Urteil des BGH vom 04.05.2011

Leitsatzentscheidung zu Selbstbehalt, Grundsatz der Gleichwertigkeit, Einkünfte, Abänderungsklage, Eltern

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 70/09 Verkündet
am:
4. Mai 2011
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 1603 Abs. 2; ZPO §§ 323 Abs. 1, 4; 522 Abs. 1 bis 3
a) Für die Abänderung einer Jugendamtsurkunde über den Kindesunterhalt ist in Verfahren, die vor dem
1. September 2009 eingeleitet wurden, die Abänderungsklage nach § 323 Abs. 4 ZPO zulässig.
b) Die vom Unterhaltsberechtigten begehrte Abänderung einer einseitig erstellten Jugendamtsurkunde setzt
keine Änderung der ihr zugrunde liegenden Umstände voraus. Im Rahmen eines Abänderungsbegehrens
durch den Unterhaltspflichtigen ist hingegen die Wirkung eines in der Urkunde liegenden Schuldanerkenntnis-
ses zu berücksichtigen, was geänderte Umstände seit Abgabe des Schuldanerkenntnisses voraussetzt (im
Anschluss an das Senatsurteil vom 3. Dezember 2008 - XII ZR 182/06 - FamRZ 2009, 314 und den Senats-
beschluss vom 14. Februar 2007 - XII ZB 171/06 - FamRZ 2007, 715).
c) Die Erstausbildung gehört zum eigenen Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen, den dieser grundsätzlich
auch bei gesteigerter Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern vorrangig befriedigen darf (im An-
schluss an das Senatsurteil vom 15. Dezember 1993 - XII ZR 172/92 - FamRZ 1994, 372).
d) Auch der betreuende Elternteil i. S. von § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB kann ein anderer leistungsfähiger Ver-
wandter i. S. von § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB sein. Dem barunterhaltspflichtigen Elternteil kann der angemes-
sene Selbstbehalt belassen bleiben, wenn der Kindesunterhalt von dem betreuenden Elternteil unter Wahrung
dessen angemessenen Selbstbehalts gezahlt werden kann und ohne seine Beteiligung an der Barun-
terhaltspflicht ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstünde (im Anschluss an
das Senatsurteil vom 31. Oktober 2007 - XII ZR 112/05 - FamRZ 2008, 137).
BGH, Urteil vom 4. Mai 2011 - XII ZR 70/09 - OLG Braunschweig
AG
Wolfsburg
- 2 -
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. Mai 2011 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin
Weber-Monecke und die Richter Dose, Schilling und Dr. Günter
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten zu 1 gegen das Urteil des 2. Familien-
senats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 24. März 2009
wird zurückgewiesen.
Die Revision des Beklagten zu 2 gegen das vorgenannte Urteil
wird verworfen.
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der
Klägerin im Revisionsverfahren tragen der Beklagte zu 1 30 % und
der Beklagte zu 2 70 %. Die Beklagten tragen ihre Kosten im Re-
visionsverfahren selbst.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Abänderung zweier Jugendamtsurkunden vom
16. März 2004 für die Zeit ab Februar 2008.
1
- 3 -
Die im September 1980 geborene Klägerin war von Oktober 1999 bis
März 2005 mit dem Vater der Beklagten verheiratet. Schon vor der Ehe waren
im Dezember 1996 der Beklagte zu 1 und im September 1998 der Beklagte
zu 2 als gemeinsame Kinder geboren. Nach der Trennung der Parteien im No-
vember 2002 lebten die Kinder zunächst im Haushalt der Klägerin. Im April
2004 wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater übertragen. Seitdem
lebt der Beklagte zu 1 im Haushalt des Vaters. Der Beklagte zu 2, der schwer-
behindert ist, lebt in einem Kinderheim, hält sich regelmäßig aber auch im
Haushalt des Vaters auf, der auch seine weiteren Angelegenheiten regelt.
2
Die Klägerin war bei der Geburt des Beklagten zu 1 im Alter von 16 Jah-
ren noch Schülerin. Danach holte sie den Hauptschulabschluss nach und nahm
bis März 2003 Erziehungsurlaub. Im Anschluss arbeitete sie in wechselnden
Anstellungen teils im Geringverdienerbereich; kurzfristig war sie arbeitslos und
erhielt Arbeitslosengeld. Seit dem 27. Januar 2009 absolviert sie eine zweijähri-
ge Ausbildung zur Bürokauffrau.
