Urteil des BPatG vom 04.10.2016

Stand der Technik, Neuheit, Bestimmungsort, Patentanspruch

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 173/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
4. Oktober 2016
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2010 004 266.8
hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 4. Oktober 2016 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters
Dr.-lng. Lischke sowie der Richter Dipl.-lng. Hildebrandt, Eisenrauch und
Dipl.-lng. Küest
- 2 -
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der
Prüfungsstelle für Klasse E01 F des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 7. Juli 2014 aufgehoben und das Patent
wird mit folgenden Unterlagen erteilt:
-
Patentansprüche 1 bis 9 gemäß Hauptantrag aus der
Eingabe vom 30. September 2016,
-
im Übrigen Unterlagen gemäß Offenlegungsschrift.
2.
Die auf der Grundlage der am 30. September 2016 gegen-
über dem Bundespatentgericht erklärten Teilungserklärung
entstandene Teilanmeldung wird zur weiteren Bearbeitung
und Durchführung des Prüfungsverfahrens an das Deutsche
Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
G r ü n d e
I.
Die Erfindung wurde am 9. Januar 2010 beim Deutschen Patent- und Markenamt
unter dem Aktenzeichen 10 2010 004 266.8 angemeldet.
Die Prüfungsstelle für Klasse E01F des Deutschen Patent- und Markenamtes hat
die Anmeldung mit Beschluss vom 7. Juli 2014 mit der Begründung zurückgewie-
sen, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei durch den Inhalt der
DE 10 2005 022 495 A1 (Druckschrift E1) neuheitsschädlich vorweggenommen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders. Er tritt der
Begründung durch die Prüfungsstelle entgegen und stellt den Antrag,
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den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse E01F des Deutschen
Patent- und Markenamts vom 7. Juli 2014 aufzuheben und das
Patent
gemäß
Hauptantrag
aus
dem
Schriftsatz
vom
30. September 2016 zu erteilen.
Die Anmeldung umfasst neun Patentansprüche, welche in der antragsgemäßen
Fassung wie folgt lauten:
1. Zum Aufbau einer Wand vorgesehene Gabioneneinheit mit we-
nigstens einer Gabione (6), welche Gabione (6) zumindest grob
rechtwinklig zueinander liegende, die Außenseiten der Gabione
(6) bildende Seitenteile und einen Bodenteil aufweist, dadurch ge-
kennzeichnet, dass eines der Seitenteile der Gabione (6) durch
ein Lärmdämmelement (1) gebildet ist, welches Lärmdämmele-
ment (1) nahe den Rändern seiner Außenseiten Verbindungsele-
mente (2) aufweist, an welche die Ränder der weiteren, parallel
zueinander verlaufenden Seitenteile und des Bodenteils der
Gabione (6) angeschlossen sind.
2. Gabioneneinheit nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
dass nahe den Rändern der Außenseiten des Lärmdämmele-
ments (1), aber auf der Außenseite der bisher gebildeten Gabione
(6) weitere Verbindungselemente vorgesehen sind, an die die
Ränder der parallel zueinander verlaufenden weiteren Seitenteile
und des Bodenteils einer weiteren Gabione (6) derart angeschlos-
sen sind, dass das Lärmdämmelement (1) den einen Seitenteil
beider Gabionen (6) bildet.
3. Gabioneneinheit nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekenn-
zeichnet, dass das Lärmdämmelement (1) an seinen Stirnseiten
mit Nut und Feder (3, 4) versehen ist.
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4. Gabioneneinheit nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch
gekennzeichnet, dass das Lärmdämmelement (1) aus Gas- oder
Lavabeton besteht.
5. Gabioneneinheit nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch
gekennzeichnet, dass das Lärmdämmelement (1) über eine
Steckschließung (2) o. dgl. lösbar mit der Außenseite der Gabione
(6) verbunden ist.
6. Gabioneneinheit nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch
gekennzeichnet, dass an der oberen Stirnseite des Lärmdämm-
elementes (1) eine Lastöse (5) angeordnet ist.
7. Verfahren zum Aufbau einer Lärmschutzwand aus Gabionen-
einheiten nach einem der vorangehenden Ansprüchen, wobei die
Gabioneneinheiten fertig befüllt zur Baustelle transportiert werden
und die zueinander in der aufzubauenden Lärmschutzwand be-
nachbarten Gabionen zur Verbindung der Gabioneneinheiten
ohne Schalllücken Stirnseite an Stirnseite in Nut- und Feder-
schluss tretend aufeinandergesetzt werden.
8. Verwendung eines Lärmdämmelements (1) als ein statisch be-
lastbares, armiertes Teil einer Gabioneneinheit.
9. Lärmschutzwand, bestehend aus stapelbaren Gabionen (6), je-
weils mit Seitenteilen, zumindest einem Boden aus Drahtgittern
und einem Lärmdämmelement (1), dadurch gekennzeichnet, dass
im Falle jeder Gabione (6), soweit die Lärmschutzwand aus sta-
pelbaren Gabionen besteht,
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9.1 das Lärmdämmelement (1) als ein Seitenteil der Gabione (6)
eingesetzt ist,
9.2 das Lärmdämmelement (1) dazu armiert ist und
9.3 das Lärmdämmelement (1) nahe seiner Außenseiten Verbin-
dungselemente (2) zum Anschluss der senkrecht an das Lärm-
dämmelement angebundenen Drahtgitter der angebundenen Seit-
enteile und des angebundenen Bodens aufweist.
