Urteil des BGH vom 02.07.2014

BGH: organisation, irak, syrien, armee, staat, muslim, haftbefehl, ida, anfang, stellvertreter

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
S t B 8 / 1 4
vom
2. Juli 2014
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen
Vereinigung
hier: Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungs-
richters des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2014
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts sowie des Beschwerdeführers und seines Verteidigers am 2. Juli
2014 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2014
- 2 BGs 103/14 - neu gefasst:
Der Beschuldigte ist in Untersuchungshaft zu nehmen.
Er ist dringend verdächtig, sich von Juli bis September 2013 in
Syrien als Mitglied an der dort bestehenden Vereinigung "Junud
ash-Sham" beteiligt zu haben, deren Zwecke und Tätigkeiten da-
rauf gerichtet sind, Tötungsdelikte zu begehen, und sich um den
5. August 2013 aus Anlass von deren Kampfhandlungen gegen
die syrische Armee in der Region Durin mit Videoaufnahmen
zum Zwecke der Verwendung in einem Propagandafilm der Or-
ganisation befasst zu haben (mitgliedschaftliche Beteiligung an
einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union, strafbar nach § 129a
Abs. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
2. Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
3. Der Beschuldigte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
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Gründe:
I.
Der Beschuldigte wurde am 26. September 2013 in einem anderweitig
gegen ihn geführten Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Passgesetz
vorläufig festgenommen und am 27. September 2013 in Untersuchungshaft
genommen. Seitdem befindet er sich in jenem Verfahren ununterbrochen in
Haft; derzeit verbüßt er die dort rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe von
sechs Monaten.
Gegenstand des angefochtenen Haftbefehls des Ermittlungsrichters des
Bundesgerichtshofs vom 28. März 2014 - 2 BGs 103/14 - ist der Vorwurf, der
Beschuldigte, ein deutscher Staatsangehöriger, habe sich von Juli bis Septem-
ber 2013 in Syrien als Mitglied an zwei im Ausland bestehenden Vereinigungen
- "Junud ash-Sham" sowie "Islamischer Staat Irak und Großsyrien (ISIG)" - be-
teiligt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord, Totschlag,
erpresserischen Menschenraub oder Geiselnahme zu begehen. Nach seiner
Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland über die Türkei nach Syrien Mit-
te Juli 2013 habe er sich dort zunächst der Vereinigung "Junud ash-Sham" an-
geschlossen, an der Herstellung von Propagandamaterial für diese Organisati-
on mitgewirkt und um den 5. August 2013 zusammen mit deren Kämpfern an
Kampfhandlungen in der Region Durin teilgenommen. Im weiteren Verlauf sei-
nes Aufenthalts in Syrien habe er sich dann der Vereinigung "Islamischer Staat
Irak und Großsyrien (ISIG)" angeschlossen. Dem Beschuldigten sei deshalb
vorzuwerfen, er habe sich tatmehrheitlich in zwei Fällen als Mitglied an einer
terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union beteiligt (Verbrechen, strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b
Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 53 StGB).
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Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermitt-
lungsrichters des Bundesgerichtshofs hat teilweise Erfolg.
II.
Der Beschuldigte ist nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen ledig-
lich dringend verdächtig, sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen
Vereinigung "Junud ash-Sham" beteiligt zu haben.
1. Der Senat geht nach derzeitigem Ermittlungsstand von folgendem
Sachverhalt aus:
a) "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien/ad-Dawla al-Islamia
fil-Iraq wash-Sham (ISIG/DAAISH)"
Beim "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien" handelt es sich um
eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die
es sich zum Ziel gesetzt hat, einen das Gebiet des heutigen Irak und die histo-
rische Region "ash-Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordani-
en sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottes-
staat" zu errichten. Wer sich den Ansprüchen dieser Vereinigung entgegen-
setzt, wird begriffen als "Feind des Islam"; die Tötung solcher "Feinde" oder
ihre Einschüchterung durch Gewaltakte hält sie für ein legitimes Mittel des
Kampfes.