3
Der Vater der Beklagten erzielt aus Erwerbstätigkeit Einkünfte, die sich
nach Abzug aller unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Kosten für die Zeit
von Februar bis Mai 2008 auf 1.869 €, für die Zeit von Juni bis November 2008
auf 1.619 € und für die Zeit ab Dezember 2008 auf 1.605 €, jeweils monatlich,
belaufen.
4
Das Amtsgericht hat die Jugendamtsurkunden, mit denen sich die Kläge-
rin einseitig verpflichtet hatte, unter Berücksichtigung von § 1612 b Abs. 5 BGB
aF 100 % des jeweiligen Regelbetrags der jeweiligen Altersstufe der Regel-
betragverordnung zu zahlen, teilweise abgeändert und die Klägerin zu wech-
selndem monatlichen Unterhalt verurteilt, zuletzt für die Zeit ab Dezember 2010
in Höhe von 169 € an den Beklagten zu 1 und in Höhe von 99 € an den Beklag-
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- 4 -
ten zu 2. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Ent-
scheidung abgeändert und die Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber dem
Beklagten zu 2 für die Zeit ab Februar 2008 und gegenüber dem Beklagten zu 1
für die Zeit ab Februar 2009 aufgehoben. Für die Zeit von Februar 2008 bis Ja-
nuar 2009 hat es die Unterhaltspflicht gegenüber dem Beklagten zu 1 auf die
von der Klägerin anerkannten monatlichen 144 € herabgesetzt.
Das Oberlandesgericht hat die Revision zu den Fragen zugelassen, ob
die Aufnahme der Ausbildung der Klägerin zum 27. Januar 2009 ein unterhalts-
bezogenes Fehlverhalten darstelle und ob der Vater der Beklagten ein anderer
unterhaltspflichtiger Verwandter im Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB sei.
Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts richten sich die Revisionen
der Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
Die Revisionen der Beklagten haben keinen Erfolg. Die Revision des Be-
klagten zu 2 ist unzulässig, die Revision des Beklagten zu 1 unbegründet.
7
Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende
August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor die-
sem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November
2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100).
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- 5 -
A.
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Die Revision des Beklagten zu 2 ist unzulässig, weil sie weder zugelas-
sen noch begründet worden ist.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich eine
wirksame Beschränkung des Rechtsmittels bei uneingeschränkter Zulassung im
Tenor der angefochtenen Entscheidung auch aus dessen Entscheidungsgrün-
den ergeben (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 8 mwN
und vom 15. September 2010 - XII ZR 20/09 - FamRZ 2010, 1880 Rn. 9). Eine
solche Beschränkung setzt allerdings voraus, dass das Berufungsgericht die
Möglichkeit einer Nachprüfung im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren
hinreichend klar auf einen abtrennbaren Teil seiner Entscheidung begrenzt hat
(Senatsurteil vom 12. Juli 2000 - XII ZR 159/98 - NJW-RR 2001, 485, 486). Das
ist hier der Fall.
Das Oberlandesgericht hat die von der Klägerin hinsichtlich ihrer Unter-
haltspflicht gegenüber dem Beklagten zu 2 erstellte Jugendamtsurkunde abge-
ändert und diese Unterhaltspflicht für die Zeit ab Februar 2008 aufgehoben, weil
der Beklagte zu 2 nicht mehr bedürftig sei. Dabei hat es darauf abgestellt, dass
der Beklagte zu 2 bedarfsdeckende Leistungen nach den §§ 53 ff. SGB XII und
nicht lediglich subsidiäre Sozialleistungen erhalte. Der Kostenbeitrag des Vaters
an den Träger der Sozialleistungen entspreche seinem Anteil an dem Rück-
griffsanspruch und könne keinen ungedeckten Unterhaltsbedarf des Beklagten
zu 2 begründen.
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Diese Begründung trägt die Rechtsfolge der Aufhebung der Jugend-
amtsurkunde und des Wegfalls der Unterhaltspflicht der Klägerin, ohne dass es
auf die in den Gründen der angefochtenen Entscheidung niedergelegten Zulas-
sungsfragen eines unterhaltsbezogenen Fehlverhaltens der Klägerin durch Auf-
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- 6 -
nahme ihrer Erstausbildung oder einer Unterhaltspflicht des Vaters nach § 1603
Abs. 2 Satz 3 BGB ankommt. Entsprechend ist die Revision des Beklagten zu 2
in der Sache auch nicht begründet worden (§ 551 ZPO). Sie ist deswegen nach
§ 552 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
B.
Die Revision des Beklagten zu 1 ist unbegründet.
