Urteil des BPatG vom 27.10.2015

Stand der Technik, Unterbrechung, Geschwindigkeit, Ausdehnung

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 85/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
27. Oktober 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2005 030 829
- 2 -
hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2015 unter Mitwirkung des Vorsit-
zenden
Richters
Dr.-Ing. Lischke
sowie
der
Richter
Eisenrauch,
Dr.-Ing. Großmann und Dipl.-Ing. Richter
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird unter Aufhe-
bung des angefochtenen Beschlusses das Patent mit folgen-
den Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
-
Patentansprüche 1 bis 11 gemäß neuem Hauptantrag
-
Beschreibungsseiten 2, 3, 5, 6 und 10 gemäß dem
früheren Hilfsantrag 1 aus dem Schriftsatz vom
4. August 2015 sowie Beschreibungsseiten 1, 4, 7, 8, 9
und 11 gemäß den ursprünglichen Anmeldungsunterla-
gen,
-
Zeichnungen gemäß Patentschrift.
2.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Gegen das am 1. Juli 2005 angemeldete Patent 10 2005 030 829, dessen Ertei-
lung am 10. Dezember 2009 veröffentlicht worden ist, ist am 3. März 2010 Ein-
spruch erhoben worden. Die Patentabteilung 1.26 des Deutschen Patent- und
Markenamtes hat am Ende der Anhörung vom 9. Februar 2012 beschlossen, das
Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.
- 3 -
Die Patentabteilung hat in ihrem Beschluss ausgeführt, dass das Patent die Erfin-
dung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen
könne. Des Weiteren sei das Verfahren nach Anspruch 1 neu gegenüber der D1
und werde auch nicht in Verbindung mit D2 oder D3 nahe gelegt; dies gelte auch
für den Gegenstand des nebengeordneten Anspruchs 7.
Im Einspruchsverfahren sind dabei insbesondere die vorgenannten Druckschriften
D1:
BG-Infoblatt: Zugangssicherung
– Alternative Lösung zum Muting,
Best.-Nr. 455, Druckvermerk 04/2004, Seiten 1 bis 4
D2:
DE 100 39 142 A1
D3:
DE 103 29 881 A1 (= P2 aus dem Prüfungsverfahren).
herangezogen worden; des Weiteren ist auf die im Prüfungsverfahren berücksich-
tigten Druckschriften
P1:
DE 199 46 476 A1
P2:
DE 103 29 881 A1
P3:
DE 102 16 122 A1
P4:
DE 43 05 559 A1
P5:
DE 295 00 873 U1
P6:
DE 201 03 828 U1
verwiesen worden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. In ihrer
Beschwerdebegründung vom 21. Januar 2013 stellt sie erneut die Ausführbarkeit
in Frage und hält das Verfahren bereits durch die D1 selbst, zumindest aber in
Verbindung mit der D3 für nahegelegt.
- 4 -
Auf den Ladungszusatz des Senats hin, in dem auf eine offensichtliche Unrichtig-
keit in den erteilten Ansprüchen hingewiesen worden war, hat die Patentinhaberin
mit Schriftsatz vom 4. August 2015 zusätzlich zum Hauptantrag noch neugefasste
Ansprüche und Beschreibungsseiten gemäß den Hilfsanträgen 1 und 2 einge-
reicht.
Die Einsprechende ist weiterhin der Auffassung, dass die Ausführbarkeit des Pa-
tents nicht gegeben sei, da die Zeitdifferenz gemäß dem Anspruchswortlaut keine
eindeutige Korrelation mit dem zu bestimmenden Überstand aufweise; ferner
seien die Zahlenbeispiele in den Ausführungsbeispielen widersprüchlich und
stützten auch nicht die Auslegung der Patentabteilung. Des Weiteren sei die Ver-
fahrensweise bei der D3 im Wesentlichen identisch mit der des Streitpatents und
die Abweichungen beträfen nur dem Fachmann bekannte Maßnahmen, die eine
erfinderische Tätigkeit nicht begründen könnten. Im Übrigen würden der Patent-
gegenstand sowie dessen Schutzbereich durch Streichung des Faktors „cos α“ in
der Formel unzulässig erweitert.
