Urteil des BPatG vom 23.06.2015

Stand der Technik, Aufteilung, Anteil, Patentanspruch

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 34/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
23. Juni 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
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betreffend das Patent 10 2004 061 630
hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) aufgrund der mündlichen Ver-
handlung am 23. Juni 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-Ing. Lischke als Vorsitzenden sowie der Richter Eisenrauch, Dr.-Ing. Großmann
und Dipl.-Ing. Richter
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss
der Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und Marken-
amts vom 21. April 2010 aufgehoben und das Patent wird mit
folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
-
Patentansprüche 1 bis 13 gemäß Hauptantrag vom
23. Juni 2015,
-
übrige Unterlagen wie Patentschrift.
2.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e
I
Gegen das Patent 10 2004 061 630, dessen Erteilung am 4. Dezember 2008 ver-
öffentlicht wurde, ist am 24. Februar 2009 Einspruch erhoben worden. Die Patent-
abteilung 23 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit Beschluss in der
Anhörung vom 21. April 2010 das Patent aufrechterhalten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 17. Juni 2010 eingegangene Be-
schwerde der Einsprechenden.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss der Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 21. April 2010 aufzuheben und das Patent voll-
ständig zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent im Umfang des
Hauptantrags vom 23. Juni 2015 beschränkt aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdeführerin legt dar, dass der Gegenstand des geltenden Patentan-
spruchs 1 nicht neu sei und auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Zur Begründung führt sie folgende Druckschriften an:
E1
EP 1 092 829 A2
E2
WO 00/66 864 A1
E3
DE 100 01 950 A1
E4
DE 102 61 225 A1
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E5
DE 43 23 150 A1
E6
DE 196 26 831 C1
E7
DE 197 56 496 C2
E8
DE 40 38 720 C2
E9
DE 102 16 982 A1
E10 DE 295 21 068 U1
E11 DE 34 23 242 C1
E12 WO 2004/106 681 A1.
Das Patent betrifft nach dem Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 einen
Türantrieb (1), insbesondere Drehtürantrieb,
-
mit einer Antriebseinheit (2), die über eine Ausgangswelle (9)
mit einer Tür koppelbar und in einem Gehäuse (13) ange-
ordnet ist,
-
mit einem Motor (3), der mit der Antriebseinheit (2) in
Antriebsverbindung steht,
-
mit einem im Gehäuse (13) angeordneten Federkraftspei-
cher (4), der mit dem Motor (3) und der Antriebseinheit (2)
gekoppelt ist,
-
mit einer Hydraulikpumpe (5), die mit dem Motor (3) antriebs-
verbunden ist,
-
wobei die Hydraulikpumpe (5) in Form einer Proportionalkol-
benpumpe ausgebildet ist, die über eine Hydrauliklei-
tung (23) mit einem der Antriebseinheit (2) zugeordneten
ersten Druckraum (6) und über eine weitere Hydrauliklei-
tung (22) mit einem dem Federkraftspeicher (4) zugeordne-
ten separaten mindestens zweiten Druckraum (7) in Hydrau-
likverbindung steht, so dass eine Aufteilung der erforderli-
- 5 -
chen Drücke bzw. Kräfte zum Öffnen der Tür und zum Span-
nen des Federspeichers (4) erfolgt, und
-
mit einer Brandschutz-Freischalteinrichtung (28), die zwi-
schen einem Arbeitshydraulik-Kreislauf (25, 22, 7, 23, 6) und
einem drucklosen Tankraum (29) angeordnet ist.
Daran schließen sich die Ansprüche 2 bis 13 an, die den erteilten Unteransprü-
chen 2 bis 13 entsprechen:
2 Türantrieb nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
die Antriebseinheit (2) als Nockenantrieb ausgebildet ist, der
eine Hubkurvenscheibe (8), die auf der Ausgangswelle (9) an-
geordnet ist, und zwei Kraftübertragungsrollen (10, 11) auf-
weist, die zu beiden Seiten der Ausgangswelle (9) angeordnet
sind und auf Kurvenbahnen der Kurvenscheibe (8) aufliegen.
