Urteil des BGH vom 04.06.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 1 2 1 / 1 4
vom
4. Juni 2014
in der Betreuungs- und Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 1906 Abs. 3 und 3a; FamFG §§ 323 Abs. 2, 329 Abs. 1 Satz 2
a) Zu den materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen an die
Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaß-
nahme.
b) Der gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB erforderliche Überzeugungsver-
such ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Ein-
willigung durch den Betreuer, der mit Blick auf den Verhältnismäßigkeits-
grundsatz entscheidende Bedeutung zukommt.
c) Der Überzeugungsversuch muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und
ohne Ausübung unzulässigen Drucks durch eine überzeugungsfähige und
-bereite Person unternommen worden sein, was das Gericht in jedem Einzel-
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fall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzule-
gen hat.
d) Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung
bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinn des § 62
Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
BGH, Beschluss vom 4. Juni 2014 - XII ZB 121/14 - LG Hannover
AG Neustadt am Rübenberge
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Juni 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der
die Einwilligung der Betreuerin in eine ärztliche Zwangsmaßnahme
genehmigende Beschluss des Amtsgerichts Neustadt am Rübenberge
vom 30. Januar 2014 und der Beschluss der 9. Zivilkammer des
Landgerichts Hannover vom 21. Februar 2014, soweit die gegen die
Genehmigung der Einwilligung gerichtete Beschwerde der Betroffenen
zurückgewiesen worden ist, die Betroffene in ihren Rechten verletzt
haben.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz entstandenen außergerichtlichen
Kosten der Betroffenen werden der Staatskasse zu einem Drittel auf-
erlegt.
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Gründe:
I.
Die Betroffene leidet unter einer schizophrenen Psychose, die akut
exazerbierte, nachdem die Betroffene die neuroleptische Prophylaxe abgesetzt
hatte. Mit drei Beschlüssen vom 30. Januar 2014 bestellte das Amtsgericht die
Beteiligte zu 1 - die bereits seit 9. Januar 2014 vorläufige Betreuerin war - zur
Betreuerin mit umfassendem Aufgabenkreis, genehmigte die Unterbringung der
Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 29. Juli 2014 und
genehmigte befristet bis 23. April 2014 die Einwilligung der Betreuerin in die
zwangsweise Verabreichung von im einzelnen aufgeführten Psychopharmaka.
Die gegen diese Entscheidungen eingelegten Beschwerden der Be-
troffenen hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewie-
sen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen. Hinsichtlich
der durch Zeitablauf erledigten Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche
Zwangsmaßnahme begehrt sie die Feststellung, dass diese sie in ihren Rech-
ten verletzt habe.
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II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich gegen die
Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme richtet. Hin-
sichtlich der Betreuung und der Unterbringungsgenehmigung ist sie hingegen
unbegründet.
1. Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaß-
nahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG um eine Unterbrin-
gungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall
der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ
2014, 649 Rn. 7).
2. Die Entscheidungen von Amts- und Landgericht zur ärztlichen
Zwangsmaßnahme haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach
der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des
§ 62 Abs. 1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 -
FamRZ 2014, 649 Rn. 8) festzustellen ist.
a) Das Amtsgericht hat ein psychiatrisches Sachverständigengutachten
zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine zwangsweise Be-
handlung der Betroffenen mit Neuroleptika eingeholt und die Betroffene ange-
hört. Es hat auf dieser Grundlage festgestellt, dass bei der Betroffenen die me-
dikamentöse Behandlung als eilbedürftig indiziert sei, weil sonst eine weitere
Chronifizierung der Erkrankung mit der Gefahr erheblicher selbstgefährdender
Fehlhandlungen bestehe. Während die Betroffene unbehandelt dauerhaft einer
geschlossenen Unterbringung bedürfe, bestehe bei Einsatz der Neuroleptika
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eine berechtigte Hoffnung auf Besserung mit der Aussicht auf ein Leben außer-
halb einer geschlossenen Einrichtung. Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen
Zwangsmaßnahme überwiege die von dieser zu erwartenden Beeinträchtigun-
gen deutlich. Die Betroffene, die eine Behandlung ablehne, könne aufgrund ih-
rer Erkrankung die Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht erkennen. Ihre freie
Willensbestimmung sei insoweit vollständig aufgehoben. Das Landgericht hat
nach erneuter Anhörung der Betroffenen die Feststellungen des Amtsgerichts
als zutreffend erachtet.
b) Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts
halten insoweit einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie sind in mehrfa-
cher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
aa) Der Betreuer kann in eine im Rahmen einer zivilrechtlichen Un-
terbringung erfolgende ärztliche Zwangsmaßnahme einwilligen, wenn die in
§ 1906 Abs. 3 Satz 1 BGB aufgezählten Voraussetzungen kumulativ vorliegen
(vgl. BT-Drucks. 17/11513 S. 7; Moll-Vogel FamRB 2013, 157, 158).
(1) Durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilli-
gung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl. I
S. 266) hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 26. Februar 2013 in die Vor-
schrift des § 1906 BGB die neuen Absätze 3 und 3a eingefügt, mit denen die
Voraussetzungen der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaß-
nahme im Einzelnen geregelt sind und das gerichtliche Genehmigungserforder-
nis normiert ist.
Bei der Ausgestaltung dieser Voraussetzungen hatte der Gesetzgeber im
Blick, dass es sich bei einer solchen Zwangsbehandlung wegen des mit ihr ver-
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bundenen erheblichen Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrt-
heit, das auch das Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich der körperlichen
Integrität schützt (Senatsbeschluss BGHZ 192, 337 = FamRZ 2012, 1366
Rn. 33; BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 39, 44 mwN und FamRZ 2013, 767
Rn. 49), nur um die ultima ratio handeln darf. Die Anwendung dieses letzten
Mittels kommt insbesondere in Situationen drohender erheblicher Selbstgefähr-
dung und nur bei Betroffenen in Betracht, die aufgrund psychischer Krankheit
oder geistiger oder seelischer Behinderung selbst einwilligungsunfähig sind
(vgl. BT-Drucks. 17/11513 S. 5 ff.). Zudem erfordert der mit einer Zwangsbe-
handlung regelmäßig verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff eine
strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. dazu Senatsbe-
schluss BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rn. 34 mwN).
(2) In eine ärztliche Zwangsmaßnahme, also in die Behandlung gegen
den natürlichen Willen des Betroffenen, kann der Betreuer daher nach § 1906
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB nur einwilligen, wenn es dem Betroffenen krankheits-
oder behinderungsbedingt an der Fähigkeit fehlt, die Notwendigkeit der ärztli-
chen Maßnahme zu erkennen, oder wenn er trotz Vorliegens einer solchen Ein-
sicht krankheits- oder behinderungsbedingt nicht nach dieser Einsicht handeln
kann.
(3) Gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB muss die ärztliche Zwangs-
maßnahme erforderlich sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen
Schaden des Betroffenen abzuwenden (vgl. zu diesem Tatbestandsmerkmal
etwa Senatsbeschlüsse vom 5. Dezember 2012 - XII ZB 665/11 - FamRZ 2013,
289 Rn. 15 ff.; vom 22. August 2012 - XII ZB 295/12 - FamRZ 2012, 1705
Rn. 3 f. und vom 23. Juni 2010 - XII ZB 118/10 - FamRZ 2010, 1432 Rn. 10 f.;
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Dodegge NJW 2013, 1265, 1267 f. mwN). Denn die Überwindung des entge-
genstehenden natürlichen Willens des Betroffenen im Wege der Zwangsbe-
handlung kann schon im Ansatz nur dann gerechtfertigt sein, wenn es gilt, ge-
wichtige gesundheitliche Nachteile des Betroffenen zu verhindern (vgl. BT-
Drucks. 17/11513 S. 7). Umgekehrt ist der natürliche Wille des Betroffenen zu
respektieren, wenn auch bei Unterbleiben der Behandlung keine wesentlichen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Betroffenen zu erwarten sind.
Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist weiterhin das Erfor-
dernis, dass der erhebliche gesundheitliche Nachteil nicht durch eine mildere,
dem Betroffenen zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann (§ 1906
Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BGB). Eine solche kann etwa in einer alternativen Behand-
lungsmethode zu sehen sein, die nicht dem natürlichen Willen des Betroffenen
widerspricht und ebenfalls das mit der Zwangsbehandlung verfolgte Behand-
lungsziel herbeizuführen vermag, aber auch in sonstigen, die Behandlung ent-
behrlich machenden Maßnahmen (vgl. BeckOK BGB/Müller [Stand: 1. August
2013] § 1906 Rn. 28; Marschner in Jürgens Betreuungsrecht 5. Aufl. § 1906
BGB Rn. 35; Dodegge NJW 2013, 1265, 1268).
Auch wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Zwangsbehandlung
nur verhältnismäßig, sofern der von ihr zu erwartende Nutzen die aus ihr für
den Betroffenen folgenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt (§ 1906
Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BGB; vgl. auch BT-Drucks. 17/11513 S. 7). Dem zu erwar-
tenden Behandlungserfolg sind die mit der Behandlung verbundenen Neben-
und Auswirkungen einschließlich der möglichen Komplikationen gegenüberzu-
stellen und Nutzen und Beeinträchtigungen gegeneinander abzuwägen (vgl. zu
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Einzelheiten etwa Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1. Oktober 2013] § 1906 BGB
Rn. 152 f.; Dodegge NJW 2013, 1265, 1268).
(4) Schließlich setzt die Zulässigkeit einer zwangsweisen Behandlung
gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB voraus, dass vor der Einwilligung in die
ärztliche Zwangsmaßnahme versucht wurde, den Betroffenen von der Notwen-
digkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen und seine auf Vertrauen ge-
gründete Zustimmung zu erreichen. Dieser Versuch muss ernsthaft, mit dem
nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks (BT-Drucks.
17/12086 S. 1, 11; vgl. auch BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 58) durch eine
überzeugungsfähige und -bereite Person unternommen worden sein, was das
Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nach-
prüfbarer Weise darzulegen hat.
(a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, dass die Durchführung
der ärztlichen Maßnahme gegen den natürlichen Willen des Betroffenen nicht
vermieden werden kann, indem der Betroffene von ihrer Notwendigkeit über-
zeugt, so eine Änderung seines Willens herbeigeführt und eine Zwangsmaß-
nahme dadurch überflüssig wird. Um dies sicherzustellen, hat der Gesetzgeber
auf Empfehlung des Rechtsausschusses (vgl. BT-Drucks. 17/12086) in § 1906
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB das entsprechende Erfordernis aufgenommen. Damit
ist klargestellt, dass es sich bei dem Überzeugungsversuch um eine materiell-
rechtliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung durch den Be-
treuer handelt (vgl. auch Moll-Vogel FamRB 2013, 157, 158), der mit Blick auf
den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entscheidende Bedeutung zukommt (vgl.
Masuch/Gmati NZS 2013, 521, 528).
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(b) Zur näheren Ausgestaltung eines solchen Versuchs, insbesondere
dazu, von wem er zu unternehmen ist, enthält das Gesetz keine Angaben.
Der Gesetzgeber hat mit der Regelung an die in § 1901 Abs. 3 Satz 3
BGB enthaltene, den Betreuer treffende Pflicht angeknüpft (BT-Drucks.
