Urteil des BPatG vom 13.07.2009

BPatG: stand der technik, druck, fig, patentanspruch, lebensmittel, einspruch, patentinhaber, geheimhaltung, entlastung, berufserfahrung

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
9 W (pat) 399/04
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
13. Juli 2009
B E S C H L U S S
In der Einspruchssache
betreffend das Patent 101 24 118
- 2 -
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2009 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Ing. Pontzen, des Richters Dipl.-Ing. Bülskämper, der Richterin
Friehe sowie des Richters Dr.-Ing. Höchst
beschlossen:
Das Patent wird widerrufen.
G r ü n d e
I.
Gegen das am 17. Mai 2001 angemeldete und am 29. April 2004 veröffentlichte
Patent mit der Bezeichnung
"Kalibrierschneidvorrichtung"
ist Einspruch eingelegt worden.
Die Einsprechende macht geltend, dass der Gegenstand gemäß Patentan-
spruch 1 des Streitpatents nicht mehr neu sei, zumindest aber nicht auf einer erfin-
derischen Tätigkeit beruhe. Auch die Gegenstände der abhängigen Patentansprü-
che 5 bis 7 seien nicht patentfähig soweit diese Patentansprüche nicht auf einen
der Patentansprüche 2 bis 4 rückbezogen seien. Zur Stütze ihres Vorbringens
macht sie eine offenkundige Vorbenutzung geltend. Sie legt Kopien von Rechnun-
gen für mehrere ausgelieferte Vorrichtungen sowie Pneumatikschaltpläne dieser
Vorrichtungen vor und bietet Zeugenbeweis zur Bestätigung ihres Vorbringens.
- 3 -
Zudem
verweist
sie
auf
die
Druckschriften
WO 99/42260 A1
sowie
DE 197 35 597 A1 und beantragt,
das Patent im Umfang der Ansprüche 1, 5, 6 und 7 zu widerrufen.
Der Patentinhaber stellt mit dem am 20. Januar 2005 eingegangenen Schriftsatz
vom 17. Januar 2005 sinngemäß den Antrag,
das Patent aufrechtzuerhalten.
In der Sache hat er sich nicht geäußert. An der mündlichen Verhandlung hat er
nicht teilgenommen.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
Kalibrierschneidvorrichtung mit den folgenden Merkmalen
- mit einer Formrohranordnung (13) mit einem Formhohl-
raum (15) als Aufnahme- und Vorschubraum für zu portionie-
rende Lebensmittel, insbesondere Fleisch,
- mit einer unterhalb der Formrohröffnung befindlichen Kalibrier-
platte (5) mit einem Kalibrierplattenhohlraum (7), wobei der Kali-
brierplattenhohlraum (7) durch einen Kalibrierplattenboden oder
durch eine unterhalb der Kalibrierplatte (5) angeordnete Boden-
platte (3) verschlossen ist
- mit einem Messer (Messerplatte 9), welches zwischen der kali-
brierplattenseitigen Stirnseite der Formrohranordnung (13) und
der Kalibrierplatte (5) vorgesehen ist,
dadurch gekennzeichnet
dass eine Druckentlastungsvorrichtung (31) vorgesehen ist,
worüber während des Schneidvorganges und/oder bereits kurz
vor dem Schneidvorgang beginnend und/oder für eine bestimm-
- 4 -
te Zeitspanne auch nach dem Schneidvorgang der über den
Pressstempel (19) auf das zu portionierende Lebensmittel
und/oder die Messeranordnung ausgeübte Druck reduzier-
und/oder abschaltbar ist.
Zumindest mittelbar rückbezogen schließen sich hieran die Patentansprüche 2 bis
7 an.
II.
Die Zuständigkeit des Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts ist durch
§ 147 Abs. 3 Satz 1 PatG a. F. begründet.
Der Einspruch ist zulässig. Gegenteiliges hat auch der Patentinhaber nicht vorge-
tragen.
In der Sache hat der Einspruch Erfolg; er führt zum Widerruf des Patents.
Der erteilte und geltende Patentanspruch 1 ist unbestritten zulässig. Sein Gegen-
stand ist zweifellos gewerblich anwendbar. Es kann dahinstehen, ob die bean-
spruchte Vorrichtung neu ist, denn sie beruht nicht auf einer erfinderischen Tätig-
keit, da sie sich für einen Fachmann - hier ein Diplom-Ingenieur (F. H.) der Fach-
richtung Maschinenbau, der über mehrjährige Berufserfahrung in der Konstruktion
von automatisierten Schneidevorrichtungen für Lebensmittel, insbesondere
Fleisch, und über gute Kenntnisse der Pneumatik verfügt - in naheliegender Weise
aus dem Stand der Technik ergibt.
