Urteil des BPatG vom 16.07.2015

Aluminium, Patentanspruch, Materialien, Reduktion

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
11 W (pat) 32/09
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
- 2 -
betreffend das Patent 198 48 954
hat der 11. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 16. Juli 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-Ing. Höchst sowie der Richter v. Zglinitzki, Dr.-Ing. Fritze und Dipl.-Ing.
(Univ.) Fetterroll
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Auf die am 23. Oktober 1998 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter Inan-
spruchnahme der inneren Priorität (Az.: 197 48 482.4) vom 3. November 1997
eingereichte Patentanmeldung ist die Erteilung des Patents 198 48 954 mit der
Bezeichnung
„Schutzgas zum WIG-Schweißen sowie Verfahren und Verwendung dafür“
am 30. April 2008 veröffentlicht worden.
Gegen das Patent ist ein Einspruch erhoben worden, worauf die Patentabtei-
lung 55 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent durch Beschluss vom
5. Mai 2009 widerrufen hat. Die Patentabteilung hat ihre Entscheidung damit be-
gründet, dass die beanspruchten Gegenstände sich für einen Fachmann in nahe-
liegender
Weise
aus
einer
Zusammenschau
der
Offenlegungsschrift
DE 24 51 591
A1 (im Folgenden als D1 bezeichnet) und dem Aufsatz „GTAW and
- 3 -
GMAW of Stainless Steel Shielding Gases
– Choice and Effects of“ von Grund-
mann J. und Mahoney T., veröffentlicht im Tagungsband IIW Asian Pacific
Welding Congress, 4-9 February 1996, Auckland, New Zealand, Vol. 1, ISBN
0-908694-32-6, S. 379-387 (im Folgenden D2 bezeichnet) sowie dem Fachwissen
ergeben.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie
verteidigt ihr Patent in beschränkter Fassung. Sie vertritt die Auffassung, dass die
von ihr eingereichten Unterlagen jeweils zulässig seien und die ihnen zugrunde
liegenden Gegenstände patentfähig seien.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den angegriffenen Beschluss des Patentamts aufzuheben und das
Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 7 nach Hauptantrag vom
15. Oktober 2012, eingegangen am 16. November 2012,
hilfsweise
mit den jeweiligen Patentansprüchen nach den Hilfsanträgen 1 bis
5 vom 15. Oktober 2012, eingegangen am 16. November 2012, in
ihrer Reihenfolge,
sowie mit der Beschreibung gemäß Patentschrift, jedoch in der
nach Hauptantrag und Hilfsanträgen jeweils angepassten Fassung
der Absätze 4 bis 8 vom 15. Oktober 2012, eingegangen am
16. November 2012,
beschränkt aufrechtzuerhalten.
- 4 -
Die Einsprechende beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
„Schutzgas zum WIG-Schweißen von Metallen, die in der Wär-
meleitfähigkeit unter Aluminium liegen, insbesondere hochlegierte
und niedrig legierten Stähle, bestehend aus Argon, 0,15 bis
1,5 Vol.-% Wasserstoff und 0,5 bis 5 Vol.-
% Helium.“
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet:
„Schutzgas zum WIG-Schweißen von Metallen, die in der Wär-
meleitfähigkeit unter Aluminium liegen, insbesondere hochlegierte
und niedrig legierten Stähle, bestehend aus Argon, 0,15 bis
1,5 Vol.-% Wasserstoff und 0,8 bis 5 Vol.-
% Helium.“
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet:
„Schutzgas zum WIG-Schweißen von Metallen, die in der Wär-
meleitfähigkeit unter Aluminium liegen, insbesondere hochlegierte
und niedrig legierten Stähle, bestehend aus Argon, 0,15 bis
1,5 Vol.-% Wasserstoff und 0,5 bis 3,5 Vol.-
% Helium.“
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 lautet:
„Schutzgas zum WIG-Schweißen von Metallen, die in der Wär-
meleitfähigkeit unter Aluminium liegen, insbesondere hochlegierte
und niedrig legierten Stähle, bestehend aus Argon, 0,15 bis
1,5 Vol.-% Wasserstoff und 1,2 bis 3,5 Vol.-
% Helium.“
- 5 -
Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 lautet:
„Schutzgas zum WIG-Schweißen von Metallen, die in der Wär-
meleitfähigkeit unter Aluminium liegen, insbesondere hochlegierte
und niedrig legierten Stähle, bestehend aus Argon, 0,35 bis
1,5 Vol.-% Wasserstoff und 1,2 bis 3,5 Vol.-
% Helium.“
Vorstehenden Patentansprüchen schließen sich rückbezogen jeweils Unteran-
sprüche 1 bis 5 sowie die folgenden nebengeordneten Patentansprüche 6 und 7
an.