Die Organisation geht zurück auf die von Abu Musab az-Zarqawi Anfang
2004 als Widerstandsgruppe gegen die US-Präsenz im Irak gegründete
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"
Jama’at at-Tauhid wal-Dschihad" ("Gemeinschaft des einen Gottes und des
Kampfes"). Im Oktober 2004 leistete az-
Zarqawi die bai’at (den Treueeid) auf
Osama bin Laden und dessen "al-
Qa’ida", worauf sich die Gruppierung umbe-
nannte in "
Tanzim Qa’idat al-Jihad fi Bilad ar-Rafidain" ("Organisation der Basis
des Jihad im Zweistromland") und bekannt wurde als "al-Qaida im Irak (AQI)".
Im Dezember 2005 ernannte bin Laden az-Zarqawi zu seinem Stellvertreter im
Irak. Die "AQI" trat zunächst hervor mit Angriffen auf zivile Angehörige westli-
cher Staaten im Irak, die Opfer von Anschlägen, Entführungen und - auf so-
dann verbreiteten Videofilmen festgehaltenen - Hinrichtungen wurden. Ab
Herbst 2005 verlegte sie sich auf medienwirksame Sprengstoffanschläge, vor-
nehmlich in Bagdad und im Nordwestirak, aber am 9. November 2005 auch auf
mehrere Hotels in Amman/Jordanien.
Anfang 2006 schloss sich die "AQI" zunächst unter der Dachorganisation
"Schura-Rat der Mudschaheddin im Irak" mit weiteren Gruppierungen zusam-
men. Nach Zarqawis Tod im Juni 2006 rief dessen Nachfolger Abu Ayyub al-
Masri im Oktober 2006 einen das Gebiet von Bagdad und mehrere Nordwest-
provinzen umfassenden islamischen Staat aus und benannte den Zusammen-
schluss um in "ad-Dawlat al-Islamiya fil-Iraq" ("Islamischer Staat im Irak", "ISI").
Die von den USA gegen den "ISI" ins Leben gerufene und mit Waffen ausge-
rüstete, zeitweise bis zu 100.000 Stammesangehörige umfassende "Erwe-
ckungsbewegung" führte zu keiner entscheidenden Schwächung. So fielen den
Autobomben- und Selbstmordanschlägen des "ISI" im Irak allein 2007 etwa
1.900 Menschen zum Opfer; 2008 bis 2012 kam es bei Anschlägen vor allem
auf schiitische Moscheen und Pilger sowie auf frequentierte Märkte zu insge-
samt etwa 3.000 Toten.
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Im Frühjahr 2010 wurde al-Masri bei einer Operation der US-Armee und
der irakischen Regierungstruppen getötet. Sein Nachfolger wurde Abu Bakr al-
Baghdadi. Unter dessen Führung beteiligte sich der "ISI" nach dem am
11. Februar 2012 veröffentlichten Aufruf des zwischenzeitlichen al-Qaida-
Anführers Aiman az-Zawahiri an die Muslime des Nahen Ostens, den Kampf
gegen das Assad-Regime aufzunehmen, auch am syrischen Bürgerkrieg. Da-
bei kooperierte er unter anderem mit der 2011 gegründeten, vom Syrer
Muhammad al-Jawlani angeführten Kämpfergruppe "Jabhat an-Nusra li Ahl
ash-Sham" ("Hilfsfront für das syrische Volk"; "an-Nusra-Front"), deren Aktio-
nen sich vornehmlich gegen Einrichtungen und Angehörige der Assad-Armee
richteten. Im April 2013 verkündete al-Baghdadi die Vereinigung von "ISI" und
"an-Nusra" zum "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien/ad-Dawlat al-
Islamiya fil-Iraq wash-Sham (ISIG/DAAISH)". Dem widersprach al-Jawlani und
leistete seinerseits die bai’at auf az-Zawahiri, worauf dieser den Zusammen-
schluss annullierte und beide Parteien zur Beilegung ihrer Streitigkeiten auf der
Grundlage einer Gebietsabgrenzung - "ISIG" im Irak, "an-Nusra" in Syrien - auf-
rief. Dies führte zum Bruch al-Baghdadis sowohl mit "al-
Qa’ida" als auch mit
"an-Nusra". In Veröffentlichungen vom 15. und 28. Juni 2013 warf er az-
Zawahiri die "Heiligsprechung" des Sykes-Picot-Abkommens vor und erklärte
"an-Nusra" zum Teil des "ISIG" sowie al-Jawlani zum "Abtrünnigen".
