Urteil des BGH vom 25.09.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I X Z R 1 9 9 / 1 3
Verkündet am:
25. September 2014
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 675, 665
a) Der Steuerberater ist ohne besonderen Anlass nicht verpflichtet, die Jahresberich-
te des Bundesfinanzhofs einzusehen.
b) Der Steuerberater darf einen im Auftrag des Mandanten eingelegten Einspruch
nicht eigenmächtig zurücknehmen.
BGH, Urteil vom 25. September 2014 - IX ZR 199/13 - LG Stendal
AG Stendal
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Juni 2014 durch die Richter Vill, Prof. Dr. Gehrlein, die Richterin
Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 3 des Landgerichts
Stendal vom 24. Juli 2013 wird auf Kosten der Beklagten zurück-
gewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die beklagte Steuerberatergesellschaft beriet den Kläger steuerlich. Im
Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 machte sie für ihn
Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung geltend, die dadurch ent-
standen waren, dass der Kläger seinen Hauptwohnsitz aus privaten Gründen
verlegt, seine Wohnung am Ort seiner beruflichen Tätigkeit aber als Zweitwoh-
nung beibehalten hatte. Das Finanzamt lehnte eine Berücksichtigung dieser
Kosten ab. Die Beklagte legte weisungsgemäß Einspruch ein. Nachdem das
Finanzamt erklärt hatte, an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhalten zu
wollen, nahm die Beklagte den Einspruch am 12. Februar 2009 ohne Rück-
sprache mit dem Kläger zurück.
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Am 5. März 2009 änderte der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung.
Eine beruflich begründete doppelte Haushaltsführung sei auch dann anzuneh-
men, wenn die Hauptwohnung verlegt und die bisherige Wohnung als Zweit-
wohnung am Beschäftigungsort beibehalten werde (VI R 23/07, BFHE 224,
420; VI R 58/06, BFHE 224, 413; VI R 53/07, nv; VI R 31/08, BFH/NV 2009,
1256).
Der Kläger verlangt nunmehr Schadensersatz in Höhe des Betrages, um
den sich seine Steuerschuld bei Berücksichtigung des Mehraufwandes redu-
ziert hätte. Das Amtsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weiterge-
henden Klage zur Zahlung von 1.108,06
€ nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung
der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelas-
senen Revision will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die nicht mit dem Kläger abge-
stimmte Rücknahme des Einspruchs stelle eine erhebliche Verletzung der
Pflichten aus dem Beratungsvertrag dar. Die Beklagte hätte von der möglicher-
weise bevorstehenden Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
wissen müssen. Sie sei zwar nicht gehalten gewesen, eine im Jahr 2008 in der
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Zeitschrift "Der Ertragssteuerberater" (EStB 2008, 27) veröffentlichte Recht-
sprechungsübersicht zur Kenntnis zu nehmen, in welcher das Problem behan-
delt worden sei, weil diese Zeitschrift nicht zur Pflichtlektüre eines Steuerbera-
ters gehöre. Sie hätte jedoch den Jahresbericht des Bundesfinanzhofs für das
Jahr 2007 lesen müssen. Die im Internet veröffentlichten Jahresberichte seien
frei verfügbar und wiesen - übersichtlich gegliedert - auf wenigen Seiten die
wichtigsten anhängigen Revisionsverfahren aus. Im Jahresbericht 2007 sei un-
ter Punkt D. I. 2 unter dem Schlagwort "Doppelte Haushaltsführung in Wegver-
legungsfällen" über das im sechsten Senat anhängige Revisionsverfahren VI R
23/07 berichtet worden. Ob der Jahresbericht für das Jahr 2008 bereits im Netz
gestanden habe und damit für die Beklagte verfügbar gewesen sei, könne da-
hinstehen. Der Bundesfinanzhof habe dem Verfahren VI R 23/07 ersichtlich ei-
ne besondere Bedeutung beigemessen. Bei dieser Sachlage sei die Beklagte
verpflichtet gewesen, vor der Rücknahme des Einspruchs Rücksprache mit
dem Kläger zu nehmen.
II.
Diese Ausführungen tragen die angefochtene Entscheidung nicht. Der
Beklagten kann nicht vorgeworfen werden, dass sie im Zeitpunkt der Rücknah-
me des Einspruchs vom Fortbestand der Rechtsprechung des Bundesfinanz-
hofs zu den Voraussetzungen der einkommensteuerrechtlichen Berücksichti-
gung einer doppelten Haushaltsführung ausgegangen ist.