II.
1.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch
erfolgreich, da sie zur Erteilung eines Patents im beantragten Umfang führt.
2.
Die geltenden Patentansprüche 1 bis 9 sind zulässig. Wie sich der Senat
überzeugt hat, sind ihre Gegenstände in den am Anmeldetag eingereichten Un-
terlagen ursprungsoffenbart.
3.
Als hier zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Bauingenieur (FH)
mit Erfahrung im Straßen- und Landschaftsbau sowie vertieften Kenntnissen im
Bereich des damit in Verbindung stehenden Schallschutzes an.
4.1
Die Gegenstände der nebengeordneten, auf eine zum Aufbau einer Wand
vor- gesehene Gabioneneinheit, ein Verfahren zum Aufbau einer Lärmschutzwand
aus Gabioneneinheiten, die Verwendung eines Lärmdämmelements als statisch
belastbares Teil einer Gabioneneinheit sowie eine Lärmschutzwand gerichteten
Patentansprüche 1, 7, 8 und 9 sind neu (§ 1 Abs. 1 u. § 3 PatG).
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So fehlt bei der aus der Druckschrift E1 bekannten Schallschutzwand schon das
den anmeldungsgemäßen Aufbau einer Gabione bestimmende Merkmal eines
Boden- teils. Vielmehr sind die dort aus mehreren Gitterelementen (3, 4) zusam-
mengesetzten Gitterkörbe (5) an ihrer Unterseite offen und stellen somit keine
Gabionen im Sinne des Patentgegenstandes dar.
Dies begründet die Neuheit der Gegenstände aller nebengeordneten Patentan-
sprüche 1 und 7 bis 9, da diese sämtlich eine Gabioneneinheit mit einem Boden-
teil voraussetzen.
Der Senat hat sich im Übrigen davon überzeugt, dass auch der Inhalt der weiteren
im Prüfungsverfahren ermittelten, in dem angefochtenen Beschluss nicht aufge-
griffenen Entgegenhaltungen FR 2 897 375 A1 (E2), US 5 788 424 (E3) und
FR 2 903 712 A1 (E4) der Neuheit des Anmeldungsgegenstandes nicht entgegen-
steht.
4.2
Die Gegenstände der geltenden Patentansprüche 1, 7, 8 und 9 beruhen
auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 1 Abs. 1 u. § 4 PatG).
So ist der E1 kein Hinweis darauf zu entnehmen, eine Wand aus einzelnen
Gabioneneinheiten im Sinne des geltenden Patentanspruchs 1 aufzubauen. Diese
Druckschrift gibt dem wie oben unter Punkt 3 definierten Fachmann vielmehr die in
sich abgeschlossene Lehre an die Hand, einzelne aus Beton o. dgl. bestehende
Wandelemente aneinander gereiht aufzustellen und im Nachhinein mit Gitterteilen
zu versehen, welche zusammen mit den Wandelementen seitlich begrenzte Git-
terkörbe bilden. Wie oben zur Neuheit ausgeführt, weisen diese Gitterkörbe keinen
Boden auf, so dass sie erst dann mit Schüttgut befüllt werden können, wenn sie
an ihrem Bestimmungsort auf dem dortigen Untergrund aufgestellt sind. Von der
erfindungsgemäßen Lehre, komplett vorgefertigte Gabioneneinheiten zum Aufbau
einer Wand vorzusehen, weist dieser Stand der Technik somit gerade weg.
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Dies gilt, wie vorstehend zur Neuheit begründet, neben dem Gegenstand des
geltenden Patentanspruchs 1 auch für die Gegenstände der nebengeordneten
Patentansprüche 7 bis 9.
Nach Auffassung des Senats konnten auch die weiteren o. a. Entgegenhaltungen
E2 bis E4 den Anmeldungsgegenstand weder für sich noch in Kombination mitei-
nander bzw. mit der E1 nahelegen.
5.
Mit dem somit gewährbaren Patentanspruch 1 sind auch die hierauf rückbe-
zogenen, auf vorteilhafte Ausgestaltungen der beanspruchten Gabioneneinheit
gerichteten Unteransprüche 2 bis 6 gewährbar.
III.
Die Teilanmeldung, die durch die am 30. September 2016 gegenüber dem Bun-
despatentgericht erklärte Teilung entstanden und als Teil des vorliegenden Be-
schwerdeverfahrens anhängig geworden ist, hat der Senat an das Deutsche Pa-
tent- und Markenamt zurückverwiesen. Dies erschien sachdienlich, um dem An-
melder eine Prüfung der Teilanmeldung in zwei Instanzen zu ermöglichen (vgl.
Schulte / Moufang, PatG, 9. Aufl., § 39 Rn. 63).
Dr. Lischke
Hildebrandt
Eisenrauch
Küest