Urteil des BPatG vom 18.05.2010

BPatG: stand der technik, patentfähige erfindung, begriff, aufteilung, weiterbildung, berufserfahrung, fig, neuheit

BPatG 154
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
6 W (pat) 16/09
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(Aktenzeichen)
Verkündet am
18. Mai 2010
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2004 061 624
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hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dr.-Ing. Lischke sowie der Richter Guth, Dipl.-Ing. Schneider und
Dipl.-Ing. Ganzenmüller
beschlossen:
Die Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I .
Die zulässige Beschwerde der Einsprechenden ist gegen den Beschluss der Pa-
tentabteilung 23 vom 28. November 2007 gerichtet, mit dem das Patent
10 2004 061 624 beschränkt aufrechterhalten worden ist.
Der geltende Anspruch 1 lautet:
„Türantrieb, insbesondere Drehtürantrieb, mit einer Antriebseinheit
(2, 2’, 2’’), die über eine Ausgangswelle (9) mit einer Tür koppelbar
und in einem Gehäuse (13) angeordnet ist; mit einem Motor (3),
der mit der Antriebseinheit (2, 2’, 2’’) in Antriebsverbindung steht
und mit einem im Gehäuse (13) angeordneten Federkraftspei-
cher (4), der mit dem Motor (3) und der Antriebseinheit (2, 2’, 2’’)
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gekoppelt ist, und mit einer Hydraulikpumpe (5), die mit dem Mo-
tor (3) antriebsverbunden ist, wobei:
-
die Hydraulikpumpe (5) mit einem der Antriebseinheit (2, 2’,
2’’) zugeordneten Druckraum (6) und einem oder mehreren
dem Federkraftspeicher (4) zugeordneten separaten Druck-
raum (7) derart in Hydraulikverbindung steht, dass eine Auf-
teilung der erforderlichen Drücke bzw. Kräfte zum Öffnen der
Tür und zum Spannen des Federkraftspeichers (4) erfolgt,
wobei die erforderlichen Kräfte bzw. Drücke in Spannrichtung
des Federkraftspeichers wirken,
-
der/die dem Federkraftspeicher (4) zugeordneten Druck-
räume (7) benachbart zum Federspannkolben (17) angeord-
net ist/sind,
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der/die Druckräume (7) durch eine fluiddichte Abtrenn-
wand (21) von einem die Antriebseinheit (2) aufnehmenden
Raum (20) des Gehäuses (13) getrennt ist/sind, und
-
die Antriebseinheit (2) als Nockenantrieb ausgebildet ist, der
eine Hubkurvenscheibe (8), die auf der Ausgangswelle (9)
angeordnet ist und zwei Kraftübertragungsrollen (10, 11)
aufweist, die zu beiden Seiten der Ausgangswelle (9) ange-
ordnet sind und auf Kurvenbahnen der Kurvenscheibe (8)
aufliegen.“
Hinsichtlich des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 5 wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
Die Einsprechende führt in ihrer Beschwerdebegründung im Wesentlichen aus,
der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sei im Hinblick auf den nachgewiese-
nen Stand der Technik nicht erfinderisch.
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Die Einsprechende beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das angegriffene
Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt,
die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.
Sie führt aus, der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sei neu und auch erfin-
derisch.
Im Einspruchs- und Erteilungsverfahren ist folgender Stand der Technik berück-
sichtigt worden:
(E1) DE 102 61 225 A1
(E2) DE 43 23 150 A1
(E3) DE 196 26 831 C1
(E4) DE 40 38 720 A1
(E5) DE-OS 14 59 197
(E6) DE 197 58 496 C2
(E7) DE 102 16 982 A1
(E8) DE 295 21 068 U1
(E9) DE 43 23 159 B4
(F1) WO 2004/106 681 A1
(F2) DE 32 34 319 A1
(F3) DE 34 23 242 C1
(G1) DE 100 01 950 A
(G2) DE 10 2004 052 282 A1 (nachveröff.)
(G3) WO 2004/106 683 A1
(G4) DE 102 16 982 A1.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwie-
sen.
II.
Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig, sie hat in der Sache jedoch kei-
nen Erfolg.
Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im
Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.
a.
Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist neu.
