Urteil des BGH vom 20.03.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 72/11
Verkündet am:
20. März 2013
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 119, 313, 779, 1578 b
a) Unterhaltsvereinbarungen, die auf der durch die Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts vom 25. Januar 2011 (BVerfG FamRZ 2011, 437) beanstandeten Rechtsprechung
des Senats zur Bedarfsermittlung durch Dreiteilung des zur Verfügung stehenden Ge-
samteinkommens des Unterhaltspflichtigen sowie des früheren und des jetzigen unter-
haltsberechtigten Ehegatten beruhen (BGHZ 177, 356), sind weder nach § 779 Abs. 1
BGB unwirksam noch nach §§ 119 ff. BGB anfechtbar.
b) Die Anpassung solcher Vereinbarungen richtet sich nach den Grundsätzen des Wegfalls
der Geschäftsgrundlage; sie kann frühestens für solche Unterhaltszeiträume verlangt
werden, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011
nachfolgen.
c) In Fällen, in denen die nacheheliche Solidarität das wesentliche Billigkeitskriterium bei der
Abwägung nach § 1578 b BGB darstellt, gewinnt die Ehedauer ihren wesentlichen Stel-
lenwert bei der Bestimmung des Maßes der gebotenen nachehelichen Solidarität aus der
Wechselwirkung mit der in der Ehe einvernehmlich praktizierten Rollenverteilung und der
darauf beruhenden Verflechtung der wirtschaftlichen Verhältnisse; hieran hat die am
1. März 2013 in Kraft getretene Neufassung des § 1578 b Abs. 1 BGB nichts geändert.
BGH, Urteil vom 20. März 2013 - XII ZR 72/11 - OLG Zweibrücken
AG Kaiserslautern
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Botur
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats
des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familien-
senat vom 31. Mai 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
als darin die mit der Anschlussberufung erhobene Widerklage der
Beklagten auf Zahlung eines nachehelichen Unterhalts in monatli-
cher Höhe von 138
€ für die Zeit ab dem 1. Februar 2011 abge-
wiesen worden ist.
Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsver-
fahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die im Rentenalter stehenden Parteien streiten um nachehelichen Unter-
halt für die Zeit ab dem 30. Juli 2008.
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Der 1940 geborene Kläger und die 1939 geborene Beklagte heirateten
am 1. Juni 1962. Ihre Ehe, aus der zwei mittlerweile volljährige Kinder hervor-
gegangen sind, wurde auf einen am 29. Januar 1996 zugestellten Scheidungs-
antrag durch Urteil vom 18. Juni 1998 geschieden und der Versorgungsaus-
gleich durchgeführt. Zuvor hatten die Parteien im Scheidungsverbund zur Fol-
gesache Unterhalt am 28. April 1998 einen gerichtlich protokollierten Vergleich
geschlossen, wonach der Kläger an die Beklagte einen monatlichen Nach-
scheidungsunterhalt in einer Gesamthöhe von 2.004,07 DM zu zahlen hatte. Im
Rahmen der Vermögensauseinandersetzung hatte die Beklagte für einen Kauf-
preis von 200.000 DM den hälftigen Miteigentumsanteil des Klägers an dem
vormaligen Familienheim der Parteien übernommen. Den Kaufpreis brachte der
Kläger in die Finanzierung eines Einfamilienhauses ein, welches im gemein-
schaftlichen Eigentum des seit dem Jahre 2000 wiederverheirateten Klägers
und seiner zweiten Ehefrau steht.
Der Kläger verfügt über eine gesetzliche Rente sowie über eine Betriebs-
rente, und er lebt mit seiner zweiten Ehefrau mietfrei in dem gemeinsamen Ein-
familienhaus. Die Beklagte bezieht eine gesetzliche Rente. Auch sie wohnt
mietfrei in dem - allerdings noch nicht schuldenfreien - eigenen Haus und erzielt
zudem Miet- und Kapitaleinkünfte.
Mit seiner am 16. Januar 2008 erhobenen Klage hat der Kläger zunächst
beantragt, die Unterhaltspflicht gegenüber der Beklagten in Abänderung des
Vergleiches vom 28. April 1998 mit Rechtshängigkeit der Abänderungsklage
entfallen zu lassen. Das Amtsgericht hat der Klage nur teilweise stattgegeben
und den Prozessvergleich vom 28. April 1998 für den Zeitraum seit dem
16. Januar 2008 dahin abgeändert, dass der Kläger nur noch zur Zahlung eines
nachehelichen Unterhalts in Höhe von 451
€ verpflichtet ist. Gegen diese Ent-
scheidung hat der Kläger Berufung eingelegt und in der Berufungsinstanz
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- klageerweiternd - auf einen vollständigen Wegfall seiner Unterhaltspflicht be-
reits seit dem 1. März 2007 angetragen. Im Laufe des Berufungsverfahrens ha-
ben die Parteien am 2. Februar 2010 vor dem Berufungsgericht einen Teilver-
gleich geschlossen, wonach zwischen den Parteien Einigkeit darüber besteht,
dass seit dem 30. Juli 2008 keine Ansprüche auf Ehegattenunterhalt mehr be-
gründet seien und der ursprüngliche Unterhaltstitel insoweit abgeändert wird.