Dem "ISIG" gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ord-
nungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich
die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die
Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Op-
positionsgruppen sowie die Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsan-
spruch des "ISIG" in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrich-
tung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in
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der Provinz Latakia unter der Führung des "ISIG" zu Massakern unter der regie-
rungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer
fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgrup-
pen ist die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischen-
zeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den "ISIG" haben andere Grup-
pierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch "al-
Qa’ida" distanzierte sich Mitte Mai 2014 ausdrücklich vom Vorgehen des "ISIG".
Wegen der Parteinahme der libanesischen "Hizbollah" für das Assad-
Regime verübte der "ISIG" ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in
einem schiitischen Wohngebiet in Beirut, der vier Menschen tötete und 77 ver-
letzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf
die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einen
Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren To-
desopfern. Anfang Juni 2014 gelang es ihm, die Stadt Mosul unter seine Ge-
walt zu bringen.
Die Führung des "ISIG" besteht aus dem "Emir", derzeit Abu Bakr al-
Baghdadi, dem "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt
sind, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zugeordnet sind
der Führungsebene beratende "Shura-Räte" sowie "Gerichte", die über die Ein-
haltung der Regeln der Sharia wachen. Veröffentlichungen werden in der Medi-
enabteilung "Al-Furqan" produziert und über die Medienstelle "al-
I’tisam" ver-
breitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung
besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah
- Rasul - Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islami-
schen Glaubensbekenntnis.
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Die etwa 10.000 Kämpfer - im Kern bestehend aus sunnitischen Teilen
der ehemaligen Streitkräfte des Regimes von Saddam Hussein - sind dem
"Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem
Kommandeur gegliedert.
b) "Armee der Emigranten und der Unterstützer/Jaish al-Muhajirin
wal-Ansar (JAMWA)"
Der aus Georgien stammende ethnische Tschetschene Tarkhan Batira-
shvili, Kampfname Abu Omar ash-Shishani, der bereits in Tschetschenien und
in Georgien an kriegerischen Auseinandersetzungen mit der russischen Armee
teilgenommen
hatte,
gründete
im
Sommer
2012
die
militant-
fundamentalistische Gruppierung "Katibat al-Muhajirin" ("Brigade der Emigran-
ten") mit dem Ziel, in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen, dort gegen die
Assad-Armee zu kämpfen und so die Errichtung eines islamischen Staates vo-
ranzutreiben. Die Gruppierung war personell verflochten mit der vom tschet-
schenischen Separatisten Dokku Umarov angeführten, im Nordkaukasus ope-
rierenden militanten Organisation "Kaukasisches Emirat", die für sich auch die
Führungsrolle gegenüber der mehrheitlich aus Tschetschenen, aber auch an-
deren nichtsyrischen Kämpfern bestehenden "Brigade der Emigranten" in An-
spruch nahm. Im März 2013 vereinigte sich die "Katibat al-Muhajirin" mit den
militanten syrischen Gruppen "Jaish Mohammad" und "
Kata’ib Khattab" zur
"Jaish al-Muhajirin wal-Ansar". Kommandeur blieb Abu Omar ash-Shishani. Ab
August 2013 verfocht er die Verschmelzung der "Jaish al-Muhajirin wal-Ansar"
mit dem "ISIG", deren Führer ihn in der Folge zum "Kommandierenden der
nördlichen Region" ausriefen. Innerhalb der Gruppierung führte dies zu Rich-
tungskämpfen und Auseinandersetzungen zwischen ash-Shishani und seinem
Stellvertreter Saifullah, der für die weitere Selbständigkeit der Gruppierung ein-
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trat. In einer am 21. November 2013 verbreiteten Videobotschaft leistete Abu
Omar ash-
Shishani schließlich die bai’at auf den "Emir" des "ISIG", Abu Bakr
al-Baghdadi. Die Angehörigen der "Jaish al-Muhajirin wal-Ansar", die sich zu
einem großen Teil d
urch eine bai’at auf Dokku Umarov gebunden sahen, folg-
ten ihm indes nur in geringer Zahl. Etwa 200 der bis zu 1.000 Kämpfer führten
die bisherige Organisation fort und ernannten im Dezember 2013 den von Dok-
ku Umarov bereits zuvor zum Repräsentanten des "Kaukasischen Emirats" in
Syrien bestimmten Tschetschenen Salahuddin ash-Shishani zum neuen Kom-
mandeur. Abu Omar ash-Shishani selbst erklärte demgegenüber in seiner Ei-
genschaft als "ehemaliger Emir der Jaish al-Muhajirin wal-Ansar" in einer am
11. Dezember 20
13 verbreiteten weiteren Videobotschaft, mit der bai’at von
etwa 200 (anderen) Kämpfern auf Abu Bakr al-Baghdadi sei die Organisation
aufgelöst.