1. Allerdings gab es im Zeitpunkt der Rücknahme des Einspruchs am
12. Februar 2009 die vom Berufungsgericht festgestellten Anhaltspunkte für
eine bevorstehende Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.
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a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG in der seinerzeit maßgeblichen
Fassung vom 15. Dezember 2003 (BGBl. I, 2645) stellten notwendige Mehr-
aufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass
begründeten doppelten Haushaltsführung entstanden, abzugsfähige Wer-
bungskosten dar. Eine doppelte Haushaltsführung lag vor, wenn der Arbeit-
nehmer außerhalb des Ortes, an dem er einen eigenen Hausstand unterhielt,
beschäftigt war und auch am Beschäftigungsort wohnte (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5
Satz 2 EStG). Der Bundesfinanzhof verneinte in ständiger Rechtsprechung die
berufliche Veranlassung einer doppelten Haushaltsführung, wenn der Steuer-
pflichtige die Familienwohnung aus privaten Gründen vom Beschäftigungsort
wegverlegt hatte und von der am Beschäftigungsort beibehaltenen oder von
einer dort neu begründeten Zweitwohnung aus seiner bisherigen Beschäftigung
weiter nachging (BFHE 115, 322, 325 f; 126, 511, 513 f; 126, 518, 520; vgl.
auch BFHE 224, 420, 423); die doppelte Haushaltsführung sei in einem solchen
Fall nicht beruflich, sondern privat veranlasst.
b) Die zitierte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wurde in der
Kommentar- und Aufsatzliteratur kritisiert (vgl. etwa Schmidt/Drenseck, EStG,
27. Aufl., § 9 Rn. 147 sowie die Nachweise bei BFHE 224, 420, 423). Das
Amtsgericht hat eine in der Zeitschrift EStB 2008, 27 veröffentlichte Rechtspre-
chungsübersicht herangezogen, in welcher auf das Revisionsverfahren VI R
23/07 hingewiesen worden ist. Das Revisionsverfahren VI R 23/07 wurde über-
dies in den Jahresberichten des Bundesfinanzhofs von 2008 und 2009 erwähnt.
Im Jahresbericht 2009 wurden unter der Überschrift "Doppelte Haushaltsfüh-
rung in Wegverlegungsfällen" weitere anhängige Revisionsverfahren aufgeführt
(VI R 58/06, VI R 53/07 und VI R 31/08). Ob dieser Bericht im Zeitpunkt der
Einspruchsrücknahme bereits im Internet abrufbar war, hat das Berufungsge-
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richt allerdings nicht feststellen können. Alle genannten Revisionsverfahren fin-
den sich schließlich auch in der monatlich als Anlage zum Bundessteuerblatt
erscheinenden Liste der beim Bundesfinanzhof, Bundesverfassungsgericht und
Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren in Steuersachen.
2. Der Beklagten gereicht es auf der Grundlage des vom Berufungsge-
richt festgestellten Sachverhalts jedoch nicht zum Verschulden, dass sie diese
Hinweise nicht wahrgenommen hat.
a) Grundsätzlich darf der Steuerberater auf den Fortbestand einer
höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrauen. Wegen der richtungsweisenden
Bedeutung, die höchstrichterlichen Entscheidungen für die Rechtswirklichkeit
zukommt, hat sich der Berater bei der Wahrnehmung seines Mandats grund-
sätzlich an dieser Rechtsprechung auszurichten; denn von einer gefestigten
höchstrichterlichen Rechtsprechung pflegt nur in Ausnahmefällen abgewichen
zu werden. Maßgeblich ist die jeweils aktuelle höchstrichterliche Rechtspre-
chung im Zeitpunkt der Beratung. Über deren Entwicklung muss sich der Bera-
ter anhand der amtlichen Sammlungen und der einschlägigen Fachzeitschriften
unterrichten.