Die Patentinhaberin tritt dem entgegen und führt nach Erläuterung der patentge-
mäßen Funktionsweise aus, dass die D3 keine dahingehenden Hinweise liefere.
Die Beschwerdeführerin und Einsprechende beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 1.26 des DPMA vom
27. April 2012 aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu
widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung
neue Patentansprüche 1 bis 11 gemäß einem neuen Hauptantrag überreicht und
beantragt,
das Patent mit diesen Patentansprüchen,
- 5 -
mit den Beschreibungsseiten 2, 3, 5, 6, und 10 gemäß dem frühe-
ren Hilfsantrag 1 aus dem Schriftsatz vom 4. August 2015,
mit den Beschreibungsseiten 1, 4, 7, 8, 9 und 11 gemäß den ur-
sprünglichen Anmeldungsunterlagen
sowie den Zeichnungen gemäß Patentschrift
beschränkt aufrecht zu erhalten.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
„Verfahren zum Betrieb eines Lichtgitters mit folgenden Verfah-
rensschritten:
-
Aussenden einer Mehrzahl von linear nebeneinander beab-
standeten und parallel zueinander verlaufenden Lichtstrahlen
(2) mittels einer sich linear erstreckenden Sendeeinheit (4),
-
Empfangen dieser Lichtstrahlen (2) mit einer sich parallel zur
Sendeeinheit
(4)
erstreckenden Empfangseinheit
(6),
wodurch zwischen der Sende- und Empfangseinheit (4, 6)
ein Schutzfeld (10) definiert wird,
-
Anordnen des Schutzfe
ldes (10) in einem Winkel (α) zu einer
Bewegungsrichtung (16) von in das Schutzfeld (10) eindrin-
gender Objekte (12), wobei der Winkel (α) zwischen 45° und
135° liegt, ausgenommen 90°, so dass die Lichtstrahlen (2,
2‘, 2“) nach Unterbrechung eines vorhergehenden Licht-
strahls (2, 2‘) sequentiell nacheinander von dem Objekt (12)
unterbrochen werden, wobei das Objekt senkrechte Eintritts-
flächen aufweist,
-
Bestimmen einer Zeit (t) mit der einer der Lichtstrahlen (2, 2‘,
2“) nach Unterbrechung eines vorhergehenden Lichtstrahls
unterbrochen wurde,
- 6 -
-
Bestimmen der Geschwindigkeit (v) des Objektes (12) aus
der sequentiellen Unterbrechung,
-
Bestimmen wenigstens einer Ausdehnung mit einem Über-
stand (s) von in Bewegungsrichtung (16) wenigstens einem
hervorstehenden Teil (32) des Objekts (12) nach der Formel
s = v * t,
-
Vergleichen der erfassten Ausdehnung mit zuvor abgespei-
cherten Referenzwerten,
-
Erzeugen
eines
Schaltsignals
in
Abhängigkeit
des
Vergleichs
ergebnisses.“
Der nebengeordnete Anspruch 7 lautet in der geltenden Fassung:
„Lichtgitter mit:
-
einer Sendeeinheit (4) zum Aussenden einer Mehrzahl von li-
near nebeneinander beabstandeten und parallel zueinander
verlaufenden Lichtstrahlen (2),
-
einer Empfangseinheit (6) zum Empfangen dieser Lichtstrah-
len (2), die parallel zur Sendeeinheit (4) angeordnet ist,
wodurch zwischen der Sende- und Empfangseinheit (4, 6)
ein Schutzfeld (10) definiert wird,
-
wobei die Sende- und die Empfangseinheit (4, 6) in einem
Winkel (
α) zwischen 45° und 135° nicht aber in einem Winkel
(
α) von 90° zu einer Bewegungsrichtung (16) des Objektes
(12) angeordnet sind, wobei das Objekt senkrechte Eintritts-
flächen aufweist,
-