3. Türantrieb nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet,
dass der Federkraftspeicher (4) eine Druckfeder (12) aufweist,
die sich mit einem Ende (14) an einer Gehäusewand (15) und
mit dem anderen Ende (16) an einem Federspannkolben (17)
abstützt.
4. Türantrieb nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 3,
dadurch gekennzeichnet, dass der dem Federkraftspeicher (4)
zugeordnete Druckraum (7) benachbart zum Federspannkol-
ben (17) angeordnet ist.
5. Türantrieb nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 4,
dadurch gekennzeichnet, dass der Federspannkolben (17)
über ein Verbindungsteil (24) mit einem Öffnungskolben (18)
der Antriebseinheit (2) verbunden ist, wobei der Öffnungskol-
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ben (18) eine Kraftübertragungsrolle (10) der Kraftübertra-
gungsrollen (10, 11) trägt.
6.
Türantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch
gekennzeichnet, dass der der Antriebseinheit (2) zugeordnete
Druckraum (6) benachbart zu einem Dämpfungskolben (19)
angeordnet ist, der die andere Kraftübertragungsrolle (11) der
Kraftübertragungsrollen (10, 11) trägt.
7. Türantrieb nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1 bis 6,
dadurch gekennzeichnet, dass der Druckraum (7) durch eine
fluiddichte Abtrennwand (21) von dem die Antriebseinheit (2)
aufnehmenden Raum (20) des Gehäuses (13) getrennt ist.
8. Türantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch
gekennzeichnet, dass der Motor (3) als Gleichstrommotor-
oder Wechselstrom-Kleinstmotor ausgebildet ist.
9. Türantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch
gekennzeichnet, dass die Hydraulikpumpe (5) einen translato-
risch bewegbaren Proportionalkolben (27) aufweist, der mit ei-
ner vom Motor (3) drehbar angetriebenen Spindel (26) zu-
sammenwirkt.
10. Türantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch
gekennzeichnet, dass der Proportionalkolben (27) benachbart
zu einem Kompressionsraum (25) angeordnet ist, der mit einer
ersten Hydraulikleitung (22) und einer zweiten Hydrauliklei-
tung (23) zu dem Federkraftspeicher (4) zugeordneten Druck-
raum (7) und dem der Antriebseinheit (2) zugeordneten Druck-
raum (6) in Hydraulikverbindung steht.
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11. Türantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch
gekennzeichnet, dass die Freischalteinrichtung (28) als Mag-
netventil ausgebildet ist.
12. Türantrieb nach einem der Ansprüche 1 bis 11, dadurch
gekennzeichnet, dass eine Hydraulik-Dämpfungseinrichtung
vorgesehen ist, die zwischen einem Raum (20) für die An-
triebseinheit (2) und einem dem zweiten Druckraum (7) be-
nachbarten Zwischenraum des Gehäuses (13) angeordnet ist.
13. Türantrieb nach einem der vorhergehenden Ansprüche,
dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Druckräume entspre-
chend dem Druckraum (7) mit der zugehörigen Trenn-
wand (21) hintereinander geschaltet werden können.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der Beschlusstenor war im Wege einer Berichtigung um den Ausspruch zu ergän-
zen, dass die weitergehende Beschwerde der Einsprechenden zurückgewiesen
wird. Hierbei handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 95
Abs. 1 PatG, da mit der getroffenen Entscheidung der Beschwerde der Einspre-
chenden offensichtlich nicht in vollem Umfang stattgegeben wurde. Eines selb-
ständigen Berichtigungsbeschlusses bedurfte es nicht; die Berichtigung der Be-
schlussformel in der zur Zustellung vorgesehenen vollständigen Fassung des Be-
schlusses ist ausreichend (vgl. Busse/, PatG, 7. Aufl., § 95 Rn. 6).