Diesem Vergleichsschluss hat ein Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts
vom 15. Juni 2009 zugrunde gelegen, wonach sich jedenfalls für den Zeitraum
seit der Verkündung der grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 30. Juli 2008 (BGHZ 177, 356 = FamRZ 2008, 1911) zur "Bedarfsbemes-
sung durch Dreiteilung" angesichts der Einkommensverhältnisse der zweiten
Ehefrau des Klägers voraussichtlich kein offener Unterhaltsbedarf der Beklag-
ten mehr ergeben werde.
Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2011 hat die Beklagte den am 2. Februar
2010 geschlossenen Teilvergleich mit der Begründung angefochten, dass das
Bundesverfassungsgericht durch seine Entscheidung vom 25. Januar 2011
(BVerfG FamRZ 2011, 437) die Dreiteilungsmethode für verfassungswidrig er-
klärt habe. Daneben hat sie hilfsweise Anschlussberufung und Widerklage er-
hoben und beantragt, den Teilvergleich vom 2. Februar 2010 dahin abzuän-
dern, dass ihr auch für die Zeit nach dem 30. Juli 2008 der durch das Amtsge-
richt noch zugesprochene Unterhaltsanspruch in Höhe von 451
€ zustehe. Das
Oberlandesgericht hat die hilfsweise erhobene Anschlussberufung der Beklag-
ten zurückgewiesen und der Berufung des Klägers insoweit stattgegeben, als
es den Prozessvergleich vom 28. April 1998 dahingehend abgeändert hat, dass
der Kläger für die Zeit vom 1. März 2007 bis zum 29. Juli 2008 nur noch einen
monatlichen Ehegattenunterhalt in Höhe von monatlich 138
€ zu zahlen habe
und seit dem 30. Juli 2008 keinen Unterhalt mehr schulde.
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Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer zugelassenen Revision. Sie
nimmt das Berufungsurteil für den Zeitraum bis zum 29. Juli 2008 hin und ver-
folgt mit ihrer Revision einen unbefristeten Unterhaltsanspruch in eingeschränk-
ter monatlicher Höhe von 138
€ seit dem 30. Juli 2008 weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat teilweise Erfolg.
Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis zum
31. August 2009 geltende Prozessrecht anzuwenden, weil das Verfahren vor
diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. Novem-
ber 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).
I.
Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen
Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen der Parteien mit der Additi-
onsmethode für die Jahre 2007 und 2008 einen "eheangemessenen offenen
Unterhaltsbedarf" der Beklagten in Höhe von monatlich 138
€ errechnet und die
Ansicht vertreten, dass dieser Anspruch jedenfalls bis zum 29. Juli 2008 nicht
befristet werden könne. Insoweit hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass die
Voraussetzungen für eine zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs nach
§ 1578 b Abs. 2 BGB zwar vorlägen, weil fortwirkende ehebedingte Nachteile
der Beklagten nicht gegeben seien. Soweit die Beklagte durch die Aufgabe ihrer
früheren Erwerbstätigkeit und Auszahlung von Rentenanwartschaften in der
Ehezeit versorgungsrechtliche Nachteile erlitten habe, seien diese durch den
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Versorgungsausgleich ausgeglichen worden. Weitergehende unterhaltsrechtlich
ins Gewicht fallende Nachteile seien nicht substantiiert dargetan oder erkenn-
bar. Allein der langen Ehedauer von über 30 Jahren komme nach der Unter-
haltsrechtsreform von 2008 und der dazu ergangenen Rechtsprechung keine
ausschlaggebende Bedeutung mehr zu. Allerdings stünden der nachträglichen
Befristung der mit Vergleich vom 28. April 1998 unbefristet vereinbarten Unter-
haltspflicht Aspekte des Vertrauensschutzes nach § 36 Nr. 1 EGZPO entgegen.
Der 1939 geborenen Beklagten sei es jedenfalls für vergangene Unterhaltszeit-
räume bis zum 29. Juli 2008 nicht zuzumuten gewesen, sich im Rentenalter auf
einen niedrigeren Lebensstandard "entsprechend den eigenen Lebensverhält-
nissen vor der Eheschließung im Jahre 1962" einzustellen. Die Beklagte könne
durch eigene Erwerbsbemühungen eine Reduzierung des Unterhaltsanspru-
ches nicht mehr abmildern, und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien
seien durch die langen Jahre des Zusammenlebens und die bis zur Anhängig-
keit der vorliegenden Abänderungsklage im Jahre 2007 festgeschriebenen Un-
terhaltsansprüche so miteinander verwoben, dass sich eine Begrenzung des
Anspruches verbiete. Auch seien die finanziellen Verhältnisse der Beklagten
keineswegs so günstig gestaltet, dass der Wegfall eines - wenn auch relativ
geringen - Unterhaltsanspruches ohne spürbare Auswirkungen auf ihren Le-
bensstandard bliebe.
Ein Unterhaltsanspruch für die Zeit seit dem 30. Juli 2008 besteht nach
Ansicht des Berufungsgerichts dagegen nicht mehr. Der Teilvergleich vom
2. Februar 2010 sei nicht wegen eines Irrtums über die Vergleichsgrundlage
nach § 779 Abs. 1 BGB unwirksam. Zwar seien sowohl Gericht als auch Partei-
en bei Abschluss des Vergleiches von der Verfassungsmäßigkeit der Bedarfs-
bestimmung nach der sog. Dreiteilungsmethode beim Zusammentreffen mehre-
rer berechtigter - früherer und jetziger - Ehegatten ausgegangen. Die bei Ver-
gleichsschluss unzutreffende Beurteilung der Rechtslage beinhalte aber ledig-
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lich einen für die Wirksamkeit des Vergleiches unmaßgeblichen Rechtsirrtum,
nicht aber einen erheblichen Sachverhaltsirrtum. Zudem habe auch kein streit-
ausschließender Irrtum vorgelegen, der allein zur Unwirksamkeit des Verglei-
ches habe führen können. Eine Irrtumsanfechtung komme nicht in Betracht,
weil beide Parteien dem gleichen Rechtsirrtum unterlegen seien.
