Urteil des BGH vom 24.11.2010

BGH (strafbare handlung, verbotsirrtum, prospekt, stgb, vorsatz, ergebnis, zpo, haftung, anleger, beratung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZR 8/10
vom
24. November 2010
in dem Rechtsstreit
- 2 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2010 durch
den Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dörr, Wöstmann, Seiters und
Tombrink
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil
des 20.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom
18. Dezember 2009 - 20 U 2350/08 -, soweit dieses den Beklagten
zu 2 betrifft, gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Kläger erhält Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats nach
Zustellung des Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe:
I.
Der Kläger erwarb durch auf Abschluss einer "Beitrittsvereinbarung" ge-
richtete Erklärung vom 25. April 2000 eine Beteiligung an der C. Ge-
sellschaft mbH & Co. Dritte
KG in Höhe von 50.000 DM zuzüglich 5 % Agio. Der Beitritt wurde - dem
von der Komplementärin der Beteiligungsgesellschaft herausgegebenen Pros-
pekt entsprechend - über die Beklagte zu 1, eine Wirtschaftsprüfungsgesell-
schaft, als Treuhandkommanditistin nach einem im Prospekt Teil B abgedruck-
ten Vertragsmuster "Treuhandvertrag und Mittelverwendungskontrolle" vorge-
1
- 3 -
nommen. Zur Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos aus der Filmvermark-
tung war im Emissionsprospekt vorgesehen, dass für einen Anteil von 80 % der
Produktionskosten Sicherheiten bestehen sollten, etwa in Form von Ausfallver-
sicherungen. Nachdem Produktionen nicht den erwünschten wirtschaftlichen
Erfolg hatten, erwies sich der Versicherer, die N.
Inc., nach Eintreten der Versicherungsfälle als zahlungsunfähig. Insgesamt er-
hielt der Kläger aus der Beteiligung Ausschüttungen von 26,3 %, das sind
6.723,46 €.
Der Kläger hat die Treuhandkommanditistin und den Beklagten zu 2,
Mehrheitsgesellschafter der Komplementärin und seinerzeit zugleich Mehr-
heitsgesellschafter und Geschäftsführer der I. - und T.
mbH (im Folgenden: IT GmbH), Zug um Zug gegen Abtretung
aller Ansprüche aus den Beteiligungen auf Rückzahlung des eingezahlten Be-
trags von - unter Berücksichtigung der genannten Ausschüttungen - noch
20.119,23 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat er die
Feststellung begehrt, dass die Beklagten ihm den Steuerschaden zu ersetzen
hätten, der ihm durch eine etwaige nachträgliche Aberkennung von Verlustzu-
weisungen entstehe, und dass sie ihn von Ansprüchen freistellen müssten, die
die Beteiligungsgesellschaft, deren Gläubiger oder Dritte gegen ihn wegen sei-
ner Stellung als Kommanditisten richten könnten.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat
dem Zahlungsantrag gegen die Beklagte zu 1 entsprochen und ihr gegenüber
die begehrte Feststellung zur Aberkennung von Verlustzuweisungen getroffen.
Im Übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen, einen weiteren im
Berufungsverfahren gestellten Klageantrag abgewiesen und die Revision zuge-
lassen. In Bezug auf die Beklagte zu 1, die das zugelassene Rechtsmittel ein-
3
- 4 -
gelegt hat, ist das Verfahren nach § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen, nachdem
durch Beschlüsse des Insolvenzgerichts vom 30. Juli 2010 und 5. August 2010
ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und der Beklagten zu 1 ein allgemei-
nes Verfügungsverbot auferlegt worden ist. Mit seiner zunächst nur gegenüber
dem Beklagten zu 2 (im Folgenden: Beklagter) begründeten Revision begehrt
der Kläger dessen Verurteilung auf deliktsrechtlicher Grundlage.
II.
1.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision des Klägers liegen
im Streitfall nicht mehr vor. Denn der Senat hat in seinem Urteil vom 15. Juli
2010 (III ZR 321/08, WM 2010, 1537 Rn. 35 ff) im Einzelnen dazu Stellung ge-
nommen, welche Anforderungen an den Vorsatz für die Annahme eines Kapi-
talanlagebetrugs nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a StGB und
für eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB zu stellen sind. Die von der
Revision gewünschte Überprüfung führt zu keinem anderen Ergebnis.
4
2.
Das Berufungsgericht hat richtig entschieden.
