Urteil des BPatG vom 15.12.2015

Stand der Technik, Patent, Form, Neuheit

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 28/14
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 101 15 539
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hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in
der Sitzung vom 15. Dezember 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt, Eisenrauch und
Dr.-Ing. Großmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Gegen das Patent
101 15 539
, dessen Erteilung am 18. September 2008 veröf-
fentlicht wurde, ist am 15. Dezember 2008 Einspruch erhoben worden.
Der Einspruch stützt sich auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit
des Patentgegenstandes nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG und bezieht sich hierzu auf
die Druckschriften:
E1
US 4 183 179 A
E2
DE 18 12 129 U
E3
US 3 852 916 A
E4
EP 0 940 544 A2.
Die Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das Patent
mit Beschluss vom 9. Dezember 2009 widerrufen.
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Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin stellt den Antrag,
den
am
10. Februar 2010
zugestellten
Beschluss
vom
9. Dezember 2009 aufzuheben und das Patent 101 15 539 in vol-
lem Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent nach Hilfs-
antrag vom 10. Mai 2010 beschränkt aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der
Beschwerde.
Die Anmeldung betrifft nach dem Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 eine
Schiebetür, welche bodenseitig und/oder deckenseitig in einer
Führungsschiene (6) mittels eines Gleitstückes (5) geführt ist, mit
einer Ausgleichsvorrichtung (2) zum Ausgleichen von Neigungen
der Führungsschiene (6) relativ zu einer waagerechten Kante der
Schiebetür (1), umfassend ein Hohlprofil (3), in welchem ein Aus-
gleichselement (4) angeordnet ist, wobei das Ausgleichselement
(4) mit dem Gleitstück (5) verbunden ist und im Hohlprofil (3) in
senkrechter Richtung (A-A) bewegbar ist, um beim Verfahren der
dadurch gekennzeich-
net
ausgebildet ist.
Nach Hilfsantrag wird beansprucht eine
Schiebetür, welche bodenseitig und/oder deckenseitig in einer
Führungsschiene (6) mittels eines Gleitstückes (5) geführt ist, mit
einer Ausgleichsvorrichtung (2) zum Ausgleichen von Neigungen
der Führungsschiene (6) relativ zu einer waagerechten Kante der
Schiebetür (1), umfassend ein Hohlprofil (3), in welchem ein Aus-
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gleichselement (4) angeordnet ist, wobei das Ausgleichselement
(4) mit dem Gleitstück (5) verbunden ist und im Hohlprofil (3) in
senkrechter Richtung (A-A) bewegbar ist, um beim Verfahren der
dadurch gekennzeich-
net
ausgebildet ist,
.
(hinzugenommenes Merkmal kursiv)
An den Hauptanspruch nach Haupt- und Hilfsantrag schließen sich jeweils die er-
teilten, rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6 an, zu deren Wortlaut sowie zu
weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1.
Die Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben, sie führt nicht zum Erfolg.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist nicht patentfähig.
Als hier zuständiger Fachmann kann ein Schlossermeister mit Erfahrung in der
Konstruktion von Schiebetüren angesehen werden.
Die Beschwerdeführerin legt eine gegliederte Fassung des Anspruchs 1 vor, auf
die im weiteren Bezug genommen wird:
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(1.1) Schiebetür, welche bodenseitig und/oder deckenseitig in ei-
ner Führungsschiene (6) mittels eines Gleitstückes (5) ge-
führt ist,
(1.2) mit einer Ausgleichsvorrichtung (2) zum Ausgleichen von
Neigungen der Führungsschiene (6) relativ zu einer waage-
rechten Kante der Schiebetür (1),
(1.3) umfassend ein Hohlprofil (3), in welchem ein Ausgleichsele-
ment (4) angeordnet ist,
(1.4) wobei das Ausgleichselement (4) mit dem Gleitstück (5) ver-
bunden ist und
(1.5) im Hohlprofil (3) in senkrechter Richtung (A-A) bewegbar ist,
um beim Verfahren der Schiebetür (1) Neigungen auszuglei-
chen,
dadurch gekennzeichnet
(1.6) dass das Hohlprofil (3) als Rahmenprofil der Schiebetür (1)
ausgebildet ist.
