Urteil des BPatG vom 20.01.2015

Stand der Technik, Patent, Öffentlichkeit, Stillschweigend

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
12 W (pat) 11/14
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2011 014 744.6
hat der 12. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
20. Januar 2015
unter
Mitwirkung
des
Vorsitzenden
Richters
Dipl.-Ing. Schneider, der Richterin Bayer sowie der Richter Dr.-Ing. Krüger und
Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Ausfelder
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beschlossen:
Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F01L des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 27. August 2012 wird aufgehoben
und
das
Patent
10 2011 014 744
mit
der
Bezeichnung
„Mechanisch steuerbarer Ventiltrieb sowie mechanisch steuerbare
Ventiltriebanordnung“ mit folgenden Unterlagen erteilt:
Patentansprüche 1 bis 11,
Beschreibung, Seiten 1 bis 12, und
Zeichnungen, Figuren 1, 2a, 2b, 3a, 3b und 4a bis 4d,
gemäß Eingabe vom 9. Dezember 2014.
G r ü n d e
I.
Die Beschwerdeführerin ist Anmelderin der am 22. März 2011 beim Deutschen
Patent- und Markenamt eingegangenen Patentanmeldung mit der Bezeichnung:
„Mechanisch steuerbarer Ventiltrieb sowie mechanisch steuerbare Ventiltrieb-
anordnung“.
Mit Beschluss vom 27. August 2012 hat die Prüfungsstelle für Klasse F01L die
Anmeldung zurückgewiesen und dabei zur Begründung angegeben, die Gegen-
stände der Ansprüche 1 und 11 seien nicht neu.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 24. September 2012 eingelegte
Beschwerde der Anmelderin.
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Die Anmelderin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F01L des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 27. August 2012 aufzuheben und
das Patent 10 2011 014
744 mit der Bezeichnung „Mechanisch
steuerbarer Ventiltrieb sowie mechanisch steuerbare Ventiltrieban-
ordnung“ mit den im Beschlusstenor genannten Unterlagen zu
erteilen.
Der geltende Anspruch 1 lautet:
Mechanisch steuerbarer Ventiltrieb mit einem Gaswechselventil
(12), auf das direkt oder indirekt eine Übertragungsanordnung
mittels einer Arbeitskontur (62; 92) angreift, wobei die Über-
tragungsanordnung im Zylinderkopf mittels Lagermittel beweglich
gelagert ist und wobei die Übertragungsanordnung mit einer
Ventilhubverstelleinrichtung und einer Nockenwelle (46) in Wirk-
verbindung steht, wobei die Ventilhubverstelleinrichtung eine dreh-
bare Verstellwelle (35) aufweist, derart, dass verschiedene Maxi-
malhübe einstellbar sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
erstes und ein zweites Radorgan (40, 42) aufweist, wobei das
erste Radorgan (40) mit der Nockenwelle (46) in Wirkverbindung
steht und das zweite Radorgan (42) direkt oder indirekt auf das
Gaswechselventils (12) einwirkt, wobei beide Radorgane (40, 42)
auf der Verstellwelle (35) drehbar gelagert sind und eine Ver-
zahnung aufweisen, derart, dass das erste und das zweite
Radorgan (40, 42) derart getrieblich über mindestens ein Pla-
netenrad (54) oder über zwei Stirnzahnräder (78, 80) miteinander
verbunden sind, dass ein Drehen der Verstellwelle (35) eine
Phasenverschiebung zwischen dem ersten und dem zweiten
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Radorgan (40, 42) bewirkt und dass eine rotatorische Fixierung
eine oszillierende Bewegung des ersten und zweiten Radorgans
(40, 42) bewirkt.
Der geltende Anspruch 11 lautet:
Mechanisch steuerbare Ventiltriebanordnung mit mehreren in
Reihe angeordneten Gaswechselventilen, die einer Anzahl Zy-
dadurch gekennzeichnet, dass
Zylinder ein mechanisch steuerbarer Ventiltrieb nach einem der
Ansprüche 1-10 zugeordnet ist, wobei jedem Gaswechselventil
jeweils eine Arbeitskontur zugeordnet ist, die direkt oder indirekt
auf das Gaswechselventil einwirkt.
Die Ansprüche 2 bis 10 sind direkt bzw. indirekt auf den Anspruch 1 rück-
bezogen.
Im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt sind als Stand der
Technik die folgenden Druckschriften berücksichtigt worden:
D1)
EP 2 322 771 A1
D2)
DE 10 2009 007 454 A1
D3)
DE 102 35 677 B4
D4)
DE 698 12 839 T2
In der Anmeldung wurden genannt:
VAG1)
EP 638 706 A1
VAG2)
DE 10 2004 003 324 A1
VAG3)
EP 1 760 278 A2
- 5 -
Wegen des Wortlauts der rückbezogenen Ansprüche und wegen weiterer Ein-
zelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1) Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt auch zum Erfolg, da der Gegenstand
des nunmehr geltenden Anspruchs 1 sich als patentfähig erweist (§§ 1-5, 49
PatG).