einer Auswerteeinheit (18) zum Bestimmen einer Zeit (t) mit
der einer der Lichtstrahlen (2, 2', 2") nach Unterbrechung ei-
nes vorhergehenden Lichtstrahls (2, 2') unterbrochen wurde,
- 7 -
-
zum Bestimmen der Geschwindigkeit (v) des Objektes (12)
aus einer sequentiellen Unterbrechung der Lichtstrahlen (2,
2', 2") und zum Bestimmen wenigstens einer Ausdehnung
mit einem Überstand (s) von in Bewegungsrichtung (16) we-
nigstens einem hervorstehenden Teil (32) des Objekts (12)
nach der Formel s = v * t,
-
einer Vergleichseinheit (20) zum Vergleichen der erfassten
Ausdehnung mit zuvor abgespeicherten Referenzwerten und
einer Schalteinheit (22) zum Erzeugen eines Schaltsignals in
Abhängigkeit des Vergleichsergebnisses.“
Hieran schließen sich jeweils die rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6 bzw. 8
bis 11 an, die folgendermaßen lauten:
„2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass mit
dem erzeugten Schaltsignal eine gefahrbringende Bewegung
einer Maschine (24) gestoppt wird.
3.
Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass der Winkel (
α) gemessen
wird.
4.
Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass der Winkel (
α) konfiguriert
und/oder abgespeichert wird.
5.
Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass die Ausdehnung nur inner-
halb eines bestimmten Zeitfensters bestimmt wird.
6.
Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass zur Erhöhung einer Sicher-
heitsstufe des Lichtgitters (1) eine zweikanalige redundante
Auswertung der Unterbrechung der Lichtstrahlen (2, 2', 2")
durchgeführt wird.
- 8 -
8.
Lichtgitter nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass
mit der Schalteinheit (22) eine gefahrbringende Bewegung
einer Maschine (24) gestoppt wird.
9.
Lichtgitter nach einem der vorhergehenden Ansprüche 7 bis
8, dadurch gekennzeichnet, dass zur Winkelerfassung ein
Winkelgeber (26) vorgesehen ist.
10. Lichtgitter nach einem der vorhergehenden Ansprüche 7 bis
9, dadurch gekennzeichnet, dass Konfigurationsmittel (28)
und ein Speicher (30) für Winkelwerte vorhanden sind.
11. Lichtgitter nach einem der vorhergehenden Ansprüche 7 bis
10, dadurch gekennzeichnet, dass die Auswerteeinheit (18)
zur Erhöhung einer Sicherheitsstufe des Lichtgitters (1)
zweikanalig redundant ausgebildet ist.“
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwerde hat insoweit auch Erfolg, als sie zu einer beschränkten Aufrecht-
erhaltung des Patents führt.
1. Die geltenden Unterlagen weisen keine unzulässige Erweiterung auf.
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist in der geltenden Anspruchsfassung
in der Weise beschränkt worden, dass die in das Schutzfeld eindringenden Ob-
jekte senkrechte Eintrittsflächen aufweisen müssen. Dieses Merkmal ist in Ab-
satz [0025], Zeilen 13 f. der Offenlegungsschrift ursprünglich offenbart. Die Be-
schränkung ist aus technischer Sicht zwingend erforderlich, da schräge Eintritts-
- 9 -
kanten zu einem falschen Ergebnis bei der Ermittlung der Objektgeschwindigkeit
„v“ und damit auch beim Überstand „s“ führen würden.