Neuheit
Keine der entgegengehaltenen Schriften zeigt eine Schiebetür mit allen im An-
spruch 1 genannten Merkmalen.
Der nächstliegende Stand der Technik ist in der E1 (US 4 183 179 A) offenbart,
die eine Schiebetür für einen Eisenbahnwaggon betrifft. In den Figuren 5 und 6 ist
eine Führung einer Schiebetür in einer bodenseitig angeordneten Führungs-
schiene (threshold plate 22) mittels eines Gleitstücks (slide plate 28) dargestellt.
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Diese Führung umfasst eine Vorrichtung (threshold arrangement 21), die geeignet
ist, Neigungen der Führungsschiene (threshold plate 22) relativ zu einer waage-
rechten Kante der Schiebetür (1) auszugleichen. Diese Ausgleichsvorrichtung
umfasst ein Hohlprofil (slide housing 29), in welchem ein Ausgleichselement (slide
plate 28) angeordnet ist. Das Ausgleichselement gleitet mit seinem unteren Ende
in einer Führungsschiene, das untere Ende übernimmt somit die Funktion eines
Gleitstücks. Das Ausgleichselement ist also als mit dem Gleitstück verbunden.
Das Ausgleichselement ist im Hohlprofil (slide housing 29) in senkrechter Richtung
bewegbar (vgl. Spalte 2, Zeilen 58 bis 61), so dass beim Verfahren der
Schiebetür (1) Neigungen der Schwelle ausgeglichen werden können. Das Hohl-
profil, in dem das Ausgleichselement bewegbar ist, ist mit Schrauben (screw 30)
innerhalb des Hohlprofils (tubular end member 17), aus dem der Rahmen des
Türblatts gebildet ist, befestigt (Spalte 2, Zeilen 52, 53). Das Hohlprofil, in dem das
Ausgleichselement bewegbar ist, ist erkennbar schmaler ausgebildet als das
Rahmenprofil der Schiebetür und nach oben durch eine Kappe verschlossen, an
der sich die Feder abstützt, die das Ausgleichselement mit seinem Gleitstück in
die Führungsnut der Bodenschiene drückt.
Die Vorrichtung nach der E1 weist also die Merkmale 1.1 bis 1.5 auf, nicht aber
das Merkmal 1.6, dass das Hohlprofil (3) als Rahmenprofil der Schiebetür (1)
ausgebildet ist. Die Schiebetür nach Anspruch 1 ist deshalb neu gegenüber der
E1.
Die E2 und die E4 betreffen keine Türen, die ein Hohlprofil aufweisen. Die E3 zeigt
kein Gleitstück und kein Ausgleichselement, sondern Rollen (roller 78), die an
einem Halter (hanger 26) gelagert sind, der seinerseits wieder durch eine Feder
(clip 28) im Hohlprofil verriegelt gehalten wird.
Die Schiebetür nach Anspruch 1 ist also auch neu gegenüber den Entgegen-
haltungen E2 bis E4.
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Erfinderische Tätigkeit
Die Gestaltung der Schiebetür nach Anspruch 1 beruht aber nicht auf einer erfin-
derischen Tätigkeit.
Das Merkmal, durch das sich die Schiebetür nach Anspruch 1 wesentlich vom
aufgedeckten Stand der Technik unterscheidet, ist die Ausbildung des Hohlprofils,
in dem das Gleitstück bewegbar ist, als Rahmenprofil der Schiebetür (Merk-
mal 1.6).
In der E1 ist, wie bei der Betrachtung zur Neuheit bereits ausgeführt, eine Schie-
betür bekannt, die die Merkmale 1.1 bis 1.5 (Oberbegriff) aufweist. Bei dieser be-
kannten Schiebetür ist die Ausgleichsvorrichtung als Bauteil dargestellt (Figuren 5
und 6) und beschrieben (Spalte 2, Zeilen 50 bis 64). Sie umfasst ein Ausgleichs-
element und ein Gleitstück, die einstückig ausgebildet und in einem Hohlprofil
(slide housing 29) angeordnet sind und weiterhin auch noch eine Druckfeder
(compression spring 33) sowie einen nach innen vorspringenden Flansch (protru-
ding flange 31), der mit einer vorspringenden Nase (protruding nub 32) am Aus-
gleichselement zusammenwirkt, wodurch verhindert wird, dass die vorgespannte
Druckfeder das Ausgleichselement aus dem Hohlprofil drückt. Als Widerlager für
die Feder ist das Hohlprofil mit einem Deckel (cap 34) versehen. Dieses im Ver-
gleich mit dem Rahmen für das Türblatt relativ aufwändig herzustellende und of-
fensichtlich vorgefertigte Bauteil wird in das Rahmenprofil (tubular member 17) der
Schiebetür eingesetzt und mit Schrauben (screw 30) befestigt.