Die "Jaish al-Muhajirin wal-Ansar" war militärisch-hierarchisch organi-
siert. Der Führung waren ein Shura-Rat sowie ein Komitee für Fragen der Sha-
ria beigeordnet. Die Öffentlichkeitsarbeit oblag einer eigenen Medienstelle. Als
Kennzeichen verwendete die Gruppierung die Abbildung eines aufgeschlage-
nen Korans, unter dem sich ein Schwert und über dem sich ein erhobener Zei-
gefinger befindet. Überschrieben ist diese Darstellung in arabischer Sprache
mit dem Namen der Organisation sowie den Worten "Ein Buch, das die Rich-
tung weist - ein Schwert, das siegt".
Ihr Kampfgebiet sah die Gruppierung im Wesentlichen im Großraum Al-
eppo. Im Zusammenwirken mit anderen Organisationen, deren Kommando sie
sich zeitweise unterstellte, war sie mehrfach an Angriffen auf militärische Ein-
richtungen der Assad-Armee im Umkreis von Aleppo beteiligt, so an der Ein-
nahme einer Scud-Raketenbasis im Oktober 2012 und zweier Stützpunkte des
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Heeres im Dezember 2012 und im Februar 2013. Im August 2013 spielte sie
eine Schlüsselrolle bei der Einnahme einer Luftwaffenbasis. Berichte, wonach
sich die "Jaish al-Muhajirin wal-Ansar" im selben Monat unter dem Kommando
des "ISIG" an den oben geschilderten Massakern und Entführungen im Raum
Latakia beteiligt haben soll, lassen sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit
bestätigen. Eine Verwechslung mit einer in der Provinz Latakia operierenden,
von einem libyschen Staatsangehörigen geführten Oppositionsgruppe namens
"
Kata’ib al-Muhajirin" ist nicht auszuschließen.
c) "Junud ash-Sham/Soldaten Syriens"
Ebenfalls dem personellen Umfeld des "Kaukasischen Emirats" zuzu-
rechnen ist eine Gruppierung, die unter dem Namen "Junud ash-
Sham/Soldaten Syriens" in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Als deren Anfüh-
rer trat der Tschetschene Muslim Margoshvili alias Muslim Abu Walid ash-
Shishani auf, der über Kampferfahrung aus den russischen Tschetschenien-
kriegen
verfügte,
zuletzt
eine
in
Dagestan
operierende
militant-
fundamentalistische Gruppe befehligte und durch die bai’at an Dokku Umarov
gebunden war. Da ihm die Rückkehr nach Tschetschenien nicht gelang, ent-
schloss er sich 2012 zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend
Tschetschenen, aber auch Angehörige westlicher Staaten, zur "hijrat" (Aus-
wanderung) nach Syrien, um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzu-
nehmen. Verbündete sah Muslim Abu Walid vor allem in den dort operierenden
Gruppen entsprechender Herkunft, so im "Jaish al-Muhajirin wal-Ansar" bzw.