Auch die im Wege der Hilfsanschlussberufung eingelegte Widerklage der
Beklagten führe wegen der Unterhaltsansprüche seit dem 30. Juli 2008 nicht
zum Erfolg. Unterhaltstitel, die nach der verfassungswidrigen Dreiteilungsme-
thode berechnet worden seien, unterlägen zwar grundsätzlich der Abänderung
nach § 323 ZPO i.V.m. § 313 BGB bzw. nach §§ 238, 239 FamFG. Der Be-
schluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011 beinhalte auch
eine wesentliche Veränderung der für Grund und Höhe der Unterhaltspflicht
bedeutsamen Verhältnisse. Allerdings sei für die Beklagte wegen der Unter-
haltsansprüche seit dem 30. Juli 2008 keine Abänderungsklage gegen den
Teilvergleich vom 2. Februar 2011 eröffnet, weil ihr durch diesen Vergleich Un-
terhaltsansprüche aberkannt worden seien. Eine Leistungsklage sei für den
Zeitraum vom 30. Juli 2008 bis zum 31. Januar 2011 aber schon deshalb unbe-
gründet, weil es insoweit an einem Verzug des Klägers (§§ 1585 b Abs. 2, 1613
Abs. 1 BGB) fehle. Auch für den Zeitraum seit dem 1. Februar 2011 seien An-
sprüche der Beklagten auf Zahlung nachehelichen Unterhalts nicht mehr be-
gründet. Da die Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruches auf Alters-
bzw. Aufstockungsunterhalt durchgehend gegeben seien, stünde einem An-
spruch zwar nicht ein fehlender Einsatzzeitpunkt entgegen, wobei es für diese
Beurteilung unerheblich sei, dass für die Zeit vom 30. Juli 2008 bis zum 31. Ja-
nuar 2011 mangels Verzuges kein Unterhaltsanspruch habe geltend gemacht
werden können. Dieser Umstand erlange allerdings hinsichtlich der zeitlichen
Befristung des Unterhaltsanspruches maßgebliche Bedeutung. Der Beklagten
sei es jedenfalls für die Zeit seit dem 1. Februar 2011 zuzumuten, ihren Le-
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bensunterhalt entsprechend den eigenen wirtschaftlichen Verhältnissen unter
Verzicht auf Unterhaltsansprüche zu bestreiten. Der ursprünglich titulierte Un-
terhaltsanspruch habe sich wegen der veränderten Verhältnisse der Parteien
bis zum 29. Juli 2008 ohnehin auf einen relativ geringen, die Lebensverhältnis-
se nicht grundlegend bestimmenden Betrag reduziert; es lasse sich auch für die
Folgezeit (nur) ein Unterhaltsanspruch in vergleichbarer Höhe errechnen. Hinzu
komme, dass sich die Beklagte für die Zeit nach dem 30. Juli 2008 auf einen
Wegfall der Unterhaltsansprüche bereits eingerichtet und sich damit abgefun-
den habe. Es sei ihr daher zuzumuten, dies auch künftig hinzunehmen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in allen Punk-
ten stand.
1. Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen,
dass der am 2. Februar 2010 geschlossene Prozessvergleich der Parteien ei-
nen Teil des mit dem Rechtsmittel des Klägers bei dem Berufungsgericht ange-
fallenen Rechtsstreits - nämlich in Bezug auf die Unterhaltszeiträume seit dem
30. Juli 2008 - beendet hatte.
Wegen der Doppelnatur des Prozessvergleiches würde einem vor Ge-
richt geschlossenen Vergleich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofes zwar auch seine verfahrensrechtliche Wirkung der Prozessbeendi-
gung entzogen, wenn er aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig oder an-
fechtbar wäre (vgl. Senatsurteil vom 6. April 2011 - XII ZR 79/09 - FamRZ 2011,
1140 Rn. 10; BGHZ 79, 71, 74 = NJW 1981, 823). Dies hat das Berufungsge-
richt indessen mit Recht verneint.
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a) Entgegen der Auffassung der Revision liegt kein rechtserheblicher Irr-
tum über die Vergleichsgrundlage (§ 779 Abs. 1 BGB) vor.
aa) Richtig ist, dass dem Vergleichsschluss vom 2. Februar 2010 er-
kennbar die frühere Rechtsprechung des Senats zugrunde lag, wonach der Un-
terhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten grundsätzlich unter Berücksichti-
gung aller nachehelich eingetretenen tatsächlichen Umstände, dabei insbeson-
dere der Wiederverheiratung des Unterhaltsschuldners und der damit verbun-
denen Unterhaltspflichten gegenüber dem neuen Ehegatten, zu bestimmen sei
(Senatsurteil BGHZ 177, 356 = FamRZ 2008, 1911 Rn. 30 ff.). Diese auf dem
Wegfall des Stichtagsprinzips basierende Rechtsprechung hat das Bundesver-
fassungsgericht für nicht mit dem geltenden Recht vereinbar erklärt (BVerfG
FamRZ 2011, 437, 441 ff.). Im Anschluss an diese Entscheidung hat der Senat
diese Rechtsprechung zur Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den eheli-
chen Lebensverhältnissen aufgegeben und ist zu dem - seiner früheren Recht-
sprechung zugrunde liegenden - Stichtagsprinzip zurückgekehrt (Senatsurteil
BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn. 16 ff.).
