Urteil des BGH vom 11.03.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X A R Z 6 6 4 / 1 3
vom
11. März 2014
in dem Gerichtsstandsbestimmungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 36 Abs. 2
Der Bundesgerichtshof ist bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen
dem Kartellsenat und einem Zivilsenat des Oberlandesgerichts nicht zur Be-
stimmung des zuständigen Gerichts berufen.
BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - X ARZ 664/13 - OLG München
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Hoffmann, die Rich-
terin Schuster, den Richter Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
beschlossen:
Die Vorlage an den Bundesgerichtshof ist unzulässig.
Gründe:
I.
Die Parteien sind Gesellschafter einer GmbH & Co. KG und deren
persönlich haftender Gesellschafterin und streiten um den Ausschluss der Be-
klagten aus diesen Gesellschaften. Durch Teilurteil vom 15. Oktober 2012 hat
das Landgericht München I die Beklagte als Kommanditistin und unter bestimm-
ten Maßgaben als Gesellschafterin der Komplementär-GmbH ausgeschlossen.
Beide Parteien haben Berufung eingelegt. Der mit der Sache zunächst befasste
Kartellsenat des Oberlandesgerichts München hat die Parteien darauf hinge-
wiesen, er beabsichtige, die Sache an den 7. Zivilsenat abzugeben, weil es sich
nicht um eine Kartellstreitsache handele. Er hat die Akten sodann dem
7. Zivilsenat mit der Bitte um Übernahme zugeleitet. Der Vorsitzende des
7. Zivilsenats hat die Übernahme abgelehnt. Es werde zwar nicht in Abrede ge-
stellt, dass der Rechtsstreit als Handelssache anzusehen sei, doch sei die Zu-
ständigkeit des Kartellsenats durch die Zuständigkeit für ein vorangegangenes
Berufungsverfahren über ein erstes Teilurteil begründet worden. Diese Zustän-
digkeit setze sich nach den Regelungen im Geschäftsverteilungsplan des Ober-
landesgerichts auch in dem Berufungsverfahren gegen das zweite Teilurteil fort.
Der Kartellsenat hat daraufhin am 22. Februar 2013 einen Beschluss gefasst,
wonach der 7. Zivilsenat für die Sache zuständig sei. Das sodann vom 7. Zivil-
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senat angerufene Präsidium des Oberlandesgerichts München hat beschlos-
sen, dass die Sache in die Zuständigkeit des Kartellsenats falle.
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2013 hat der Kartellsenat die Sache
dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Senats vorgelegt.
II.
Die Vorlage ist unzulässig. Eine Zuständigkeit des Bundesge-
richtshofs zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt ist nicht ge-
geben.
1.
Seit der Ergänzung von § 36 ZPO um die Absätze 2 und 3 durch
das Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vom 22. Dezember
1997 (BGBl. I, S. 3224) ist der Bundesgerichtshof nur noch sehr eingeschränkt
für die Bestimmung des Gerichtsstands zuständig. Der Bundesgerichtshof hat
nach § 36 Abs. 3 ZPO auf Vorlage zu entscheiden, wenn das vorlegende Ober-
landesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts von der Entschei-
dung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abwei-
chen will. Eine Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs kommt nach § 36 Abs. 1
Nr. 1 ZPO ferner in Betracht, wenn das an sich zur Bestimmung zuständige Ge-
richt verhindert ist. Schließlich ist der Bundesgerichtshof in entsprechender An-
wendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Bestimmung des Gerichtsstands
zuständig, wenn zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit
verneint haben und der Bundesgerichtshof als erster der in Betracht kommen-
den obersten Gerichtshöfe des Bundes darum angegangen wird (BGH, Be-
schluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 4 mwN). Kei-
ner dieser Fälle liegt hier vor.
2.
Vor der erwähnten Gesetzesänderung hat sich der Bundesge-
richtshof in entsprechender Anwendung von § 36 Nr. 6 ZPO in der bis zum
31. März 1998 geltenden Fassung auch dann als zuständig angesehen, wenn
ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen zwei Senaten eines Oberlandesge-
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richts bestand und dem Präsidium des betroffenen Oberlandesgerichts eine
Entscheidung verwehrt war. Dies wurde in den Fällen angenommen, in denen
der negative Kompetenzkonflikt nur durch Auslegung einer gesetzlichen Zu-
ständigkeitsregelung gelöst werden konnte. Zur Begründung hat der Bundesge-
richtshof darauf verwiesen, dass es in solchen Fällen dem Präsidium des Ge-
richts, das als richterliches Selbstverwaltungsorgan gemäß § 21e GVG bei ei-
ner den Geschäftsverteilungsplan betreffenden Meinungsverschiedenheit meh-
rerer Spruchkörper grundsätzlich eingreifen kann, verwehrt ist, den Konflikt
durch Anwendung einer gesetzlichen Zuständigkeitsnorm verbindlich zu ent-
scheiden (BGH, Beschluss vom 3. Mai 1978 - IV ARZ 26/78, BGHZ 71, 264,
270; Beschluss vom 14. Juli 1993 - XII ARZ 16/93, NJW-RR 1993, 1282).
Diese Zuständigkeit besteht jedoch seit der Einführung von § 36 Abs. 2
ZPO nicht mehr. Zwar handelt es sich, worauf der vorlegende Kartellsenat zu-
treffend hinweist, bei § 91 GWB um eine gesetzliche Zuständigkeitsregelung.
