Urteil des BPatG vom 05.11.2015

Stand der Technik, Neuheit, Befangenheit, Patentanspruch

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 22/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
5. November 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
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betreffend das Patent 10 2004 061 626
hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) aufgrund der mündlichen
Verhandlung am 5. November 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Dipl.-Ing. Hildebrandt, Eisenrauch und
Dr.-Ing. Großmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Gegen das Patent 10 2004 061 626, dessen Erteilung am 11. September 2008
veröffentlicht wurde, ist am 10. Dezember 2008 Einspruch erhoben worden. Die
Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat mit in der Anhö-
rung vom 4. November 2009 verkündetem Beschluss das Patent aufrechterhalten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 18. Dezember 2009 eingegangene
Beschwerde der Einsprechenden.
Das Streitpatent ist im Laufe des Be
schwerdeverfahrens von der D… GmbH +
Co.
KG auf die D1… GmbH umgeschrieben worden. Wie sich aus
dem von der Patentinhaberin vorgelegten Handelsregisterauszug ergibt, war Hin-
tergrund dieser Umschreibung ein gesellschaftsrechtlicher Formwechsel, bei dem
die bishe
rige Patentinhaberin, die D… GmbH + Co. KG, ohne Liquidation erlo-
schen ist.
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Die Beschwerdeführerin beantragt,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu
widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführerin führt aus, dass der Gegenstand des geltenden Patentan-
spruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie bezieht sich dazu auf
folgende Druckschriften:
E1 DE 34 23 242 C1
E2 DE 102 61 225 A1
E3 DE 43 23 150 A1
E4 DE 100 01 950 A1
E5 DE 197 56 496 C2
E6 DE 40 38 720 C2
E7 DE 102 16 982 A1
E8 DE 295 21 068 U1.
Zusätzlich wird noch verwiesen auf die
E9 EP 1 092 829 A2.
Das Patent betrifft nach dem Wortlaut des geltenden Patentanspruchs 1 einen:
Türantrieb (1), insbesondere Drehtürantrieb, mit einer Antriebsein-
heit (2), die als Nockenantrieb ausgebildet ist, wobei die Antriebs-
einheit (2) über eine Ausgangswelle (9) mit einer Tür koppelbar
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und in einem Gehäuse (13) angeordnet ist; mit einem Motor (3),
der mit der Antriebseinheit (2) in Antriebsverbindung steht; mit
einem im Gehäuse (13) angeordneten Federkraftspeicher (4), der
mit dem Motor (3) und der Antriebseinheit (2) gekoppelt ist, und
mit einer Hydraulikpumpe (5), die mit dem Motor (3) antriebsver-
bunden ist und die mit einem ein Tankvolumen darstellenden Hyd-
raulikraum (6) und einem dem Federkraftspeicher (4) zugeordne-
ten separaten abgedichteten Druckraum (7) in Hydraulikverbin-
dadurch gekennzeichnet,
eine Hubkurvenscheibe (8) aufweist, die auf der Ausgangswel-
le (9) angeordnet ist; dass zwei Kraftübertragungsrollen (10, 11),
die zu beiden Seiten der Ausgangswelle (9) angeordnet sind und
auf Kurvenbahnen der Hubkurvenscheibe (8) aufliegen, in einem
Laschenwagen (18) angeordnet sind, der über eine Kolbenstan-
ge (19) mit dem Federspannkolben (17) verbunden ist, und dass
der dem Federkraftspeicher (4) zugeordnete Druckraum (7) be-
nachbart zum Federspannkolben (17) angeordnet ist und mittels
einer Trennwand (24) mit einer Dichtung (20) gegenüber einem
Aufnahmeraum (21) der Antriebseinheit (2) abgedichtet ist.