Des Weiteren ist in der Formel zur Berechnung des Überstandes „s = cos α * v * t“
der Faktor „cos α“ gestrichen worden. Dabei handelt es sich um die Behebung
einer offensichtlichen Unrichtigkeit, die für den Fachmann klar erkennbar ist. Als
Fachmann wird im vorliegenden Fall ein Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung
Elektrotechnik mit Erfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Sicher-
heitssystemen zur Absicherung von Gefahrenbereichen angesehen. Bei diesem
gehört es zum physikalischen Grundlagenwissen, dass bei der vorliegenden Be-
wegungsgleichung der zurückgelegte Weg (bzw. der entsprechende Überstand)
„s“ sich aus dem Produkt von Geschwindigkeit „v“ und der hierfür benötigten Zeit
„t“, d. h. „s = v * t“, ergibt, wobei die Geschwindigkeit und der Weg/Überstand die
gleiche Orientierung aufweisen (siehe Figuren 3 und 4, Bewegungspfeil „v“ und
Überstand „s“). Diese Berichtigung führt entgegen der Auffassung der Einspre-
chenden auch zu keiner unzulässigen Erweiterung, da der eigentliche Verfahrens-
schritt, den Überstand über die Beziehung von Geschwindigkeit und Zeit zu er-
mitteln, gleich geblieben ist und lediglich ein konstanter Faktor, der sich auf die
grundsätzliche Verfahrensweise nicht auswirkt, rechnerisch richtiggestellt worden
ist (s. a. Schulte/Moufang, Patentgesetz, 9. Auflage, § 38 PatG, Rdn. 36, 37).
Der nebengeordnete Anspruch 7 ist in identischer Weise gegenüber der erteilten
Fassung abgeändert worden. Die Unteransprüche 2 bis 6 und 8 bis 11 entspre-
chen denen der erteilten Fassung und weisen wie die geänderten Beschreibungs-
seiten, die an die geltende Anspruchsfassung angepasst und hinsichtlich der
Zahlenwerte in den Ausführungsbeispielen richtiggestellt worden sind, ebenfalls
keine unzulässige Erweiterung auf.
2. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist so deutlich und vollständig offenbart, dass
der Fachmann es ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).
- 10 -
In dem Patent wird ein Verfahren zum Betrieb eines Lichtgitters offenbart, bei dem
Objekte, die zulässige Abweichungen wie überstehende Teile aufweisen, durch
ein Schutzfeld transportiert werden können, ohne dass die Schutzfunktion aktiv
wird; Objekte mit zu großen Überständen werden im Gegensatz hierzu erkannt
und es wird ein Abschaltsignal erzeugt (vgl. Abs. [0009], letztes Drittel).
Hierbei stellen die ersten drei und die letzten beiden, mit Spiegelstrichen geglie-
derten Merkmalsblöcke in Anspruch 1 Verfahrensschritte dar, die der üblichen Be-
triebsweise von Lichtgittern entsprechen und dem Fachmann bekannt sind.
Demgegenüber ist die im Anspruch aufgeführte Verfahrensweise, mit der ein ge-
gebenenfalls vorhandener Überstand ermittelt werden soll, erläuterungs- bzw.
auslegungsbedürftig:
Anspruchsgemäß wird der Überstand „s“ eines in Bewegungsrichtung hervorste-
henden Teils
des Objekts nach der Formel „s = v * t“ bestimmt, wozu die Größen
„v“ und „t“ im Vorfeld entsprechend dem Anspruchswortlaut ermittelt werden müs-
sen. Um diese Anweisung verstehen und richtig umsetzen zu können, muss sich
der Fachmann im vorliegenden Fall um das richtige Verständnis bemühen, wozu
er die Beschreibung und hierbei insbesondere die Ausführungsbeispiele in der
Patentschrift heranziehen wird. Der Fachmann erkennt zunächst auf Grund seines