b) Eine Änderung der Rechtsprechung hat der Berater allerdings dann in
Betracht zu ziehen, wenn ein oberstes Gericht sie in Aussicht stellt oder neue
Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Auswirkungen auf
eine ältere Rechtsprechung haben können und es zu einer bestimmten Frage
an neueren höchstrichterlichen Erkenntnissen fehlt. Eine Verpflichtung des Be-
raters, die Rechtsprechung der Instanzgerichte und das Schrifttum einschließ-
lich der Aufsatzliteratur heranzuziehen, kann ausnahmsweise auch dann beste-
hen, wenn ein Rechtsgebiet aufgrund eindeutiger Umstände in der Entwicklung
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begriffen und neue höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist. Hat der
Berater eine Angelegenheit aus einem solchen Bereich zu bearbeiten, muss er
auch Spezialzeitschriften in angemessener Zeit durchsehen, wobei ihm ein rea-
listischer Toleranzrahmen zuzubilligen ist. Es kommt auf die besonderen Um-
stände des Einzelfalls an. Dabei ist darauf abzustellen, mit welchem Grad an
Deutlichkeit (Evidenz) eine neue Rechtsentwicklung in eine bestimmte Richtung
weist und eine neue Antwort auf eine bisher anders entschiedene Frage nahe
legt. Ferner kann ins Gewicht fallen, mit welchem Aufwand - auch an Kosten -
der neuen Rechtsentwicklung im Interesse des Mandanten Rechnung getragen
werden kann (BGH, Urteil vom 6. November 2008 - IX ZR 140/07, BGHZ 178,
258 Rn. 9; vom 23. September 2010 - IX ZR 26/09, WM 2010, 2050 Rn. 17).
c) Der Jahresbericht des Bundesfinanzhofs ist nicht Teil der amtlichen
Sammlung und gehört nicht zu den einschlägigen Fachzeitschriften, welche ein
Steuerberater auszuwerten hat.
aa) Welche Zeitschriften dies sind, hat der Senat bisher offen gelassen.
Die Frage bedarf auch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. In Betracht
kommen vor allem das vom Bundesfinanzministerium herausgegebene Bun-
dessteuerblatt und die von der Bundessteuerberaterkammer herausgegebene
Zeitschrift "Deutsches Steuerrecht". Es muss sich um Zeitschriften handeln,
welche die für die Beratungspraxis benötigten Informationen dank einer redakti-
onellen Aufarbeitung gebündelt auffinden lassen. Da der Berater nicht nur die
höchstrichterliche Rechtsprechung, sondern auch die aktuellen Entwicklungen
in Gesetzgebung und Literatur zu verfolgen hat, kann von ihm nicht die Kennt-
nis jeder einzelnen Entscheidung des Bundesfinanzhofs erwartet werden. Auch
reine Entscheidungssammlungen, etwa die Zeitschrift BFH/NV, braucht er da-
her nicht vollständig auszuwerten. Er darf vielmehr darauf vertrauen, über etwa-
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ige neue Rechtsentwicklungen durch die allgemeinen steuerrechtlichen Fach-
publikationen unterrichtet zu werden (BGH, Urteil vom 23. September 2010,
aaO, Rn. 24 ff).
bb) Hinsichtlich der noch nicht ergangenen, sondern erst bevorstehen-
den höchstrichterlichen Entscheidungen können keine höheren Anforderungen
gestellt werden. Ein Steuerberater ist nicht gehalten, die monatlich als Anlage
zum Bundessteuerblatt erscheinende Liste der beim Bundesfinanzhof anhängi-
gen Verfahren durchzusehen (BGH, Urteil vom 6. November 2008, aaO
Rn. 25). Gleiches gilt für die Jahresberichte des Bundesfinanzhofs. Dem Beru-
fungsgericht ist zuzugeben, dass eine Durchsicht dieser Berichte ohne großen
Aufwand möglich ist. Ihnen ist ein Inhaltsverzeichnis vorausgestellt, welches
das Auffinden der eingegangenen Revisionen von besonderem Interesse (Ab-
schnitt D) und der zu erwartenden Entscheidungen von besonderer Bedeutung
(Abschnitt E) in den einzelnen Rechtsgebieten erleichtert. Adressat der Jahres-
berichte ist jedoch nicht der einzelne Steuerberater. Sie stehen im Zusammen-
hang mit der Jahrespressekonferenz des Bundesfinanzhofs, auf welcher der
Präsident oder die Präsidentin des Gerichts die Geschäftsentwicklung des ver-
gangenen Jahres erläutert, einen Überblick über im Berichtsjahr neu eingegan-
gene wichtige Streitverfahren gibt und zudem auf Verfahren von besonderem
Interesse hinweist, die im laufenden Jahr zur Entscheidung anstehen. Der je-
weilige Jahresbericht wird an die Teilnehmer dieser Veranstaltung verteilt und
anschließend auf der Internetseite des Gerichts veröffentlicht. Auch wenn der
Bericht also jedermann zugänglich ist, richtet er sich doch vorrangig an die Ver-
treter der allgemeinen Presse und der Fachpresse, die ihn publizistisch verwer-
ten. Der einzelne Steuerberater kann sich darauf verlassen, die für ihn bedeut-
samen Informationen der allgemeinen Presse und der Fachliteratur entnehmen
zu können.