bb) Damit lässt sich jedoch ein Irrtum über die Vergleichsgrundlage nach
§ 779 Abs. 1 BGB nicht begründen. Voraussetzung für die Unwirksamkeit eines
Vergleichs nach § 779 Abs. 1 BGB ist es, dass der von beiden Parteien nach
dem Inhalt des Vertrags als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt nicht
der Wirklichkeit entspricht und der Streit oder die Ungewissheit über ein
Rechtsverhältnis bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Ob
die Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft, dass ein Rechtsirrtum, wenn er
nicht gleichzeitig einen Irrtum über relevante Tatsachen umschließt, von vorn-
herein nicht in den Anwendungsbereich von § 779 Abs. 1 BGB fallen kann (so
zuletzt BGH Urteil vom 18. Dezember 2007 - XI ZR 76/06 - NJW-RR 2008, 643
Rn. 14; offen gelassen in BGH Urteil vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 275/05 -
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NJW 2007, 838 Rn. 10 m.N. zum Streitstand), braucht unter den hier obwalten-
den Umständen nicht entschieden zu werden. Selbst wenn der Begriff des
Sachverhalts weit auszulegen sein sollte und nicht nur Tatsachen, sondern
auch (reine) Rechtsfragen umfasst, muss der Irrtum der Parteien nach allge-
meiner Ansicht das gegenwärtige Bestehen des Sachverhalts betreffen, nicht
dagegen das Eintreten oder Ausbleiben künftiger Ereignisse (Senatsurteile vom
19. Februar 1986 - IVb ZR 7/85 - NJW-RR 1986, 945, 946 und vom 24. April
1985 - IVb ZR 17/84 - NJW 1985, 1835, 1836; BGH Urteile vom 13. Juni 1961
- VI ZR 215/60 - JZ 1963, 129 und vom 8. Februar 1984 - VIII ZR 254/82 - NJW
1984, 1746; BAG NZA 2000, 1097, 1101). Aus diesem Grunde kann schon ein
Irrtum über die Entwicklung der künftigen Gesetzgebung nicht in den Anwen-
dungsbereich des § 779 Abs. 1 BGB fallen (vgl. bereits RGZ 117, 306, 310); in
gleicher Weise betrifft auch die unrichtige Vorstellung über den Fortbestand
einer bestimmten Rechtsprechung einen Umstand, der dem Abschluss des
Vergleiches erst nachfolgt und ihm schon daher nicht als feststehend zugrunde
gelegt werden kann (vgl. BGHZ 58, 355, 361 f. = NJW 1972, 1577; OLG
Schleswig OLGR 2000, 285, 286; vgl. auch Erman/H.-F. Müller BGB 13. Aufl.
§ 779 Rn. 30). An dieser Beurteilung ändert sich auch in dem Fall nichts, in dem
der Fortgeltung der dem Vergleich zugrunde gelegten Rechtsprechung (erst)
durch eine dem Vergleichsschluss nachfolgende Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts der Boden entzogen worden ist.
b) Richtig ist ferner die Auffassung des Berufungsgerichts, dass auch die
von der Beklagten erklärte Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB) nicht durch-
greifen kann, weil beide Parteien der gleichen unrichtigen Vorstellung über die
Fortgeltung der Senatsrechtsprechung unterlegen sind. Solche Fehlvorstellun-
gen sind nach den zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) entwi-
ckelten Grundsätzen zu behandeln (vgl. BGH Urteil vom 5. Februar 1986
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- VIII ZR 72/85 - NJW 1986, 1348, 1349; OLG Hamm NJW-RR 2006, 65, 66).
Hiergegen erinnert auch die Revision nichts.
2. Im Weiteren hat sich das Berufungsgericht folgerichtig mit der Zuläs-
sigkeit der Anschlussberufung befasst und diese mit Recht bejaht. Zutreffend ist
das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Beklagte der Berufung
des Klägers zulässigerweise auch unter einer Bedingung anschließen konnte.
Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass der Berufungsbeklagte die Anschlie-
ßung von dem Erfolg oder Misserfolg seines Antrages auf Zurückweisung der
gegnerischen Berufung oder von einem sonstigen "innerprozessualen" Vorgang
- hier von der gerichtlichen Entscheidung über den Streit bezüglich der Wirk-
samkeit des Teilvergleiches - abhängig machen kann, dessen Eintritt oder Aus-
fall bis zur sachlichen Entscheidung über die Berufung feststeht (vgl. BGH Ur-
teile vom 10. November 1983 - VII ZR 72/83 - NJW 1984, 1240, 1241 und vom
19. Januar 2001 - V ZR 437/99 - NJW 2001, 1127, 1131). Richtig ist es eben-
falls, dass sich der Berufungsbeklagte der Berufung auch (allein) mit dem Ziel
der Erhebung einer Widerklage anschließen kann (vgl. bereits BGHZ 4, 229,
234).
3. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht
ferner erkannt, dass die Beklagte ihre Unterhaltsansprüche für die Zeit seit dem
30. Juli 2008 nicht mit einer gegen den Teilvergleich vom 2. Februar 2010 ge-
richteten Abänderungsklage (§ 323 Abs. 1 ZPO aF), sondern nur mit einer Leis-
tungsklage als statthafter Klageart verfolgen konnte und das ursprüngliche Ab-
änderungsbegehren der Beklagten in verfahrensrechtlich nicht zu beanstan-
dender Weise (vgl. dazu Senatsurteil vom 1. Juni 1983 - IVb ZR 365/81 -
FamRZ 1983, 892, 893 f.) in einen Leistungsantrag umgedeutet.
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats kommt § 323 ZPO aF (bzw.
nunmehr § 238 FamFG) zwar auch dann zur Anwendung, wenn ein Unterhalts-
gläubiger, dessen - durch gerichtliche Entscheidung oder durch Prozessver-
gleich - titulierter Unterhalt nachträglich durch eine gerichtliche Abänderungs-
entscheidung aberkannt worden ist, in der Folgezeit erneut Unterhalt verlangt.
Kommt es zu einer solchen Abänderungsentscheidung, hat das Gericht - im
Rahmen der Korrektur der ursprünglichen Prognose - seinerseits die künftige
Entwicklung der Verhältnisse vorausschauend zu berücksichtigen. Demgemäß
beruht die abändernde Entscheidung sowohl im Falle der Reduzierung als auch
beim völligen Wegfall des Unterhalts weiterhin auf einer Prognose der zukünfti-
gen Entwicklung und stellt den Rechtszustand auch für die Zukunft fest. Das
spätere Begehren auf Wiedergewährung des Unterhalts stellt daher abermals
die Geltendmachung einer von der Prognose abweichenden tatsächlichen Ent-
wicklung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse dar, für die das Gesetz
das gerichtliche Abänderungsverfahren vorsieht, um die (erneute) Anpassung
der Entscheidung an die veränderten Entscheidungsgrundlagen zu ermöglichen
(Senatsurteile BGHZ 172, 22 = FamRZ 2007, 983 Rn. 19 und vom 30. Januar
1985 - IVb ZR 63/83 - FamRZ 1985, 376, 377).
b) Diese Rechtsprechung ist jedoch nicht auf die Fälle übertragbar, in
denen dem Unterhaltsgläubiger ein titulierter Unterhalt durch einen Prozessver-
gleich aberkannt wird. Nach § 323 Abs. 4 ZPO aF sind die Bestimmungen über
die Abänderungsklage (§ 323 Abs. 1 bis Abs. 3 ZPO aF) auf Prozessvergleiche
(§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder auf Schuldurkunden nach § 794 Abs. 1 Nr. 2a
und Nr. 5 ZPO nur insoweit entsprechend anzuwenden, als darin künftig fällig
werdende wiederkehrende Leistungen übernommen oder festgesetzt worden
sind. § 323 Abs. 4 ZPO aF erfasst mithin gerade nicht die Fälle, in denen für die
Zukunft keine Leistungspflicht festgelegt worden ist. Eine analoge Anwendung
über den Wortlaut des § 323 Abs. 4 ZPO aF hinaus kommt nicht in Betracht.
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Denn die verfahrensrechtliche Situation nach Erlass einer rechtskräftigen Ent-
scheidung ist mit derjenigen nach Abschluss eines Prozessvergleichs nicht ver-
gleichbar. Auch wenn die Parteien mit der getroffenen Regelung zum Ausdruck
bringen wollten, dass für die Zukunft kein Unterhaltsanspruch mehr besteht,
beschränkt sich die Vereinbarung auf den materiellen Anspruch; sein Nichtbe-
stehen ist nicht rechtskräftig festgestellt (vgl. Senatsurteil BGHZ 172, 22
= FamRZ 2007, 983 Rn. 20; OLG Hamm NJWE-FER 2000, 129).
An dieser rechtlichen Beurteilung hat sich im Übrigen durch die Reform
des familiengerichtlichen Verfahrens nichts geändert. Nach § 239 Abs. 1 Satz 1
FamFG kann jeder Teil die Abänderung eines Vergleiches nach § 794 Abs. 1
Nr. 1 ZPO oder einer vollstreckbaren Urkunde beantragen, wenn diese eine
Verpflichtung zu künftig fällig werdenden Leistungen enthält. Mit dieser Rege-
lung hat der Gesetzgeber keine vom früheren Rechtszustand abweichende
Rechtslage schaffen wollen (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 258), so dass nach
den zu § 323 Abs. 4 ZPO aF entwickelten Grundsätzen auch unter der Geltung
des neuen Verfahrensrechts keine Abänderung beantragt werden kann, wenn
durch einen Prozessvergleich ein titulierter Anspruch aberkannt worden ist (vgl.
Keidel/Meyer-Holz FamFG 17. Aufl. § 239 Rn. 28; Prütting/Helms/Bömelburg
FamFG 2. Aufl. § 239 Rn. 12; Haußleiter/Fest FamFG § 239 Rn. 10).
