Urteil des BPatG vom 13.10.2015

Stand der Technik, Neuheit, Patentanspruch, Wasser

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 94/14
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2010 061 554.4
der
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hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) in der Sitzung vom
13. Oktober 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Lischke
sowie der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt, Eisenrauch und Dipl.-Ing. Richter
beschlossen:
Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse E03F des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 15. Januar 2013 wird aufgehoben
und das Patent mit den ursprünglichen Unterlagen gemäß Offen-
legungsschrift DE 10 2010 061 554 A1 erteilt.
G r ü n d e
I.
Die Erfindung wurde am 23. Dezember 2010 beim Deutschen Patent- und Mar-
kenamt unter dem Aktenzeichen 10 2010 061 554.4 angemeldet.
l
Anmeldung zurückgewiesen, da ihr Gegenstand gegenüber dem Inhalt der
DE 298 08 197 U1 (Druckschrift E1) nicht neu sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom
15. Februar 2013. Sie führt aus, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ge-
genüber dem aufgezeigten Stand der Technik patentfähig sei.
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Auf einen verfahrensleitenden Zwischenbescheid des Senats hin hat die Anmelde-
rin mit Schriftsatz vom 29. April 2015 Stellung genommen und beantragt,
den angefochtenen Beschluss der Prüfungsstelle aufzuheben und
ein Patent mit den ursprünglichen Patentansprüchen (Hauptan-
trag),
hilfsweise mit den Patentansprüchen nach einem der Hilfsan-
träge I bis X vom 29. April 2015 (in aufsteigender Rangfolge) zu
erteilen.
Die Anmeldung umfasst gemäß Hauptantrag 13 Patentansprüche, welche wie
folgt lauten:
„1. Muldensystem (1) zum Abführen von Wasser im Straßen- und
Wegebau, zur Hofentwässerung und dergleichen, mit einem Rin-
nenkörper (10) und wenigstens einer Abdeckeinheit (11) zur ober-
seitigen Abdeckung des Rinnenkörpers (10), wobei die Abdeck-
einheit (11) einen Rahmen (12) und ein Abdeckelement (13) auf-
weist,
dass der Rahmen (12) Umgriffe (14) aufweist, mit denen der
Rahmen (12) auf Seitenwände (15) des Rinnenkörpers (10) auf-
setzbar ist und die die Seitenwände (15) wenigstens oberseitig
umschließen und wobei
der Rahmen (12) in den Umgriffen (14) angeordnete Zapfen (16)
aufweist, die in Zapfenaufnahmen (17) einsetzbar sind, welche
oberseitig in den Seitenwänden (15) eingebracht sind.
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2. Muldensystem (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
dass zur Verbindung des Rahmens (12) mit dem Rinnenkörper
(10) Klammerelemente (18) vorgesehen sind.
3. Muldensystem (1) nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet,
dass der Rahmen (12) fensterartige Aussparungen (19) aufweist,
durch die und/oder in die die Klammerelemente (18) einsetzbar
sind, insbesondere seitlich zuführbar und einsetzbar sind.
4. Muldensystem (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch
gekennzeichnet, dass die Klammerelemente (18) eine C-förmige
Grundform aufweisen und vorzugsweise selbsthaltend am Rah-
men (12) und am Rinnenkörper (10) anordbar sind, wobei die
Klammerelemente (18) insbesondere aus einem Federstahl aus-
gebildet sind.
5. Muldensystem (1) nach einem der vorgenannten Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass die Seitenwände (15) einen ober-
seitigen Kragenabschnitt (20) aufweisen und dass der Rahmen
(12) einen Auflageabschnitt (21) aufweist, mit dem der Rahmen
(12) auf dem Kragenabschnitt (20) auflegbar ist, wobei die Klam-
merelemente (18) beide Abschnitte (20, 21) durch die C-förmige
Grundform umschließen.
6. Muldensystem (1) nach einem der vorgenannten Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass der Rahmen (12) rechteckförmig
ausgebildet ist und vier Zapfen (16) und vier Aussparungen (19)
aufweist, wobei die Zapfen (16) und die Aussparungen (19) vor-
zugsweise in den Ecken oder angrenzend an die Ecken des
rechteckförmigen Rahmens (12) eingebracht sind.