Im Streitpatent ist angegeben, dass gattungsbildende Kalibrierschneidmaschinen
aus der WO 99/42260 A1 bekannt seien und diese verbessert werden sollen, ins-
besondere soll der Schneidvorgang erleichtert werden (vgl. Abs. 0002 und 0004
der Streitpatentschrift). Erfindungsgemäß werde dies dadurch erreicht, dass zu-
- 5 -
mindest zeitweise während des Schneidvorgangs und/oder bereits kurz vor Be-
ginn des Schneidvorgangs und/oder nach dem Schneidvorgang das unter Druck
stehende und zu portionierende Fleisch und damit der auch auf dem Messer ru-
hende Druck weggenommen oder zumindest reduziert wird (vgl. Abs. 0007).
Von der Einsprechenden ist vorgetragen worden, dass von ihr derart gestaltete
Vorrichtungen vor dem Anmeldetag des Streitpatents mit der Typenbezeichnung
FPS 40 vorbenutzt und an mehrere Kunden ohne Geheimhaltung verkauft worden
seien. Das Prinzip der verkauften Vorrichtungen sei in der Druckschrift
DE 197 35 597 A1 anhand der Figuren 1 bis 5 gezeigt und beschrieben. Dieser
Sachvortrag wurde nicht bestritten, so dass es einer Beweiserhebung nicht bedurf-
te.
Die DE 197 35 597 A1, die auf eine Patentanmeldung der Einsprechenden zurück-
geht, beschreibt eine Vorrichtung zum Portionieren eines Fleischstücks, bei der ei-
ne Kalibriereinheit zur Vorgabe der Dicke und des Volumens von Scheiben sowie
eine Schneideinheit zum Abtrennen der durch die Kalibriereinheit vorgegebenen
Scheiben vorgesehen sind (vgl. insbes. Anspruch 1). Die DE 197 35 597 A1 be-
trifft somit eine Kalibrierschneidvorrichtung. Als Aufnahme- und Vorschubraum für
das zu portionierende Fleisch entsprechend der streitpatentgemäßen Formrohran-
ordnung dient eine Einlege- und Vorpresseinheit 1, deren Behälter 5 auf einer Sei-
te von einem über einen Zylinder 7 betätigten Pressstempel 8 verschlossen ist.
Zum Pressen des in den Behälter 5 eingelegten Fleischstücks wird der Pressstem-
pel im Innenraum (= Formhohlraum) des Behälters in axialer Richtung verschoben
(vgl. insbes. Fig. 1 und Sp. 5, Z. 13 bis 25). Auf der dem Pressstempel 8 gegen-
überliegenden offenen Seite (= Formrohröffnung) des Behälters (= Formrohr) 5
befindet sich ein an einer Seite offener Behälter 9 der Kalibriereinheit 2 (vgl. ins-
bes. Fig. 2 und Anspruch 4). Dieser Behälter 9 der Kalibriereinheit entspricht der
streitpatentgemäßen Kalibrierplatte, deren Kalibrierplattenhohlraum durch einen
Kalibrierplattenboden verschlossen ist. Zwischen der kalibrierseitigen Stirnseite
des Behälters 5 der Einlege- und Vorpresseinheit 1 und der offenen Seite des Be-
- 6 -
hälters 9 der Kalibriereinheit 2 ist eine Schneideinheit 3 mit einem Schneidelement
(= Messer) 11 vorgesehen (vgl. insbes. Fig. 2 und Anspruch 1). Diese Merkmale
der bekannten Vorrichtung nach der DE 197 35 597 A1 sind nach dem Vortrag der
Einsprechenden unwidersprochen auch bei den Vorrichtungen der behaupteten
Vorbenutzungshandlungen verwirklicht.