- 8 -
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und mit Gründen
versehen. Sie ist insoweit erfolgreich, als sie zu einer Beschränkung des Patents
führt.
Zur Beschränkung des Anspruchs 1 wurden Merkmale aufgenommen, die in der
Beschreibung offenbart sind. In Absatz 0032 sind Hydraulikleitungen, die zu den
Druckräumen führen, beschrieben und es wird dargelegt, dass eine Aufteilung der
Kräfte zum Öffnen der Tür und zum Spannen des Federspeichers erfolgt. Aus der
in der Figur dargestellten Anordnung der Leitungen 22, 23 und der beiden Druck-
räume 6, 7 erschließt sich, in Verbindung mit den Ausführungen in Absatz 0032,
einem Durchschnittsfachmann ohne weitere Überlegungen, dass sich die durch
den Druck im Hydrauliköl aufbauenden Kräfte tatsächlich auf die beiden Druck-
räume 6, 7 verteilen, dass also die Verteilung nicht nur möglich ist, sondern bei
einer Anordnung, wie sie in der einzigen Figur dargestellt ist, auch tatsächlich er-
folgt.
Als nächstliegender Stand der Technik wird der Drehtürantrieb gemäß der E2
(WO 00/66 864 A1) angesehen. Dieser weist eine Antriebseinheit (Bezugszei-
chen 15, 17, 18) auf, die über eine Ausgangswelle (Bezugszeichen 20) mit einer
Tür koppelbar und in einem Gehäuse (cylindric portions 13) angeordnet ist; er hat
einen Motor (electric motor 2), der mit der Antriebseinheit in Antriebsverbindung
steht, bei ihm ist in dem Gehäuse ein Federspeicher (screw spring 14a) angeord-
net und mit dem Motor und der Antriebseinheit gekoppelt und er hat eine Hydrau-
likpumpe (pump cylinder, Seite 4, Zeile 15), die mit dem Motor antriebsverbunden
ist. Bei dem bekannten Türantrieb ist die Hydraulikpumpe in Form einer Proportio-
nalkolbenpumpe ausgebildet (Seite 4, Zeile 15), bei der die Hydraulikflüssigkeit
(incompressible fluid 11) direkt auf die Antriebseinheit einwirkt und auch die Feder
im Kraftspeicher spannt. Der Pumpenzylinder entspricht also dem ersten Druck-
raum gemäß Anspruch 1.
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Eine Brandschutz-Freischalteinrichtung zwischen der Arbeitshydraulik und einem
drucklosen Tankraum weist der bekannte Türantrieb ebenfalls auf (valve 21,
Seite 6, Zeilen 31, 32).
Der Türantrieb nach E2 zeigt jedoch keinen separaten zweiten Druckraum zum
Spannen des Federspeichers und keine Hydraulikleitungen. Die Gestaltung des
Antriebs mit Hydraulikleitungen kann dabei als handwerkliche Maßnahme ange-
sehen werden, die ein Durchschnittsfachmann im Bedarfsfall ohne weiteres er-
greift. Einen Hinweis oder eine Anregung dahingehend, einen zweiten Druckraum
anzuordnen und die Kräfte in einen zum Öffnen der Tür und einen zum Spannen
der Feder erforderlichen Anteil aufzuteilen, kann diese Druckschrift aber nicht ge-
ben.
Einen Türantrieb für eine Drehtür zeigt auch die E12 (WO 2004/106 681 A1). Die-
ser Antrieb weist, wie der strittige Antrieb, eine Antriebseinheit und eine Aus-
gangswelle auf, die beide in einem Gehäuse angeordnet sind, in dem auch ein
Federspeicher angeordnet ist, der mit dem Motor und der Antriebseinheit gekop-
pelt ist. Des Weiteren weist er eine Hydraulikpumpe auf, die mit dem Motor an-
triebsverbunden ist und die über Hydraulikleitungen mit einem der Antriebseinheit
zugeordneten ersten Druckraum (erster Druckraum 7) und über weitere Hydrau-
likleitungen mit einem dem Federspeicher zugeordneten zweiten Druckraum
(zweiter Druckraum 8) in Verbindung steht. Der zweite Druckraum dient in Verbin-
dung mit dem Hilfskolben 6 dazu, die Feder 5 dadurch vorzuspannen (Seite 3,
Zeilen 21 bis 24), dass sich die beiden Kolben 2 und 6 aufeinander zu bewegen.