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d) Die Zeitschrift "Der Ertragsteuerberater" gehört nicht zur Pflichtlektüre
eines Steuerberaters. Gegenteiliges folgt entgegen der Ansicht der Revisions-
erwiderung nicht daraus, dass "sogar" das Amtsgericht, ein Zivilgericht, den hier
einschlägigen Aufsatz EStB 2008, 27 aufgefunden habe. Eine Datenbank-
Recherche zum Themenkreis der Wegverlegungsfälle mit dem bekannten Ak-
tenzeichen VI R 23/07 führt sehr schnell zu diesem Aufsatz und zu weiteren
Aufsätzen in der genannten Zeitschrift. Allein deshalb muss diese jedoch nicht
von jedem Berater fortlaufend gelesen werden. Dass die seit dem Jahre 2004
beim Bundesfinanzhof anhängigen Revisionsverfahren Gegenstand eines Auf-
satzes oder einer Anmerkung in einer allgemeinen Fachzeitschrift gewesen wä-
re, hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger in den Tatsachen-
instanzen nicht dargetan. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung ist es
nicht Sache der Beklagten darzulegen, in welchen von ihr ausgewerteten Zeit-
schriften das Thema "Wegverlegungsfälle" nicht behandelt worden ist. Darle-
gungs- und beweispflichtig für eine Pflichtverletzung des Beraters ist grundsätz-
lich der Mandant, der Schadensersatz verlangt.
III.
Das angefochtene Urteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als
richtig (§ 561 ZPO).
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1. Die Beklagte hat gegen ihre Pflichten aus dem Beratungsvertrag ver-
stoßen, indem sie den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid ei-
genmächtig, ohne Rücksprache mit dem Kläger, zurückgenommen hat.
a) Grundsätzlich ist der rechtliche Berater - der Steuerberater ebenso wie
der Rechtsanwalt - verpflichtet, die Weisungen seines Mandanten zu befolgen
(vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1968 - VI ZR 24/66, VersR 1968, 792, 794;
vom 10. Juni 1980 - VI ZR 127/79, VersR 1980, 925; vom 20. März 1984
- VI ZR 154/82, WM 1984, 1024; vom 15. November 2007 - IX ZR 44/04, BGHZ
174, 205 Rn. 8; Vill in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Hand-
buch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 841). Nach § 675 Abs. 1, § 665 BGB ist
er zwar berechtigt, von den Weisungen des Auftraggebers abzuweichen, wenn
er den Umständen nach annehmen darf, dass der Auftraggeber bei Kenntnis
der Sachlage die Abweichung billigen würde. Vor der Abweichung hat er jedoch
dem Auftraggeber Anzeige zu machen und dessen Entschließung abzuwarten,
wenn nicht mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Der Auftraggeber trägt das
Misserfolgs- und Kostenrisiko des Auftrags; deswegen hat er und nicht der Be-
rater die grundlegenden Entscheidungen darüber zu treffen, in welcher Weise
seine Interessen wahrgenommen werden sollen (Vill, aaO Rn. 842, 844). Der
Berater darf, auch wenn er über ein höheres Maß an Sachkunde und Erfahrung
in schwierigen Rechts- und Sachlagen verfügt, nicht seine Entscheidung an die
Stelle derjeniger seines Mandanten setzen. Weicht der Berater von einer Wei-
sung des Mandanten ab, liegt darin eine Pflichtverletzung, die ihn zum Scha-
densersatz verpflichten kann (BGH, Urteil vom 15. November 2007, aaO). An-
spruchsgrundlage ist insoweit § 280 BGB (Soergel/Beuthien, BGB, 13. Aufl.,
§ 665 Rn. 17; MünchKomm-BGB-Seiler, BGB, 6. Aufl., § 665 Rn. 36; Staudin-
ger/Martinek,
BGB
(2006),
§ 665
Rn. 27;
Fehrenbacher
in
Prüt-
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ting/Wegen/Weinreich, BGB, 9. Aufl., § 665 Rn. 7; vgl. zum alten Schuldrecht
Knütel, ZHR 137 (1973), 285, 324 f).