„6. Verfahren zum WIG-Schweißen mit einem Schutzgas aus Ar-
gon, dadurch gekennzeichnet, dass unter Schutzgas nach An-
spruch 1 bis 5 gearbeitet wird.
7. Verwendung eines Schutzgases nach Anspruch 1 bis 5 zum
WIG-Schweißen von Metallen mit einer Wärmeleitfähigkeit unter
Aluminium.“
Der einzige Patentanspruch nach Hilfsantrag 5 lautet:
„Verwendung eines Schutzgases bestehend aus Argon, 0,15 bis
1,5 Vol.-% Wasserstoff und 1,2 bis 3,5 Vol.-% Helium zum WIG-
Schweißen von Metallen mit einer Wärmeleitfähigkeit unter Alumi-
nium.“
Mit Ladung zur mündlichen Verhandlung hat der Senat auf die Norm DIN EN 439
„Schutzgase zum Lichtbogenschweißen und Schneiden“, Ausgabe 1995 (D3) hin-
gewiesen, worauf die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhand-
lung zurückgenommen und Entscheidung nach Lage der Akten beantragt hat.
- 6 -
Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Akten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Patent erweist sich auch in den
beschränkt verteidigten Fassungen als nicht rechtsbeständig.
1.
Das angegriffene Patent betrifft ein Schutzgas zum WIG-Schweißen von
Metallen mit Argon als Hauptgaskomponente sowie ein entsprechendes Verfahren
und eine entsprechende Verwendung.
In der Beschreibung wird ausgeführt, dass das WIG-Schweißen von Metallen mit
einer Wärmeleitfähigkeit unterhalb von Aluminium mit Argon als Schutzgas be-
kannt sei. Um die Schweißleistungen zu verbessern, würden dem Argon häufig
auch andere Gase wie Wasserstoff (2 bis 10 Vol.-%) und Helium (4 Vol.-%) bei-
gemischt (Phelps M.: How shielding gases are made. In: Welding & Metal Fabri-
cation, March 1993, S. 95-98, D4). Mit den bekannten Schutzgasen träten jedoch
einige Probleme auf.
Aufgabe des angegriffenen Patents soll sein, ein Schutzgas, ein Verfahren und
eine entsprechende Verwendung zu schaffen, mit dem eine verbesserte
Leistungsfähigkeit beim WIG-Schweißen bei beizuhaltender Zwangslageneignung
ermöglicht wird.
Der mit der Lösung dieser Aufgabe beauftragte Fachmann ist vorliegend ein
Schweißfachingenieur mit einer mehrjährigen Berufserfahrung auf dem Gebiet des
WIG-Schweißens.
2.
Die Zulässigkeit der Patentansprüche in den jeweils geltenden Fassungen
wird unterstellt. Das jeweils beanspruchte Schutzgas, seine Verwendung und die
- 7 -
Verfahren zum WIG-Schweißen sind zweifellos gewerblich anwendbar. Auch die
Neuheit der beanspruchten Schutzgase, Verwendungen und Verfahren wird un-
terstellt, sie beruhen jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Zum Zeitpunkt der Anmeldung waren reduzierende Schutzgasmischungen zum
WIG-Schweißen genormt (vgl. D3, Schutzgas Gruppe R1, Tabelle 2 i. V. m. Ta-
belle 3), bei denen sich die angegebenen Konzentrationsbereiche der Gaskompo-
nenten (> 0 bis 33 Vol. % He, > 0 bis 15 Vol. % H2 und Rest Argon) mit den im
jeweiligen Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 5
überschneiden. Nicht ausdrücklich genannt ist die Eignung dieser Schutzgase für
das WIG-Schweißen bestimmter Materialien.
Zum Grundlagenwissen des Fachmanns gehört, dass dem Argon beim WIG-
Schweißen (wg. der Wolframelektrode) nur reduzierende Gase zugesetzt werden
dürfen, so dass die Wahl der Gaskomponenten limitiert ist auf eine Mischung aus
Ar, He und H2 (vgl. z. B. D2, S. 382, 3.6 GTAW). Unter Abschnitt 4. (Seite 383,
untere Hälfte und Übergang zur Seite 384) wird die Verwendung entsprechender
Schutzgasmischungen für das WIG-Schweißen rostfreier Stähle, also hochlegier-
ter austenitischer Stähle vorgeschlagen. Diese Stähle sind für ihre inhärente
Stoffeigenschaft mit einer schlechten unter der von Aluminium liegenden Wärme-
leitfähigkeit bekannt. Die Schutzgasmischung soll die Eindringtiefe und die
Schweißgeschwindigkeit erhöhen.