5
a) Das Berufungsgericht verneint eine Haftung des Beklagten, weil es an
hinreichendem Vortrag und Beweis für den erforderlichen Vorsatz fehle. Der
Einwand des Beklagten, er sei davon ausgegangen, dass der Gesamtbetrag
der im Investitionsplan ausgewiesenen Weichkosten nicht überschritten werde
und dass lediglich im Prospekt vorgesehene und auch erbrachte Leistungen
vergütet würden, sei beachtlich und nicht widerlegt. Da es eine höchstrichterli-
6
- 5 -
che Rechtsprechung zur Verpflichtung, über die Abweichung einzelner Budget-
posten vom Investitionsplan aufzuklären, zur Zeit des Beitritts des Klägers im
Jahr 2001 noch nicht gegeben habe, der Beklagte außerdem fachkundigen
Rechtsrat eingeholt habe und bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 29. Mai 2008 (III ZR 59/07, NJW-RR 2008, 1129) in einer Vielzahl von Ge-
richtsentscheidungen die in Rede stehende Aufklärungspflicht verneint worden
sei, fehle es jedenfalls an der subjektiven Tatseite eines Anlagebetrugs bezie-
hungsweise einer vorsätzlichen Beihilfe dazu und einer vorsätzlichen sittenwid-
rigen Schädigung.
b) Die Revision beanstandet dies unter zwei verschiedenen Gesichts-
punkten.
7
aa) Zum einen vertritt sie die Auffassung, dem Beklagten sei die unrichti-
ge Prospektierung der Vertriebsprovisionen bewusst gewesen. Auch wenn er
die Komplementärin für befugt gehalten haben möge, die fragliche Mehrvergü-
tung aus dem Budgettopf für Werbung zu bezahlen, könne er nicht geglaubt
haben, die Anleger durch eine unrichtige Darstellung der Vertriebsprovisionen in
die Irre führen zu dürfen.
8
Die Erheblichkeit des für die Anlageentscheidung bedeutsamen Um-
stands ist ein normatives Tatbestandsmerkmal des § 264a StGB; der Täter
muss die rechtliche Wertung der Erheblichkeit nachvollziehen. Ob diese Vor-
aussetzung im Einzelfall gegeben ist, unterliegt der tatrichterlichen Würdigung,
die das Revisionsgericht bis zur Grenze der Vertretbarkeit hinzunehmen hat
(vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - 5 StR 283/04, NJW 2005, 2242, 2245;
9
- 6 -
Beschluss vom 2. Februar 2010 - VI ZR 254/08, juris und BeckRS 2010, 07412
Rn. 2). Wenn das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Senats, die seit dem Jahr 2004 die an Prospektverantwortliche zu stellenden
Anforderungen im Zusammenhang mit der Darstellung von Weichkosten präzi-
siert und fortentwickelt hat, zu dem Ergebnis gelangt, angesichts der Einholung
von Rechtsrat und einer Vielzahl instanzgerichtlicher Entscheidungen, die eine
entsprechende Aufklärungspflicht verneint hätten, fehle die subjektive Tatseite
für eine strafbare Handlung, ist dies eine rechtlich nicht zu beanstandende tat-
richterliche Würdigung. Auch der VI. Zivilsenat hat dies in einem vergleichbaren
Fall ebenso gesehen (Beschluss vom 2. Februar 2010 - VI ZR 254/08 aaO).
bb) Zum anderen rügt die Revision die unzureichenden Ausführungen
des Berufungsgerichts zum Vorsatz, soweit es um die unterlassene Aufklärung
über die personelle und kapitalmäßige Verflechtung der IT GmbH mit der Kom-
plementärin in der Person des Beklagten geht. Zwar liege das Berufungsgericht
im Ergebnis auf der Linie des Senatsurteils vom 15. Juli 2010 (III ZR 321/08
aaO). Die Revision beanstandet aber insoweit die Zugrundelegung eines un-
richtigen Verschuldensmaßstabs. Da es um die Verletzung eines strafrechtli-
chen Schutzgesetzes gehe, sei die sogenannte Schuldtheorie anzuwenden,
nach der nur ein unvermeidbarer Verbotsirrtum den Täter entlaste. In dieser
Beziehung habe das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen.
