Urteil des BGH vom 29.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 79/08 Verkündet
am:
24. März 2009
Holmes,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Ed, § 1359
Zur Anwendbarkeit des § 1359 BGB auf einen Unfall beim Wasserski.
BGH, Urteil vom 24. März 2009 - VI ZR 79/08 - OLG Nürnberg
LG Regensburg
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Februar 2009 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Well-
ner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 27. Februar 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von dem Beklagten im Wege des Gesamtschuldner-
ausgleichs die Freistellung von Schadensersatzansprüchen, die der Ehefrau
des Beklagten gegen ihn nach einem Bootsunfall zugesprochen worden sind.
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Am 10. August 2001 waren der Beklagte und seine Ehefrau mit dem Klä-
ger in dessen Motorboot zum abwechselnden Wasserskifahren auf den Garda-
see ausgefahren. Zum Zeitpunkt des Unfalls fuhr die Ehefrau hinter dem vom
Beklagten gesteuerten Boot Wasserski. Als sie ihre Wasserskifahrt beenden
wollte und auf das Motorboot zuschwamm, drückte der Beklagte nach einem
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Warnschrei des Klägers die beiden Gashebel nach vorne. Da sich - ohne sein
Wissen - beide Getriebehebel in Rückwärtsposition befanden, fuhr das Boot
nicht wie beabsichtigt nach vorne, sondern nach hinten. Dadurch geriet seine
Ehefrau in die Schraube des Bootes und verletzte sich schwer.
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Der Beklagte hat selbst ein Motorboot, das über zwei Hebel gesteuert
wird, wobei das Boot bei Vorwärtsstellung der Hebel nach vorne fährt und in
Rückwärtsstellung der Hebel nach hinten. Das Motorboot des Klägers wird da-
gegen über vier Hebel bedient. Die beiden größeren Hebel lassen sich nur nach
vorne bewegen und sind mit dem Gaspedal im Auto vergleichbar. Die beiden
kleineren Hebel in der Mitte stellen das Getriebe dar. Sind diese Hebel nach
vorne geschoben, fährt das Boot vorwärts, befinden sie sich in rückwärtiger
Stellung, fährt das Boot rückwärts. In der Mitte befindet sich der Leerlauf. Zum
Zeitpunkt des Unfalls befanden sich die Getriebehebel etwa in der Mitte; der
Leerlauf war jedoch nicht eingerastet, so dass noch der Rückwärtsgang einge-
stellt war.
Das Betreiben von Wasserski in Binnengewässern ist in Italien durch Mi-
nisterialerlass Nr. 550 vom 20. Juli 1994 geregelt.
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Der Kläger wurde durch rechtskräftiges Urteil des Oberlandesgerichts
München wegen Verletzung der ihm als Eigentümer und Begleitperson beim
Wasserskifahren obliegenden Verkehrssicherungspflicht zum Schadensersatz
an die Ehefrau des Beklagten verurteilt. Im jetzigen Verfahren begehrt er, ihn zu
80 % von den Schadensersatzansprüchen der Ehefrau des Beklagten und der
Sozialversicherungsträger freizustellen. Das Landgericht hat die Klage abge-
wiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungs-
gericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
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Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in OLGR Nürnberg 2008, 403
veröffentlicht ist, hat ausgeführt, das Freistellungsbegehren des Klägers sei
nicht begründet, weil eine gesamtschuldnerische Haftung der Parteien im Sinne
der §§ 421, 426, 840 BGB nicht vorliege. Zwar stehe die Haftung des Klägers
gegenüber der Geschädigten aufgrund des Urteils des Oberlandesgerichts
München fest. Der Beklagte hafte aber als Ehemann der Geschädigten wegen
§§ 1359, 277 BGB nicht für sein objektiv vorliegendes Fehlverhalten, so dass
zwischen ihm und dem Kläger kein Gesamtschuldverhältnis bestehe. Daher
seien auch die Grundsätze des "gestörten Gesamtschuldnerausgleichs" nicht
anzuwenden.
Bei gemeinsamer sportlicher Betätigung als Teil der ehelichen Lebens-
gemeinschaft (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB) bestimme sich der wechselseitige
Haftungsmaßstab nach § 1359 BGB. Es liege kein Unfall im Straßenverkehr
vor, bei dem dieser Haftungsmaßstab nicht gelte, sondern ein Unfall bei der
gemeinsamen Freizeitgestaltung. Das in dem Ministerialerlass Nr. 550 nieder-
gelegte Gebot, "alle erforderlichen Vorkehrungen zur Vermeidung von Unfällen
in den genutzten Bereichen zu treffen", sei recht allgemein gehalten und mit
den Detailregelungen des Straßenverkehrs nicht vergleichbar, die für einen in-
dividuellen Sorgfaltsmaßstab keinen Raum ließen.