Deshalb ist ein Kompetenzkonflikt zwischen einem Zivilsenat und einem an
demselben Gericht bestehenden Kartellsenat nicht vom Präsidium zu entschei-
den, soweit es um die Reichweite von § 91 GWB geht (KG WuW/E DE-R 2817
- Entgelt für Nutzung von Bahnhöfen; Voß in KK-KartR, § 91 GWB Rn. 19;
Dicks in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl., § 91 GWB
Rn. 19; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., § 91 GWB Rn. 8).
Eine Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs ist jedoch durch § 36 Abs. 2 ZPO
ausgeschlossen (zutreffend Voß aaO). In der Begründung des Entwurfs eines
Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts wird darauf verwiesen,
die Einführung von § 36 Abs. 2 ZPO diene der Entlastung der obersten Bun-
desgerichte von Routineaufgaben bei der Bestimmung des Gerichtsstands. Der
Bundesgerichtshof solle zwar in den Fällen eines negativen Kompetenzkonflikts
zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige zuständig bleiben, hingegen
von der Entscheidung im Falle eines Zuständigkeitskonflikts zwischen einem
Zivil- und einem Familiensenat eines Oberlandesgerichts entlastet werden (Be-
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schlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/9124,
S. 45 f.). An der fehlenden Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs hat es nichts
geändert, dass die genannten Fälle nunmehr nach § 17a Abs. 6 GVG nach den
Bestimmungen des § 17a Abs. 1 bis 5 GVG zu entscheiden sind; vielmehr be-
findet der Bundesgerichtshof nunmehr unter den Voraussetzungen des § 17a
Abs. 4 GVG (nur) über eine vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbe-
schwerde.
3.
Der Bundesgerichtshof ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt zur
(deklaratorischen) Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, dass das
gesetzliche Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts, insbesondere
ein Verfahren nach § 17a GVG, abgeschlossen ist, gleichwohl das danach zu-
ständige Gericht nicht bereit ist, die Sache zu entscheiden.
a)
Der vorlegende Kartellsenat und der 7. Zivilsenat des Oberlan-
desgerichts München gehen noch übereinstimmend davon aus, dass keine ge-
setzlich nach § 91 Satz 2 in Verbindung mit § 87 GWB dem Kartellsenat zuge-
wiesene Berufung vorliegt. Soweit die Senate hingegen darüber streiten, ob
- wie vom Kartellsenat des Oberlandesgerichts angenommen - den §§ 87 ff.
GWB ein gesetzlicher Ausschluss seiner Zuständigkeit für das vorliegende Be-
rufungsverfahren zu entnehmen ist, hat der Kartellsenat des Oberlandesge-
richts zu Unrecht seine Zuständigkeit für eine (vorbehaltlich einer Divergenz im
Sinn des § 36 Abs. 3 ZPO, vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2012
- X ARZ 195/12, juris Rn. 5) vom Oberlandesgericht München zu treffende Zu-
ständigkeitsbestimmung angenommen. Eine Zuständigkeit der Kartellgerichte
für eine solche Zuständigkeitsbestimmung kann nicht aus den Regelungen der
§§ 87, 91 GWB hergeleitet werden und folgt auch nicht aus der weder unmittel-
bar noch entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 17a Abs. 6 GVG. Sie
dürfte sich auch nicht aus dem Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesge-
richts München ableiten lassen, dessen Regelung zu V. 2. nicht den Fall betrifft,
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dass zwischen dem Kartellsenat und einem anderen Senat des Oberlandesge-
richts Meinungsverschiedenheiten über die Zuständigkeit bestehen; jedenfalls
ist hiervon ersichtlich das zur Auslegung des Geschäftsverteilungsplans berufe-
ne Präsidium des Oberlandesgerichts ausgegangen.
b) Eine über den gesetzlichen Umfang hinausgehende Zuweisung von
Rechtssachen an den Kartellsenat durch Geschäftsverteilungsplan ist zumin-
dest insoweit nicht ausgeschlossen, als sie in engem Zusammenhang mit des-
sen gesetzlicher Zuständigkeit steht und ihr ein sachlich gerechtfertigtes Be-
dürfnis zugrundeliegt. Danach ist insbesondere eine an Vorbefassung mit dem
Rechtsstreit anknüpfende Zuweisung zum Kartellsenat nicht ausgeschlossen.
Ob die Bestimmung zu II. B. 3. des Geschäftsverteilungsplans des Oberlandes-
gerichts eine solche Regelung gerade auch für den Kartellsenat treffen will, ist
durch Auslegung zu ermitteln und im Streitfall vom Präsidium des Oberlandes-
gerichts zu klären (vgl. Voß in KK-KartR, § 91 GWB Rn. 19). Da der Beschluss
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des Präsidiums des Oberlandesgerichts vom 18. Juli 2013 keine Begründung
enthält, wird der Kartellsenat gegebenenfalls das Präsidium erneut mit der Sa-
che zu befassen haben.
Meier-Beck
Hoffmann
Schuster
Deichfuß
Kober-Dehm
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 15.10.2012 - 14 HK O 9289/07 -
OLG München, Entscheidung vom 16.12.2013 - U 4898/12 Kart -