Die Anordnung der mechanischen Teile der Ausgleichsvorrichtung in einem Hohl-
profil, das selbst wiederum in das aus einem Hohlprofil bestehende Rahmenprofil
der Schiebetür eingesetzt wird, kann es einem Durchschnittsfachmann nahelegen,
die mechanischen Teile der Ausgleichsvorrichtung direkt in das Rahmenprofil der
Schiebetür einzubringen, um so ein eigenes Gehäuse für die Vorrichtung einzu-
sparen. Da dann das Rahmenprofil der Schiebetür das Gehäuse bildet, das das
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Ausgleichselement aufnimmt, kann umgekehrt auch - von der Ausgleichsvorrich-
tung ausgehend - das Gehäuse der Vorrichtung als Rahmenprofil der Schiebetür
angesehen werden.
Bei der aus der E1 bekannten Schiebetür die Ausgleichsvorrichtung direkt in das
Rahmenprofil der Schiebetür einzubauen, ist also naheliegend. Das die Vorrich-
tung aufnehmende Profil als Gehäuse zu bezeichnen und dann das Gehäuse wie-
derum als Rahmenprofil der Schiebetür anzusehen, ist nur eine Vertauschung von
Begriffen, ohne dass dadurch technische Details verändert werden. Das Merk-
mal 1.6 kann daher das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht begründen.
Der Anspruch 1 ist daher nicht bestandsfähig.
Nach Hilfsantrag wird eine Schiebetür beansprucht, die sich von der Schiebetür
nach Hauptantrag dadurch unterscheidet, dass sich das Ausgleichselement (4) frei
im Hohlprofil (3) bewegen kann, und dass das Ausgleichselement (4) beim Ver-
schieben in Abhängigkeit der Neigung der Führungsschiene (6) aus dem Hohlpro-
fil (3) herausgezogen bzw. hineingedrückt wird.
Unter „frei…bewegen“ soll gemäß
den Ausführungen in der Beschreibung verstanden werden, dass durch konstruk-
tive Maßnahmen erreicht wird, dass sich das Ausgleichselement in dem Hohlprofil
nicht verklemmen kann. Diese Form der freien Beweglichkeit des Ausgleichsele-
ments in dem Hohlprofil ist bei der Ausgleichsvorrichtung nach der E1 auch bereits
gegeben. Dem steht auch nicht entgegen, dass bei der entgegengehaltenen Vor-
richtung das Ausgleichselement durch eine Feder in Richtung auf die Führungs-
schiene vorgespannt ist. Die freie Beweglichkeit des Ausgleichselements zum
Ausgleich einer Neigung der Führungsschiene wird durch sie nicht eingeschränkt.
Die Schiebetür nach Anspruch 1 des Hilfsantrags weist also gegenüber der Schie-
betür nach Anspruch 1 des Hauptantrags ein Merkmal auf, das durch die entge-
gengehaltene E1 bereits bekannt ist, sie beruht deshalb aus den gleichen Grün-
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den wie die Schiebetür nach Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag ist daher auch nicht gewährbar.
Zusammen mit den jeweils nicht bestandsfähigen Hauptansprüchen haben auch
die auf sie rückbezogenen Unteransprüche keinen Bestand. Die Unteransprüche
enthalten nur naheliegende Ausgestaltungen der Schiebetüren nach den jeweili-
gen Ansprüchen 1.
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
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Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe durch
einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten
schriftlich einzulegen.
Dr. Lischke
Hildebrandt
Eisenrauch
Dr. Großmann
prö