b) Indem die Beklagte den Einspruch zurückgenommen hat, hat sie ge-
gen eine Weisung des Klägers verstoßen. Wird ein Steuerberater beauftragt,
Einspruch gegen einen Steuerbescheid einzulegen, heißt das in aller Regel zu-
gleich, dass der auftragsgemäß eingelegte Einspruch durchgeführt und nicht
zurückgenommen werden soll. Anhaltspunkte dafür, dass das im vorliegenden
Fall anders gewesen sein könnte, hat keine der Parteien vorgetragen.
c) Die Beklagte ist nach dem Hinweis des zuständigen Finanzamts auf
die Aussichtslosigkeit des Einspruchs und aufgrund der ihr bekannten Recht-
sprechung des Bundesfinanzhofs zu den Voraussetzungen der steuerlichen
Abzugsfähigkeit der Kosten einer doppelten Haushaltsführung wohl davon aus-
gegangen, dass der Kläger einer Rücknahme des Einspruchs zustimmen wür-
de. Gleichwohl hätte sie ihn von ihrer Absicht, den Einspruch zurückzunehmen,
in Kenntnis setzen und seine Entscheidung abwarten müssen. Ausreichend Zeit
hätte sie gehabt. Dass Gefahr im Verzug gewesen wäre, hat die für die tatsäch-
lichen Voraussetzungen einer berechtigten Abweichung nach § 665 BGB darle-
gungs- und beweispflichtige Beklagte (vgl. MünchKomm-BGB/Seiler, aaO
Rn. 40) nicht vorgetragen. Ihr Handeln war schuldhaft; denn seine Vertrags-
pflichten, insbesondere die Vorschrift des § 665 BGB, hat der Steuerberater zu
kennen.
2. Die in der unterbliebenen Rückfrage liegende Pflichtverletzung hat den
geltend gemachten Schaden verursacht.
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a) Verletzt der Steuerberater eine Vertragspflicht, so kann der Mandant
Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen (§ 280 Abs. 1 Satz 1
BGB). Zwischen der Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden
muss also eine ursächliche Verknüpfung in dem Sinne bestehen, dass das dem
Berater vorgeworfene Handeln oder Unterlassen nicht hinweggedacht werden
kann, ohne dass der Erfolg entfällt (G. Fischer in Zugehör/G. Fi-
scher/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, aaO Rn. 1097). Wird dem Berater ein Unter-
lassen vorgeworfen, ist folglich zu prüfen, ob der Erfolg auch dann eingetreten
wäre, wenn die unterbliebene Handlung vorgenommen worden wäre. Im hier
gegebenen Fall eines Verstoßes gegen die aus § 665 Satz 2 BGB folgende
Pflicht zur Rücksprache mit dem Mandanten setzt eine Schadensersatzpflicht
daher voraus, dass der Mandant eine andere Weisung erteilt hätte (Staudin-
ger/Martinek, BGB (2006) § 665 Rn. 27). Damit ist ein hypothetischer Kausal-
verlauf zu prüfen. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
geäußerten Ansicht des Klägers und Revisionsbeklagten geht es insoweit je-
doch nicht um die Fragen des rechtmäßigen Alternativverhaltens und der hypo-
thetischen Kausalität, sondern allein um die Anspruchsvoraussetzung der Kau-
salität der unterlassenen Nachfrage für den entstandenen Schaden (vgl. G. Fi-
scher, aaO Rn. 1098; BGH, Urteil vom 16. Juni 1988 - IX ZR 69/87, WM 1988,
1454, 1156 f zur Notarhaftung; vom 2. Juli 1992 - IX ZR 256/91, WM 1992,
2020, 2022 zur Anwaltshaftung).
b) Feststellungen dazu, wie sich der Kläger auf eine Rückfrage der Be-
klagten hin verhalten hätte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. In den
Tatsacheninstanzen hat die Beklagte mehrfach vorgetragen, dass der Kläger
dann, wenn er auf die ablehnende Stellungnahme des Finanzamtes hingewie-
sen worden wäre, den Einspruch zurückgenommen hätte. Der Kläger hat dem-
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gegenüber darauf verwiesen, dass er Einspruch eingelegt habe, um eine Ent-
scheidung in der Sache zu erreichen. Darlegungs- und beweispflichtig für den
Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden ist der
geschädigte Mandant (BGH, Urteil vom 30. September 1993 - IX ZR 73/93,
BGHZ 123, 311, 313; vom 5. Februar 2009 - IX ZR 6/06, WM 2009, 715 Rn. 7).
