Urteil des BPatG vom 12.03.2015

Stand der Technik, Behandlung, Belastung, Probe

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 58/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
12. März 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 197 14 919
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hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 12. März 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Dr.-Ing. Großmann, Dipl.-Ing. Richter
und der Richterin Uhlmann
beschlossen:
Der Beschluss der Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und
Markenamtes vom 5. März 2010 wird aufgehoben.
Das Patent 197 14 919 wird widerrufen.
G r ü n d e
I .
Das Patent 197 14
919 mit der Bezeichnung „V-förmig gerippter Transmissionsrie-
men“ ist am 2. April 1997 unter Inanspruchnahme der japanischen Priorität vom
2. April 1996, Aktenzeichen 106302-96, angemeldet worden. Gegen die Patent-
erteilung, die am 28. August 2008 veröffentlicht worden ist, ist Einspruch eingelegt
worden und das Patent mit Beschluss der Patentabteilung 12 des Deutschen
Patent- und Markenamtes vom 5. März 2010 aufrechterhalten worden.
Laut Beschluss seien die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 12
ausreichend offenbart, neu gegenüber der D1 = EP 0 429 284 A2 und auch nicht
ausgehend von der D1 in Kombination mit der D2 = US 3 616 832 oder anderen
Druckschriften in ihrer Gesamtheit nahegelegt.
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Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 27. August 2010 eingegangene Be-
schwerde der Einsprechenden, welche die Patentfähigkeit als nicht gegeben sieht.
So sei die vermeintliche Erfindung nicht ausreichend offenbart, um nacharbeitbar
zu sein. Des Weiteren seien die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und
12 nicht neu gegenüber der D1, zumindest gelange der Fachmann aber ausge-
hend von der D1, ggf. in Verbindung mit der D2, zwangsläufig zum beanspruchten
Gegenstand bzw. Verfahren.
Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin hat sich hierzu nicht geäußert und
ist auch entsprechend ihrer Fax-Mitteilung vom 5. März 2015 nicht zur mündlichen
Verhandlung erschienen.
Der Vertreter der Beschwerdeführerin und Einsprechenden stellt den Antrag,
den Beschluss der Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 5. März 2010 aufzuheben und das Patent
197 14 919 in vollem Umfang zu widerrufen.
Bei der Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin wird im Hinblick auf deren Inte-
ressenlage davon ausgegangen, dass von dieser sinngemäß beantragt ist,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Bei der vorliegenden Sachlage sind folgende im Verfahren befindliche Schriften
entscheidungserheblich:
D1: EP 0 429 284 A2
D2: US 3 616 832 A
Im Hinblick auf die Auslegung der Patentansprüche 1 und 12 ist von der Einspre-
chenden im Beschwerdeverfahren auch die Prioritätsschrift, die als
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P1: JP H9-273607 A
veröffentlicht worden ist, herangezogen worden.