4. Selbst wenn die Beklagte danach in verfahrensrechtlicher Hinsicht ge-
halten war, ihr Unterhaltsbegehren für den Zeitraum seit dem 30. Juli 2008 mit
der Leistungsklage (§ 258 ZPO) zu verfolgen, ist der zwischen den Parteien am
2. Februar 2010 geschlossene Teilvergleich für den materiellen Unterhaltsan-
spruch der Beklagten weiterhin von Bedeutung. Er wirkt sich für diesen Zeit-
raum auf das Unterhaltsrechtsverhältnis aus, solange und soweit seine Ge-
schäftsgrundlage nicht weggefallen ist und die Regelung deshalb einer Anpas-
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sung an die veränderten Verhältnisse unterliegt (vgl. Senatsurteil BGHZ 172, 22
= FamRZ 2007, 983 Rn. 22 ff.).
a) Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, dass der Vergleich
bereits für den Zeitraum zwischen dem 30. Juli 2008 und dem 31. Januar 2011
anzupassen sei.
aa) Bei Prozessvergleichen über Dauerschuldverhältnisse kann die Än-
derung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nach allgemeiner
Ansicht zwar zu Störungen vertraglicher Vereinbarungen führen, die nach den
Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Wege der Anpas-
sung zu bereinigen sind. Für diese Fälle hat der Senat bereits mehrfach ausge-
sprochen, dass eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum
Unterhaltsrecht nur für solche Unterhaltszeiträume zu einer Anpassung des
Vergleiches führen kann, die auf die Verkündung des die bisherige Rechtspre-
chung aufgebenden Urteils des Senats folgen. Für die Zeit davor verbleibt es
bei der bisherigen Rechtslage, welche die Parteien ihrem Vergleich zugrunde
gelegt haben (Senatsurteile BGHZ 148, 368 = FamRZ 2001, 1687, 1690 f. und
vom 22. Januar 2003 - XII ZR 186/01 - FamRZ 2003, 518, 520). Denn der in
Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung beruhende Prozessver-
gleich stellt einen Vertrauenstatbestand für beide Parteien dar, in den eine Än-
derung der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich nicht rückwirkend
zu Lasten des Unterhaltspflichtigen eingreifen darf, zumal erst sie zu einer die
Vertragsanpassung rechtfertigenden Äquivalenzstörung führt (Senatsurteil vom
22. Januar 2003 - XII ZR 186/01 - FamRZ 2003, 518, 520).
bb) Die gleichen Grundsätze gelten auch dann, wenn das Bundesverfas-
sungsgericht eine bestimmte, auf der Rechtsprechung der Fachgerichte beru-
hende Rechtsanwendung, die von den Parteien ihrem Vergleich zugrunde ge-
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legt worden ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen beanstandet. Das Bun-
desverfassungsgericht hat bereits in seinem Urteil zur (Nicht-) Berücksichtigung
des aus neuer Ehe herrührenden steuerlichen Splittingvorteils bei der Bemes-
sung des an den geschiedenen Ehegatten zu leistenden Unterhalts darauf hin-
gewiesen, dass seine Entscheidung für bereits bestehende Unterhaltstitel, die
nicht Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde waren, lediglich eine auf die
Zukunft beschränkte Rechtsfolgenwirkung entfaltet (BVerfG FamRZ 2003,
1821, 1825; vgl. auch Senatsurteile vom 14. März 2007 - XII ZR 158/04 -
FamRZ 2007, 882 Rn. 25 und vom 28. Februar 2007 - XII ZR 37/05 - FamRZ
2007, 793 Rn. 36) und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Senats-
rechtsprechung zur Anpassung von Unterhaltsvergleichen an eine geänderte
höchstrichterliche Rechtsprechung Bezug genommen (BVerfG FamRZ 2003,
1821, 1825). Eine Anpassung von vertraglichen Unterhaltsvereinbarungen, die
auf der früheren Rechtsprechung des Senats zur Bedarfsermittlung durch Drei-
teilung des zur Verfügung stehenden Gesamteinkommens des Unterhaltspflich-
tigen und beider unterhaltsberechtigten Ehegatten beruhen, kommt daher frü-
hestens für solche Unterhaltszeiträume in Betracht, die der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 2011 nachfolgen, mithin für den
Zeitraum seit dem 1. Februar 2011. Richtig ist deshalb auch der Hinweis der
Revisionserwiderung darauf, dass es für diese Beurteilung auf die vom Beru-
fungsgericht erörterte Frage nach den Voraussetzungen für die Geltendma-
chung von Unterhalt für die Vergangenheit (§§ 1585 b Abs. 2, 1613 Abs. 1
BGB) nicht einmal angekommen wäre.
b) Mit Recht wendet sich die Revision indessen gegen die Entscheidung
des Berufungsgerichts, der Beklagten einen Unterhaltsanspruch auch für die
Zeit ab dem 1. Februar 2011 zu versagen.
