Urteil des BGH vom 09.04.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
X I I Z B 7 2 1 / 1 2
Verkündet am:
9. April 2014
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1573 Abs. 2
Setzt der aus der Ehewohnung gewichene Ehegatte den Verkaufserlös aus sei-
nem früheren Miteigentumsanteil an der Ehewohnung für den Erwerb einer
neuen Wohnung ein, tritt der Wohnvorteil der neuen Wohnung an die Stelle ei-
nes Zinses aus dem Erlös (im Anschluss an Senatsurteil vom 1. Oktober 2008 -
XII ZR 62/07 - FamRZ 2009, 23).
BGH, Beschluss vom 9. April 2014 - XII ZB 721/12 - OLG Rostock
AG Hagenow
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. April 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-
Monecke und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des 1. Familiensenats des Oberlandgerichts Rostock vom
4. Dezember 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
zu seinem Nachteil erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbe-
schwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Scheidungsverbund noch über nachehelichen
Aufstockungsunterhalt. Ihre im November 1976 geschlossene Ehe ist auf den
am 3. Juli 2009 zugestellten Antrag seit Juli 2011 rechtskräftig geschieden. Bei-
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de Ehegatten erzielen monatliche Einkünfte aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit,
der Ehemann in Höhe von 2.870
€ netto, die Ehefrau in Höhe von 1.967 € netto.
Ehebedingte Nachteile in ihrem beruflichen Fortkommen haben beide Ehegat-
ten nicht erlitten.
Das frühere gemeinsame Familienheim, welches die Ehegatten überein-
stimmend mit 100.000
€ bewerten, bewohnt die Ehefrau inzwischen allein. Den
hälftigen Miteigentumsanteil des Ehemanns hieran erwarb sie im Rahmen der
Vermögensauseinandersetzung gegen Zahlung von 50.000
€. Der Ehemann
verwendete das Geld, um für sich und seine neue Partnerin ein Wohnhaus zu
errichten. Beide Ehegatten haben zur teilweisen Finanzierung der Immobilien
jeweils ein Darlehen aufgenommen.
Das Familiengericht hat den Ehemann nach Bereinigung beider Ein-
kommen um berufsbedingte Aufwendungen, Altersvorsorgeaufwendungen und
Versicherungsbeiträge verpflichtet, an die Ehefrau einen nachehelichen Unter-
halt von monatlich 300
€ zu zahlen, befristet auf fünf Jahre ab Rechtskraft der
Scheidung. Das Oberlandesgericht hat die gegen die Unterhaltsverpflichtung
gerichtete Beschwerde des Ehemanns und die gegen die Befristung gerichtete
Beschwerde der Ehefrau zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Ehe-
mann, der mit der nur für ihn zugelassenen Rechtsbeschwerde die Abweisung
des Unterhaltsantrags weiter verfolgt.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Oberlandes-
gericht.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung - soweit für das
Rechtsbeschwerdeverfahren von Belang - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Bei der Einkommensberechnung der Ehefrau sei ein Wohnvorteil durch ihr miet-
freies Wohnen in der ehemaligen Ehewohnung nicht zu berücksichtigen. Denn
um sich den Wohnvorteil zu erhalten, habe sie dem Ehemann bereits 50.000
für seinen früheren Miteigentumsanteil gezahlt. Nachdem der Ehemann die
Summe zum Erwerb eines neuen Wohnhauses eingesetzt habe, profitierten
beide Ehegatten in gleichem Ausmaß von dem Wert des früheren gemeinsa-
men Familienheims, so dass sich weder der eine noch der andere Ehegatte
einen Wohnvorteil anrechnen lassen müsse.
Die berufsbedingten Aufwendungen der Ehefrau für die Wegstrecke zwi-
schen Wohnung und Arbeitsstätte seien vom Familiengericht zwar wegen des
noch zu berücksichtigenden Steuervorteils zu hoch angesetzt worden, jedoch
sei die Unterhaltsberechnung in diesem Punkt nur durch die Ehefrau angegrif-
fen worden und könne aus Gründen des Verschlechterungsverbots nicht zu
ihren Lasten abgeändert werden.