physikalischen Grundwissens, dass die Formel zur Berechnung des Überstandes
auf einer Bewegungsgleichung beruht. In diesem Zusammenhang kann er bei-
spielsweise der Figur 4 entnehmen, dass der Überstand „s“ in Bewegungsrichtung
dem Weg „s“ entspricht, den ein Objekt ohne Überstand 32 (untere Eintrittskante)
mit ei
ner Geschwindigkeit „v“ in einer Zeit „t“ zurücklegen müsste, um die Position
des hervorstehenden Teils 32 (obere Eintrittskante) zu erreichen. Mit anderen
Worten entspricht die Zeit „t“ der Zeitdifferenz seit der Unterbrechung des letzten
sequentiell unterbrochenen Lichtstrahls, in der bei einem Objekt ohne Überstand
die Unterbrechung des zusätzlich unterbrochenen Lichtstrahls erwartet worden
wäre. Hierzu im Einzelnen: Die Figur 4 stellt einen Zeitpunkt bzw. eine Moment-
aufnahme dar, bei der zusätzlich zu
den bisher unterbrochenen Lichtstrahlen 2‘
auf Grund des Überstandes ein weiterer Lichtstrahl 2“ unterbrochen worden ist,
wobei dieser zu den bisher unterbrochenen Lichtstrahlen 2‘ nicht benachbart ist
- 11 -
(s. a. Abs. [0032], 4. und 5. Satz); durch den Begrif
f „zusätzlich“ wird hierbei eine
gewisse Gleichzeitigkeit der beiden Unterbrechungen zum Zeitpunkt der Moment-
aufnahme zum Ausdruck gebracht. Da bei dem patentgemäßen Verfahren Anzahl
und Position von unterbrochenen und nicht unterbrochenen Lichtstrahlen erfasst
werden (vgl. Abs. [0030], 3. Satz), ist auch bekannt, wie viele Lichtstrahlen durch
den Überstand übersprungen worden sind. Aus dieser Anzahl von Lichtstrahlen
bzw. -intervallen, die zwischen dem letzten der sequentiell unterbrochenen Licht-
strahlen und dem zusätzlich (durch den Überstand) unterbrochenen Lichtstrahl
liegen, kann die Gesamtzeit „t“ aus der Summe der Einzelzeiten pro Lichtstrahl
ermittelt werden. Dies geht für den Fachmann insbesondere aus den konkreten
Ausführungsbeispielen gemäß der Figur 4 hervor, bei der gemäß Abs. [0032] die
Zeit t = 90 ms (= 3 * 30 ms) aus der Anzahl der überbrückten Lichtstrahlintervalle,
in Figur 4 drei an der Zahl, und der Zeit pro Lichtstrahl, laut Abs. [0032] 30
ms/Strahl, ermittelt wird; dies gilt entsprechend auch für das Anwendungsbeispiel
gemäß Figur 5 i. V. m. Abs. [0033] mit t = 8 * 30 ms = 240 ms. In diesem Sinne ist,
wie eingangs bereits angeführt, die Bestimmung der Zeit „t“ gemäß Anspruch 1 so
auszulegen, dass darunter die benötigte Zeitdifferenz
„t“ für die Strecke „s“ zwi-
schen dem (zusätzlich) unterbrochenen Lichtstrahl 2“ und dem (letzten der bisher)
sequentiell unterbrochenen Lichtstrahl 2‘ zu verstehen ist, d. h. die Zeit, in der
normalerweise die Unterbrechung an dieser Position zu erwarten gewesen wäre.
Die Auslegung der Einsprechenden in der Weise, dass die Zeit aus der Zeitdiffe-
renz zweier aufeinanderfolgender Unterbrechungen ermittelt wird, mag zwar durch
den Anspruchswortlaut für sich allein betrachtet gestützt sein, entspricht jedoch
nicht dem, wie der Fachmann dieses Merkmal in Verbindung mit dem gesamten
Kontext des Patents auslegen würde.
Die Bestimmung der Geschwindigkeit „v“ des Objekts erfolgt schließlich an-
spruchsgemäß aus der sequentiellen Unterbrechung der Lichtstrahlen des Licht-
gitters, d.h. nach dem Prinzip einer normalen Lichtschrankenmessung, wobei die
sequentielle Unterbrechung aus der in einem Winkel α zur Bewegungsrichtung
des Objekts gewählten Anordnung des Lichtgitters resultiert (s. a. Abs. [0009]).