Das Patent betrifft nach dem erteilten Patentanspruch 1 einen
„Transmissionsriemen, enthaltend einen Körper (12) mit einer
Länge, einer lnnenseite (16), einer Außenseite (18), in einem seit-
lichen Abstand voneinander angeordneten Seiten (20, 22) und
mindestens einer Rippe (34),
wobei der sich in Längsrichtung erstreckende Körper (12) weiter-
hin einen Kompressionsbereich (24), einen Zugspannungsbereich
(26) und eine lasttragende Schnur (28) zwischen der lnnenseite
(16) und der Außenseite (18), umfasst,
wobei die lasttragende Schnur (28) gedrehte Polyesterfaserfila-
mente, die Ethylen-2,6-naphthalat aufweisen und eine Denier-
größe von 4000-8000 besitzen, enthält,
wobei die lasttragende Schnur (28) mit mindestens einer Epoxid-
verbindung und einer lsocyanatverbindung behandelt ist,
wobei die Schnur (28) nach der Behandlung mit der mindestens
einen Epoxidverbindung und der Isocyanatverbindung getrocknet,
mit einer RFL-Lösung behandelt und nach der Behandlung bei ei-
ner kontrollierten Umgebungstemperatur gestreckt worden ist,
wobei es einer Belastung von mindestens 500 N pro Rippe (34)
bedarf, um eine Verlängerung des Riemens (10) um 3% zu bewir-
ken, und
wobei der Riemen (10) eine Trockenschrumpfungsbelastung zwi-
schen 100 N und 200 N aufweist, nachdem der Riemen (10) mit
einer Anfangsbelastung von 147 N belastet und bei einer Umge-
bungstemperatur von 100°C für 30 Minuten gehalten wurde.“
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und nach dem erteilten Anspruch 12 ein
„Verfahren zur Herstellung eines Transmissionsriemens, wobei
das Verfahren die folgenden Schritte umfasst:
Zusammendrehen einer Vielzahl von Polyesterfaserfilamenten,
enthaltend Ethylen-2,6-naphthalat, um so eine lasttragende
Schnur (28) mit einer Deniergröße von 4000 - 8000 herzustellen;
Behandlung der lasttragenden Schnur (28) mit mindestens einer
Epoxidverbindung und einer lsocyanatverbindung;
Trocknung der mindestens einen Epoxidverbindung und der einen
lsocyanatverbindung und Behandlung der lasttragenden Schnur
(28) mit einer RFL-Lösung;
Streckung der Schnur (28), nachdem die Schnur (28) bei einer
kontrollierten Umgebungstemperatur behandelt wurde;
Einlassen der Schnur (28) in einen Körper (12); und
Formung des Körpers (12), um so einen Transmissionsriemen
(10) mit mindestens einer Rippe (34) herzustellen,
wobei die Behandlungs- und Streckungsschritte so kontrolliert
werden, dass es
a) einer Belastung von mindestens 500 N pro Rippe (34) bedarf,
um eine Streckung des Riemens (10) um 3% zu bewirken, und
b) der Riemen (10) eine Trockenschrumpfungsbelastung zwischen
100 N und 200 N aufweist, nachdem der Riemen (10) mit einer
Anfangsbelastung von 147 N belastet wurde und bei einer Umge-
bungstemperatur von 100°C für 30 Minuten gehalten wurde.“
Wegen der auf den Anspruch 1 bzw. 12 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 11
bzw. 13 bis 16 sowie zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
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II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß § 73 PatG zulässig.
Auf den gemäß §§ 59 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG zulässig erhobenen Einspruch
war das Streitpatent unter Aufhebung des angegriffenen Beschlusses zu widerru-
fen, da es nicht auf erfinderischer Tätigkeit gemäß §§ 1 Abs. 1, 4 PatG beruht.
1.
Zum Patentgegenstand
Das Patent betrifft gemäß Absatz 1 der Streitpatentschrift Transmissionsriemen
mit einem kontrollierten Schlupfverhältnis. In der Patentschrift ist angegeben,
dass es für diese Art von Riemen zur effizienten Kraftübertragung zu und von
zusammenarbeitenden Teilen wichtig ist, ein relativ geringes Schlupfverhältnis
zwischen dem Riemen und der zusammenwirkenden Riemenscheibe aufzuwei-
sen, wobei das Schlupfverhältnis durch Erhöhung der Spannung des Riemens
vermindert werden kann. Es wird auch erläutert, dass durch eine Erhöhung der
Riemenspannung die Trockenschrumpfungsbelastung erhöht wird und das Tro-
ckenschrumpfungsverhältnis und die Schrumpfung im Laufe der Zeit ansteigen
(Absätze 2 und 3).
Hiervon ausgehend wird in Absatz 4 die Aufgabe gestellt, die vorgenannten
Probleme zu lösen und einen V-förmig gerippten Riemen mit einem relativ ge-
ringen Schlupfverhältnis und einer guten Lebenserwartung zur Verfügung zu
stellen.
Gelöst wird diese Aufgabe durch einen Riemen mit den Merkmalen gemäß An-
spruch 1 sowie dem Verfahren nach Anspruch 12, das die Herstellung eines
derartigen Riemens betrifft.
