Urteil des BGH vom 18.11.2010

BGH (im bewusstsein, aufhebung, verurteilung, stgb, missbrauch, umstand, aufforderung, abstand, verhandlung, versuch)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 437/10
vom
18. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. November 2010
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Gießen vom 22. März 2010 wird
a) der Schuldspruch im Fall II. 3 der Urteilsgründe dahingehend
geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen ver-
suchten sexuellen Missbrauchs von Kindern entfällt,
b) das Urteil im Strafausspruch zu Fall II. 3 der Urteilsgründe
und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Jugendkammer als Jugendschutzkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von
Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem sexuel-
len Missbrauch von Kindern, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs
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von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf
die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zu
einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Einzelstrafaus-
spruchs im Fall II. 3 sowie des Gesamtstrafenausspruchs; im Übrigen ist sie
offensichtlich unbegründet.
1. Die tateinheitliche Verurteilung im Fall II. 3 wegen versuchten sexuel-
len Missbrauchs gemäß § 176 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
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Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hätte das Landgericht
erörtern müssen, ob der Angeklagte von dem versuchten sexuellen Missbrauch
von Kindern nicht strafbefreiend gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zurückgetre-
ten ist. Dies hätte - trotz offenbar fehlender Erkenntnisse zum Vorstellungsbild
des Angeklagten - mit Blick auf den Umstand nahe gelegen, dass er nach ab-
lehnender Beantwortung seiner Frage durch B. , ob sie seinen Penis mal
streicheln wolle (UA S. 10), von einer weiteren Tatausführung Abstand genom-
men hat. Denn es ist insoweit jedenfalls nicht auszuschließen, dass ein unbe-
endeter Versuch vorgelegen hat, von dem der Angeklagte ohne weiteres Zutun
allein durch Nichtweiterverfolgung der Tat zurücktreten konnte.
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Zwar hatte der Angeklagte durch seine Frage an B. zunächst alles
zur Verwirklichung des Tatbestands Erforderliche getan. Dass er deshalb in die-
sem Augenblick den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs für möglich hielt, lag
mit Blick auf den Umstand, dass einfache Aufforderungen in der Vergangenheit
den gewünschten Erfolg gehabt hatten (UA S. 8), zwar nahe. Doch wäre dann,
wenn der Angeklagte unmittelbar nach dieser letzten Ausführungshandlung sei-
nen Irrtum erkannt hätte und zugleich zu der Erkenntnis gelangt wäre, dass wei-
tere Handlungen zum erstrebten Erfolg von Nöten wären, eine so genannte
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Korrektur seines Rücktrittshorizontes anzunehmen (vgl. dazu
Fischer, StGB, 57. Aufl., § 24 Rn. 15a mN zur Rspr.), die die Annahme eines
beendeten Versuchs ausschließen würde. Soweit das Tatopfer sofort nach der
Aufforderung das Ansinnen des Angeklagten ablehnte, ist nach den bisherigen
Feststellungen letztlich nicht auszuschließen, dass der Angeklagte in diesem
Augenblick seinen Rücktrittshorizont tatsächlich korrigierte und erkannte, dass
es zur Vollendung noch weiteren Handelns seinerseits bedurfte.
Wäre er dabei ungeachtet der zur Zurückhaltung auffordernden Haltung
seiner Ehefrau davon ausgegangen, dass ihm nach der Weigerung des Tatop-
fers noch weitere, gleichartige Handlungsmöglichkeiten - wie etwa die Wieder-
holung seiner Aufforderung, gegebenenfalls auch in fordernder Form, oder das
Anbieten einer "Belohnung" - zur Verfügung stehen, wäre der Versuch auch
nicht fehlgeschlagen. Es ist auch insoweit nicht auszuschließen, dass der An-
geklagte gerade im Bewusstsein dieser Möglichkeiten von der weiteren Tataus-
führung Abstand genommen hat und freiwillig und damit strafbefreiend zurück-
getreten ist (vgl. BGH StV 1995, 634).
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Die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten sexuellen Missbrauchs
konnte daher keinen Bestand haben. Angesichts des Umstands, dass der An-
geklagte die Taten bisher geleugnet und keine Angaben zur Tat II. 3 gemacht
hat, sind auch von einer neuen Verhandlung keine Feststellungen zu erwarten,
die zu einem späteren Ausschluss eines freiwilligen Rücktritts führen würde.
Der Senat entscheidet deshalb in der Sache selbst und lässt die tateinheitliche
Verurteilung insoweit entfallen.
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2. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der Einzelstrafe im
Fall II. 3 und des Gesamtstrafenausspruchs. Es ist nicht auszuschließen, dass
sich der Rechtsfehler auf den Einzelstrafausspruch ausgewirkt hat. Die Kammer
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hat die tatbestandliche Verurteilung ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt
(UA S. 34). Die Aufhebung der Einzelstrafe führt zur Aufhebung der Gesamt-
strafe.
Da die Feststellungen von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können
sie bestehen bleiben.
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Rissing-van Saan
Schmitt
Krehl
Eschelbach
Ott