13
I.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Abänderungsklage zu-
lässig. Zwar setze die Abänderung einer Jugendamtsurkunde die Darlegung
veränderter Umstände voraus. Hier sei jedoch eine Änderung der Umstände
eingetreten, weil sich erst nach Errichtung der Urkunden herausgestellt habe,
dass die Klägerin trotz ernsthaften und intensiven Bemühens keine Vollzeitbe-
schäftigung habe finden können, die ihr die Erfüllung der in den Jugendamtsur-
kunden titulierten Unterhaltsbeträge ermögliche.
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Der Bedarf des Beklagten zu 1 bemesse sich nach der Lebensstellung
des barunterhaltspflichtigen Elternteils, hier also nach der Lebensstellung der
Klägerin. In der Zeit von Februar bis September 2008 habe sie als Taxifahrerin
vollschichtig gearbeitet. Ihrem Nettoeinkommen in Höhe von 978 € seien Trink-
gelder in Höhe von 100 € hinzuzurechnen. Wegen der mit ihrer Tätigkeit ver-
bundenen Wartezeiten und der gebotenen Flexibilität sei die Klägerin in dieser
Zeit nicht zu einer Nebentätigkeit in der Lage gewesen. Für die Zeit von Okto-
ber 2008 bis Januar 2009 seien der Klägerin fiktive Einkünfte zurechenbar, die
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- 7 -
sie aus einer Zeitarbeit im Umfang von 35 Wochenstunden in Höhe von 834 €
und einer weiteren Nebentätigkeit am Wochenende oder abends in Höhe von
200 € habe erzielen können. Wegen der mit der Zeitarbeit verbundenen umfas-
senden Abrufbarkeit seien weitere Einkünfte nicht zumutbar. Ende Januar habe
die Klägerin ihre zweijährige Ausbildung zur Bürokauffrau begonnen. Seitdem
verfüge sie monatlich auch unter Berücksichtigung des Wohngeldes von 78 €
und weiterer erzielbarer Einkünfte von rund 200 € aus Nebentätigkeit nicht über
Gesamteinkünfte, die ihren notwendigen Selbstbehalt von 900 € überstiegen.
Die Klägerin habe die Ausbildung nicht unterhaltsbezogen leichtfertig aufge-
nommen, weil es sich nach der frühen Geburt der beiden Kinder um eine Erst-
ausbildung handele. Ohne eine weitere Ausbildung sei die Klägerin nur in sehr
eingeschränktem Umfang zu Unterhaltsleistungen in der Lage. Die zweijährige
Ausbildungszeit erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass der Beklagte zu 1 sodann
für längere Zeit ausreichenden Unterhalt von der Klägerin erhalte.
Der Vater der Beklagten sei als anderer leistungsfähiger Verwandter im
Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB zu behandeln, so dass die Klägerin nicht
auf ihren notwendigen Selbstbehalt, sondern lediglich auf den angemessenen
Selbstbehalt verwiesen werden könne. Ein anderer leistungsfähiger Verwandter
könne auch der andere Elternteil des Kindes sein, wenn er in der Lage sei, den
Barunterhalt des Kindes ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Un-
terhalts zu zahlen. Die Haftung des betreuenden Elternteils dürfe allerdings
nicht zu einem finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen. Der
Vater erziele nach Abzug sämtlicher unterhaltsrechtlich zu berücksichtigender
Ausgaben Einkünfte, die seinen angemessenen Selbstbehalt deutlich überstie-
gen. Damit sei er ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Selbstbe-
halts in der Lage, jedenfalls den Mindestunterhalt des Beklagten zu 1 zu leisten.
Ein besonderes Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstehe durch die zu-
sätzlichen Barunterhaltspflichten des Vaters nicht.
16
- 8 -
Der angemessene Selbstbehalt der Klägerin von - seinerzeit - 1.100 € sei
allerdings für die Zeit von Februar bis April 2008 und für die Zeit von Oktober
2008 bis Januar 2009 um 10 % auf 990 € monatlich herabzusetzen. Für die Zeit
von Februar bis April 2008 ergebe sich dies aus Synergieeffekten wegen des
Zusammenlebens mit einem Bekannten. Für die Zeit von Oktober 2008 bis Ja-
nuar 2009 habe sie zur Untermiete gewohnt und dafür lediglich 150 € monatlich
gezahlt, was eine Herabsetzung des Selbstbehalts rechtfertige, ohne dass es
darauf ankomme, ob die Klägerin in dieser Zeit eine neue Lebensgemeinschaft
eingegangen sei. Unter Berücksichtigung des Einkommens der Klägerin und
des ihr zu belassenden Selbstbehalts ergebe sich keine Unterhaltspflicht, die
den für die Zeit bis Januar 2009 anerkannten Betrag in Höhe von monatlich
144 € gegenüber dem Beklagten zu 1 übersteige. Für die Zeit ab Februar 2009
sei die Klägerin zu keinen Unterhaltsleistungen in der Lage.