- 12 -
Die im Patent enthaltenen Angaben vermitteln somit dem Fachmann so viel an
technischer Information, dass er mit seinem Fachwissen und Fachkönnen in der
Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen. Hierbei ist es unschädlich, dass
das Patent gewisse Unvollkommenheiten, insb. im Hinblick auf die Bestimmung
der Zeit „t“, aufweist, da der Fachmann im vorliegenden Fall mit Hilfe seines phy-
sikalischen Grundwissens und durch Nacharbeitung der Ausführungsbeispiele
diese mit zumutbarem Aufwand ausgleichen kann (vgl. Schulte/ Moufang, Patent-
gesetz, 9. Auflage, § 34 PatG, Rdn. 355; BGH GRUR 2010, 916 - Klammernaht-
gerät).
3. Das zweifellos gewerblich ausführbare Verfahren nach dem geltenden An-
spruch 1 ist patentfähig (§§ 1 bis 5 PatG).
3.1 Das Verfahren nach Anspruch 1 ist unbestritten neu, da im gesamten Stand
der Technik kein Verfahren bei einem Lichtgitter offenbart wird, bei dem ein Über-
stand eines eindringenden Objekts über die Beziehung s = v * t ermittelt wird.
3.2 Das Verfahren nach Anspruch 1 ist auch erfinderisch.
Der Kerngedanke des Streitpatents wird darin gesehen, dass die Überwachungs-
funktion des Lichtgitters auf die Ermittlung eines Überstandes beschränkt wird, der
über die Beziehung „s = v * t“ aus der Objektgeschwindigkeit, die aus der se-
quentiellen Unterbrechung der Lichtstrahlen des schräg zur Bewegungsrichtung
angeordneten Lichtgitters ermittelt wird, und der Zeit, die ein Objekt ohne Über-
stand bis zu der Position des zusätzlich unterbrochen Lichtstrahls benötigen
würde, ermittelt werden kann.
Hierzu kann der gesamte entgegengehaltene Stand der Technik weder Vorbild
noch Anregung liefern:
Die D3 betrifft ein Verfahren zum Betrieb eines Lichtgitters, bei dem die Unter-
scheidung von unzulässig eindringenden Objekten gemäß deren Aufgabenstellung
- 13 -
unabhängig von der Geschwindigkeit bzw. der zeitlichen Abfolge der Bewegungen
erfolgt (Absätze [0005] und [0008]). Dafür wird über einen Positionsgeber die ak-
tuelle Position ermittelt und anschließend für diese Position an Hand eines Ver-
gleichs mit Referenzwerten, die für diese Position hinterlegt sind, entschieden, ob
ein zulässiges Objekt vorliegt (vgl. Abs. [0018]). Damit unterscheidet sich dieses
Verfahren bereits grundlegend von dem beanspruchten Verfahren dadurch, dass
für feste Positionen festgelegte Referenzmuster vorliegen müssen, wohingegen
beim Streitpatent unabhängig von der Objektposition sowie an beliebiger Stelle
angeordnete Überstände detektiert werden. Der von der Einsprechenden in Abs.
[0010] erwähnte Geschwindigkeitsgeber dient bei der D3 anstelle eines Positions-
gebers der mittelbaren Bestimmung der Objektposition, wohingegen beim Streit-
patent die aus der sequentiellen Unterbrechung der Lichtstrahlen ermittelte Ge-
schwindigkeit zur Bestimmung des Überstandes herangezogen wird. Der Verweis
der Einsprechenden auf die Möglichkeit der Geschwindigkeitsermittlung durch die
in Abs. [0015] erwähnte schräge Anordnung des Lichtgitters kann ebenso wenig
überzeugen, da in der D3 diese Maßnahme ausdrücklich im Hinblick auf eine bes-
sere Erkennung von Kanten und damit nicht zur Geschwindigkeitsermittlung
durchgeführt wird. In der D3 fehlt somit auf Grund der speziellen Verfahrensweise
eines Referenzmustervergleichs an einer festgelegten Position jeglicher Hinweis
oder Veranlassung in Richtung der streitpatentgemäßen Vorgehensweise; auf
Grund dessen werden mit dem Geschwindigkeitsgeber bzw. dem schräg zur Be-
wegungsrichtung angeordneten Lichtgitter bei der D3 auch andere Zwecke als
beim Streitpatent beabsichtigt, wobei zudem beim Streitpatent gerade kein zusätz-
licher Geschwindigkeitsgeber erforderlich sein soll (siehe Abs. [0003] des Streit-
patents).
