Urteil des BGH vom 16.09.2014

BGH: fahrzeug, kauf, tod, unfall, sorgfaltspflicht, taxifahrer, beförderung, strafzumessung, kausalverlauf, sicherheit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 S t R 3 8 2 / 1 4
vom
16. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. September 2014 be-
schlossen:
Das Verfahren wird zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat
abgegeben.
Gründe:
I.
Das Landgericht München II hat den Angeklagten wegen Körperverlet-
zung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die
Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Darüber
hinaus hat es ihm die Fahrerlaubnis und die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeför-
derung entzogen und die Führerscheine eingezogen. Die Verwaltungsbehörde
wurde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von drei Monaten keine neue
Fahrerlaubnis und vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zur
Fahrgastbeförderung zu erteilen.
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der
Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verurteilung zu einer unbedingten Freiheits-
strafe erstrebt.
Der 1. Strafsenat ist zur Entscheidung über die Revision der Staatsan-
waltschaft gegen dieses Urteil nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bun-
desgerichtshofs für das Geschäftsjahr 2014 nicht zuständig.
Zwar sind dem 1. Strafsenat Revisionen in Strafsachen u.a. für den Be-
zirk des Oberlandesgerichts München zugewiesen. Die abgeurteilte Tat fällt
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aber in die Zuständigkeit des 4. Strafsenats. Es handelt sich um eine Verkehrs-
strafsache, für die gemäß Geschäftsverteilungsplan dieser Strafsenat zuständig
ist.
II.
1. Der Geschäftsverteilungsplan weist dem 4. Strafsenat die Revisionen
in Verkehrsstrafsachen
– einschließlich der Fälle, in denen eine Verkehrsord-
nungswidrigkeit mit anderen Straftaten zusammentrifft
– zu (S. 16, dort Ziffer
A. II.). Nach der von den St
rafsenaten geübten Praxis sind „Verkehrsstrafsa-
chen“ nur solche Straftaten, durch die verkehrsrechtliche Strafbestimmungen
(§§ 142, 315 bis 316 StGB) verletzt worden sind oder die Straftatbestände und
Ordnungswidrigkeiten nach dem StVG, der StVO und der StVZO oder sich der
strafrechtliche Vorwurf auf eine Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Bestim-
mungen gründet, z.B. §§ 222, 229 StGB wegen nicht angepasster Geschwin-
digkeit oder Vorfahrtsverletzungen (BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999
– 4 StR
216/99). Hat ein Angeklagter unter Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Best-
immungen eine Körperverletzung oder eine fahrlässige Tötung begangen, ist
die Zuständigkeit des 4. Strafsenats begründet.
2. Dem Angeklagten liegt zur Last, im öffentlichen Verkehrsraum eine
Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begangen zu haben, indem er
als Taxifahrer mit seinem Taxi den von ihm abgewiesenen Fahrgast überrollt
hat. Hierbei legt ihm das Landgericht die Verletzung straßenverkehrsrechtlicher
Bestimmungen
– § 1 Abs. 2 StVO – zur Last. Das Landgericht hat ausgeführt
(UA S. 13), dass der Angeklagte den Tod des M. fahrlässig verur-
sacht hat, „indem er … gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen hat, sein Fahrzeug
so zu führen, dass andere Personen dabei nicht geschädigt werden (§ 1 Abs. 2
StVO).“
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a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte als
Taxifahrer in der Silvesternacht vom 31. Dezember 2012 auf den 1. Januar
2013 mit seinem Großraumtaxi unterwegs. Das Fahrzeug verfügte hinten über
zwei Sitzreihen. Der Zustieg erfolgte über Schiebetüren. Der Angeklagte war
auf dem Weg zu einer Kundin. Am Nachbarhaus der ihm telefonisch genannten
Adresse wurde er von M. und seinen beiden Begleitern angehal-
ten, die mit einem Taxi zum Bahnhof fahren wollten. M. war alko-
holisiert. Er hatte eine Blutalkoholkonzentration von 1,02 Promille. Allerdings
war er durch diese Alkoholisierung in seiner Urteilsfähigkeit und seinem Verhal-
ten nicht wesentlich eingeschränkt. Der Angeklagte lehnte die Beförderung mit
der Begründung ab, er könne sie wegen einer anderen Bestellung nicht mit-
nehmen. Währenddessen hatte M. die hintere rechte Schiebetür
des Taxis geöffnet und war eingestiegen. Der Angeklagte forderte ihn auf, das
Fahrzeug wieder zu verlassen. Während M. ausstieg, entspann
sich ein Wortwechsel mit dem Angeklagten, da M. auf der Beför-
derung bestand. Unmittelbar nachdem M. das Taxi verlassen
hatte und mit beiden Füßen auf der Straße stand, fuhr der Angeklagte mit sei-