In den Ansprüchen haben sich einige Punkte als auslegungsbedürftig erwiesen.
So ist anzumerken, dass die lasttragende Schnur nicht alleinig aus Ethylen-2,6-
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naphthalat (nachfolgend „PEN“ genannt) bestehen muss, sondern durch die
Formulierung „… enthält“ auch Mischfasern mit umfasst sind, die nur einen An-
teil PEN, der sich von größer 0% bis 100% erstrecken kann, aufzuweisen brau-
chen.
Die durchgängig im Patent verwendete Formulierung für die Vorbehandlung mit
„mindestens einer Epoxidverbindung und einer Isocyanatverbindung“ legt der
Senat dahingehend aus, dass das Mittel zur Vorbehandlung neben einer Mi-
schung von Isocyanat- und Epoxidverbindungen auch noch weitere Bestandteile
aufweisen kann. Diese Auslegung führt weder zu Widersprüchen im Patent noch
mit dem Fachwissen, da auch die Kombination beider Verbindungen praktikabel
ist. Die vo
n beiden Beteiligten angeregte Auslegung im Sinne einer „oder“-Ver-
knüpfung der beiden Verbindungen ist im Hinblick auf eine unzulässige Erweite-
rung jedenfalls bedenklich und würde auch zu einer Erweiterung des Schutzbe-
reichs führen. So ist zwar in Absatz 39 eine Isocyanatverbindung als alleiniges
Mittel zur Vorbehandlung offenbart; der umgekehrte Fall, nämlich die Vorbe-
handlung nur mit einer Epoxidverbindung, ist jedoch an keiner Stelle der Streit-
patentschrift angeführt.
Bezüglich der Tests der Trockenschrumpfungsbelastung ist es im Hinblick auf
eine zum Patent kompatible Nacharbeit des Prüfverfahrens gemäß Absatz 52
bzw. für die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erforderlich, die prioritätsbegrün-
dende Schrift P1 heranzuziehen, da diese noch den für die Ausführung des
Prüfverfahrens notwendigen Hinweis enthält, dass sich die Riemenprobe auf
fünf Schnüre bezieht (siehe Abs. 34 der P1, in engl. Maschinen-
Übersetzung: „to
prepare a measurement sample composed of five cordes
“).
Bei der Anforderung, dass mindestens eine Belastung von 500 N pro Rippe für
eine 3%-Streckung des Riemens erforderlich sein soll, ist schließlich zu beach-
ten, dass sich dieser Wert in der Praxis zumindest aus einer Kombination der
Parameter Dicke, Dehnverhalten sowie Anzahl der lasttragenden Schnüre pro
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Rippe ergibt, wobei das Dehnverhalten der Schnur wiederum vom verwendeten
Fasermaterial, der Verdrillung sowie ihrer Behandlung abhängt. Als erfindungs-
wesentlich wird jedoch in den Ansprüchen 12 bzw. 1 lediglich beansprucht, die
Temperatur-Behandlung und Streckung der Schnur so zu kontrollieren, dass die
Bedingungen für eine 3%-Streckung und die Trockenschrumpfungsbelastung
erfüllt werden, wobei im Übrigen von einem Riemen bzw. einer lasttragenden
Schnur mit entsprechend dem Anforderungsprofil geeigneten Eigenschaften
ausgegangen wird (siehe hierzu auch die Ausführungen zur Ausführbarkeit unter
Punkt II.3.).
Als Fachmann wird in Übereinstimmung mit dem Einspruchsbeschluss ein Dip-
lom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit ausgeprägten chemischen
Kenntnissen in der Kunststofftechnik angesehen.
2.
Der Gegenstand ist so ausreichend klar offenbart, dass ein Fachmann die
Lehre des Patents ausführen kann.