Die Neuheit des Gegenstandes der geltenden Anspruchs 1 ist seitens der Ein-
sprechenden nicht bestritten worden, sie ist auch gegeben, wie eine Überprüfung
durch den Senat im Rahmen der Amtsermittlung ergeben hat.
b.
Der Gegenstand des zweifelsfrei gewerblich anwendbaren geltenden An-
spruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die (F1) WO 2004/106 681 A1 (insb. Fig. 1) offenbart einen hydraulischen Türan-
trieb mit einer Antriebseinheit 3, 4, die über eine Ausgangswelle mit einer Tür kop-
pelbar und in einem Gehäuse angeordnet ist. Weiter ist ein Motor 11 vorgesehen,
der mit der Antriebseinheit in Antriebsverbindung steht. Im Gehäuse ist ein Feder-
kraftspeicher 5 angeordnet, der mit dem Motor 11 und der Antriebseinheit 3, 4 ge-
koppelt ist. Eine Hydraulikpumpe 12 ist mit dem Motor 11 antriebsverbunden, wo-
bei die Hydraulikpumpe mit einem der Antriebseinheit zugeordneten Druckraum 7
und einem dem Federkraftspeicher 5 zugeordneten separaten Druckraum 8 in
Hydraulikverbindung steht.
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Ob die Merkmale, wonach eine Aufteilung der erforderlichen Drücke bzw. Kräfte
zum Öffnen der Tür und zum Spannen des Federkraftspeichers erfolgt, wobei die
erforderlichen Drücke bzw. Kräfte in Spannrichtung des Federkraftspeichers wir-
ken, der dem Federkraftspeicher zugeordnete Druckraum benachbart zum Feder-
spannkolben angeordnet ist und durch eine fluiddichte Abtrennwand von einem
die Antriebseinheit aufnehmenden Raum des Gehäuses getrennt ist, bei dem Tür-
antrieb nach der (F1) WO 2004/106 681 A1 ebenfalls verwirklicht sind, mithin, ob
der Kolben 6 als „fluiddichte Abtrennwand“, wie von der Einsprechenden behaup-
tet, anzusehen ist, mag dahinstehen. Nicht offenbart durch die (F1)
WO 2004/106 681 A1 ist auf jeden Fall das Merkmal, wonach die Antriebseinheit
in einer speziellen Weise als Nockenantrieb ausgebildet ist.
Die (G4) DE 102 16 982 A1 offenbart einen hydraulischen Drehflügelantrieb (Abs.
[0001]), bei dem statt des dargestellten Zahnstangenantriebs auch ein Nocken-
antrieb verwendet werden kann (Abs. [0018]). Über die genaue Ausgestaltung des
Nockenantriebs ist dort allerdings nichts ausgesagt und insbesondere ist nicht zu
erkennen, ob der Nockenantrieb - wie beansprucht - eine Hubkurvenscheibe, die
auf der Ausgangswelle angeordnet ist und zwei Kraftübertragungsrollen aufweist,
die zu beiden Seiten der Ausgangswelle angeordnet sind und auf Kurvenbahnen
der Kurvenscheibe aufliegen.
Selbst wenn somit die grundsätzliche Verwendung von Nockenantrieben bei Tür-
antrieben dem Fachmann, einem Maschinenbauingenieur mit einschlägiger Be-
rufserfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Türantrieben, bekannt ge-
wesen ist, konnte die (G4) DE 102 16 982 A1 dem Fachmann allenfalls die Anre-
gung liefern, bei einem Türantrieb nach der (F1) WO 2004/106 681 A1 einen
Nockenantrieb zu verwenden, sie konnte jedoch insbesondere keine Anregung zu
der speziellen Ausgestaltung des Nockenantriebs geben, da in der (G4) DE
102 16 982 A1 über die genaue Ausgestaltung des Nockenantrieb nichts ausge-
sagt ist.