Darüber hinaus weisen die vorbenutzten Vorrichtungen nach dem Vortrag der Ein-
sprechenden auch eine Druckentlastungsvorrichtung auf. Im Betrieb werde ein
Pressstempel 8 in den Behälter 5 hineingedrückt. Hierzu werde mit Hilfe von
Druckluft in dem dem Behälter 5 abgewandten Abschnitt des Zylinders 7 ein kon-
stanter, vom Kunden einstellbarer Druck eingestellt. Sobald die Kalibriereinheit 2
vollständig mit Fleisch ausgefüllt sei, setze das Schneidelement 11 zum Abtren-
nen der im Behälter 9 der Kalibriereinheit 2 befindlichen Scheibe des Fleisch-
stücks an. Zum Abschneiden der Scheibe lege das Schneidelement 11 einen Weg
zwischen einer ersten eine Öffnung des Behälters 5 freigebenden und einer zwei-
ten diese verschließende Position zurück. Noch bevor das Schneidelement 11 in
seiner zweiten Position angelangt sei, werde der auf den Pressstempel 8 ausge-
übte Druck reduziert. Hierzu werde in dem dem Behälter 5 zugewandten Abschnitt
des Zylinders 7 ein Druck aufgebaut, welcher größer sei als der im abgewandten
Abschnitt des Zylinders. Ein Differenzdruckregelventil sorge dafür, dass dieser
Druck stets um einen vorgebbaren Wert von dem des anderen Abschnitts abwei-
che. Die Entlastung dauere so lange während des Portioniervorgangs an, bis die
abgetrennte Scheibe durch die Kalibriereinheit abtransportiert worden sei, diese
wieder an ihrer Ausgangsposition an der Öffnung des Behälters 5 zurückgekehrt
sei und das Schneidelement 11 die Öffnung des Behälters 5 wieder freigegeben
habe (vgl. S. 10 und 11 des Einspruchsschriftsatzes).
Das Vorbringen der Einsprechenden ist schlüssig und widerspruchsfrei. Insbeson-
dere ist aus der zur Stütze des Vorbringens vorgelegten Anlage 7 (auch Anlage 6)
zum Pneumatikschaltplan der vorbenutzten Vorrichtung erkennbar, dass die vor-
benutzte Vorrichtung wie geschildert betrieben werden kann. Die beanspruchte
- 7 -
Vorrichtung unterscheidet sich demnach von der vorbenutzten allenfalls dadurch,
dass bei ihr die Kalibrierplatte unterhalb der Formrohröffnung angeordnet ist, wäh-
rend bei der vorbenutzten Vorrichtung die entsprechenden Bauteile Behälter 5 und
Behälter 9 der Kalibriereinheit 2 nebeneinander angeordnet sind. Nach Überzeu-
gung des Senats stellt es jedoch eine naheliegende Maßnahme dar, die von der
vorbenutzten Vorrichtung bekannte Druckentlastung für eine bestimmte Zeitspan-
ne auch nach dem Schneidvorgang durch Reduzieren des über einen Pressstem-
pel auf das zu portionierende Lebensmittel (und dadurch auch auf das Schneidele-
ment) ausgeübten Druckes bei einer Vorrichtung mit senkrechter Anordnung der
Bauteile vorzusehen oder anzuwenden. Das Reduzieren des Druckes auf das
Schneidelement ist eine fachmännische Maßnahme, die unabhängig davon sinn-
voll ist, ob die Vorrichtung senkrecht oder waagerecht aufgebaut ist, zumal beide
Anordnungsmöglichkeiten aus der DE 197 35 597 A1 grundsätzlich bekannt sind
(vgl. Ausführungsbeispiel nach Fig. 1 bis 5 einerseits und nach Fig. 6 und 7 ande-
rerseits).
Die durch den geltenden Patentanspruch 1 definierte Vorrichtung ist demnach in
wenigstens einer im Patentanspruch 1 alternativ beanspruchten Ausführungsform
nahegelegt und diese Ausführungsform daher nicht patentfähig. Eine Aufrechter-
haltung des Patents im Umfang des beantragten Anspruchssatzes kann daher
nicht
erfolgen
(BGH,
X ZB 6/05
"Informationsübermittlungsverfahren II",
GRUR 2007, 862 ff.; BPatG, 23 W (pat) 13/04 "Durchbruchsspannung" BPatG 50,
69). Ein Antrag auf Aufrechterhaltung des Streitpatents nur im Umfang der nicht
angegriffenen Patentansprüche 2 bis 4 wurde nicht - auch nicht hilfsweise - ge-
stellt, so dass das Patent insgesamt zu widerrufen ist.
Pontzen
Bülskämper
Friehe
Dr. Höchst