17/12086 S. 11), wichtige Angelegenheiten vor ihrer Erledigung mit dem Be-
troffenen zu besprechen, sofern dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft. Schon
danach muss der Betreuer den Betroffenen, um ihm ein möglichst selbstbe-
stimmtes Leben zu ermöglichen, vor Durchführung einer Maßnahme über diese
in für den Betroffenen verständlicher Weise informieren (BT-Drucks. 17/11513
S. 6). Zudem wird der Betreuer die ordnungsgemäße Durchführung des Über-
zeugungsversuchs als Voraussetzung für die Wirksamkeit seiner Einwilligungs-
erklärung am zuverlässigsten beurteilen können, wenn er selbst daran beteiligt
war. Gegen eine - danach folgerichtige - Mitwirkung des Betreuers spricht nicht
§ 630 c Abs. 2 Satz 1 BGB (anders BeckOK BGB/Müller [Stand: 1. August
2013] § 1906 Rn. 28), der die aus dem Behandlungsvertrag folgende Aufklä-
rungspflicht des behandelnden Arztes gegenüber dem Patienten bei Beginn
und im Verlauf der Behandlung regelt. Denn § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB
geht mit der Forderung nach einem Überzeugungsversuch über die vertragliche
Pflicht zur Aufklärung und Erläuterung hinaus. Letztgenannte setzt außerdem
erst im Zusammenhang mit dem Behandlungsbeginn ein, während der Versuch,
den Betroffenen von der Notwendigkeit zu überzeugen, schon allein deshalb
deutlich früher erfolgen muss, weil die darauf aufbauenden Betreuereinwilligung
und gerichtliche Genehmigung der ärztlichen Aufklärung gemäß § 630 c Abs. 2
Satz 1 BGB und dem Behandlungsbeginn zeitlich vorauszugehen haben (so
auch Palandt/Götz BGB 73. Aufl. § 1906 Rn. 26).
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Andererseits wird ein Überzeugungsversuch zur Notwendigkeit einer
ärztlichen Behandlung regelmäßig nur dann erfolgversprechend sein, wenn er
sich auch auf ärztliche Fachkenntnis stützt und der behandelnde Arzt einen ver-
trauensvollen Zugang zum Betroffenen findet. Zudem dürfte der Betreuer in der
in § 1906 Abs. 3 Satz 2 BGB geregelten Konstellation, also wenn das Betreu-
ungsgericht die Einwilligung wegen Verhinderung des Betreuers im Wege einer
einstweiligen Maßregel selbst anordnet, häufig schon im Vorfeld der Einwilli-
gungserteilung als Überzeugungsperson ausfallen (vgl. auch Grotkopp BtPrax
2013, 83, 87). Gleichwohl muss auch in diesem Fall ein Überzeugungsversuch
erfolgt sein.
Im Ergebnis vermeidet die offen gehaltene gesetzliche Regelung mithin
eine genaue Festlegung, wer im Rahmen des § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB
tätig werden muss. Dies wird regelmäßig der ärztlich beratene Betreuer, kann
aber gegebenenfalls auch ein behandelnder Arzt sein (vgl. Lipp FamRZ 2013,
913, 921; Dodegge NJW 2013, 1265, 1267; Grotkopp BtPrax 2013, 83, 87). In
Betracht kommen für den Überzeugungsversuch zudem Vertrauenspersonen
des Betroffenen aus seinem Angehörigen- und Freundeskreis (vgl. Knittel Be-
treuungsrecht [Stand: 1. Oktober 2013] § 1906 BGB Rn. 142; Masuch/Gmati
NZS 2013, 521, 530). Im Übrigen hängt die Ausgestaltung des Überzeugungs-
versuchs stark vom jeweiligen Einzelfall mit dem Krankheits- oder Behinde-
rungsbild des Betroffenen ab.
bb) In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der Gesetzgeber durch die Neu-
fassung des § 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG die Genehmigung der betreuungsrecht-
lichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme den Unterbringungssa-
chen i.S.d. § 312 FamFG zugeordnet. Damit gelten für das gerichtliche Verfah-
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ren die bereits vor der Gesetzesänderung im zweiten Abschnitt des dritten Bu-
ches des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angele-
genheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) enthaltenen Vorschriften.
Zusätzlich muss gemäß § 323 Abs. 2 FamFG die Beschlussformel ent-
halten, dass die Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes
durchzuführen und zu dokumentieren ist (BT-Drucks. 17/11513 S. 8; vgl. auch
Senatsbeschluss BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rn. 40). Entgegen einer
teilweise vertretenen Auffassung (vgl. Grotkopp BtPrax 2013, 90) handelt es
sich hierbei nicht lediglich um einen klarstellenden Ausspruch. Vielmehr wird
durch den Beschlusstenor die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Zwangsmaßnah-
me unabhängig von aus dem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag folgenden
Pflichten daran geknüpft, dass diese Vorgaben erfüllt sind (vgl. auch Kei-
del/Budde FamFG 18. Aufl. § 323 Rn. 8).