- 7 -
Entgegen der Auffassung der Einsprechenden denkt der Fachmann bei dem Be-
griff „Nockenantrieb“ auch nicht zwingend an die beanspruchte Ausgestaltung, da
er unter einem Nockenantrieb einen kurvenartigen Vorsprung auf einer rotieren-
den Welle, Walze oder Scheibe versteht, der infolge der Rotationsbewegung einen
Stößel beim Überfahren betätigt. Eine solche Vorrichtung kann aber eine vielfäl-
tige Ausgestaltung haben und gibt insbesondere keinen Anlass, bei dem Begriff
„Nockenantrieb“ ausschließlich an die beanspruchte Ausgestaltung mit zwei Kraft-
übertragungsrollen zu denken.
Die (E4) DE 40 38 720 A1 offenbart zwar einen Obertürschließer, bei dem die An-
triebseinheit 22, 23, 35 als Nockenantrieb ausgebildet ist, der eine Hubkurven-
scheibe 22, die auf der Ausgangswelle 23 angeordnet ist und zwei Kraftübertra-
gungsrollen 26, 35 aufweist, die zu beiden Seiten der Ausgangswelle 23 angeord-
net sind und auf Kurvenbahnen der Kurvenscheibe 22 aufliegen (Sp. 3, Z. 19 bis
25). Dieser Nockenantrieb ist jedoch in einem rein mechanischen Türschließer
eingebaut, auf den keine hydraulischen Kräfte wirken und der kein automatisches
Öffnen der Tür ermöglicht.
Eine Übertragung dieses Antriebs auf einen Türantrieb nach der (F1)
WO 2004/106 681 A1 hat nicht nahe gelegen, denn es gibt keinerlei Hinweise,
welche den Fachmann dazu anregen könnten, die aus der (F1) WO 2004/106 681
A1 bekannte und bewährte Antriebseinheit mit Kolben, Zahnstange und Ritzel auf-
zugeben und durch eine aus der (E4) DE 40 38 720 A1 bekannte, als Nockenan-
trieb gestaltete Antriebseinheit zu ersetzen.
Denn eine Erfindung ist nicht schon deshalb naheliegend, weil ein Fachmann auf-
grund des Standes der Technik zur erfindungsgemäßen Lehre hätte kommen
können, sondern nur dann, wenn er die neue Lösung auch vorgeschlagen haben
würde. Dazu bedarf es der Feststellung eines Anlasses oder bestimmter Anhalts-
punkte oder Anregungen, die den Fachmann dazu geführt haben würden, das
technisch ja immer Mögliche auch tatsächlich zu realisieren (Schulte, Patentge-
- 8 -
setz, 8. Aufl., § 4, Rdn. 61; ebenso BGH in GRUR 2010, 407 - 410 - Einteilige
Öse).
Zwar hat die Einsprechende ausgeführt, der Streitgegenstand werde auch durch
eine Kombination der Druckschriften (F2) DE 32 24 319 A1, (E1) DE 102 61 225
A1 und (E4) DE 40 38 720 A1 bzw. (F3) DE 34 23 242 C1, (E1) DE 102 61 225 A1
und (E4) DE 40 38 720 A1 nahe gelegt, wenn jedoch - wie vorstehend ausge-
führt - schon eine Zusammenschau von zwei Druckschriften für den Fachmann
mangels entsprechender Hinweise nicht nahe gelegen hat, so gilt dies erst recht
für eine Zusammenschau von drei Druckschriften. Denn jede der genannten
Druckschriften beinhaltet eine in sich abgeschlossene Lösung und bietet keine
Veranlassung, die jeweils für sich bekannten Lösungen im Hinblick auf die patent-
gemäße Ausgestaltung miteinander zu kombinieren.
Der übrige Stand der Technik, der im Übrigen in der mündlichen Verhandlung
nicht mehr aufgegriffen wurde, liegt erkennbarerweise noch weiter vom Streitge-
genstand ab, als der vorstehend abgehandelte.
Da somit der nachgewiesene Stand der Technik weder einzeln noch in einer Zu-
sammenschau Hinweise oder Anregungen zu der beanspruchten Lösung geben
kann, ist der geltende Anspruch 1 gewährbar.
Das Gleiche gilt für die auf diesen Anspruch rückbezogenen Ansprüche 2 bis 5,
die auf Merkmale zur Weiterbildung des Türantriebs nach Anspruch 1 gerichtet
sind.
Lischke
Guth
Schneider
Ganzenmüller
Cl