17
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Re-
vision stand.
18
1. Zu Recht ist das Oberlandesgericht von einer Zulässigkeit der Abän-
derungsklage ausgegangen.
19
a) Zutreffend hat das Oberlandesgericht für die Abänderung einer Ju-
gendamtsurkunde nach §§ 323 Abs. 4, 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO i.V.m. §§ 59
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 60 SGB VIII die Abänderungsklage als zulässige Klageart
angesehen. Dies gilt auch für die Abänderung einseitig erstellter Jugendamts-
urkunden, weil § 323 Abs. 4 ZPO nicht voraussetzt, dass der darin niedergeleg-
te Unterhaltsbetrag auf einer Vereinbarung der Parteien beruht (Senatsurteile
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vom 29. Oktober 2003 - XII ZR 115/01 - FamRZ 2004, 24 Rn. 6 und vom
27. Juni 1984 - IVb ZR 21/83 - FamRZ 1984, 997).
21
Wenn das Begehren, wie hier, auf eine Herabsetzung der Unterhalts-
pflicht aus der Jugendamtsurkunde gerichtet ist, bedarf es schon deswegen
einer Abänderungsklage, weil der vorliegende Unterhaltstitel eingeschränkt
werden soll, was nur im Wege einer Abänderungsklage möglich ist und eine
andere Klageart ausschließt.
b) Zu Recht hat das Berufungsgericht die Abänderungsklage auch im
Übrigen für zulässig erachtet. Zwar kann die Klägerin keine freie Abänderung
der von ihr einseitig errichteten Jugendamtsurkunde ohne Berücksichtigung der
Bindungswirkung verlangen. Die Voraussetzungen für eine Abänderung liegen
hier aber vor.
22
aa) Nach §§ 59 Abs. 1 Nr. 3, 60 SGB VIII errichtete Jugendamtsurkun-
den begründen als Vollstreckungstitel im Sinne des § 323 Abs. 4 ZPO keine
materielle Rechtskraft. Sie unterliegen deswegen auch nicht den Beschränkun-
gen des § 323 Abs. 2 und 3 ZPO (vgl. jetzt § 238 Abs. 2 und 3 FamFG), die auf
der Rechtskraft eines abzuändernden Unterhaltstitels beruhen. Der Umfang der
Abänderung einer Vereinbarung oder einer Urkunde im Sinne des § 323 Abs. 4
ZPO richtet sich vielmehr allein nach materiellem Recht (vgl. jetzt § 239 Abs. 2
FamFG). Unterhaltsvereinbarungen oder Jugendamtsurkunden, denen eine
Vereinbarung der Parteien zugrunde liegt, sind auch danach nicht frei abänder-
bar. Im Rahmen der Abänderung ist vielmehr stets der Inhalt der Vereinbarung
der Parteien zu wahren. Eine Abänderung kommt nur dann in Betracht, wenn
diese wegen nachträglicher Veränderungen nach den Grundsätzen über den
Wegfall oder die Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) geboten ist
23
- 10 -
(Senatsurteile BGHZ 175, 182 = FamRZ 2008, 968 Rn. 26 und vom 2. Oktober
2002 - XII ZR 346/00 - FamRZ 2003, 304, 306).
24
bb) Fehlt es hingegen an einer solchen Vereinbarung, weil die Jugend-
amtsurkunde einseitig erstellt wurde, kommt eine materiell-rechtliche Bindung
an eine Geschäftsgrundlage nicht in Betracht.