Da der Senat in seinem Urteil vom 15. Juli 2010 befunden habe, ein Prospekt-
verantwortlicher habe nicht ohne Fahrlässigkeit davon ausgehen dürfen, dass
die der IT GmbH gewährten Sondervorteile für die Anleger ohne Interesse seien
(III ZR 321/08, aaO Rn. 41), könne ein Irrtum des Beklagten nicht unvermeidbar
sein. Dass er insoweit unter Offenlegung der Fakten Rechtsrat eingeholt hätte,
habe er nicht einmal behauptet.
10
- 7 -
Diese Überlegungen stellen die angefochtene Entscheidung nicht in
Frage.
11
(1) Im Ausgangspunkt zutreffend bezieht sich die Revision auf die Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs, wonach im Zivilrecht zum Vorsatz das Be-
wusstsein der Rechtswidrigkeit gehört, so dass bei einem Verbotsirrtum die
Haftung entfällt, während bei Anwendung eines strafrechtlichen Schutzgesetzes
ein Verbotsirrtum nur dann entlastet, wenn er unvermeidbar ist (§ 17 StGB; vgl.
BGH, Urteil vom 10. Juli 1984 - VI ZR 222/82, NJW 1985, 134, 135 m.w.N.).
12
(2) Im vorliegenden Fall ging es um die bis zum Senatsurteil vom 29. Mai
2008 (III ZR 59/07 aaO) noch nicht behandelte und vom Kläger auch erst da-
nach aufgeworfene Frage, ob die mit der Komplementärin bestehende Verflech-
tung der IT GmbH und die mit ihr verknüpften Sondervorteile auch dann pros-
pektpflichtig sind, wenn der Prospekt über die der Komplementärin gewährten
Sondervorteile hinreichend und zutreffend aufklärt (vgl. hierzu Senatsurteil vom
15. Juli 2010 - III ZR 336/08, WM 2010, 1641 Rn. 11-14) und die der IT GmbH
gewährten Sondervorteile betragsmäßig in diesen enthalten sind. Der Senat hat
diese von ihm bejahte Frage in seinen Urteilen vom 29. Mai 2008 (aaO Rn. 25)
und 12. Februar 2009 (III ZR 90/08, NJW-RR 2009, 613 Rn. 25) zunächst nur
knapp behandelt und gegen erhobene Einwände in seinem Urteil vom 15. Juli
2010 (III ZR 336/08, aaO Rn. 23-25) eingehend hierzu Stellung genommen.
13
- 8 -
Der Senat hat offen gelassen, ob insoweit das Verschweigen einer
nachteiligen Tatsache im Sinne des § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegt und der
objektive Tatbestand dieser Norm erfüllt ist (Urteil vom 15. Juli 2010 - III ZR
321/08, aaO Rn. 36). Er hat sich auch nicht näher dazu geäußert, ob dem Be-
klagten, der die Angabe für nicht prospektpflichtig gehalten hatte, ein Tatbe-
standsirrtum oder ein Verbotsirrtum unterlaufen ist. Auch wenn man - was nicht
zweifelsfrei ist - von einem Verbotsirrtum ausgeht, hält der Senat einen ent-
sprechenden Irrtum des Beklagten für unvermeidbar. Nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts hat der Beklagte fachkundigen Rechtsrat eingeholt.
Auch wenn sich die dieser Feststellung zugrunde liegende Behauptung des Be-
klagten weitgehend darauf bezog, dass der Prospekt mit Beratung von renom-
mierten fachkundigen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern herausgegeben
worden sei, und die Beratung nicht gezielt die hier in Rede stehende Frage zum
Gegenstand hatte, entschuldigt dies den Beklagten hinreichend. Zwar hatte er
nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vorbringen des Klägers als
möglicher Hintermann eine Verantwortung für die Erstellung eines ordnungs-
gemäßen Prospekts. Als juristischer Laie hatte er aber vor dem Hintergrund der
Einschaltung von Beratern und des seinerzeitigen Stands der Rechtsprechung
keinen hinreichenden Anlass anzunehmen, er müsste, um sich nicht strafbar zu
machen, über Sondervorteile der IT GmbH informieren, die vollständig in den
prospektierten Sondervorteilen der Komplementärin enthalten waren und daher
- bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise - von den Anlegern zur
Kenntnis genommen werden konnten. Dass er in dieser
14
- 9 -
Hinsicht eine darüber hinausgehende Kenntnis gehabt hätte, zeigt die Revision
nicht auf.
Schlick
Dörr
Wöstmann
Seiters
Tombrink
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 04.02.2008 - 35 O 8706/07 -
OLG München, Entscheidung vom 18.12.2009 - 20 U 2350/08 -