Urteil des BPatG vom 28.06.2016

Stand der Technik, Zuleitung, Pumpe, Form

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
10 W (pat) 140/14
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
28. Juni 2016
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2007 042 364
- 2 -
hat der 10. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2016 unter Mitwirkung des Richters
Dipl.-Ing. Hildebrandt
als
Vorsitzenden
sowie
der
Richter
Eisenrauch,
Dr.-Ing. Großmann und Dipl.-Ing. Richter
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I .
Das Patent 10 2007 042
364 mit der Bezeichnung „Lager mit Flüssigkeitszufüh-
rungs
system, insbesondere mit Schmiermittelzuführungssystem“ ist am
6. September 2007 angemeldet worden. Gegen die Patenterteilung, die am
28. Januar 2010 veröffentlicht worden ist, ist Einspruch eingelegt worden und das
Patent mit Beschluss der Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und Marken-
amtes am 27. November 2013, mit Gründen versehene Fassung vom
14. Januar 2014, widerrufen worden.
Im Beschluss sind folgende Schriften als entscheidungserheblich angesehen wor-
den:
E13: DE 41 40 533 A1
E20: GB 2 382 385 B
E24: DE 199 38 239 A1
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Im Ladungszusatz und in der Verhandlung sind zudem noch die
E1: EP 1 579 951 A1
E5: DE 10 2004 013 951 A1
E15: DE 25 41 984 A1
aufgegriffen worden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 7. Februar 2014 eingegangene Be-
schwerde der Patentinhaberin, da ihrer Auffassung nach die Patentfähigkeit gege-
ben sei. So habe der Fachmann ausgehend von der DE 41 40 533 A1 (E13) keine
Veranlassung gehabt, sich auf dem Gebiet von Tintenstrahldruckern nach Lösun-
gen für die Dimensionierung einer kapillaren Zuleitung umzusehen, da sich deren
Medium „Tinte“, hinsichtlich seiner Viskosität wesentlich von Schmiermitteln unter-
scheide; aber auch aus anderen Gründen mangele es dem Fachmann an Hinwei-
sen in Richtung der beanspruchten kapillaren Bemessung der Zuleitung.
Die Einsprechende tritt dem entgegen und führt aus, dass ein Fachmann der E13
alle Merkmale des beanspruchten Flüssigkeitszuführungssystems entnehmen
könne und damit bereits dessen Neuheit nicht gegeben sei. Zumindest werde der
Patentgegenstand aber durch die Kombination der E13 mit der E24 nahegelegt
und auch die Kombination der E13 mit E1, E5 oder E15 führe zum beanspruchten
Streitgegenstand. Im Übrigen gehe das Patent über den Inhalt der ursprünglich
eingereichten Unterlagen hinaus.
Die Beschwerdeführerin, die, wie schriftsätzlich angekündigt, nicht zu der mündli-
chen Verhandlung erschienen ist, hat in ihrer Beschwerdebegründung vom
21. Oktober 2014 beantragt,
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den Beschluss der Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 27. November 2013 aufzuheben und das Patent
10 2007 042 364 in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.
Der Vertreter der Beschwerdegegnerin stellt den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Patent betrifft nach dem erteilten Patentanspruch 1 ein
„Flüssigkeitszuführungssystem für ein Lager,
wobei das System eine Zuleitung (4) für eine Flüssigkeit und eine
Pumpe umfasst,
wobei die Zuleitung (4) als kapillare Zuleitung ausgebildet ist, und
wobei die Flüssigkeit als einzelne Tropfen (6) in einen lnnenraum
des Lagers austreten,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Pumpe als Mikropumpe ausgebildet ist,
dass die Mikropumpe eine Förderrate zwischen einigen Picolitern
bis einige Mikrolitern pro Stunde aufweist,
dass die Pumpe einen Aktor umfasst,
dass die Zuleitung (4) in Form einer Bohrung vorgesehen ist,
wobei die Zuleitung eine Auslassöffnung (7) und eine Einlassöff-
nung aufweist, und
dass der Aktor in der Zuleitung (4), nämlich zwischen der Aus-
lassöffnung und der Einlassöffnung, oder an einem Ende der Zu-
leitung (4), nämlich angrenzend an die Einlassöffnung, angeordnet
ist.“
Hieran schließen sich noch die Ansprüche 2 bis 19 an, die mittelbar oder
unmittelbar auf den Anspruch 1 rückbezogen sind.