25
Für Beteiligte, die an der Erstellung der Jugendamtsurkunde nicht mit-
gewirkt haben, wie hier die Beklagten als unterhaltsberechtigte Kinder, scheidet
auch eine sonstige Bindung aus. Sie können im Wege der Abänderungsklage
folglich ohne Bindung an die vorliegende Urkunde einen höheren Unterhalt ver-
langen (Senatsurteil vom 3. Dezember 2008 - XII ZR 182/06 - FamRZ 2009,
314 Rn. 14).
Anderes gilt hingegen, wenn der Unterhaltsschuldner, der einseitig die
Jugendamtsurkunde erstellt hat, im Wege der Abänderungsklage eine Herab-
setzung seiner Unterhaltsschuld begehrt. Auch dann liegt der Urkunde keine
Geschäftsgrundlage zugrunde, deren Wegfall oder Änderung dargelegt werden
müsste. Weil die einseitig erstellte Jugendamtsurkunde regelmäßig zugleich zu
einem Schuldanerkenntnis nach § 781 BGB führt, muss eine spätere Herabset-
zung der Unterhaltspflicht die Bindungswirkung dieses Schuldanerkenntnisses
beachten (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2007 - XII ZB 171/06 -
FamRZ 2007, 715 Rn. 11 und Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der famili-
enrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 10 Rn. 169; zum neuen Recht in § 239 FamFG
vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 258 und Wendl/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der
familienrichterlichen Praxis 8. Aufl. § 10 Rn. 280). Der Unterhaltspflichtige kann
sich von dem einseitigen Anerkenntnis seiner laufenden Unterhaltspflicht also
nur dann lösen, wenn sich eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Um-
26
- 11 -
stände, des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die Hö-
he seiner Unterhaltspflicht auswirken.
27
cc) Diese Voraussetzungen für eine Abänderung der einseitig anerkann-
ten Unterhaltspflicht durch die Klägerin hat das Oberlandesgericht hier aller-
dings in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt. Die Klä-
gerin hatte ihre Unterhaltspflicht im März 2004, ein Jahr nach Beendigung ihres
Erziehungsurlaubs und im Alter von 24 Jahren, in den Jugendamtsurkunden
anerkannt, als sie nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts noch davon
ausgehen konnte, alsbald eine vollzeitige Erwerbstätigkeit zu finden, die ihr Un-
terhaltsleistungen in der anerkannten Höhe ermöglichen würde. Erst in der Fol-
gezeit hat sich herausgestellt, dass sie als ungelernte Arbeiterin keine solchen
Einkünfte erzielen kann und deswegen eine Erstausbildung sinnvoll ist. Diese
spätere Erkenntnis berechtigt die Klägerin zur Abänderung ihres Anerkenntnis-
ses, weil sich erst nachträglich herausgestellt hat, dass sie auf der Grundlage
der tatsächlich erzielbaren Einkünfte nur geringere und ab Beginn ihrer Ausbil-
dung keine Unterhaltsleistungen mehr erbringen kann.
2. Soweit das Berufungsgericht der Klägerin für die Zeit von Februar bis
September 2008 neben ihrem Einkommen aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit
kein weiteres fiktives Einkommen zugerechnet hat, ist auch dies aus revisions-
rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
28
a) Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berück-
sichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung
seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern,
die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren
minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügba-
ren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (so ge-
29
- 12 -
nannte gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grund-
satzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und
aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der
eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltspflichtige eine ihm mögliche und zu-
mutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben
könnte, können deswegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht
nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt
werden (Senatsurteil vom 3. Dezember 2008 - XII ZR 182/06 - FamRZ 2009,
314 Rn. 20). Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhalts-
pflicht gegenüber minderjährigen Kindern muss die Anrechnung fiktiver Einkünf-
te aber stets die Grenze des Zumutbaren beachten. Übersteigt die Gesamtbe-
lastung des Unterhaltsschuldners diese Grenze, ist die Beschränkung seiner
Dispositionsfreiheit als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht
mehr Bestandteil der verfassungsgemäßen Ordnung und kann vor dem Grund-
recht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (BVerfG 2007, 273 f., 2006, 469 f.
und 2003, 661 f.).
b) Voraussetzung einer Zurechnung fiktiver Einkünfte ist mithin, dass der
Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene
Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und
dass bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestan-
den hätte. Das gilt sowohl für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bei vollstän-
diger Erwerbslosigkeit als auch für die Aufnahme einer Nebentätigkeit in Ergän-
zung einer bestehenden Erwerbstätigkeit. Im Rahmen der Zumutbarkeit einer
Nebentätigkeit sind allerdings die objektiven Grenzen für eine Erwerbstätigkeit
zu berücksichtigen. Übt der Unterhaltspflichtige eine Berufstätigkeit aus, die
vierzig Stunden wöchentlich unterschreitet, kann grundsätzlich eine Nebentätig-
keit von ihm verlangt werden. Denn wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht
nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB muss der Unterhaltspflichtige sich min-
30
- 13 -
destens an der Höchstgrenze der regelmäßigen Erwerbstätigkeit orientieren,
die gegenwärtig noch vierzig Stunden wöchentlich beträgt. Allerdings sind im
Rahmen der objektiven Zumutbarkeit auch die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes
zu beachten. Nach § 3 ArbZG darf die werktägige Arbeitszeit der Arbeitnehmer
grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten. Nach § 9 Abs. 1 ArbZG dürfen
Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich nicht be-
schäftigt werden. Damit ist die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig auf (sechs
Tage mal acht Stunden =) 48 Stunden begrenzt, wobei nach § 2 ArbZG die Ar-
beitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zusammenzurechnen sind. Mit die-
sen Vorschriften ist aus objektiver Sicht die Obergrenze der zumutbaren Er-
werbstätigkeit auch für die Fälle vorgegeben, in denen der Unterhaltspflichtige
nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist (Senats-
urteile vom 3. Dezember 2008 - XII ZR 182/06 - FamRZ 2009, 314 Rn. 22 und
vom 20. Februar 2008 - XII ZR 101/05 - FamRZ 2008, 872, 875; BVerfG
FamRZ 2003, 661, 662).