Die Beschwerdeführerin legt einen nach Merkmalen gegliederten Anspruch 1 vor,
der im Wesentlichen für die Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit
übernommen wird:
(1.1)
Türantrieb (1), insbesondere Drehtürantrieb,
(1.2)
mit einer Antriebseinheit (2),
(1.3)
die als Nockenantrieb ausgebildet ist,
(1.4)
wobei die Antriebseinheit (2) über eine Ausgangswelle (9)
mit einer Tür koppelbar
(1.5)
und in einem Gehäuse (13) angeordnet ist;
(1.6)
mit einem Motor (3),
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(1.7)
der mit der Antriebseinheit (2) in Antriebsverbindung steht;
(1.8)
mit einem im Gehäuse (13) angeordneten Federkraftspei-
cher (4),
(1.9)
der mit dem Motor (3) und der Antriebseinheit (2) gekop-
pelt ist,
(1.10) und mit einer Hydraulikpumpe (5),
(1.11) die mit dem Motor (3) antriebsverbunden ist
(1.12) und die mit einem ein Tankvolumen darstellenden Hydrau-
likraum (6) und einem dem Federkraftspeicher (4) zuge-
ordneten separaten abgedichteten Druckraum (7) in Hyd-
raulikverbindung steht,
dadurch gekennzeichnet,
(1.13) dass der Nockenantrieb eine Hubkurvenscheibe (8) auf-
weist,
(1.14) die auf der Ausgangswelle (9) angeordnet ist;
(1.15) dass zwei Kraftübertragungsrollen (10, 11) in einem La-
schenwagen (18) angeordnet sind,
(1.16) dass die Kraftübertragungsrollen zu beiden Seiten der
Ausgangswelle (9) angeordnet sind und auf Kurvenbah-
nen der Hubkurvenscheibe (8) aufliegen,
(1.17) dass der Laschenwagen (18) über eine Kolbenstange (19)
mit dem Federspannkolben (17) verbunden ist,
(1.18) und dass der dem Federkraftspeicher (4) zugeordnete
Druckraum (7) benachbart zum Federspannkolben (17)
angeordnet ist
(1.19) und mittels einer Trennwand (24) mit einer Dichtung (20)
gegenüber einem Aufnahmeraum (21) der Antriebsein-
heit (2) abgedichtet ist.
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Die auf den Hauptanspruch rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 5 lauten:
2. Türantrieb nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
der Federkraftspeicher (4) eine Druckfeder (12) aufweist, die sich
mit einem Ende (14) an einer Gehäusewand (15) oder an einer
Federkraftverstellung (25) und mit dem anderen Ende (16) an
einem Federspannkolben (17) abstützt.
3. Türantrieb nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
die Kolbenstange (19) durch die Dichtung (20) verläuft.
4. Türantrieb nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
die Pumpe (5) über eine in einer Leitung angeordneten Dros-
sel (22) mit dem Druckraum (7) verbunden ist.
5. Türantrieb nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
der Motor (3) als Wechselstrom- oder Gleichstrommotor-Kleinst-
motor ausgebildet ist.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Im vorliegenden Fall wird das Verfahren ohn
e weiteres mit der D1…
GmbH als neuer Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin weitergeführt.
Dies steht im Einklang mit der Regelung des § 265 Abs. 2 ZPO, wonach der
Rechtsnachfolger grundsätzlich nicht berechtigt ist, ohne Zustimmung des Ein-
sprechenden und Beschwerdeführers den Prozess als Hauptpartei an Stelle des
Rechtsvorgängers zu übernehmen (vgl. BGH GRUR 2008, 87 ff. -
„Patentinhaber-
wechsel im Einspruchsverfahren“). Hier besteht nämlich die Besonderheit, dass
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die D1… GmbH im Wege eines gesellschaftsrechtlichen Form-
we
chsels unmittelbar aus der D… GmbH + Co. KG hervorgegangen ist. Auf
eine solche Umwandlung, bei der die Rechtsvorgängerin erloschen und eine Ge-
samtrechtsnachfolge eingetreten ist, ist § 265 Abs. 2 ZPO nicht anwendbar
(Busse/, PatG, 7. Aufl., § 59 Rn. 213).
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. In der Sache ist sie
aber unbegründet und führt deshalb nicht zum Widerruf des Patents.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist patentfähig (§§ 1 bis 5 PatG).
Die Beschwerdeführerin stellt die Neuheit des Streitgegenstands nicht in Frage.
Keine der entgegengehaltenen Schriften zeigt einen Türantrieb mit allen im
Anspruch 1 genannten Merkmalen, insbesondere zeigen die E1, E2, E3, E5, E7,
E8 und E9 keinen Nockenantrieb (Merkmal 1.3 fehlt) und E4 und E6 zeigen kei-
nen hydraulischen Antrieb (Merkmale 1.10 bis 1.12 fehlen). In der E4 ist lediglich
eine hydraulisch wirkende Dämpfungsvorrichtung dargestellt.
