Urteil des BPatG vom 02.03.2010

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BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
6 W (pat) 7/09
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
2. März 2010
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 43 08 802
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hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 2. März 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Guth, Dipl.-Ing. Schneider und
Dipl.-Ing. Ganzenmüller
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss
der Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und Mar-
kenamts vom 21. Februar 2006 insoweit aufgehoben, als das
Patent 43 08 802 mit folgenden Unterlagen beschränkt auf-
rechterhalten wird:
-
neue Patentansprüche 1 bis 11, übergeben in der
mündlichen Verhandlung,
-
übrige Unterlagen wie erteilt.
2.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
G r ü n d e
I .
Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden ist gegen den Beschluss der Pa-
tentabteilung 23 vom 21. Februar 2006 gerichtet, mit dem das Patent 43 08 802
beschränkt aufrechterhalten worden ist.
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Der geltende Anspruch 1 lautet:
„Tür- oder Fensteranlage mit mindestens einem Schiebeflügel, der
in einer stationären Laufschiene an Laufrollen oder dergleichen
geführt und mit einem motorischen Antrieb ausrüstbar ist, wobei
mindestens ein Antriebsaggregat des motorischen Antriebs in ei-
nem umschlossenen Aufnahmeraum anordenbar ist, der angren-
zend an der Laufschiene angeordnet ist und die Laufschiene ein
die Laufrollen aufnehmendes Laufrohr aufweist, das außerhalb
des Aufnahmeraums angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet,
dass der Antrieb einen Treibriemen (55) umfasst, welcher im Auf-
nahmeraum (6, 60) angeordnet ist, und
dass der Austritt von Verunreinigungen aus dem Aufnahme-
raum (6, 60) dadurch verhindert wird, dass der Aufnahmeraum (6,
60) dicht gegenüber der Umgebung abgeschlossen ist, so dass
Staub, Abrieb und Verunreinigungen nicht austreten können, wo-
bei der Aufnahmeraum eine Absaugeinrichtung aufweist, wobei
der Aufnahmeraum (6, 60) einen Schlitz (44s) aufweist, zum
Durchgriff eines Mitnehmers (58, 59), der den Schiebeflügel (1, 2)
mit dem Antrieb (5, 55) koppelt, wobei der Schlitz (44s) sich über
den gesamten Laufweg des Mitnehmers (58, 59) erstreckt.“
Hinsichtlich des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 11 wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
Die Einsprechende führt in ihrer Beschwerdebegründung aus, ihr sei kein ausrei-
chendes rechtliches Gehör gewährt worden, da die Patentabteilung ihre Argu-
mentation auf einen Schriftsatz der Patentinhaberin gestützt habe, welcher der
Einsprechenden erst zusammen mit dem Beschluss zugestellt worden sei. Wei-
terhin führt die Einsprechende aus, der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1
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sei nicht ausführbar und im Hinblick auf den nachgewiesenen Stand der Technik
auch nicht erfinderisch.
Die Einsprechende beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das angegriffene
Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
den angegriffenen Beschluss insoweit aufzuheben, als das ange-
griffene Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechter-
halten wird:
-
neue Patentansprüche 1 bis 11, übergeben in der mündli-
chen Verhandlung,
-
übrige Unterlagen wie erteilt,
sowie
die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.
Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sei ausführbar und im Hinblick auf
den nachgewiesenen Stand der Technik auch neu und erfinderisch.
Im Einspruchs- und Erteilungsverfahren ist folgender Stand der Technik berück-
sichtigt worden:
(E1)
DE 31 47 273 C2
(E2)
DE-OS 21 08 593
(E3)
US 47 38 052
(E4)
DE 40 14 727 A1
(E5)
DE 86 27 911 U1
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(E6)
DE-PS 704 188
(E7)
WO 83/01 976 A1
(E8)
DE 33 40 557 A1
(E9)
DE 38 23 188 A1
(E10)
DE 36 02 567 A1
(E11)
US 26 86 577.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwie-
sen.
II.
Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig, sie hat in der Sache jedoch nur
insoweit Erfolg, als das Patent beschränkt aufrechterhalten wird.
1.
Die Einsprechende hat die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen
Gehörs in der mündlichen Verhandlung nicht weiterverfolgt. Auch nach Auffassung
des Senats liegt kein Verfahrensfehler vor. Die Argumentation der Patentinha-
berin, welche die Patentabteilung im angefochtenen Beschluss aufgegriffen hat,
findet sich zwar auch in dem der Einsprechenden erst zusammen mit dem Be-
schluss übersandten Eingabe der Patentinhaberin vom 4. April 2005 (vgl. S. 2,
Abs. 3 und 4), sie findet sich jedoch ebenfalls und darüber hinaus nahezu wort-
gleich in der Erwiderung der Einsprechenden vom 16. November 2004 (vgl. S. 2,
vorletzter Abs.), welche der Einsprechenden mit Schreiben vom 6. Dezem-
ber 2004 übersandt wurde und ihr auch vor Beschlussfassung bekannt war.