Im Rahmen der Zurechnung fiktiver Nebenverdienste ist weiter zu prüfen,
ob und in welchem Umfang es dem Unterhaltspflichtigen unter Abwägung sei-
ner von ihm darzulegenden besonderen Lebens- und Arbeitssituation einerseits
und der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten andererseits zugemutet wer-
den kann, eine Nebentätigkeit auszuüben (Senatsurteil vom 3. Dezember 2008
- XII ZR 182/06 - FamRZ 2009, 314 Rn. 24; BVerfG FamRZ 2003, 661, 662).
31
c) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des Senats ist das ange-
fochtene Urteil nicht zu beanstanden. Zu Recht hat das Berufungsgericht be-
rücksichtigt, dass die Klägerin in der Zeit von Februar bis September 2008 voll-
schichtig als Taxifahrerin zur Durchführung von Krankentransporten erwerbstä-
tig war. Nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts fielen neben
den reinen Fahrzeiten weitere Wartezeiten an, weswegen die Klägerin flexibel
32
- 14 -
sein musste. Dies wird durch die vom Berufungsgericht in Bezug genommene
Abrechnung der Bezüge für September 2008 belegt. Danach hat die Klägerin
bei Gesamtbruttoeinkünften von 10.783,50 € und einem Stundenlohn von sechs
Euro in der Zeit von Januar bis September 2008 insgesamt 1.797,25 Stunden
gearbeitet. Das entspricht einer wöchentlichen Arbeitszeit von rund 46 Stunden.
Wenn das Berufungsgericht im Hinblick darauf und den bis zum Sommer 2008
durchgeführten Umgang mit den gemeinsamen Kindern keine weitere Nebentä-
tigkeit für zumutbar erachtet hat, ist dagegen aus Rechtsgründen nichts zu er-
innern.
Soweit das Berufungsgericht der Klägerin für diese Zeit weitere Einkünfte
aus "Trinkgeld" in Höhe von 100 € monatlich zugerechnet und berufsbedingte
Aufwendungen mangels konkreter Angaben nicht abgesetzt hat, wird dies von
der Revision als ihr günstig nicht angegriffen und ist auch sonst nicht zu bean-
standen. Zutreffend ist das Berufungsgericht somit von Gesamteinkünften wäh-
rend dieser Zeit in Höhe von (978 € + 100 € =) 1.078 € ausgegangen.
33
3. Auch hinsichtlich der Zeit von Oktober 2008 bis Januar 2009 hält das
Berufungsurteil den Angriffen der Revision jedenfalls im Ergebnis stand. Soweit
die Revision rügt, das Berufungsgericht habe für diese Zeit ein zu geringes fikti-
ves Einkommen berücksichtigt, weil die Klägerin sich nach Ablauf des befriste-
ten Vertrages nicht hinreichend um eine Verlängerung der Vollzeitbeschäftigung
als Taxifahrerin bemüht habe, ist dies unerheblich. Selbst wenn der Klägerin,
wie im vorangegangenen Zeitabschnitt, ein Einkommen aus Vollzeiterwerbstä-
tigkeit als Taxifahrerin zuzurechnen wäre, käme daneben keine Hinzurechnung
eines fiktiven Einkommens aus Nebentätigkeit in Betracht. Der Klägerin wären
dann nicht nur die vom Oberlandesgericht berücksichtigten 1.034 € monatlich,
sondern, wie im vorangegangenen Zeitabschnitt, allenfalls 1.078 € monatlich
zuzurechnen.
34
- 15 -
4. Die angefochtene Entscheidung hält den Angriffen der Revision auch
insoweit stand, als sie die Klägerin für die Zeit ab Februar 2009 für leistungsun-
fähig hält.