Unter Berücksichtigung der langen Ehedauer, der fehlenden ehebeding-
ten Nachteile und des Maßes an geschuldeter nachehelicher Solidarität sei eine
Befristung des Unterhalts auf fünf Jahre ab Rechtskraft der Scheidung ange-
messen.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts,
wonach gemäß § 1573 Abs. 2 BGB ein geschiedener Ehegatte, wenn seine
Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit zum Unterhalt nach den
ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht ausreichen,
den Unterschiedsbetrag zwischen seinen Einkünften und dem eheangemesse-
nen Unterhalt verlangen kann.
Jedoch steht die Berechnung der beiderseitigen unterhaltsrelevanten
Einkünfte nicht mit der Rechtsprechung des Senats im Einklang. Das Oberlan-
desgericht hat den Wohnvorteil zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.
a) Zwar entfallen die Vorteile der mietfreien Nutzung der Ehewohnung,
wenn diese im Zusammenhang mit der Scheidung veräußert wird. An ihre Stelle
treten aber die Vorteile, die die Ehegatten in Form von Zinseinkünften aus dem
Erlös ihrer Miteigentumsanteile ziehen oder ziehen könnten. Das gilt im Grund-
satz auch dann, wenn die Ehewohnung nicht an Dritte veräußert wird, sondern
ein Ehegatte seinen Miteigentumsanteil auf den anderen überträgt. Auch in ei-
nem solchen Fall tritt für den veräußernden Ehegatten der Zins aus dem Erlös
als Surrogat an die Stelle der früheren Nutzungsvorteile seines Miteigen-
tumsanteils. Für den übernehmenden Ehegatten verbleibt es hingegen grund-
sätzlich bei einem Wohnvorteil, und zwar nunmehr in Höhe des Wertes der ge-
samten Wohnung, gemindert um die unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden
Belastungen, einschließlich der Belastungen durch den Erwerb des Miteigen-
tumsanteils des anderen Ehegatten (Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR
22/06 - FamRZ 2008, 963 Rn. 13 mwN).
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Setzt der gewichene Ehegatte den Erlös aus seinem früheren Miteigen-
tumsanteil für den Erwerb einer neuen Wohnung ein, tritt der Wohnvorteil der
neuen Wohnung an die Stelle eines Zinses aus dem Erlös (vgl. Senatsurteil
vom 1. Oktober 2008 - XII ZR 62/07 - FamRZ 2009, 23 Rn. 17).
b) Das unterhaltsrelevante Einkommen der Ehefrau ist somit erhöht um
den vollen Nutzungswert des früheren Familienheims abzüglich ihrer Zinsauf-
wendungen aus dem aufgenommenen Darlehen sowie der Tilgungsaufwen-
dungen, soweit diese als zusätzliche Altersvorsorge verstanden werden können
(vgl. Senatsurteil vom 5. März 2008 - XII ZR 22/06 - FamRZ 2008, 963 Rn. 22
ff. mwN).
Das unterhaltsrelevante Einkommen des Ehemanns ist erhöht um den
ihm zuzurechnenden Wohnvorteil des neu errichteten Wohnhauses abzüglich
der nach der Senatsrechtsprechung zu berücksichtigenden Kosten.
3. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers kann die angefochtene Ent-
scheidung keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht abschließend in der
Sache entscheiden, weil noch keine Feststellungen zu den beiderseits zu be-
rücksichtigenden Wohnwerten getroffen sind.
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4. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Be-
schwerde des Ehemanns, mit der er dem Unterhaltsanspruch insgesamt entge-
gentritt, auch eine Korrektur der vom Einkommen der Ehefrau abzusetzenden
Fahrtkosten im Hinblick auf pauschaliert anzurechnende Steuervorteile gemäß
den vom Beschwerdegericht aufgestellten unterhaltsrechtlichen Leitlinien er-
möglicht.
Dose
Weber-Monecke
Schilling
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
AG Hagenow, Entscheidung vom 24.05.2011 - 3 F 103/09 -
OLG Rostock, Entscheidung vom 04.12.2012 - 10 UF 160/11 -
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