Der Kläger, der insbesondere gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO seine Verneh-
mung als Partei hätte anbieten können (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2003
- IX ZR 167/02, WM 2004, 472, 474; vom 21. Juli 2005 - IX ZR 49/02, WM
2005, 2110, 2111), hat in den Tatsacheninstanzen keinen Beweis angetreten.
c) Der Kläger hätte allerdings auch von Amts wegen vernommen werden
können (vgl. BGH, Urteil vom 18. Mai 2006 - IX ZR 53/05, WM 2006, 1736
Rn. 18); dazu oder zu einem rechtlichen Hinweis (§ 139 ZPO) haben die Vo-
rinstanzen von ihrem abweichenden rechtlichen Standpunkt aus keinen Anlass
gesehen. Im Ergebnis erweist sich die Klage unabhängig von der unterbliebe-
nen Beweisaufnahme als begründet, so dass der Senat von der Aufhebung des
angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-
richt abzusehen und die Revision der Beklagten zurückzuweisen hat (§ 563
Abs. 3 ZPO).
aa) Die Frage, wie sich der Mandant auf eine gemäß § 665 Satz 2 BGB
geschuldete Rückfrage verhalten hätte, gehört ebenso wie diejenige nach der
Reaktion auf eine pflichtgemäße Beratung hin zur haftungsausfüllenden Kausa-
lität, die nach § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen ist (BGH, Urteil vom 11. Mai 1995
- IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386, 399; vom 20. März 2008 - IX ZR 104/05, WM
2008, 1042 Rn. 12; G. Fischer, aaO Rn. 1100; Gehrlein, Anwalts- und Steuer-
beraterhaftung, 2. Aufl., S. 65). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs kommen im Rahmen der Beraterhaftung unter bestimmten Voraus-
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setzungen Beweiserleichterungen in Betracht, dann nämlich, wenn im Hinblick
auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände der Ursachenzusam-
menhang zwischen der Pflichtverletzung des Beraters und einem bestimmten
Verhalten des Mandanten typischerweise gegeben ist. Es handelt sich um ei-
nen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises (BGH, Urteil vom 30. September
1993 - IX ZR 73/93, BGHZ 123, 311, 314 ff; vom 20. März 2008 - IX ZR 104/05,
WM 2008, 1042 Rn. 12; Beschluss vom 15. Mai 2014 - IX ZR 267/12, WM
2014, 1379 Rn. 2; G. Fischer, aaO Rn. 1113).
bb) Im vorliegenden Fall spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür,
dass der Kläger die Anregung des Finanzamtes und der Beklagten, den Ein-
spruch zurückzunehmen, nicht aufgegriffen hätte. Er hatte trotz der seinem An-
liegen entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Einspruch
gegen den Steuerbescheid einlegen lassen. Er konnte die steuermindernde
Berücksichtigung der Kosten der doppelten Haushaltsführung nur dann errei-
chen, wenn er den Einspruch aufrecht erhielt und nicht zurücknehmen ließ.
Gründe, die aus Sicht des Klägers für eine Rücknahme des Einspruchs spre-
chen könnten, sind von der Beklagten nicht dargetan worden und sind auch
nicht ersichtlich. Insbesondere konnte der Kläger, wie er im Berufungsverfahren
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dargelegt hat, hierdurch keine Kosten sparen. Die Kosten der Steuerberatung
waren bereits mit der Einlegung und Begründung des Einspruchs angefallen;
die Einspruchsentscheidung des Finanzamts wäre kostenfrei ergangen.
Vill
Gehrlein
Lohmann
Pape
Möhring
Vorinstanzen:
AG Stendal, Entscheidung vom 17.07.2012 - 3 C 959/11 (4.0) -
LG Stendal, Entscheidung vom 24.07.2013 - 23 S 2/13 -