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Des Weiteren ist dem Anspruch 1 noch der folgende Anspruch 20 neben-
geordnet:
„Lager, umfassend ein erstes Lagerelement (2) und ein zweites
Lagerelement (3), wobei die beiden Lagerelemente relativ zuei-
nander beweglich sind, sowie ein Flüssigkeitszuführungssystem,
das eine Flüssigkeit zwischen das erste Lagerelement (2) und das
zweite Lagerelement (3) fördert, dadurch gekennzeichnet, dass
das Flüssigkeitszuführungssys-
tem nach einem der Ansprüche 1 bis 19 ausgebildet ist.“
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche sowie zu weiteren Einzelheiten wird auf
die Patentschrift und den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig.
Sie führt aber nicht zum Erfolg, da der Gegenstand in der erteilten Fassung nicht
patentfähig ist.
1.
Die geltenden Ansprüche sind zulässig.
Der erteilte Anspruch ist aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 5 und
6 sowie Merkmalen aus den Beschreibungsabsätzen [0028], 2. Satz, sowie [0038],
1. und 2. Satz, in zulässiger Weise gebildet worden (siehe auch Offenlegungs-
schrift). Die Einsprechende beanstandet hierbei schriftsätzlich, dass das Merkmal
einer kapillaren Zuführung in Form einer Bohrung nur in Verbindung mit einem
Außenring offenbart sei. Dies stellt im vorliegenden Fall allerdings keine unzuläs-
sige Erweiterung dar, da die Patentinhaberin nicht genötigt ist, alle Merkmale ei-
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nes Ausführungsbeispiels aufzunehmen. Vielmehr liegt es in ihrem Belieben, ein-
zelne Merkmale aus einem Ausführungsbeispiel zur Beschränkung in den An-
spruch aufzunehmen, solange der hiermit beanspruchte Gegenstand als zur Erfin-
dung gehörig offenbart ist und kein Aliud darstellt (siehe auch BGH GRUR 2008,
60
– Sammelhefter II). Da letzteres hier gegeben ist, bestehen keine Bedenken
hinsichtlich der Zulässigkeit. So ist für den Fachmann im konkreten Fall erkennbar,
dass es in erster Linie darauf ankommt, dass die kapillare Zuleitung in Form einer
Bohrung vorliegt, nicht aber, ob sich diese im Außenring oder z. B. im Innenring
befindet. Dies ist vorliegend ohne Belang und steht in keinem untrennbaren Zu-
sammenhang zueinander.
Die erteilten Ansprüche 2 bis 20 entsprechen den ursprünglich eingereichten An-
sprüchen 2 bis 4 und 7 bis 21, wobei die fakultativ im ursprünglichen Anspruch 1
enthaltenen Merkmale, dass die Flüssigkeit ein Schmiermittel ist, sich in dem Un-
teranspruch 16 wiederfinden.
Damit ist der Gegenstand in der erteilten Fassung nicht unzulässig erweitert.
2.
Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht
patentfähig (§§ 1 bis 5 PatG) .
Nachfolgend wird für den Anspruch 1 die Merkmalsgliederung aus dem Beschluss
der Patentabteilung zugrunde gelegt:
Flüssigkeitszuführungssystem für ein Lager
M 1.1
wobei das System eine Zuleitung (4) für eine Flüssig-
keit und eine Pumpe umfasst,
M 1.2
wobei die Zuleitung (4) als kapillare Zuleitung
ausgebildet ist, und
M 1.3
wobei die Flüssigkeit als einzelne Tropfen (6) in einen
Innenraum des Lagers austreten,
dadurch gekennzeichnet,
- 7 -
M 1.4
dass die Pumpe als Mikropumpe ausgebildet ist,
M 1.5
dass die Mikropumpe eine Förderrate zwischen eini-
gen Picolitern bis einige Mikrolitern pro Stunde auf-
weist,
M 1.6
dass die Pumpe einen Aktor umfasst,
M 1.7
dass die Zuleitung (4) in Form einer Bohrung vorgese-
hen ist,
M 1.8
wobei die Zuleitung eine Auslassöffnung (7) und eine
Einlassöffnung aufweist, und
M 1.9
dass der Aktor in der Zuleitung (4), nämlich zwischen
der Auslass-öffnung und der Einlassöffnung, oder
an einem Ende der Zuleitung (4), nämlich angrenzend
an die Einlassöffnung, angeordnet ist.