2) Die Anmeldung betrifft einen mechanisch steuerbaren Ventiltrieb sowie eine
mechanisch steuerbare Ventiltriebanordnung. Als Fachmann zuständig ist dafür
ein Maschinenbauingenieur der Fachrichtung Verbrennungskraftmaschinen mit
Erfahrung im Bereich der Entwicklung und Konstruktion von verstellbaren Ven-
tiltrieben.
3) Die geltenden Ansprüche sind zulässig. Sie stimmen mit den ursprünglichen
Ansprüchen inhaltlich überein bis auf die im Anspruch 1 vorgenommene Ein-
fügung, dass das erste und das zweite Radorgan (40, 42) nicht in beliebiger
Weise getrieblich miteinander verbunden sind, sondern über mindestens ein
Planetenrad oder über zwei Stirnzahnräder. Diese Merkmale ergeben sich aus
der ursprünglichen Beschreibung, Seite 3, zweiter und dritter Absatz.
4) Der Gegenstand des nunmehr geltenden Anspruchs 1 ist neu und beruht auch
auf erfinderischer Tätigkeit (§ 3, 4 PatG).
Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften offenbart einen mechanisch
steuerbaren Ventiltrieb mit einer Übertragungsanordnung mit einem ersten und
zweiten Radorgan, die über die weiteren Angaben des Anspruchs 1 hinaus-
gehend auch noch über mindestens ein Planetenrad oder über zwei
Stirnzahnräder getrieblich miteinander verbunden sind.
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Die D1, siehe insbesondere die Figur 2, offenbart einen mechanisch steuerbaren
Ventiltrieb mit einem ersten Radorgan 31 und einem zweiten Radorgan 23B, die
den Angaben des kennzeichnenden Teils des ursprünglichen Anspruchs 1
entsprechen.
Diese sind jedoch über ihre Verzahnungen 37B bzw. 27B direkt getrieblich
miteinander verbunden, nicht dagegen über mindestens ein Planetenrad oder
über zwei Stirnzahnräder entsprechend dem geltenden Anspruch 1.
Der Inhalt der D1 ist nur bei der Prüfung des Gegenstands der vorliegenden
Anmeldung auf Neuheit zu berücksichtigen, weil sie auf eine europäische
Patentanmeldung mit älterem Zeitrang zurückgeht, die erst nach dem An-
meldetag der vorliegenden Anmeldung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
wurde.
Die D4, siehe insbesondere die Figur 1, offenbart einen weiteren mechanisch
steuerbaren Ventiltrieb. Dabei kann dahinstehen, ob es naheliegend war, wie von
der Prüfungsstelle im Erstbescheid vom 1. März 2012 angegeben, das Hohl-
rad 39 mit dem Gaswechselventil VI statt mit der Verstelleinrichtung 51 zu
verbinden und umgekehrt das Sonnenrad 41 mit der Verstelleinrichtung 51 statt
mit dem Gaswechselventil VI, und ob ein so entstandener Ventiltrieb dem
ursprünglichen Anspruch 1 entsprochen hätte. Denn weder der in D4 offenbarte
Ventiltrieb noch der Ventiltrieb, der durch Austauschen der Funktion von
Hohlrad 39 und Sonnenrad 41 entstanden wäre, weisen das Merkmal des
nunmehr geltenden Anspruchs 1 auf, dass das erste Radorgan, hier eines der
Planetenräder 40, und das zweite Radorgan, hier das Sonnenrand 41 - bzw.
nach Austauschen der Funktion von Hohlrad 39 und Sonnenrad 41 dann das
Hohlrad 39 - über mindestens ein Planetenrad oder über zwei Stirnzahnräder
getrieblich miteinander verbunden sind. Zu einer solchen Verbindung ist auch
weder ein Anlass noch eine Anregung erkennbar.
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Die Druckschriften VAG1 und VAG3 betreffen mechanisch steuerbare Ventil-
triebe mit Übertragungsanordnungen, die kein erstes und zweites Radorgan
entsprechend dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 aufweisen. D2, D3
und VAG2 liegen weiter ab, sie offenbaren keine mechanisch steuerbaren
Ventiltriebe.
Auch in beliebiger Zusammenschau können daher die D2 bis D4 und VAG1 bis
VAG3 einen mechanisch steuerbaren Ventiltrieb entsprechend dem nunmehr
geltenden Anspruch 1 nicht nahelegen.
5) Der auf eine Ventiltriebanordnung gerichtete Anspruch 11 ist auf den
Anspruch 1 rückbezogen. Die Unteransprüche 2 bis 10 betreffen zweckmäßige
Ausgestaltungen des Ventiltriebs nach Anspruch 1. Diese Ansprüche sind daher
ebenfalls gewährbar.
III.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde
nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder
stillschweigend zugestimmt hat,
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5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch
einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten
schriftlich einzulegen.
Schneider
Bayer
Krüger
Ausfelder
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