2.
Der Einspruch ist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG form- und fristgerecht
erhoben, er ist auch ausreichend substantiiert und somit zulässig.
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Die Zulässigkeit des Einspruchs ist seitens der Patentinhaberin nicht in Frage ge-
stellt worden.
3.
Die geltenden Ansprüche sind zulässig, da sie sich sowohl aus der Patent-
schrift als auch aus den Anmeldungsunterlagen herleiten lassen.
Die Zulässigkeit der Ansprüche ist im Übrigen nicht in Frage gestellt worden.
4.
Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist ausführbar.
Die Beschwerdeführerin sieht den Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 als
nicht ausführbar an, weil nunmehr beansprucht sei, der Aufnahmeraum solle zum
einen gegenüber der Umgebung dicht abgeschlossen, also hermetisch verschlos-
sen sein, zum anderen aber eine Absaugeinrichtung aufweisen. Wenn der Auf-
nahmeraum aber hermetisch verschlossen sei, könne er nicht abgesaugt werden,
da ein hermetisch verschlossener Raum nicht absaugbar sei.
Dieser Vorhalt mag bei einer lediglich auf den Wortlaut des geltenden Anspruchs 1
gerichteten Betrachtungsweise möglicherweise zutreffend sein, der Fachmann
haftet jedoch nicht am Wortlaut eines Anspruchs, sondern interpretiert diesen im
Lichte der Beschreibung (vgl. auch Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 21, Rdn. 29,
§ 34, Rdn. 118, 362, 367 ff.). Und aus dieser ergibt sich, dass der Aufnahmeraum
eben nicht hermetisch dicht sein soll, sondern die zur Ermöglichung einer Absau-
gung erforderlichen Undichtigkeiten, wie z. B. Dichtlippen oder Besenleisten
(Sp. 2, Z. 5), aufweist (Sp. 1, Z. 34 bis 40 der Streitpatentschrift).
5.
Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfin-
dung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.
a.
Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist neu.
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Die Neuheit des Gegenstandes der geltenden Anspruchs 1 gegenüber dem nach-
gewiesenen Stand der Technik wird seitens der Beschwerdeführerin zumindest im
Hinblick auf den geltenden Anspruch 1 nicht mehr bestritten, sie ist auch gegeben,
da eine Tür- oder Fensteranlage mit einem Aufnahmeraum, in welchem eine Ab-
saugeinrichtung angeordnet ist, im gesamten nachgewiesenen Stand der Technik
nicht bekannt ist.
b.
Der Gegenstand des zweifelsfrei gewerblich anwendbaren geltenden An-
spruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus der (E7) WO 83/01 976 A1 ist im Wesentlichen eine dem Oberbegriff des
geltenden Anspruchs 1 entsprechende Tür- oder Fensteranlage bekannt (vgl. ins-
bes. Figur 1). Bei dieser Tür- oder Fensteranlage ist der Aufnahmeraum jedoch
nicht dicht gegenüber der Umgebung abgeschlossen, so dass Staub, Abrieb und
Verunreinigungen austreten können. Denn durch den Schlitz, durch welchen der
Mitnehmer 113 aus dem Aufnahmeraum austritt, kann Staub u. dgl. nach unten
aus dem Aufnahmeraum herausfallen. Weiterhin ist auch in dem Aufnahmeraum
keine Absaugeinrichtung vorgesehen.
Zwar zeigt die (E5) DE 86 27 911 U1 eine Schiebetüranlage, bei welcher der Auf-
nahmeraum 1 dicht gegenüber der Umgebung abgeschlossen ist, so dass Staub,
Abrieb und Verunreinigungen nicht austreten können (Figur 1, Anspruch 1 und
S. 3, vorletzter Abs.), jedoch ist dort keine Absaugablage in den Aufnahmeraum
integriert.
Da überdies - wie bereits beim Neuheitsvergleich ausgeführt und wie auch von der
Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung zugestanden - die Anordnung
einer Absaugeinrichtung im Aufnahmeraum im nachgewiesenen Stand der Tech-
nik unbekannt ist, kann selbst eine Zusammenschau mehrerer Druckschriften
nicht zum Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 führen, da zumindest das
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Merkmal, wonach der Aufnahmeraum eine Absaugeinrichtung aufweist, ohne Vor-
bild und Anregung ist.
Der geltende Anspruch 1 ist somit gewährbar. Das Gleiche gilt für die auf diesen
Anspruch rückbezogenen Ansprüche 2 bis 11, die auf Merkmale zur Weiterbildung
der Tür- oder Fensteranlage nach Anspruch 1 gerichtet sind.
Lischke
Guth
Schneider
Ganzenmüller
Cl