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7. Muldensystem (1) nach einem der vorgenannten Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass das Abdeckelement (13) in einer
gelenkigen Anordnung drehbar am Rahmen (12) angeordnet ist.
8. Muldensystem (1) nach einem der vorgenannten Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass der Rahmen (12) Aufnahmekulis-
sen (22) aufweist, in die am Abdeckelement (13) angeordnete
Gelenkanformungen (23) einsetzbar sind, um die gelenkige An-
ordnung des Abdeckelementes (13) am Rahmen (12) zu bilden.
9. Muldensystem (1) nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet,
dass die Aufnahmekulisse (22) und/oder die Gelenkanformung
(23) derart ausgebildet sind, dass das Abdeckelement (13) vom
Rahmen (12) entnehmbar ist und insbesondere dass das Abde-
ckelement (13) in eine selbsthaltend geöffnete Anordnung am
Rahmen (12) bringbar ist.
10. Muldensystem (1) nach einem der vorgenannten Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass zwischen dem Rahmen (12) und
dem Abdeckelement (13) ein Verschlussmittel (24) angeordnet ist,
wobei das Verschlussmittel (24) insbesondere an der der gelenki-
gen Anordnung gegenüber liegenden Seite angeordnet ist.
11. Muldensystem (1) nach Anspruch 10, dadurch gekennzeich-
net, dass das Verschlussmittel (24) durch ein Federelement gebil-
det ist, das haltend am Abdeckelement (13) angeordnet ist und
vorzugsweise aus Federstahl besteht und in Gestalt einer Blattfe-
der ausgeführt ist.
12. Muldensystem (1) nach einem der Ansprüche 10 oder 11,
dadurch gekennzeichnet, dass das Verschlussmittel (24) einen
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Rasthaken bildet, der in einer Rastausnehmung (25) am Rahmen
(12) verrastbar ist.
13. Muldensystem (1) nach einem der vorgenannten Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass der Rinnenkörper (10) ein Kunst-
stoffmaterial und dass der Rahmen (12) und das Abdeckelement
(13) ein Metallmaterial, insbesondere ein Gussmaterial aufweist.“
In
dem
der
Zurückweisung
vorangegangenen
Prüfungsbescheid
vom
6. August 2012 war zum relevanten Stand der Technik neben der Entgegenhal-
tung
E1
noch
auf
die
Druckschriften
DE 197 31 585 A1 (E2),
WO 2008/084326 A2 (E3) und JP 2003-171973 A (E4), verwiesen worden.
II.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch
erfolgreich, da sie zu der Erteilung eines Patents gemäß Hauptantrag führt.
2. Nach Merkmalen gegliedert lautet der Patentanspruch 1 in Anlehnung an den
entsprechenden Vorschlag der Anmelderin in ihrer Beschwerdebegründung wie
folgt:
1)
Muldensystem zum Abführen von Wasser im Straßen- und
Wegebau, zur Hofentwässerung und dergleichen,
a)
mit einem Rinnenkörper
b)
und wenigstens einer Abdeckeinheit zur oberseitigen Abde-
ckung des Rinnenkörpers,
c)
wobei die Abdeckeinheit einen Rahmen und ein Abdeckele-
ment aufweist,
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d)
der Rahmen Umgriffe aufweist, mit denen der Rahmen auf
Seitenwände des Rinnenkörpers aufsetzbar ist und die die
Seitenwände wenigstens oberseitig umschließen,
e)
wobei der Rahmen in den Umgriffen angeordnete Zapfen
aufweist, die in Zapfenaufnahmen einsetzbar sind, welche
oberseitig in den Seitenwänden eingebracht sind.
3.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu (§ 1 Abs. 1 und § 3 PatG).
Wie der Senat bereits in dem vorangegangenen Zwischenbescheid ausgeführt
hat, ist die Neuheit gegenüber der von der Prüfungsstelle in dem angefochtenen
Beschluss als neuheitsschädlich angesehenen Druckschrift E1 schon dadurch
gegeben, dass bei der dort offenbarten Entwässerungsrinne zumindest das
Merkmal e) von in den Umgriffen des Rahmens angeordneten Zapfen fehlt, die in
oberseitig in den Seitenwänden des Rinnenkörpers eingebrachte Zapfenaufnah-
men einsetzbar sind.