Entsprechend der Lehre des Patents wird insbesondere gefordert, die Behand-
lungs- und Streckungsschritte der lasttragenden Schnur so zu kontrollieren, dass
die Trockenschrumpfungsbelastung innerhalb eines festgelegten Bereichs liegt
und für eine 3%-Dehnung des Riemens eine Belastung von mindestens 500 N
pro Rippe erforderlich ist. Zur Lösung dieser aufgabenhaften Anspruchsformu-
lierung wird dem Fachmann bereits in Anspruch 13 sowie in der Beschreibung
des Ausführungsbeispiels in Absatz 29 eine Behandlungsmethode offenbart, mit
der diese Anforderungen erfüllt werden können. Hierbei wird im vorliegenden
Fall als unschädlich angesehen, dass der Fachmann bei der Nacharbeit hand-
werklich tätig werden muss, um nicht explizit im Patent offenbarte Ausgestal-
tungsmerkmale zu ergänzen. So erhält er bereits im Anspruch 1 bzw. 12 Anga-
ben bzw. Anhaltswerte zur Feinheit der lasttragenden Schnur, die eine Denier-
größe von 4000 bis 8000 aufweisen soll, sowie in Absatz 33 den Hinweis, über
die Anzahl der Windungen den Modul des Riemens einzustellen. Mit diesen An-
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gaben und seinem Fachwissen ist er in der Lage, ohne erfinderisches Bemühen
Unvollständigkeiten bzw. fehlende Ausgestaltungsmerkmale zu ergänzen und
mit Hilfe orientierender Versuche geeignete Riemenparameter zu ermitteln, aus-
gehend von denen dann in Verbindung mit dem patentgemäßen Behandlungs-
verfahren die beanspruchten Anforderungen erfüllt werden können (vgl. Schulte
Patentgesetz, 9. Auflage, § 34 PatG, Rdn. 398 bis 404, BGH GRUR 2010, 916
Klammernahtgerät).
3.
Das Verfahren nach dem erteilten Anspruch 12 ist jedoch nicht patentfähig
(§ 4 PatG)
3.1 Zwar ist das gewerblich anwendbare Verfahren nach Anspruch 12 gemäß
§ 3 Abs. 1 PatG neu.
Die D1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Transmissionsriemens (vgl.
Titel und Figuren 1 und 2), wobei für die lasttragende Schnur verschiedene Po-
lyesterfasern verwendet werden, die unter anderem einer speziellen Tempera-
tur- und Streckbehandlung unterzogen werden. Dabei werden wesentliche
Schritte des streitpatentgemäßen Verfahrens offenbart, was nachfolgend an
Hand des Ausführungsbeispiels dargelegt wird (ab Seite 4, Zeile 47):
- Zusammendrehen einer Vielzahl von Polyesterfilamenten, um so eine
lasttragende Schnur mit einer Deniergröße von 6000 bis 6600 zu bilden
(Seite 4, Zeilen 47 bis 49 i. V. m. Seite 3, Zeile 52):
- Behandlung der lasttragenden Schnur mit einer Isocyanatverbindung
(Seite 5, Zeile 15);
- Trocknung der vorgenannten Verbindung und Behandlung der lasttragen-
den Schnur mit einer RFL-Lösung (Seite 5, Zeile 15f.);
- Streckung der Schnur, nachdem die Schnur bei einer kontrollierten Umge-
bungstemperatur behandelt wurde (Seite 5, Zeilen 16 bis 18 i. V. m.
Tabelle
2, Spalte “Treatment Conditions; Temperature“);
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- Einlassen der Schnur in einen Körper (Figuren 1 und 2, Bezugszeichen 58,
Seite 5, Z. 47 f.);
- Formung eines Körpers, um so einen Transmissionsriemen mit mindestens
einer Rippe herzustellen (Figuren 1 und 2 i. V. m. Seite 5, Zeilen 47 f.),
- wobei die Behandlungs- und Streckungsschritte so kontrolliert werden, dass
der Riemen gemäß der Tabelle 3 auf Seite 6 eine Trockenschrumpfungs-
belastung zwischen 100 N und 200 N, konkret zwischen 120 N bzw. 0,37
g/d bei Probe 4 und 152 N bzw. 0,47 g/d bei Probe 2, aufweist, nachdem
der Riemen mit einer Anfangsbelastung von 0,5 g/d, was einer Belastung
von 162 N bei einer Deniergröße von 6600 entspricht, belastet wurde und
bei einer Umgebungstemperatur von 100°C für 30 Minuten gehalten wurde
(siehe Seite 6, Tabelle 3, Spalte „Belt shrinkage stress (g/d)“, i. V. m. Zeilen
45 bis 48).