Die D1, deren Vorbekanntheit im Verfahren von der Patentinhaberin nicht in Frage
gestellt worden ist, offenbart zwei unterschiedliche Verfahren zur Objekterken-
nung, die sich in der Anordnung des Lichtgitters und in der Auswertung der Licht-
strahlen bzw. der Steuerung unterscheiden.
- 14 -
Bei dem ersten Verfahren ist das Lichtgitter waagrecht angeordnet und es werden
in horizontaler Richtung Objektgröße, Geschwindigkeit und Richtung ermittelt und
abgespeichert. Objekte wie Palettenfüße werden auf Grund ihrer Abmessungen
und ihrer Abstände zueinander erkannt und als zulässig eingestuft, während eine
eintretende Person anhand der nicht synchronen Bewegung als ungültiges Objekt
erkannt wird. Die Objekterkennung erfolgt somit anhand eines Bewegungsmusters
(siehe Seite
2, Abschnitt „Funktionsweise“). Aufgrund der horizontalen Anordnung
ist die Erfassung eines Überstandes eines Objekts überhaupt nicht möglich, da
das Objekt nur in einer Höhe erfasst wird.
Im zweiten Verfahren nach der D1 ist das Lichtgitter gegenüber der Vertikalen ge-
neigt im Zugangsbereich angeordnet und wäre damit grundsätzlich für eine se-
quentielle Geschwindigkeitsermittlung geeignet. Die Objekterkennung erfolgt je-
doch durch eine Mustererkennung des beförderten Objekts, wobei zulässige Ob-
jekte ein zusammenhängendes Profil ohne Hinterschneidungen aufweisen müs-
sen (siehe Seite
3, Abschnitt „Funktionsweise“). Eine Berücksichtigung der Ob-
jektgeschwindigkeit wird somit nicht offenbart und ist bei dem gewählten Ver-
gleichsprinzip der D1 auch nicht zwingend erforderlich. Damit fehlt bereits eine
Voraussetzung für die Ermittlung des Überstands nach der streitpatentgemäßen
Formelbeziehung, so dass auch dieses Verfahren nicht zu der patentgemäßen
Gestaltung hinführen kann.
Die weiteren zitierten Druckschriften gehen über den vorgenannten Stand der
Technik nicht hinaus und können ebenfalls keine Hinweise in Richtung der Be-
stimmung eines Überstands nach dem streitpatentgemäßen Verfahren liefern.
Das Verfahren nach Anspruch 1 wird damit durch den vorgelegten Stand der
Technik, auch in Verbindung mit dem Fachwissen, nicht nahegelegt.
Der Anspruch 1 gemäß neuem Hauptantrag ist somit gewährbar.
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4. Die vorangegangenen Ausführungen lassen sich auch auf das Lichtgitter
nach Anspruch 7 übertragen, das die entsprechenden Komponenten zur Durch-
führung des erfinderischen Verfahrens gemäß Anspruch 1 aufweist.
Der Anspruch 7 ist damit ebenfalls gewährbar.
5. Gleiches gilt für die auf vorteilhafte Ausgestaltungen des Verfahrens nach
Anspruch 1 und des Lichtgitters nach Anspruch 7 gerichteten Ansprüche 2 bis 6
bzw. 8 bis 11.
III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4 .
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der
die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind,
oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen
- 16 -
beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schrift-
lich einzulegen.
Dr. Lischke
Eisenrauch
Dr. Großmann
Richter
prö