Der Türantrieb nach Anspruch 1 ist also neu gegenüber allen entgegengehalte-
nen Druckschriften.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht
in Zweifel steht, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Als nächstliegender Stand der Technik wird die E2 angesehen. Sie zeigt einen
Türantrieb mit den Merkmalen 1.1, 1.2 und 1.4 bis 1.12. Die Antriebseinheit ist
aber als Ritzelantrieb ausgebildet, nicht als Nockenantrieb. Diesem Unterschied
wird aber keine entscheidende Bedeutung zugemessen, da auf dem Gebiet der
Türantriebe im Wesentlichen nur diese beiden Typen von Antrieben eingesetzt
werden und ein Durchschnittsfachmann ohne Weiteres den geeigneten Typ aus-
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wählt. Als Beispiel für einen Nockenantrieb bei einem Türschließer wird die E4 ge-
nannt. Der in diese Entgegenhaltung dargestellte Nockenantrieb zeigt auch die
Merkmale 1.13 bis 1.16.
Eine einfache Kombination dieser beiden Entgegenhaltungen, also beispielweise
bei der E2 den Antrieb aus Verzahnung und Ritzel durch einen Antrieb aus No-
ckenscheibe und Laschenwagen gemäß der E4 zu ersetzen, würde aber noch
nicht zum Türantrieb nach Anspruch 1 führen. Als wesentlicher Unterschied wird
angesehen, dass der dem Federkraftspeicher zugeordnete Druckraum benachbart
zum Federspannkolben angeordnet und mittels einer Trennwand mit einer Dich-
tung gegenüber einem Aufnahmeraum der Antriebseinheit abgedichtet ist (Merk-
male 1.18 und 1.19). Diese beiden Merkmale zusammen betrachtet, bedeuten,
dass sich der Druckraum zwischen dem Federkraftspeicher und dem Aufnahme-
raum für die Antriebseinheit befindet, denn nur so kann er einerseits benachbart
zum Federspannkolben angeordnet sein und andererseits mittels einer Trennwand
an den Aufnahmeraum der Antriebseinheit angrenzen. Für eine Anordnung des
Druckraums an dieser Stelle bietet der aufgedeckte Stand der Technik kein Vor-
bild und gibt auch keine Anregung dazu.
Bei der E1 ist der Druckraum zwischen dem Federkraftspeicher und dem Gehäu-
seabschluss angeordnet, bei der E2 und der E3 sitzt er zwischen dem Aufnahme-
raum für die Antriebseinheit und dem Gehäuseabschluss. Die E9 zeigt eine Kon-
struktion mit zwei Druckräumen, bei der einer der Druckräume auch die Kraftspei-
cherfeder aufnimmt. Alle anderen Entgegenhaltungen betreffen Konstruktionen
ohne hydraulischen Antrieb.
Die Verlagerung des Druckraums vom Gehäuseabschluss in den mittleren Bereich
des Gehäuses kann auch nicht als einfache handwerkliche Maßnahme angesehen
werden, die ein Durchschnittsfachmann ohne weiteres ergreift. Durch die bean-
spruchte Konstruktion verändert sich die Verteilung der Kräfte innerhalb des Tür-
antriebs und die Kolbenstange muss durch den Druckraum geführt werden, was
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bei einer Anordnung des Druckraums beim Gehäuseabschluss nicht erforderlich
ist.
Keine der Entgegenhaltungen konnte also weder für sich allein noch in einer
Zusammenschau mit anderem Druckschriften und auch nicht bei Einbeziehung
des Wissens und Könnens eines Durchschnittsfachmanns einen Hinweis oder
eine Anregung dazu geben, einen Türantrieb mit den im Anspruch 1 aufgeführten
Merkmalen zu gestalten, der Gegenstand des Anspruchs 1 ist also nicht nahege-
legt, er beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Unteransprüche 2 bis 5 betreffen zweckmäßige Ausgestaltungen, sie wurden
im Einzelnen nicht angegriffen. Mit dem beständigen Patentanspruch 1 haben
auch sie Bestand, da sie auf nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des
Türantriebs gerichtet sind.
III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
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4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe durch einen
beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schrift-
lich einzulegen.
Dr. Lischke
Hildebrandt
Eisenrauch
Dr. Großmann
Fa