Die zuletzt genannten Belastungswerte ergeben sich dabei direkt aus den auf die
Deniergröße bezogenen Belastungen einer einzelnen Schnur in Tabelle 3, indem
dieser Wert mit der zugehörigen Deniergröße,
dem Faktor 9,81 (Umrechnung „kg“
in „N“) und dem Faktor 5 für die Anzahl der Schnüre/Probe multipliziert worden ist
(s. a. diesbezügliche Ausführungen unter Punkt II.1.).
Im Ergebnis unterscheidet sich das Verfahren nach der D1 vom patentgemäßen
Verfahren zunächst dadurch, dass gemäß Anspruch 12 die Polyesterfilamente
ausdrücklich Polyethylen-2,6-
naphthalat („PEN“) enthalten müssen und sich dem-
gegenüber die D1 nur allgemein auf Polyester bezieht. Zwar gehört PEN ebenfalls
der Gruppe der Polyester an, jedoch fehlt der unmittelbare Hinweis auf diese spe-
zielle Polyesterart, so dass die Anforderung hinsichtlich einer eindeutigen, unmit-
telbaren Offenbarung dieses Merkmals nicht erfüllt ist (s. a. BGH GRUR 2009, 382
– Olanzapin).
Als weitere Unterschiede fehlen der D1 die Merkmale der Vorbehandlung mit min-
destens einer Epoxid- und, Isocyanatverbindung, die konkrete Anfangsbelastung
von 147 N für die Tests der Trockenschrumpfungsbelastung sowie die Offenba-
- 11 -
rung, dass bei einer lasttragenden Schnur, die PEN-Fasern enthält und einer pa-
tentgemäßen thermischen Streckfixierung unterzogen worden ist, für eine 3-pro-
zentige Streckung eine Mindestbelastung von 500 N / Rippe erforderlich sein soll.
Die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften weisen noch weitere Unter-
schiede zum anspruchsgemäßen Verfahren auf und wurden von der Einsprechen-
den auch nicht herangezogen.
3.2
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 12 beruht jedoch nicht auf einer
erfinderischen Tätigkeit im Sinne von § 4 PatG.
Bei der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabenstellung, einen V-förmig
gerippten Riemen mit einem relativ geringen Schlupfverhältnis und einer guten
Lebenserwartung zur Verfügung zu stellen, ist es für den Fachmann offenkundig,
dass hierfür ein Riemen mit einer hohen Dimensionsstabilität sowohl im Betrieb
als auch über die Lebensdauer erforderlich ist. So soll sich der Riemen während
des Betriebs möglichst wenig längen, da der damit einhergehende Spannungs-
verlust zu einer Zunahme des Schlupfes führt. Eine geringe Längung bei einer
hohen Spannung ergibt sich zum eine
n grundsätzlich aus einem „steifen“ Riemen
mit einem hohen Modul, wobei patentgemäß eine Streckung des Riemens um 3%
erst bei einer Kraft größer als 500 N pro Rippe bewirkt wird, zum anderen aus ei-
nem günstigen Dehnverhalten der lasttragenden Schnur bei höheren Temperatu-
ren, wobei diese Eigenschaft durch eine entsprechende Behandlung beeinflusst
und über die Trockenschrumpfungsbelastung beurteilt werden kann (vgl.
Absatz 35 der Streitpatentschrift).
Als nächstkommende Schrift wird die bereits im Neuheitsvergleich behandelte D1
angesehen, der die vergleichbare Aufgabe zugrunde liegt, einen Riemen zu
schaffen, der sich während des Betriebs nur minimal längt, über die Lebensdauer
stabil bleibt und die vorteilhaften Eigenschaften von Polyesterfasern ausnutzt
(Seite 2, Zeilen 45 bis 48). Gemäß der D1 wird dieses Ziel, einen optimalen Kom-
- 12 -
promiss zwischen minimaler Ausdehnung im Betrieb und Dimensionsstabilität über
die Lebensdauer zu schaffen, wie beim Streitpatent durch die Behandlung der
lasttragenden, aus Polyesterfilamenten bestehenden Schnur erreicht (siehe
Seite 4,
Zeilen
34
bis
37).