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Richtig ist im Ausgangspunkt, dass die Anpassung einer Unterhaltsver-
einbarung an veränderte Verhältnisse nicht schematisch und automatisch er-
folgt, sondern nur dann, wenn dem benachteiligten Vertragsteil unter Berück-
sichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder
gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nach
Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann. Die in diesen Zusammenhang
zu stellenden Zumutbarkeitserwägungen des Berufungsgerichts können dessen
Entscheidung, die Beklagte an dem Teilvergleich vom 1. Februar 2010 und da-
mit an der vollständigen Aberkennung des Unterhaltsanspruches festzuhalten,
allerdings nicht tragen. Die Anpassung eines Unterhaltstitels an veränderte
Umstände kann sowohl von dem Unterhaltspflichtigen als auch von dem Unter-
haltsberechtigten verlangt werden. Der Anpassungsanspruch des Unterhaltsbe-
rechtigten würde aber weitgehend ausgehöhlt werden, wenn man ihm im An-
passungsverfahren ohne weiteres entgegenhalten könnte, er habe seine Le-
bensführung während der - hier nicht einmal besonders langen - Geltungsdauer
der Unterhaltsvereinbarung auf das bisherige geringe Unterhaltsniveau oder
sogar auf das Ausbleiben von Unterhaltszahlungen einrichten können. Auch der
Hinweis des Berufungsgerichts auf die "relativ geringe" Höhe des sich nunmehr
zugunsten der Beklagten ergebenden Unterhaltsanspruches vermag insoweit
nicht zu überzeugen, zumal sich das Berufungsgericht damit auch in Wider-
spruch zu seinen eigenen Ausführungen betreffend die vorherigen Unterhalts-
zeiträume setzt. Seine Entscheidung, der Beklagten den zur Höhe von monat-
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€ errechneten Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen für
den Zeitraum bis zum 29. Juli 2008 zu gewähren, hat das Berufungsgericht ins-
besondere damit begründet, dass die finanziellen Verhältnisse der Beklagten
keineswegs so günstig gestaltet seien, dass der Wegfall ihres Unterhaltsan-
spruchs keine spürbaren Auswirkungen auf ihren Lebensstandard hätte. Dann
ist es nicht nachvollziehbar, warum bei einem Wegfall des Unterhaltsanspru-
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ches im Jahre 2011 insoweit eine abweichende Beurteilung geboten sein sollte,
zumal das Berufungsgericht selbst davon ausgeht, dass sich für den Unter-
haltszeitraum seit Februar 2011 für die Beklagte rechnerisch ein Unterhaltsan-
spruch in vergleichbarer Höhe ergeben würde.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auf der Grundlage
der bislang getroffenen Feststellungen auch nicht deshalb als richtig, weil die im
Rahmen der Anpassung des Prozessvergleiches zu berücksichtigenden Maß-
stäbe des § 1578 b BGB eine Begrenzung des Unterhalts geboten hätten.
aa) Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen,
dass bei einem Altersrentner rechtlich erhebliche ehebedingte Nachteile nicht
mit den durch die Unterbrechung oder die Aufgabe der Erwerbstätigkeit wäh-
rend der Ehe verursachten geringeren Rentenanwartschaften begründet wer-
den können, wenn für diese Zeit ein Versorgungsausgleich stattgefunden hat.
Nachteile in der Versorgungsbilanz sind dann in gleichem Umfang von beiden
Ehegatten zu tragen und somit vollständig ausgeglichen
(grundlegend Senats-
urteil vom 16. April 2008 - XII ZR 107/06 - FamRZ 2008, 1325 Rn. 43). Einen
Sachverhalt, der eine Ausnahme von dieser Regel rechtfertigen könnte (vgl.
etwa Senatsurteil vom 4. August 2010 - XII ZR 7/09 - FamRZ 2010, 1633
Rn. 25: Versorgungsausgleich erfasst nur einen Teil der Ehezeit) hat das Beru-
fungsgericht nicht festgestellt und die Beklagte nicht geltend gemacht.
bb) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht allerdings in der
Beurteilung, dass die Voraussetzungen für eine Begrenzung des Unterhaltsan-
spruches schon deshalb gegeben seien, weil aufseiten der Beklagten keine
fortwirkenden ehebedingten Nachteile vorlägen und allein der langen Ehedauer
keine entscheidende Bedeutung mehr beizumessen sei. Damit trägt das Beru-
fungsgericht dem Umstand, dass § 1578 b BGB nicht auf die Kompensation
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ehebedingter Nachteile beschränkt ist, sondern auch eine darüber hinausge-
hende nacheheliche Solidarität erfasst, nicht hinreichend Rechnung.
(1) Der Senat hat mehrfach betont, dass auch dann, wenn keine ehebe-
dingten Nachteile feststellbar sind, eine Herabsetzung oder Befristung des
nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsan-
spruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen begründet ist. Es ist Aufgabe
des Tatrichters, bei der insoweit gebotenen Billigkeitsabwägung das im Einzel-
fall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. In solchen Fällen,
in denen die fortwirkende nacheheliche Solidarität den wesentlichen Billigkeits-
maßstab bildet, gewinnt die Ehedauer durch die wirtschaftliche Verflechtung an
Gewicht, die insbesondere durch den Verzicht auf eine eigene Erwerbstätigkeit
wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder wegen der Haushaltsführung
eingetreten ist. Schon dieser Gesichtspunkt kann in Fällen, in denen keine ehe-
bedingten Nachteile vorliegen, aus Billigkeitsgründen gegen eine Begrenzung
des nachehelichen Unterhalts sprechen (vgl. Senatsurteile vom 11. August
2010 - XII ZR 102/09 - FamRZ 2010, 1637 Rn. 48 und vom 6. Oktober 2010
- XII ZR 202/08 - FamRZ 2010, 1971 Rn. 33).
(2) Die vorgenannten, von der Rechtsprechung des Senats entwickelten
Grundsätze erfahren auch durch die am 1. März 2013 in Kraft getretene Neu-
fassung des § 1578 b Abs. 1 BGB (vgl. Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes
zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 23. November 2007 über
die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und
anderen Familienangehörigen sowie zur Änderung von Vorschriften auf dem
Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts und des materiellen Un-
terhaltsrechts vom 20. Februar 2013, BGBl. I S. 273) keine grundlegenden Än-
derungen.