Auch die weiteren Entgegenhaltungen E2 bis E4 können die Neuheit des Anmel-
dungsgegenstandes nicht in Frage stellen. So fehlt bei dem System nach der E2
ein Rahmen als Bestandteil der Abdeckeinheit (Merkmal c), während die Kon-
struktionen nach E3 und E4 keine in Umgriffen des Rahmens angeordnete Zapfen
aufweisen (Merkmal e).
4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen
Tätigkeit (§ 1 Abs. 1 und § 4 PatG). Der Senat gibt insoweit seine in dem verfah-
rensleitenden Zwischenbescheid vom 24. Februar 2015 geäußerte Auffassung
auf.
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Die vorliegende Erfindung zielt laut Beschreibung sinngemäß darauf ab, die Abde-
ckung eines Muldensystems, wie es im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ange-
geben ist, mit einfachen Mitteln sicher zu positionieren und stabil zu befestigen.
Zur Lösung dieser Aufgabe gibt die beanspruchte Lehre in ihrem wesentlichen
Kern an, gemäß den kennzeichnenden Merkmalen einen Rahmen so zu konstruie-
ren, dass er die Seitenwände des Rinnenkörpers wenigstens oberseitig form-
schlüssig und damit stabil umschließt.
Auf eine derartige Anordnung gibt nach Überzeugung des Senats keine der an-
geführten Entgegenhaltungen einen Hinweis. So kann sich der Senat der Argu-
mentation der Anmelderin in ihrem vorangegangenen Schriftsatz anschließen,
dass die Abwasserrinne nach der E1 nicht nur keine Zapfen i. S. des Merkmals e)
aufweist, sondern dort auch ein Rahmen fehlt, welcher eine sichere Verankerung
des Abdeckelements an dem Rinnenkörper ermöglicht.
An einem derartigen Rahmen fehlt es auch bei der Rinnenkonstruktion nach der
E2. Zwar finden sich dort nach einem bevorzugten Ausführungsbeispiel Rastzap-
fen, welche eine Metallzarge an der Oberseite des aus einer Vielzahl von Rinnen-
elementen gebildeten Rinnenkörpers fixieren. Diese Anordnung dient jedoch der
Befestigung der Rinnenelemente untereinander gegen ein Auseinanderbewegen.
Auf die Befestigung eines Abdeckelements an dem Rinnenkörper mittels Rahmen
und Zapfen finden sich dort keine Hinweise.
Als einzige von den angeführten Druckschriften zeigt überhaupt die E3 einen dem
Anmeldungsgegenstand vergleichbaren Rahmen. Dort fehlt jedoch jeglicher Be-
zug auf dessen Anschluss an einen Rinnenkörper; vielmehr offenbart diese Ent-
gegenhaltung lediglich einen Verbund aus einem Rahmen und einem Abdeckrost,
welche über federnde Halteelemente miteinander in Eingriff stehen.
Die E4 schließlich zeigt einen nach oben geschlossenen Kanal mit einer Revisi-
onsöffnung, welche mit einem abnehmbaren Deckel verschlossen ist. Auf die Ver-
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bindung eines Rahmens und der Befestigung der Abdeckung auf dem Rahmen
geht diese Druckschrift nicht ein, so dass auch hiervon keinerlei Anregung zu der
Lehre des Patentanspruchs 1 ausgehen konnte.
5. Mit dem somit gewährbaren Patentanspruch 1 sind auch die auf vorteilhafte
Ausgestaltungen dessen Gegenstandes gerichteten Unteransprüche 2 bis 13 ge-
währbar.
6. Aufgrund dieser Entscheidung brauchte auf die vorgelegten Hilfsanträge nicht
eingegangen zu werden. Auch sieht der Senat keine Veranlassung zu der von der
Anmelderin angebotenen Anpassung der Beschreibung.
Dr. Lischke
Hildebrandt
Eisenrauch
Richter