Dabei
entspricht
insbesondere
das
Behandlungsverfahren nach der D1, demnach die Schnur bei einer Temperatur
200° bis 250°C von -1 % bis 2% gestreckt wird (vgl. Seite 4, Zeile 6f. sowie
Anspruch 3), im Wesentlichen dem bevorzugten Behandlungsverfahren gemäß
Anspruch 13 des Streitpatents und führt bei der lasttragenden Schnur aus
Polyesterfilamenten auch hinsichtlich der Trockenschrumpfungsbelastung zum
selben
Ergebnis
(siehe
Neuheitsvergleich
unter
II.4.1.).
Hierbei
ist
vernachlässigbar, dass die Anfangsbelastung bei dem Testverfahren nach der D1,
die bei den Testschnüren mit einer Deniergröße von 6600 bei 162 N liegt,
geringfügig von dem patentgemäßen Festwert von 147 N abweicht, da auch bei
einer Verschiebung um 15 N die anspruchsgemäßen Anforderungen noch erfüllt
werden. (Hierzu ist anzumerken, dass sich der Festwert von 147 N in
offensichtlicher Weise auch bei der D1 ergeben würde, wenn von einer
Deniergröße von 6000 ausgegangen wird, die den Mittelwert des patentgemäßen
Bereichs von 4000 bis 8000 darstellt.).
Hinsichtlich der Vorbehandlung der lasttragenden Schnur haben beide Beteiligten
zum Ausdruck gebracht, dass es im vorliegenden Fall unwesentlich ist, ob als Be-
handlungslösung eine Epoxid- oder eine Isocyanatverbindung verwendet wird, da
im Stand der Technik beide geläufig sind; gleiches gilt auch für die patentgemäße
Kombination von beiden Verbindungen, deren Auswahl ebenfalls im fachmänni-
schen Ermessen liegt.
Die D1 liefert allerdings keine Hinweise, welcher Polyestertyp für die lasttragende
Schnur zu verwenden ist. Hierzu erhält der Fachmann jedoch aus der D2 die An-
regung, Polyesterfilamente aus PEN vorzusehen, da dieser Polyestertyp für
Treibriemen, wie z. B. in Figur 4 dargestellt, besonders geeignet ist. In diesem Zu-
sammenhang wird auch in Spalte 1, Zeilen 31 bis 38, ausgeführt, dass bei
Treibriemen die zur Verstärkung dienenden Fasern insbesondere einen hohen
„Young-Modulus“ (entspricht dem E-Modul) sowie eine hohe Dimensionsstabilität
- 13 -
aufweisen sollen und geeignete PEN-Fasern gerade diese Eigenschaften in Kom-
bination aufweisen können (vgl. Spalte 6, Zeilen 51 bis 57). Aufgrund dieser Ei-
genschaften ist dem Fachmann im Hinblick auf die geforderte Dimensionsstabilität
in Kombination mit einem hohen E-Modul bzw. Young-Modulus die Verwendung
von PEN als Material für die lasttragende Schnur nach der D1 nahegelegt.