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Im Streitfall hafte der Beklagte nach dem Sorgfaltsmaßstab der §§ 1359,
277 BGB nicht. Es handle sich um ein Augenblicksversagen, weil der sehr spä-
te Warnschrei des Klägers eine Schreckreaktion des Beklagten verursacht und
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dieser wegen der Bauweise des Bootes den Hebel falsch umgelegt habe. Im
vorliegenden Fall stehe nicht ein kurzzeitiges "nicht Aufpassen" des Beklagten,
sondern das unheilvolle Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Umständen
im Vordergrund, welches die persönliche Schuld des Beklagten in einem milde-
ren Licht erscheinen lasse.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der mildere
Sorgfaltsmaßstab des § 1359 BGB im Streitfall keine Anwendung finden. Nach
dieser Vorschrift haben die Ehegatten (für eingetragene Lebenspartner vgl. § 4
LPartG) bei Erfüllung der sich aus dem ehelichen Verhältnis ergebenden Ver-
pflichtungen nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, die sie in eigene Angele-
genheiten anzuwenden pflegen. Zwar betrifft dieser Haftungsmaßstab anders
als im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht nur Verpflichtungen, die mit dem
ehelichen Güterrecht oder der Schlüsselgewalt zusammenhängen, sondern alle
Verpflichtungen, die sich aus dem ehelichen Verhältnis ergeben (zur Entste-
hungsgeschichte der Vorschrift vgl. BGHZ 53, 352, 353). Gleichwohl handelt es
sich gegenüber dem allgemeinen Haftungsmaßstab des § 276 BGB um eine
Ausnahmevorschrift, die schon nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen
ist.
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Zudem entspricht es für Schadensfälle aus dem Straßenverkehr der ge-
festigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass sich ein Kraftfahrer,
der unter Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften seinen Ehegatten an der Ge-
sundheit oder im Eigentum schädigt, nicht auf den Sorgfaltsmaßstab des
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§ 1359 BGB wie in eigenen Angelegenheiten berufen, also nicht geltend ma-
chen kann, dass er gewöhnlich in dieser Weise zu fahren bzw. Verkehrsvor-
schriften zu missachten pflege (BGHZ 53, 352, 355 f.; 61, 101, 104 f.; 63, 51,
57 f.). Schon zuvor hatte der erkennende Senat zu dem zwischen Gesellschaf-
tern geltenden und ebenfalls auf die Sorgfalt wie in eigenen Angelegenheiten
beschränkten Haftungsmaßstab des § 708 BGB ausgeführt, dass dieser für das
Straßenverkehrsrecht allgemein ungeeignet sei, weil dieses Gebiet keinen
Spielraum für individuelle Sorgfalt erlaube und die Gesellschafter sich deshalb
als Fahrgäste eines Mitgesellschafters nicht mit geringerer Sorgfalt behandeln
lassen müssten, als dies nach dem allgemein gültigen objektiven Maßstab er-
forderlich wäre (BGHZ 46, 313, 317 f.).
Diese Erwägungen gelten auch im Streitfall, in dem ebenfalls ein Unfall
mit einem motorgetriebenen Fahrzeug von vergleichbarer Gefährlichkeit, des-
sen Betrieb eine Lizenz erfordert, geschehen ist. Der Ministerialerlass Nr. 550
vom 20. Juli 1994 enthält entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hin-
reichend detaillierte Regelungen, die den Schutz der Wasserskiläufer und unbe-
teiligter Dritter bezwecken und keinen Raum für einen individuellen Sorgfalts-
maßstab lassen. Insbesondere ist in Art. 1 des Erlasses detailliert geregelt, un-
ter welchen Bedingungen das Betreiben von Wasserski in Binnengewässern
tagsüber bei günstigen Witterungsbedingungen gestattet ist und welcher Ab-
stand dabei zum Wasserskifahrer und anderen Wasserfahrzeugen einzuhalten
ist.
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Auch wenn es sich um die gemeinsame Ausübung von Freizeitsport im
Rahmen der ehelichen Lebensgestaltung handelte, kommt mithin im Streitfall
eine Haftungsmilderung nach § 1359 BGB nicht in Betracht. Demgemäß ist die
Verantwortlichkeit des Beklagten nach dem strengeren Haftungsmaßstab des
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§ 276 BGB zu beurteilen mit der Folge, dass eine Mithaftung des Beklagten
neben dem bereits rechtskräftig verurteilten Kläger besteht.
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2. Nach allem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sa-
che ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-
rückzuverweisen, damit dieses die notwendigen Feststellungen zum jeweiligen
Haftungsanteil der Parteien treffen und die bisher offen gelassene Prüfung
nachholen kann, ob Verjährung eingetreten ist.
Müller Wellner Diederichsen
Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG Regensburg, Entscheidung vom 22.03.2007 - 3 O 2498/06 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.02.2008 - 4 U 863/07 -