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Nach § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB ist nunmehr das Tatbestandsmerkmal
der Ehedauer als weiterer konkret benannter Billigkeitsmaßstab neben das Be-
stehen ehebedingter Nachteile getreten. Demgegenüber ist der Begriff der
"Dauer der Ehe" bei der beispielhaften Aufzählung der Gründe für das Entste-
hen ehebedingter Nachteile (§ 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB) gestrichen worden,
da es einer zusätzlichen Erwähnung der Ehedauer in diesem Zusammenhang
nicht mehr bedurfte. In der Gesetzesbegründung wird dazu ausdrücklich her-
vorgehoben, dass die tatbestandliche Neufassung des § 1578 b Abs. 1 BGB
eine (lediglich) klarstellende Funktion erfüllt, um einer - dem Willen des Gesetz-
gebers der Unterhaltsrechtsreform 2008 nicht entsprechenden und auch vom
Bundesgerichtshof missbilligten - Praxis entgegenzuwirken, beim Fehlen ehe-
bedingter Nachteile automatisch zu einer Begrenzung des Unterhaltsanspru-
ches zu gelangen, ohne bei der Billigkeitsabwägung die sonstigen Umstände
des Einzelfalls, darunter insbesondere die lange Ehedauer, zu berücksichtigen
(BT-Drucks. 17/11885 S. 5 f.). Aus der Begründung des Gesetzes ergibt sich
demgegenüber nicht, dass dem Begriff der "Dauer der Ehe" durch die Aufnah-
me als selbständiges Billigkeitskriterium in § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB ein an-
derer Inhalt hätte verliehen werden sollen und der Gesetzgeber den Begriff der
Ehedauer abweichend von der - in der Gesetzesbegründung ausdrücklich in
Bezug genommenen - Senatsrechtsprechung zur Berücksichtigung der Ehe-
dauer im Rahmen der nachehelichen Solidarität interpretieren wollte (ebenso
Borth FamRZ 2013, 165, 167). Es bleibt daher dabei, dass die Ehedauer ihren
wesentlichen Stellenwert bei der Bestimmung des Maßes der gebotenen nach-
ehelichen Solidarität aus der Wechselwirkung mit der in der Ehe einvernehmlich
praktizierten Rollenverteilung und der darauf beruhenden Verflechtung der wirt-
schaftlichen Verhältnisse gewinnt (vgl. auch Born NJW 2013, 561, 562). Wei-
terhin rechtfertigt eine lange Ehedauer für sich genommen insbesondere dann
keinen fortdauernden Unterhalt nach den - die eigene Lebensstellung überstei-
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genden - ehelichen Lebensverhältnissen, wenn beide Ehegatten während der
Ehe vollschichtig berufstätig waren und die Einkommensdifferenz lediglich auf
ein unterschiedliches Qualifikationsniveau zurückzuführen ist, das bereits zu
Beginn der Ehe vorlag (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 2010 - XII ZR 202/08 -
FamRZ 2010, 1971 Rn. 21).
cc) Nach diesen Maßstäben kann die angefochtene Entscheidung keinen
Bestand haben.
Im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1578 b BGB wird der Ehe-
dauer im vorliegenden Fall ein erhebliches Gewicht beizumessen sein, weil sich
die Beklagte während der mehr als dreiunddreißig Jahre währenden Ehezeit
nach Lage der Dinge allein um die Führung des Haushalts und um die Betreu-
ung der beiden Kinder gekümmert haben dürfte. Andererseits folgt selbst aus
dem Umstand, dass eine Hausfrauenehe von (sehr) langer Dauer geführt wor-
den ist, noch nicht zwangsläufig, dass die mit einer Herabsetzung oder Befris-
tung verbundene Absenkung des Lebensniveaus des Unterhaltsberechtigten
stets unterbleiben müsste. Vielmehr sind im Rahmen der Billigkeitsabwägung
auch alle weiteren Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen.
Insbesondere hat der Tatrichter zu ermitteln, wie dringend der Unterhaltsbe-
rechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf die Zahlung von Unterhalt an-
gewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige - auch unter Be-
rücksichtigung weiterer, gegebenenfalls nachrangiger Unterhaltspflichten -
durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird (Senatsurteil vom 2. März 2011
- XII ZR 44/09 - FamRZ 2011, 713 Rn. 24); dabei wird insbesondere die Belas-
tung des Unterhaltsschuldners durch die Unterhaltspflicht gegenüber einem
neuen Ehegatten mit zunehmender Dauer der Zweitehe an Gewicht gewinnen.
Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen eine solche umfas-
sende Billigkeitsabwägung nicht zu, weil das Berufungsgericht - aus seiner
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Sicht folgerichtig - insbesondere zu den Einkommensverhältnissen der Parteien
im Unterhaltszeitraum seit dem 1. Februar 2011 und zur Unterhaltsbedürftigkeit
der zweiten Ehefrau des Klägers keine Feststellungen getroffen hat.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die von ei-
nem Hauseigentümer zu tragenden verbrauchsunabhängigen Kosten grund-
sätzlich nur dann von seinem Wohnvorteil abgezogen werden können, wenn es
sich bei ihnen um nicht umlagefähige Betriebskosten im Sinne von § 556 Abs. 1
BGB, §§ 1, 2 BetrKV handelt (Senatsurteil vom 27. Mai 2009 - XII ZR 78/08 -
FamRZ 2009, 1300 Rn. 29 ff.).
Dose
Vézina
Klinkhammer
Schilling
Botur
Vorinstanzen:
AG Kaiserslautern, Entscheidung vom 09.07.2008 - 3 F 260/07 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 31.05.2011 - 5 UF 117/08 -
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