der Vorgängerorganisation "Katibat al-Muhajirin". Insbesondere unterhielt er
enge Beziehungen zu Saifullah ash-Shishani, dem Stellvertreter Abu Omar
ash-Shishanis. Nach der auch von Muslim Abu Walid kritisierten Hinwendung
Abu Omar ash-Shishanis zum "ISIG" vereinigten sich im Oktober 2013 die
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"Junud ash-Sham" mit Saifullah ash-Shishani und seinen Anhängern sowie mit
den von Abu Musa ash-Shishani geführten "Ansar ash-Sham" zu einer einheit-
lichen Gruppe unter einer Dreierspitze (bereits im Dezember 2013 leistete
Saifullah ash-
Shishani indes die bai’at auf Muhammad al-Jawlani). Sie sieht ihr
Ziel vornehmlich in der Bündelung aller militärischen Kräfte gegen die
Assad-Armee und wirft insbesondere dem "ISIG" vor, das syrische Volk durch
unakzeptables Vorgehen dem gemeinsamen Ziel entfremdet zu haben. Die
Stärke der Gruppierung wird derzeit auf einige hundert Kämpfer geschätzt.
Im August 2013 beteiligte sich die Gruppierung maßgeblich an den
Kämpfen gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin nahe La-
takia. Ebenso nahm sie im Februar 2014 gemeinsam mit "an-Nusra" am Angriff
auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil; bei dieser Aktion kam Saifullah ash-
Shishani ums Leben.
d) Zu den Tathandlungen des Beschuldigten im Einzelnen geht der Se-
nat nach Überprüfung des Beschwerdevorbringens von folgendem Sachverhalt
aus:
Spätestens am 10. Juli 2013 reiste der Beschuldigte von Deutschland
aus nach Syrien und schloss sich dort - wie sein Vertrauter, der anderweitig
verfolgte C. ("Abu T. ") - den "Junud ash-Sham" an.
Zusammen mit C. hielt er sich im August 2013 während der oben erwähn-
te Kämpfe gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin bei den
Kämpfern der "Junud ash-Sham" auf. Um Material für einen von den "Junud
ash-Sham" hierüber geplanten Propagandafilm bereitzustellen, fertigte er am
5. August 2013 Videoaufnahmen von dem die Kampfhandlungen erläuternden
C. , vom Gelände sowie von zwei getöteten Regierungssoldaten, die er
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vernehmlich unter anderem als "Hundekinder" des "Hundes Bashar" bezeich-
nete. Tatsächlich wurde am 6. August 2013 im Internet unter dem Titel "Syrien
Latakia Sopka Durin" eine russischsprachige Videobotschaft von Muslim Abu
Walid ash-Shishani veröffentlicht, die über das Geschehen berichtete. Am
24. September 2013 kehrte der Beschuldigte über Istanbul nach Deutschland
zurück.
2. Danach ergibt sich:
a) Der Beschuldigte hat sich nach derzeitigem Kenntnistand nicht mit der
für die Annahme eines dringenden Tatverdachts erforderlichen Wahrschein-
lichkeit als Mitglied (auch) am "ISIG" beteiligt.
aa) Als Mitglied an einer (kriminellen oder terroristischen) Vereinigung
beteiligt sich, wer auf Dauer oder zumindest für längere Zeit an deren Ver-
bandsleben teilnimmt und unter Eingliederung in die Organisation und Unter-
ordnung unter den Organisationswillen von innen her eine Tätigkeit zur Förde-
rung der Ziele der Organisation entfaltet (BGH, Urteil vom 14. August 2009
- 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 111). Eine Beteiligung muss danach gerichtet
sein auf die aktive Teilnahme am Verbandsleben und sich ausdrücken in akti-
ven Handlungen zur Förderung von Aufbau, Fortbestand oder Tätigkeit der Or-
ganisation; eine nur passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose
Mitgliedschaft genügt nicht (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4/01,
StB 5/01, BGHSt 46, 349, 356 f.; Beschluss vom 22. Oktober 1979 - StB 52/79,
BGHSt 29, 114, 120 f.).
bb) Die bisherigen Ermittlungen haben keine für die Annahme dringen-
den Tatverdachts ausreichenden Hinweise auf Handlungen des Angeklagten
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erbracht, die nach diesen Maßstäben auf eine Förderung der Ziele des "ISIG"
von innen her gerichtet waren.