Die Federvorspannung wird dann so eingestellt, dass sie einen vorgegebenen
Wert erreicht (Seite 4, Zeilen 4, 5). Nach erfolgreicher Einstellung der Federkraft
wird der Hilfskolben hydraulisch oder mechanisch festgesetzt (Seite 4, letzter Ab-
satz). Diese Beschreibung lässt nur den einen Schluss zu, dass der Antrieb des
Ritzels zum Öffnen der Tür und das Spannen der Feder ausschließlich durch Be-
aufschlagung des ersten Druckraums (7) erfolgt. Somit ist es zwar zutreffend,
dass die Hydraulikpumpe mit einem der Antriebseinheit zugeordneten ersten
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Druckraum und einem dem Federkraftspeicher zugeordneten separaten zweiten
Druckraum in Hydraulikverbindung steht, der Druckschrift kann aber keine Anre-
gung dazu entnommen werden, die Hydraulikverbindung zu den beiden Druck-
räumen derart zu gestalten, dass eine Aufteilung der Drücke bzw. Kräfte zum Öff-
nen der Tür und zum Spannen des Federkraftspeichers erfolgt. Insbesondere ist
offensichtlich, dass eine gleichzeitige Beaufschlagung der beiden Druckkam-
mern 7 und 8 dazu führen würde, dass die zuvor vorgenommene Grundeinstellung
der Federkraft wieder verloren geht.
Somit kann auch eine Zusammenschau der E2 mit der E12 keinen Hinweis und
keine Anregung dazu geben, einen zweiten Druckraum so anzuordnen, dass die
Kräfte in einen zum Öffnen der Tür und einen zum Spannen der Feder erforderli-
chen Anteil aufgeteilt werden.
E5 zeigt in Figur 4 ebenfalls einen Türantrieb, der zwei Druckräume umfasst. Der
Druckraum 12 bewirkt das Verschieben des Kolbens 7 und somit sowohl ein Dre-
hen des Ritzels 9 als auch ein Spannen der Schließfeder 10. Der Ventildruck-
raum 25, der aber nur ein Teil des Ventils 20 ist, dient zur Einstellung verschiede-
ner Betriebszustände des Drehtürantriebs (siehe z. B. Absatz 0031), aber nicht
der Aufteilung von Kräften beim Öffnen der Tür. Die E5 kann daher auch keine
Anregung geben, zwei Druckräume, von denen einer dem Antrieb der Tür und der
andere dem Spannen der Schließfeder dient, anzuordnen.
Die weiteren Druckschriften zeigen jeweils nur Türantriebe, bei denen ein einziger
Druckraum vorgesehen ist, durch dessen Beaufschlagung das Türblatt bewegt
und gleichzeitig die Feder gespannt wird. Eine Anregung oder ein Hinweis einen
Türantrieb mit den im Anspruch 1 genannten Merkmalen zu schaffen, können
diese Druckschriften auch nicht geben.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag umfasst also Merkmale, die nicht durch
den aufgedeckten Stand der Technik nahegelegt sind, er ist deshalb gewährbar.
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Mit dem gewährbaren Patentanspruch 1 sind auch die auf ihn rückbezogenen
Unteransprüche 2 bis 13 gewährbar, da sie auf nicht platt selbstverständliche
Ausgestaltungen des Türantriebs gerichtet sind.
III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses
beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe durch einen beim
Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schriftlich
einzulegen.
Dr. Lischke
Eisenrauch
Dr. Großmann
Richter
prö/Bb