Durch die Verwendung von PEN-Fasern in der lasttragenden Schnur erhält der
Fachmann somit zwangsläufig einen Riemen, der auf Grund des höheren E-Mo-
duls der Schnur im Vergleich zu Riemen mit Schnüren aus anderen Polyesterfa-
sern eine größere Steifigkeit aufweist. Damit sind auch höhere Belastungen erfor-
derlich, um die gleiche Dehnung zu bewirken (siehe auch Figur 5 der D2, Ver-
gleich von PEN zu PET), wobei sich das Dehnverhalten des Riemens insgesamt
im Zusammenwirken mit anderen Parametern ergibt (siehe diesbezügliche Aus-
führungen unter Punkt II.1). Da der Fachmann üblicherweise zur Abstimmung der
relevanten Parameter Versuche durchführen und hierbei diejenigen Parameterbe-
reiche ermitteln wird, in denen der Riemen die geforderten Eigenschaften hinsicht-
lich Riemenlängung im Betrieb und Dimensionsstabilität über die Lebensdauer
erfüllt, stellt die anspruchsgemäße Anforderung, dass 500 N pro Rippe erforder-
lich sein sollen, um eine 3%-Streckung zu bewirken, eine rein fachmännische
Maßnahme dar. Damit kann auch dieses Merkmal keine erfinderische Tätigkeit
begründen, zumal hierdurch auch keine besonderen Effekte oder Wirkungen zum
Ausdruck gebracht werden, die über Bekanntes oder vorhersehbare Wirkungen
hinausgehen. Abschließend ist hierzu noch anzumerken, dass gemäß Tabelle 5
des Streitpatents bereits bei Riemen mit Vergleichsschnüren aus PET 490 N pro
Rippe für eine 3%-Streckung benötigt werden; da PEN im Vergleich zu PET be-
reits den 2,5-fachen E-Modul aufweist (vgl. D2, Spalte 8, Tabelle 1), ergäbe sich
bei einem vollständigen Ersatz des PET durch PEN und ansonsten identischen
Parametern für die 3%-Streckung ein deutlich über den geforderten Belastungs-
wert von 500 N pro Rippe liegender Wert, nämlich theoretisch 1225 N pro Rippe.
- 14 -
Damit gelangt der Fachmann ausgehend vom Verfahren nach der D1 durch Her-
anziehung der D2 und seines Fachwissens in naheliegender Weise zum Verfah-
ren nach Anspruch 12.
4.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist ebenfalls nicht patentfähig.
Die D1 offenbart in den Figuren 1 und 2 jeweils einen Transmissionsriemen mit
dem grundsätzlichen Aufbau bzw. den strukturellen Merkmalen nach Anspruch 1,
d. h. einen Riemen mit mindestens einer Rippe, einem Kompressions- und einem
Zugspannungsbereich und einer eingelagerten lasttragenden Schnur. Die hin-
sichtlich des Anspruchs 12 dargelegte Argumentation zur Neuheit und erfinderi-
schen Tätigkeit lässt sich auch auf den Gegenstand des Anspruchs 1 bzw. auf
dessen weitere Merkmale übertragen und führt in entsprechender Weise zu dem-
selben Ergebnis, nämlich dass der Gegenstand des Anspruchs 1 zwar neu ist,
jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß § 4 PatG beruht.
5.
Mit den nicht gewährbaren Ansprüchen 1 und 12 sind auch die jeweils hie-
rauf rückbezogenen Unteransprüche nicht gewährbar (BGH GRUR 1997, 120
„Elektrisches Speicherheizgerät“ in Verbindung mit BGH GRUR 1980, 716, 718
„Schlackenbad“).
6.
Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin hat von der ihr durch
Anberaumung einer mündlichen Verhandlung eingeräumten Möglichkeit der Erör-
terung der Sach-und Rechtslage keinen Gebrauch gemacht und im Übrigen auf
die Einspruchsbeschwerde der Einsprechenden nicht erwidert. Zudem hat sie
auch trotz eines diesbezüglichen Hinweises im Ladungszusatz keinen Antrag ge-
stellt. Über ihren Vortrag im Einspruchsverfahren hinaus hat sie damit nichts zur
Patentfähigkeit ausgeführt, was den Senat hätte zu einem anderen Ergebnis ge-
langen lassen können.
- 15 -
Der Beschluss der Patentabteilung 12 war daher aufzuheben und das Patent zu
widerrufen.
III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4 .
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der
die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind,
oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen
- 16 -
beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schrift-
lich einzulegen.
Dr. Lischke
Dr. Großmann ist
wegen Urlaub an
der
Unterschrift
verhindert
Dr. Lischke
Richter
Uhlmann
prö