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a) Gegenüber der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2
Satz 1 BGB muss sich der Unterhaltspflichtige grundsätzlich auf seine Erwerbs-
fähigkeit verweisen lassen. Eine Hinzurechnung fiktiver Erwerbseinkünfte
kommt in Betracht, wenn dem Unterhaltspflichtigen im Hinblick auf seine Leis-
tungsunfähigkeit ein unterhaltsbezogen leichtfertiges Verhalten vorgeworfen
werden kann (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen
Praxis 7. Aufl. § 1 Rn. 495 ff.). Dabei tritt das Interesse eines unterhaltspflichti-
gen Elternteils, unter Zurückstellung bestehender Erwerbsmöglichkeiten eine
Aus- oder Weiterbildung aufzunehmen, grundsätzlich hinter dem Unterhalts-
interesse seiner Kinder zurück. Das gilt vor allem dann, wenn der Unterhalts-
pflichtige bereits über eine Berufsausbildung verfügt und ihm die Erwerbsmög-
lichkeit in dem erlernten Beruf unter Berücksichtigung eines zumutbaren Orts-
wechsels eine ausreichende Lebensgrundlage bietet. Anders kann es hingegen
sein, wenn der Unterhaltspflichtige seine Erwerbstätigkeit nicht zum Zwecke
einer Zweitausbildung oder der Weiterbildung in dem erlernten Beruf, sondern
zugunsten einer erstmaligen Berufsausbildung aufgegeben hat. Einer solchen
Erstausbildung ist regelmäßig auch gegenüber der gesteigerten Unterhalts-
pflicht aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB der Vorrang einzuräumen. Denn die Er-
langung einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf gehört zum eigenen
Lebensbedarf des Unterhaltspflichtigen, den dieser grundsätzlich vorrangig be-
friedigen darf (Senatsurteil vom 15. Dezember 1993 - XII ZR 172/92 - FamRZ
1994, 372 Rn. 19). Insoweit sind allerdings alle Umstände des Einzelfalles zu
berücksichtigen, insbesondere die Tatsache, warum der Unterhaltspflichtige
gerade jetzt seine Erstausbildung durchführt und wie sich dies langfristig auf
seine Leistungsfähigkeit für den Kindesunterhalt auswirkt.
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b) Auf dieser rechtlichen Grundlage ist die Entscheidung des Berufungs-
gerichts, das die Aufnahme der Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau nicht als
unterhaltsrechtlich leichtfertig eingestuft und der Klägerin deswegen kein fikti-
ves Einkommen angerechnet hat, aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu bean-
standen. Insbesondere hat das Oberlandesgericht berücksichtigt, dass die Klä-
gerin die beiden gemeinsamen Kinder bereits im Alter von 16 bzw. 18 Jahren
geboren hat. Ihren Hauptschulabschluss konnte sie erst nach der Geburt des
ersten Kindes erwerben. Zutreffend hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt,
dass die Klägerin nach ihrer bisherigen Erwerbsbiografie ohne Berufsausbil-
dung nur sehr eingeschränkt leistungsfähig ist. Die erstmalige Berufsausbildung
zur Einzelhandelskauffrau wird die Erwerbsaussichten der Klägerin nicht uner-
heblich verbessern und dem jetzt 14 Jahre alten Beklagten zu 1 letztlich eine
sicherere Grundlage für seinen Kindesunterhalt verschaffen. Der Zeitpunkt der
Berufsausbildung ist nicht zu beanstanden, nachdem die Klägerin sich seit Be-
ginn der Betreuung der Kinder durch den Vater über mehrere Jahre erfolglos
um eine höher vergütete Erwerbstätigkeit bemüht hat. Auch das Alter der Klä-
gerin von jetzt 30 Jahren kann eine unterhaltsbezogene Leichtfertigkeit nicht
begründen.
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5. Schließlich ist aus revisionsrechtlicher Sicht auch nicht zu beanstan-
den, dass das Oberlandesgericht der Klägerin ihren - zeitweise gekürzten - an-
gemessenen Selbstbehalt belassen hat.
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a) Zwar sind die Eltern ihren minderjährigen Kindern gegenüber nach
§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert unterhaltspflichtig, was es rechtfertigt, ih-
nen insoweit grundsätzlich lediglich den notwendigen Selbstbehalt zu belassen.
Diese gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber Minderjährigen und privilegiert
volljährigen Kindern entfällt nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB aber dann, wenn
ein anderer leistungsfähiger Verwandter vorhanden ist. In solchen Fällen ist
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zunächst lediglich eine Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung des ange-
messenen Selbstbehalts nach § 1603 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen.