nem Taxi an, wobei die hintere rechte Schiebetür noch offen war. Dies war dem
Angeklagten bewusst. M. wollte nun den Angeklagten dazu be-
wegen, das Taxi anzuhalten. Er griff mit seiner linken Hand durch die geöffnete
Schiebetür in das Fahrzeug und hielt sich im Inneren fest. Dann lief er neben
dem Fahrzeug her, wobei er sich mit dem Oberkörper halb im Fahrzeug be-
fand, rief einige Male „Stopp!“ und versuchte, sich in das Fahrzeug hineinzuzie-
hen, während der Angeklagte das Fahrzeug beschleunigte. Der Angeklagte
hörte die Rufe und bemerkte, dass M. an der offenen Tür neben
dem Fahrzeug herlief. Gleichwohl setzte er seinen Beschleunigungsvorgang
fort. Dabei nahm er in Kauf, dass das Taxi M. touchieren könnte,
dieser möglicherweise zu Fall kommen und sich dabei durch Prellungen oder
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Abschürfungen leicht verletzen könnte. Mit diesen möglichen Folgen hatte sich
der Angeklagte abgefunden. Ihm war bewusst, dass es auch zu einem schwe-
ren oder tödlichen Unfall kommen könnte, wenn das Fahrzeug die nebenher-
laufende Person berühren sollte. Nach einigen Sekunden geriet
M. ins Straucheln, löste seinen Griff im Inneren des Fahrzeugs und fiel hin.
Im Fallen verhakte sich seine Jacke in der Schiebetüre, so dass er in eine hori-
zontale Drehbewegung versetzt wurde, durch die sein Kopf unter das Fahrzeug
geriet und vom rechten Hinterrad überrollt wurde. Er war sofort tot.
Das Landgericht führt in der rechtlichen Würdigung aus, der Angeklagte
habe eine Verletzung M. s durch eine Berührung mit seinem Fahr-
zeug billigend in Kauf genommen und damit den Tatbestand einer gefährlichen
Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt. Er habe dessen Tod fahr-
lässig verursacht, indem er
– abgesehen von der vorangegangenen Körperver-
letzung
– gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen habe, sein Fahrzeug so zu füh-
ren, dass andere Personen dabei nicht geschädigt werden (§ 1 Abs. 2 StVO).
Der Kausalverlauf (Sturz des Opfers durch die Weiterfahrt trotz der dicht neben
dem Fahrzeug laufenden Person) und die mögliche Folge des Todes lägen
nicht außerhalb der Lebenserfahrung und seien für den Angeklagten vorher-
sehbar gewesen. Bei rechtmäßigem Handeln (wenn der Angeklagte alsbald
gebremst hätte, nachdem er bemerkte, dass M. in der offenen
Tür neben seinem Fahrzeug herlief) wäre der Erfolg mit an Sicherheit grenzen-
der Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten.
Das Landgericht hat nach Abwägung für und gegen den Angeklagten
sprechender Umstände einen minder schweren Fall der Körperverletzung mit
Todesfolge (§ 227 Abs. 2 StGB) angenommen.
b) Die Staatsanwaltschaft führt zur Begründung ihrer Revision aus, das
Urteil weise
– ohne hierdurch eine Beschränkung der allgemeinen Sachrüge
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vornehmen zu wollen
– insbesondere folgende Mängel auf: Die Begründung
des minder schweren Falls sei rechtsfehlerhaft. Das Landgericht habe die im
Rahmen der Gesamtwürdigung maßgeblichen Aspekte nicht hinreichend erör-
tert und teilweise fehlerhaft gewichtet. So sei zu Gunsten des Angeklagten ge-
wertet worden, dass dessen Vorsatz lediglich auf eine geringfügige Körperver-
letzung gerichtet gewesen sei. Zugleich aber sei festgestellt worden, dass dem
Angeklagten auch bewusst gewesen sei, dass ein tödlicher Unfall die Folge
sein könnte, wenn das beschleunigende Fahrzeug die nebenherlaufende Per-
son berühren sollte. Die Schlussfolgerung, die zur Begründung des minder
schweren Falles herangezogen worden sei, werde also durch die vom Landge-
richt getroffenen Feststellungen nicht getragen. Einerseits stelle das Landge-
richt fest, dass der Angeklagte die Möglichkeit des tödlichen Ausgangs im Falle
einer Berührung zwischen dem Fahrzeug und dem Geschädigten erkannt und
billigend in Kauf genommen habe, dass M. zu Fall kommen könn-
te. Andererseits fehlten der Kammer Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte
den Tod des M. als mögliche Folge in Betracht gezogen und sich
mit dieser Folge abgefunden hätte. Konkrete Gründe, warum das Landgericht
lediglich davon ausging, dass der Angeklagte nur geringfügige Verletzungen als
mögliche Folge seines Tuns billigend in Kauf nahm, habe es nicht genannt. In-
soweit bestehe ein Erörterungsmangel. Weiterhin habe die Kammer im Rah-
men der Prüfung des minder schweren Falls keine Feststellungen zum Grad
der Fahrlässigkeit getroffen. Es bestünden jedoch Gründe, die dafür sprächen,
dass dem Angeklagten ein erhöhtes Maß an Fahrlässigkeit zur Last zu legen
sei.