Aus dem umfangreichen Stand der Technik geht keine Vorrichtung hervor, die alle
vorgenannten Merkmale des Flüssigkeitszuführungssystems nach Anspruch 1
offensichtlich, unmittelbar und eindeutig offenbart. Im Einzelnen wird für die E13
darauf hingewiesen, dass der Fachmann das Merkmal 1.2 nicht ausdrücklich ent-
nehmen kann. Damit ist die Neuheit des Streitgegenstandes gegenüber dem ent-
gegengehaltenen Stand der Technik gegeben.
Als Fachmann wird hierbei in Anlehnung an den Beschluss der Patentabteilung
ein Hochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Erfah-
rung auf dem Gebiet der Lagerschmierung, insbesondere der Zuführung von Flüs-
sigkeiten in die Lager, angesehen.
Die Vorrichtung nach Figur 3 der E13 stellt unbestritten den nächstliegenden
Stand der Technik dar. Sie betrifft eine Vorrichtung zum Mikrodosieren von
Schmierstoff, bei der in einer rohrförmigen Zuleitung 2, die in Form einer Bohrung
ausgebildet ist, ein piezoelektrischer Wandler W als Aktor einer Mikropumpe auf-
genommen ist (vergleiche Figur 3 i. V. m. Spalte 5, Zeilen 16 bis 28). Damit unter-
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scheidet sie sich vom Gegenstand nach Anspruch 1 dadurch, dass die Zuleitung
nicht als kapillare Zuleitung offenbart ist, was auch von der Patentinhaberin so
gesehen wird (siehe Beschwerdebegründung vom 21. Oktober 2014, Kapitel III.,
sowie ausführlichen Merkmalsvergleich im angefochtenen Beschluss, Kapitel 2.2).
Die Ausbildung einer kapillaren Zuleitung erfolgt streitpatentgemäß u. a. im Hin-
blick darauf, durch Kapillarkräfte das Austreten von Flüssigkeit aus der Zuleitung
zu verhindern (siehe Absatz [0017]). Diese Maßnahme stellt jedoch für den ein-
schlägig tätigen Fachmann bei derartigen Vorrichtungen zur Minimalmengenförde-
rung eine bekannte, fachübliche Maßnahme dar, wofür E5 (vgl. Absatz [0009])
oder E15 (vgl. Seite 4, 1. Absatz) als Beleg herangezogen werden. Um ein Aus-
treten von Flüssigkeit zu vermeiden, ist dem Fachmann die kapillare Ausbildung
der Zuleitung bei der Vorrichtung der E13 durch sein Fachwissen zumindest na-
hegelegt (vergleiche BGH GRUR 2014, 647
– „Farbversorgungssystem“), sofern
dieser eine solche Ausgestaltung bei derartigen Flüssigkeitszuführungssystemen
nicht bereits als selbstverständlich (erforderlich) ansieht (siehe auch Schriftsatz
der Einsprechenden vom 18. Dezember 2014, Seite 7, 1. Absatz).
So gelangt der Fachmann ausgehend von der Vorrichtung der E13 unter Einbe-
ziehung seines Fachwissens, belegt durch die E5 oder E15, in naheliegender
Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.
Damit kommt es nicht mehr auf die von der Patentabteilung in Betracht gezogene
Kombination von E13 mit E24 an, wobei diese in nachvollziehbarer Weise eben-
falls zum gleichen Ergebnis geführt hätte.
Der Anspruch 1 ist deshalb nicht bestandsfähig.
3.
Gleiches gilt für den nebengeordneten Anspruch 20, der auf ein Lager übli-
cher Bauweise mit einem Flüssigkeitszuführungssystem nach Anspruch 1 gerich-
tet ist und ebenfalls keine eigenständige erfinderische Tätigkeit erkennen lässt.
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4.
Mit dem nicht gewährbaren Anspruch 1 sind auch die hierauf rückbezogenen
Unteransprüche 2 bis 19 nicht gewährbar. Sie sind zusammen mit dem An-
spruch 1 Gegenstand desselben Antrags auf Aufrechterhaltung des Streitpatents
und teilen daher das Rechtsschicksal des nicht patentfähigen Anspruchs 1 (vgl.
BGH
GRUR
2012,
149 ff.
-
„Sensoranordnung“; BGH GRUR 1997,
120 -
„Elektrisches Speicherheizgerät“ in Verbindung mit BGH GRUR 1980, 716,
718 -
„Schlackenbad“).
III.
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder still-
schweigend zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus-
ses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch einen
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beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten schrift-
lich einzulegen.
Hildebrandt
Eisenrauch
Dr. Großmann
Richter
prö