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Dies gilt immer dann, wenn beide Elternteile barunterhaltspflichtig sind,
insbesondere also gegenüber privilegiert volljährigen Kindern nach § 1603
Abs. 2 Satz 2 BGB (Senatsurteil vom 12. Januar 2011 - XII ZR 83/08 - FamRZ
2011, 454 Rn. 33 ff.), aber auch dann, wenn beide Eltern ihren minderjährigen
Kindern Barunterhalt schulden, wie dies beim echten Wechselmodell (Senatsur-
teil vom 21. Dezember 2005 - XII ZR 126/03 - FamRZ 2006, 1015 Rn. 14 ff.)
oder dann der Fall ist, wenn beide Eltern für einen Mehrbedarf des Kindes, etwa
den Kindergartenbeitrag, haften (Senatsurteil vom 26.
November 2008
- XII ZR 65/07 - FamRZ 2009, 962 Rn. 32).
Auch ein sonst grundsätzlich nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nicht bar-
unterhaltspflichtiger Elternteil kommt als anderer leistungsfähiger Verwandter im
Sinne des § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB in Betracht. Denn der Grundsatz der
Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gilt nicht uneingeschränkt,
insbesondere dann nicht, wenn die Vermögens- und Einkommensverhältnisse
des betreuenden Elternteils deutlich günstiger sind als die des anderen Eltern-
teils. Die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils kann entfallen
oder sich ermäßigen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchti-
gung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre, während der
andere Elternteil neben der Betreuung des Kindes auch den Barunterhalt leis-
ten könnte, ohne dass dadurch sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet
würde. In solchen Fällen entfällt aber lediglich die gesteigerte Unterhaltspflicht
nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB, also die Beschränkung auf den notwen-
digen Selbstbehalt. Die Unterhaltspflicht mit dem Einkommen, das den ange-
messenen Selbstbehalt übersteigt, wird davon nicht berührt (Senatsurteile vom
31. Oktober 2007 - XII ZR 112/05 - FamRZ 2008, 137 Rn. 41 ff.; vom 19. No-
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vember 1997 - XII ZR 1/96 - FamRZ 1998, 286, 288 und vom 7. November
1990 - XII ZR 123/89 - FamRZ 1991, 182, 183 f.; Wendl/Klinkhammer Das Un-
terhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 2 Rn. 274 a).
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b) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das Berufungsgericht den Vater
der Beklagten zu Recht als anderen leistungsfähigen Verwandten im Sinne von
§ 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB behandelt. Zutreffend und von der Revision insoweit
nicht beanstandet hat es ein Einkommen des Vaters der Beklagten festgestellt,
das auch nach Abzug des Kindesunterhalts den angemessenen Selbstbehalt
nicht unerheblich übersteigt. Demgegenüber hat es berücksichtigt, dass das
Einkommen der barunterhaltspflichtigen Klägerin auch für die Zeit von Februar
2008 bis Januar 2009 nach Abzug des von ihr anerkannten Kindesunterhalts in
Höhe von 144 € für den Beklagten zu 1 deutlich unter dem angemessenen
Selbstbehalt liegt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts würde es zu
einem finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen, wenn bei die-
sen Einkommensverhältnissen nur die Klägerin und nicht auch der Vater Barun-
terhalt schulden würde. Auch dies ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu be-
anstanden.
c) Soweit das Berufungsgericht den angemessenen Selbstbehalt der
Klägerin wegen ihrer Lebensgemeinschaft für die Zeit von Februar bis April
2008 und wegen der sehr geringen Mietkosten für die Zeit von Oktober 2008 bis
Januar 2009 von 1.100 € auf 990 € herabgesetzt hat, wird dies von der Revisi-
on als ihr günstig nicht angegriffen und ist aus Rechtsgründen auch nicht zu
beanstanden.
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6. Auf der Grundlage des vom Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei festge-
stellten Einkommens der Klägerin und des - zeitweise herabgesetzten - ange-
messenen Selbstbehalts errechnet sich kein Unterhalt, der den von der Klägerin
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für die Zeit von Februar 2008 bis Januar 2009 anerkannten Betrag übersteigt.
Für den restlichen Unterhaltsbedarf des Beklagten zu 1 hat der Vater als ande-
rer leistungsfähiger Verwandter aufzukommen. Für die Zeit ab Februar 2009 ist
die Klägerin selbst unter Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehalts nicht
leistungsfähig, weil sie wegen der unterhaltsrechtlich nicht zu beanstandenden
Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau nur deutlich geringere Einkünfte erzielt.
Hahne Weber-Monecke Dose
Schilling Günter
Vorinstanzen:
AG Wolfsburg, Entscheidung vom 26.06.2006 - 17 F 3033/08 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 24.03.2009 - 2 UF 102/08 -