Auch die Strafzumessung im engeren Sinne sei fehlerhaft, da das Land-
gericht strafmildernde Umstände zu Unrecht berücksichtigt und strafschärfende
Aspekte nicht in ihre Abwägung eingestellt habe.
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Eine korrekte Gewichtung der relevanten Strafzumessungskriterien hätte
daher eine empfindlichere und mithin unbedingte Freiheitsstrafe nach sich ge-
zogen, zumal dann auch die Anwendung des Regelstrafrahmens nahe gelegen
hätte.
3. Auch wenn das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auf den Straf-
ausspruch beschränkt gewesen sein sollte, begründet dies die Zuständigkeit
des 1. Strafsenats nicht. Sowohl bei einer wirksamen Rechtsmittelbeschrän-
kung als auch bei einer unbeschränkten Revision besteht noch Entscheidungs-
bedarf.
Die Staatsanwaltschaft hat eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift
die Verletzung materiellen Rechts gerügt und ausgeführt, das Urteil weise
ohne hierdurch die allgemeine Sachrüge zu beschränken
– Mängel auf, die sie
benennt. Sie hat die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Fest-
stellungen und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt.
Aus der Revisionsbegründungsschrift ergibt sich zwar, dass die Revisi-
onsführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Be-
messung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren
Falls nach § 227 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt, das Maß der Pflichtwidrigkeit
nicht erörtert, entsprechende Fehler auch bei der Strafzumessung im engeren
Sinn begangen und die Freiheitsstrafe daher unangemessen milde bemessen
habe. Dieser Vortrag würde lediglich den Strafausspruch berühren.
Andererseits führt die Staatsanwaltschaft aus, das Urteil sei in den Fest-
stellungen widersprüchlich, weil es feststelle, dass dem Angeklagten bewusst
gewesen sei, dass es zu einem tödlichen Unfall kommen könne, gleichzeitig
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aber festgestellt wird, dass sich der Angeklagte zwar mit leichten Verletzungen
des Fußgängers abgefunden haben soll, nicht aber mit dessen Tod. Konkrete
Gründe, warum das Landgericht davon ausging, dass der Angeklagte nur ge-
ringfügige Verletzungen billigend in Kauf genommen habe, nicht aber eine töd-
liche Verletzung, habe das Landgericht nicht benannt. Insoweit bestehe ein Er-
örterungsmangel.
Im Ergebnis rügt die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision
– neben ande-
ren Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Straf-
zumessungserwägungen
– auch eine rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung im
Hinblick auf den von der Strafkammer als strafmildernd gewerteten Umstand,
die Tat trage gewisse Züge eines Unglücksfalls, die Kammer habe keine An-
haltspunkte dafür, dass der Angeklagte den Tod M. s als mögliche
Folge in Betracht gezogen und sich mit diesem Ergebnis abgefunden habe.
Dieser Vortrag würde auch den Schuldspruch berühren.
War die Revision wirksam auf den Strafausspruch beschränkt, ist das
Maß der Pflichtwidrigkeit, also die Schwere des Verstoßes gegen § 1 Abs. 2
StVO, entscheidend für die Bemessung der Strafe. War sie nicht auf den Straf-
ausspruch beschränkt, entscheidet das Maß der Pflichtwidrigkeit (Vorsatz oder
Fahrlässigkeit) über die anzuwendende Strafvorschrift.
III.
Der 4. Strafsenat wurde zur Zuständigkeitsfrage angehört.
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Der 1. Strafsenat gibt die Sache gemäß der im Geschäftsverteilungsplan
getroffenen Regelung (S. 20, dort Ziffer A. VI. 1. a) an den 4. Strafsenat ab.
Raum Rothfuß Jäger
Cirener Fischer
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