(1) Bereits die Annahme einer (bloßen) Zugehörigkeit des Beschuldigten
zum "ISIG" findet derzeit im Ermittlungsergebnis keine hinreichende Stütze.
(a) Zwar waren auf einem in der Wohnung des Beschuldigten sicherge-
stellten USB-Stick Lichtbilder abgespeichert, die am 21. September 2013 im
syrisch-türkischen Grenzgebiet gefertigt wurden und die den Beschuldigten un-
ter äußeren Umständen zeigen, welche eine persönliche Identifikation mit den
Zielen des "ISIG" nahe legen (Vermerk des Bundeskriminalamts vom
14. Januar 2014, Teilauswertung Asservat 3.4.8, Sachakte 7 Band I Bl. 248;
Lichtbildvergleich des Bundeskriminalamts vom 19. Dezember 2013, Sachakte
10 Band I Bl. 51; islamwissenschaftliche Bewertung des Landeskriminalamts
Berlin vom 16. Oktober 2013, Sachakte 10 Band 1 Bl. 111). Der Beschuldigte
ließ sich zusammen mit weiteren Personen mehrfach vor einer Flagge mit dem
Symbol dieser Organisation ablichten. Dabei führte er ein Sturmgewehr "Ka-
laschnikow" und trug ein schwarzes Stirnband mit dem islamischen Glaubens-
bekenntnis und dem "Prophetensiegel". Die näheren Umstände, unter denen
es zur Fertigung dieser Lichtbilder kam, bleiben indes offen. Hinweise auf ein
konkretes Geschehen, das sich als Akt einer einvernehmlichen Aufnahme des
Beschuldigten in die Organisation bewerten ließe, ergeben sich nicht.
(b) Hinzu kommt, dass der Beschuldigte nur wenige Tage nach diesen
Aufnahmen nach Deutschland zurückkehrte. Die Gründe hierfür sind ebenso
offen (Vermerk des Bundeskriminalamts vom 29. November 2013, Sachakte
3.1 Bl. 58 ff., 62); C. spricht gegenüber seiner Ehefrau Ö. davon,
der Beschuldigte sei so lange aus Deutschland weg gewesen, er habe etwas
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erledigen müssen (Telefongespräch am 19. Oktober 2013, Sachakte 4.1 Band
VII, Bl. 112, 113). Vor diesem Hintergrund bieten die Äußerungen C. s ge-
genüber Ö. , er, C. , bekomme das für seine gesundheitliche Re-
habilitation benötigte Geld "von islamischem Stadt" und "mache seinen Jihad
weiter, und zwar im Irak", er steige jetzt "noch eine Etage weiter" (Vermerk des
Bundeskriminalamts vom 4. Juni 2014 zur Kommunikation zwischen
C. und Ö. ; Gesprächsprotokolle vom 9. Oktober 2013, S. 3 f., und
vom 21. Oktober 2013, S. 3) keine hinreichende Grundlage für den Schluss,
der Beschuldigte müsse (auch hier) in Einklang mit ihm gehandelt haben.
(c) Die (mutmaßliche) Identität der bei der abgelichteten Zusammenkunft
am 21. September 2013 offensichtlich die Hauptrolle spielenden Person, deren
Rufnummer auch mehrfach im Mobiltelefon des Beschuldigten abgespeichert
war (vgl. Vermerk des Bundeskriminalamts vom 15. Januar 2014, Auswertung
Asservat 4.2.1., Sachakte 7 Band II Bl. 112, S. 25), ändert an dieser Einschät-
zung nichts. Nach den Ermittlungen des Bundeskriminalamts (Vermerk vom
14. Januar 2014, Teilauswertung Asservat 3.4.8, Sachakte 7 Band I Bl. 248,
S. 9 f.) und nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes (vgl. hierzu
Vermerke des Bundeskriminalamts vom 19. März 2014, Sachakte 5 Bl. 24 ff.)
