergabevorrichtung 4 durch den
Bandförderer 8 einzeln aufgenommen und auf den im Übernahmebereich stehen-
den Übergabetisch 5a, b bzw. dem Zwischenspeicher 15 in definierter Zwischen-
ablageposition, also bspw. auch mehrere Waren hintereinander, abgelegt, vgl. PS,
Abs. 0032, letzte 11 Zeilen auf S. 5 bis Z. 4 auf S. 6 i. V. m. Fig. 1 und 2. Diese
- 18 -
Vorgehensweise für die neu einzulagernden Waren ist aus dem im Verfahren
befindlichen Stand der Technik nicht bekannt.
Die Druckschrift D1 zeigt eine Kommissionieranlage, nach deren Figuren 3 und 4
sowie 6 und 9 in Verbindung mit Spalte 9, Zeile 9 bis Spalte 10, Zeile 10 der
Beschreibung, ein Regalbediengerät zum Einlagern von neuen Waren in Artikel-
kanäle, wobei ein Stapelgreifer einen mehrfach vorsortierten und umgelagerten
Warenstapel aufnimmt und die neu einzulagernden Waren einzeln in Kanäle eines
Regalbodens durch Auswurf übergibt.
Damit sind jedoch nur einzelne Merkmale des Oberbegriffs des Verfahrensan-
spruchs 1 und des Vorrichtungsanspruchs 6 daraus bekannt und die dem Patent
zugrundliegende Lehre kann dieser Druckschrift weder allein, noch in Kombination
mit anderen Schriften entnommen werden.
Auch wenn sich das gemeinsame Greifen mehrerer gleichgroßer Packungen
beispielsweise aufgrund der Abmessungen des Greifers (der ja mindestens so
groß wie die Regaltiefe sein muss) oder des Grundwissens des Fachmanns
ergäbe, so wird durch die Kombination der Merkmale 1d bis 1f des Anspruchs 1,
betreffend die Anordnung in Tannenbaum-Struktur bei ungleich breiten Packun-
gen, eine sichere Funktion des Verfahrens nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag
gewährleistet, die in dieser Form durch den Stand der Technik auch in Kom-
bination mit dem Wissen des Fachmanns weder bekannt noch nahegelegt ist.
Das Gleiche gilt für die Merkmale 6h, 6h1 und 6h2 des Anspruchs 6 i. V. m. den
Merkmalen 6i und 6j, die die dazugehörende Vorrichtung beschreiben, die die
Ablage mehrerer neu einzulagernder Waren auch schon zumindest zum Teil
gruppenweise in Querrichtung hintereinander in Tannenbaum-Struktur angeordnet
bereits auf dem Übergabetisch 5a, 5b bzw. dem Zwischenspeicher 15 erlaubt (PS,
Sp. 4 ab Z. 14 i. V. m. Fig. 5).
- 19 -
Aus dem Stand der Technik, insbes. der D13 und D14 mögen analog zu den
Ausführungen zum geltenden Anspruch 1 die Merkmale von 6a bis 6g ein-
schließlich der Übergabevorrichtung, die steuerungstechnisch mit der Steuer-
einheit verbunden und von der Steuereinheit führbar ist, bekannt sein.
Jedoch fehlt auch bei diesem Stand der Technik sowohl einzeln wie in
Kombination betrachtet, ein Hinweis oder eine Anregung dahingehend, diese
Vorrichtung, insbesondere die Übergabevorrichtung und den Zwischenspeicher,
so auszubilden, dass er im Sinne der Merkmale 6h bis 6j, die sich auf die neu
einzulagernden Packungen beziehen, eingesetzt werden könnte.
Ein Hinweis oder eine Anregung auf die Anwendung der aus dem Anspruch 6
nach Hilfsantrag gelehrten vorteilhaften Kombination der Merkmale, zumindest
teilweise schon bei der Neueinlagerung eine Anordnung der Verpackungen durch
die Übergabeeinrichtung 4 als "Gruppe" in Querrichtung hintereinander auf den
Zwischenspeichern (Übergabetische) 5a bzw. 5b vorzunehmen ist, ist somit auch
diesen Dokumenten nicht entnehmbar.
Auch die restlichen Druckschriften geben weder für sich allein gesehen noch in
beliebiger Kombination untereinander oder mit den vorstehend behandelten Ent-
gegenhaltungen ein Vorbild oder eine Anregung für die erfindungsgemäße
Lagervorrichtung nach dem geltenden Anspruch 6 nach Hilfsantrag.
Die weiteren im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen liegen bezüglich der
erfinderischen Tätigkeit weiter ab und haben deshalb zu Recht auch in der
mündlichen Verhandlung keine Rolle mehr gespielt.
Der geltende Verfahrensanspruch 1 und der Vorrichtungsanspruch 6, jeweils nach
Hilfsantrag, sind deshalb rechtsbeständig.
- 20 -
6)
Zu den Unteransprüchen
Die Ansprüche 2 bis 5 und 7 bis 15 enthalten zweckmäßige, jedoch nicht selbst-
verständliche Ausgestaltungen der gewährbaren Lehre der sie tragenden An-
sprüche 1 und 6. Diese Ansprüche sind auf die Patentansprüche 1 und 6 direkt
oder indirekt rückbezogen und haben daher auch mit deren Rechtsbeständigkeit
Bestand.
Das Patent ist daher in der Fassung gemäß dem geltenden Hilfsantrag beschränkt
aufrechtzuerhalten und die weitergehende Beschwerde der Beschwerdeführerin
zurückzuweisen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder
stillschweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
- 21 -
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt zu
unterzeichnen und beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe,
einzureichen. Die Frist ist nur gewahrt, wenn die Rechtsbeschwerde vor Frist-
ablauf beim Bundesgerichtshof eingeht. Die Frist kann nicht verlängert werden.
Ganzenmüller
Bayer
Schlenk
Dr. Krüger
Me