Darüber hinaus gelten Sonderregelungen für die Person des gerichtli-
chen Gutachters (§§ 312 Abs. 1 Satz 5, 329 Abs. 3 FamFG; vgl. dazu Senats-
beschluss vom 30. Oktober 2013 - XII ZB 482/13 - FamRZ 2014, 29 Rn. 9).
Schließlich bestimmt § 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG nun als Höchstdauer
für die (erstmalige) Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangs-
maßnahme eine Frist von sechs Wochen. Bei Erlass einer einstweiligen Anord-
nung beträgt diese Frist nach § 333 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwei Wochen. Der
Gesetzgeber hat diese gegenüber der Unterbringung kürzeren Fristen damit
begründet, dass nach den Erfahrungswerten der bisherigen Praxis von einer
wenige Wochen andauernden Behandlungsbedürftigkeit ausgegangen werde
(BT-Drucks. 17/11513 S. 8).
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cc) Diesen gesetzlichen Anforderungen werden die angefochtenen Ent-
scheidungen zur Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaß-
nahme in verschiedener Hinsicht nicht gerecht.
(1) Weder im amtsgerichtlichen Beschluss noch in der sich im Wesentli-
chen in einer Bezugnahme auf diesen erschöpfenden Beschwerdeentscheidung
sind Feststellungen dazu enthalten, ob der gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
BGB vor der Einwilligung der Betreuerin in die ärztliche Zwangsmaßnahme
durchzuführende Überzeugungsversuch stattgefunden hat.
Das Amtsgericht verweist lediglich darauf, die Betroffene sei aktuell zu
einer freiwilligen Behandlung auch unter stationären Bedingungen nicht bereit
und habe die Einnahme von Haldol in der richterlichen Anhörung dezidiert ab-
gelehnt. Daraus ergibt sich jedoch nur der der Behandlung entgegenstehende
natürliche Wille der Betroffenen, ohne den schon keine ärztliche Zwangsmaß-
nahme vorliegen würde. Ob von der Betreuerin, Ärzten oder sonstigen Dritten
der Versuch unternommen wurde, die Betroffene von der Notwendigkeit der
medikamentösen Behandlung zu überzeugen, lässt sich den Vorentscheidun-
gen nicht entnehmen.
Das Amtsgericht hat mithin die Genehmigung i.S.d. § 1906 Abs. 3a
Satz 1 BGB erteilt und das Landgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwer-
de zurückgewiesen, ohne dass das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraus-
setzungen für die Einwilligung festgestellt war.
(2) Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, ist die Beschwerdeent-
scheidung auch deswegen rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht unter Verstoß
gegen § 26 FamFG das Vorliegen der in § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BGB gere-
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gelten Voraussetzung eines deutlichen Überwiegens des zu erwartenden Nut-
zens gegenüber den zu erwartenden Beeinträchtigungen nicht ausreichend
aufgeklärt hat.
Zwar hat das Amtsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf
der Grundlage der detaillierten Ausführungen des gerichtlichen Sachverständi-
gen zu den mit der Behandlung verbundenen Erfolgsaussichten, Nebenwirkun-
gen und Risiken das deutliche Überwiegen gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5
BGB bejaht. Insbesondere war der Gutachter zu einer "berechtigten Besse-
rungshoffnung" gelangt. Im Rahmen der knapp drei Wochen nach der erstin-
stanzlichen Entscheidung vom Landgericht durchgeführten Anhörung hat die
behandelnde Ärztin jedoch geäußert, "eine Veränderung bzw. Verbesserung
des Zustands [der Betroffenen] sei zweifelhaft". Damit aber hätte sich das
Landgericht auseinandersetzen und gegebenenfalls weitere Ermittlungen an-
stellen müssen, weil diese ärztliche Einschätzung darauf hindeutete, dass sich
die Erfolgsprognose gegenüber der Situation bei der erstinstanzlichen Beurtei-
lung verschlechtert hatte. Dies hätte im Bestätigungsfall den von der Zwangs-
behandlung zu erwartenden Nutzen vermindert und damit dazu führen können,
dass nicht mehr von einem deutlichen Überwiegen ausgegangen werden konn-
te - was das Landgericht hätte veranlassen müssen, die Genehmigung wegen
veränderter tatsächlicher Umstände aufzuheben.