handelt es sich dabei wahrscheinlich um G. alias O. , ei-
nen ehemaligen Anführer der "Harakat Ahrar ash-Sham al-Islamiya/Islamische
Bewegung der Freien Syriens"
, der die Bai’at auf Abu Bakr al-Baghdadi geleis-
tet haben und für den C. als Gebetsrufer tätig geworden sein soll. Auch
das Bundeskriminalamt hält indes die Anbindung des G. an eine bestimm-
te Organisation letztlich nicht für belegbar. Jedenfalls ist der Genannte aber
weder ein hervorgehobener Repräsentant noch ein Angehöriger der engeren
Führungsebene des "ISIG", der ohne Weiteres neue Mitglieder aufnehmen
könnte oder zu dem nur enge Vertraute Zugang hätten.
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(2) Unabhängig davon mangelt es auch an Anhaltspunkten dafür, dass
der Beschuldigte eine irgendwie geartete Tätigkeit zur Förderung der Ziele des
"ISIG" entfaltet hat. Die beim Beschuldigten sichergestellte Sammlung von Pro-
pagandamaterial militant-fundamentalistischen Inhalts rechtfertigt keine andere
Bewertung, denn sie umfasste neben Veröffentlichungen, die der "al-
Qai’da"
zuzurechnen sind, offensichtlich wahllos auch solche der "Islamischen Bewe-
gung Usbekistans (IBU)" und der "Jabhat an-Nusra".
b) Dagegen ist der Beschuldigte dringend verdächtig, sich an den von
Muslim Abu Walid ash-Shishani geführten "Junud ash-Sham" als Mitglied betei-
ligt zu haben. Nach Sichtung des beim Beschuldigten sichergestellten Video-
materials geht zwar auch der Senat davon aus, dass dessen Aufnahmen in
dem schließlich am 6. August 2013 im Internet unter dem Titel "Syrien Latakia
Sopka Durin" veröffentlichten Propagandafilm dieser Vereinigung keine Ver-
wendung fanden. Jedoch belegen diese Aufnahmen nicht nur die Einbindung
des Beschuldigten in die genannte Vereinigung, sondern auch den ihnen vom
Beschuldigten zugedachten Verwendungszweck. So ist das Aufnahmegerät
während der Dauer der Ausführungen C. s zu den Kampfhandlungen der
"Junud ash-Sham" gezielt auf diesen gerichtet. Die Folgeszenen sind mit ge-
sprochenen Kommentaren unterlegt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom
Aufnehmenden selbst herrühren und nach ihrem Inhalt nicht zufällig erschei-
nen, sondern sich offensichtlich an künftige Betrachter richten. Die Urheber-
schaft des Beschuldigten an dem Material wird durch das Stimmvergleichsgut-
achten des Bundeskriminalamts vom 17. Februar 2014 in einer für die Annah-
me dringenden Tatverdachts ausreichenden Weise belegt.
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3. Bei den "Junud ash-Sham" handelt es sich um eine Vereinigung, de-
ren Ziele jedenfalls auf die Begehung von Totschlag gerichtet sind (§ 129a
Abs. 1 Nr. 1 StGB). Zwar beschränkt sie sich, soweit bisher ersichtlich, auf
Kampfhandlungen gegen die syrische Armee; Angriffe auf zivile Ziele lehnt sie
nach eigener Erklärung ihres Anführers ab. Der Senat sieht jedoch auch nach
den Erklärungen des "Vierten Ministertreffens der Gruppe der Freunde des sy-
rischen Volkes" am 12. Dezember 2012 in Marrakesch keinen aus dem Völker-
recht abzuleitenden Rechtfertigungsgrund für Gewalthandlungen gegen die
Streitkräfte oder andere Einrichtungen der in der Syrischen Arabischen Repub-
lik de jure bestehenden Regierung.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung
zur strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der aus-
ländischen terroristischen Vereinigung "Junud ash-Sham" hat das Bundesmi-
nisterium der Justiz am 28. März 2014 allgemein erteilt.
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III.
Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der ange-
fochtenen Entscheidung, die weder durch das Beschwerdevorbringen noch
durch die aus der Beschlussformel ersichtliche Beschränkung der den Haftbe-
fehl stützenden Tatvorwürfe entkräftet werden.
Becker Schäfer Mayer
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