Wasserstoff wird dem Schutzgas als geeignetes Mittel zur Reduktion von Oxiden
in der Schweißnaht beigemischt, trägt zur Verbesserung der Spaltüberbrückbar-
keit und zu einem guten Aussehen der Schweißnaht bei (vgl. auch Abschnitt 3.4
der D2). Für Wasserstoff wird im Hinblick auf zur Wasserstoffversprödung nei-
gende Verbindungen (z. B. um Poren- und Rissbildung bei martensitischen Mate-
rialien zu vermeiden) ein Wert von unter 3 Vol.-% als sinnvoll erachtet.
- 8 -
Im Übrigen überschneidet sich der vom Patent verlangte Wasserstoffanteil zwi-
schen 0,15 und 1,5 Vol.-% großenteils mit dem aus Druckschrift D1 bekannten
Bereich für ein Argon-Helium-Wasserstoff- Schutzgasgemisch. Danach müssen
0,1 bis 1,0 Vol.-% Wasserstoff enthalten sein, um eine Oxidbildung an der
Wolframelektrode zu unterbinden. Andererseits muss der Wasserstoffanteil so
gering gehalten werden, um das Schweißergebnis nicht zu beeinträchtigen (vgl.
ersten und letzten Absatz der Beschreibung).
Die Beimischung von Helium erhöht noch das Anfließverhalten, die Lichtbogen-
stabilität und
–temperatur sowie den Energieeintrag (vgl. D2 a. a. O., Abschnitt 3.3
und D4, Seite 98, ersten beiden Absätze). Auch die Dünnflüssigkeit des Schweiß-
bads wird erhöht, was zu einer schlechteren Zwangslageneignung (all position
welding) führt. Als Kompromisslösung werden Konzentrationen zwischen 5 und
10 Vol.-% Helium genannt, wobei höhere und niedrigere Werte nicht ausgeschlos-
sen werden.
Mit Blick auf das bestehende Problem, die Zwangslageneignung des Schweiß-
verfahrens zu gewährleisten, ist nun lediglich noch ein Parameter, nämlich der
Heliumanteil zu variieren. Die D2 gibt
– entgegen der Auffassung der Beschwer-
deführerin - keinen Weg vor, von dem der Fachmann abweichen müsste, sondern
vielmehr den Hinweis, eine Kompromisslösung zu suchen. Sollten sich die in der
D2 vorgeschlagenen Schweißgaszusammensetzungen hinsichtlich der Zwangsla-
geneignung als nicht befriedigende Lösung herausstellen, wird der Fachmann zur
Vermeidung der Schwachstelle auch die Änderung des Mischungsverhältnisses
der Komponenten in Betracht ziehen. Hierzu drängt es sich dem Fachmann gera-
dezu auf, die Dünnflüssigkeit des Schweißbades durch ein (weiteres) Absenken
des Heliumanteils in der Gasmischung zu beeinflussen. Ein weiterer Anlass, das
Augenmerk auf den Heliumanteil zu richten und diesen so weit wie möglich herab-
zusetzen, ist schon aus ökonomischen Gründen gegeben, da Helium deren teu-
erster Bestandteil ist. Zu den in den Patentansprüchen sämtlicher Anträge gefor-
derten Konzentrationsbereichen für das Helium vermag ein Fachmann ausgehend
- 9 -
von den in der Druckschrift D2 genannten Werten bereits durch systematische
Versuche zu gelangen. Dieses Vorgehen ist üblich und erfordert kein erfinderi-
sches Zutun.
Die in den Patentansprüchen geforderten Schutzgasmischungen sind demnach
das Ergebnis eines typischen, vom Fachmann routinemäßig zu lösenden Optimie-
rungsproblems.
Die Unteransprüche teilen in der Antragsgesamtheit das Rechtsschicksal des je-
weiligen Anspruchs 1. Sie betreffen davon abgesehen ebenfalls keine eigenstän-
dig patentfähigen Gegenstände. Dies gilt ebenso für die auf das Verfahren und die
Verwendung gerichteten Ansprüche 6 und 7 nach dem Hauptantrag und den
Hilfsanträgen 1 bis 4 bzw. die Verwendung gemäß dem einzigen Anspruch nach
dem Hilfsantrag 5. Diese sind dem Fachmann aus der Druckschrift D2, Ab-
schnitt 4.1 nahegelegt.
III.
Rechtsmittelbelehrung
Dieser Beschluss kann mit der Rechtsbeschwerde nur dann angefochten werden,
wenn einer der in § 100 Absatz 3 PatG aufgeführten Mängel des Verfahrens ge-
rügt wird. Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung die-
ses Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe,
durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmäch-
tigten schriftlich einzulegen.
Dr. Höchst
v. Zglinitzki
Dr. Fritze
Fetterroll
Bb