(3) Darüber hinaus verstößt die Genehmigungsentscheidung gegen
§ 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Statt der bei der erstmaligen Genehmigung zuläs-
sigen Höchstfrist von sechs Wochen hat das Amtsgericht die Einwilligung in die
ärztliche Zwangsmaßnahme für den Zeitraum 30. Januar 2014 bis 23. April
2014 und damit für einen Zeitraum von fast zwölf Wochen genehmigt.
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(4) Zudem fehlt es im Tenor der amtsgerichtlichen Genehmigungsent-
scheidung an den nach § 323 Abs. 2 FamFG erforderlichen Angaben zur
Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung ei-
nes Arztes.
c) Die Betroffene ist durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrer
durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten körperlichen Integrität
und dem vom Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mitumfassten Recht auf
Selbstbestimmung hinsichtlich ihrer körperlichen Integrität verletzt worden.
aa) Die Feststellung, dass ein Betroffener durch angefochtene Entschei-
dungen in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verlet-
zung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62
FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend
ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung
hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist
(Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649
Rn. 23 mwN) oder wenn eine Heilung im Nachhinein nicht mehr möglich ist
(Senatsbeschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 - FamRZ 2012, 619
Rn. 27 mwN).
bb) Für den über sechs Wochen hinausgehenden Genehmigungszeit-
raum, der bei Eingang der Rechtsbeschwerdebegründung bereits abgelaufen
war und für den es an einer gesetzlichen Grundlage fehlte, scheidet eine Hei-
lung von vornherein aus.
Aber auch für die ersten sechs Wochen kommt eine Aufhebung und Zu-
rückverweisung zur Nachholung der zu § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 5 BGB
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fehlenden Feststellungen nicht in Betracht. Zum einen ist bereits fraglich, ob
nach der inzwischen verstrichenen Zeit die Prognoseentscheidung zum deutli-
chen Überwiegen des Nutzens der konkreten ärztlichen Zwangsmaßnahme
noch verlässlich zu treffen wäre. Zum anderen ist der Betroffenen die Verfah-
rensfortsetzung nicht zumutbar. Denn eine solche würde sich nach Erledigung
der ärztlichen Zwangsmaßnahme auf erstmalige nachprüfbare Feststellungen
zu einer materiell-rechtlichen Einwilligungsvoraussetzung richten, die in den
Gründen beider Vorentscheidungen gänzlich unbeachtet geblieben ist. Es ist
daher davon auszugehen, dass die angegriffenen Entscheidungen auch inso-
weit auf dem Verfahrensfehler beruhen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. August
2013 - XII ZB 691/12 - FamRZ 2013, 1725 Rn. 16).
cc) Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der
Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten -
Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme feststellen zu
lassen, liegt vor. Wie bei einer freiheitsentziehenden Maßnahme (vgl. Senats-
beschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 330/13 - FamRZ 2014, 649 Rn. 27
mwN) bedeutet auch die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine
Zwangsbehandlung stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinn
des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
3. Soweit die Betroffene sich gegen die Anordnung der Betreuung und
gegen die Unterbringungsgenehmigung wendet, ist die angegriffene Entschei-
dung hingegen nicht zu beanstanden und hält den Angriffen der Rechtsbe-
schwerde stand. Der Senat hat die gerügten Verfahrensmängel geprüft, die Rü-
gen aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m.
§ 564 ZPO).
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird insoweit abgese-
hen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher
Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Guhling
Vorinstanzen:
AG Neustadt am Rübenberge, Entscheidung vom 30.01.2014 - 6 XVII M 13/14 -
LG Hannover, Entscheidung vom 21.02.2014 - 9 T 7/14, 9 T 8/14, 9 T 10/14 -
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