Urteil des BGH vom 06.04.2016

Treu Und Glauben, Aufrechnung, Vermieter, Nebenkosten

ECLI:DE:BGH:2016:060416UXIIZR30.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 30/15
Verkündet am:
6. April 2016
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-
Monecke und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer
des Landgerichts Mainz vom 11. März 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten rückständige Gewerberaummiete.
Auf die monatlich im Voraus zu zahlende Bruttomiete von 8.114,10
€ (Grund-
miete 6.468,57
€, Nebenkostenvorauszahlung 350 €, Umsatzsteuer 1.295,53 €)
zahlte die Beklagte für die Zeit von Januar bis Juli 2009 Teilbeträge von monat-
lich 379,10
€ nicht, weil die Miete wegen eines seit September 2005 vorliegen-
den Wassereintritts durch das Dach in den Personalraum gemindert sei.
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§ 8 des formularmäßig abgeschlossenen Mietvertrags lautet:
"1. Der Mieter kann gegen die Miete weder aufrechnen noch ein
Zurückbehaltungsrecht ausüben oder die Miete mindern. Hier-
von ausgenommen sind Forderungen des Mieters wegen
Schadenersatz für Nichterfüllung oder Aufwendungsersatz in-
folge eines anfänglichen oder nachträglichen Mangels der
Mietsache, den der Vermieter wegen Vorsatz oder grober
Fahrlässigkeit zu vertreten hat, und andere Forderungen aus
dem Mietverhältnis, soweit sie unbestritten, rechtskräftig fest-
gestellt oder entscheidungsreif sind.
Die Aufrechnung oder die Ausübung des Zurückbehaltungs-
rechts ist nur zulässig, wenn der Mieter seine Absicht dem
Vermieter mindestens einen Monat vor Fälligkeit der Miete
schriftlich angezeigt hat.
2. Die Erstattung etwaiger im Wege der Aufrechnung geltend
gemachter Gegenforderungen des Mieters aus dem Mietver-
hältnis erfolgt in monatlichen Teilbeträgen, die 30% der jewei-
ligen Monatsmiete nicht übersteigen dürfen.
3. Eine Aufrechnung gegen Nebenkosten oder eine Minderung
der Nebenkosten durch den Mieter ist unzulässig."
Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von (397,10
€ x 7 =) 2.653,70 €
nebst Zinsen gerichteten Klage stattgegeben, das Landgericht hat die Berufung
der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren vom Landgericht
zugelassene Revision.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht.
I.
Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Gemäß § 8
Ziffer 1 Abs. 1 des Mietvertrags könne die Beklagte die Miete weder mindern
noch gegen sie aufrechnen. Die Vertragsbestimmung, die eine allgemeine Ge-
schäftsbedingung darstelle, sei im gewerblichen Mietrecht nicht unangemessen
und halte einer Überprüfung im Sinne von § 310 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 307
Abs. 1 und 2 BGB stand.
Die Klausel sei so zu verstehen, dass sie das Minderungsrecht des Mie-
ters nicht generell ausschließe, sondern ihm die Möglichkeit belasse, einen
Rückzahlungsanspruch wegen überzahlter Miete als Bereicherungsanspruch
geltend zu machen. Ausgeschlossen sei nur die Verwirklichung der Minderung
durch Abzug vom Mietzins. Durch die Klausel werde auch nicht gegen § 309
Nr. 7a BGB verstoßen, da die Verschuldenshaftung des Vermieters aus § 823
Abs. 1 BGB für mängelbedingte Körperschäden des Mieters nicht durch die
Klausel beschränkt werde.
Ebenso seien die in § 8 Ziffer 1 Abs. 2 des Mietvertrags festgelegte An-
kündigungsfrist von einem Monat sowie die getroffene Differenzierung nach
unstreitigen oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen einerseits und
solchen streitiger Art andererseits formularmäßig zulässig.
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Bedenken ergäben sich allenfalls gegen § 8 Ziffer 2 und 3 des Mietver-
trags. Das könne aber auf sich beruhen, weil sich deren mögliche Teilunwirk-
samkeit nicht auf die in Ziffer 1 enthaltene Regelung auswirke. Diese sei für
sich genommen verständlich und auch sinnvoll von den übrigen Regelungen
abtrennbar und könne deshalb für sich genommen erhalten bleiben.
Der Kläger verhalte sich auch nicht treuwidrig, wenn er die rückständige
Mietforderung so kurzfristig vor der Verjährung der zur Aufrechnung gestellten
Gegenforderungen gerichtlich geltend mache, dass diese nach Zustellung der
Klage oder des Mahnbescheids nicht mehr ihrerseits im Klagewege geltend ge-
macht werden könnten.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die
Mietminderung bei der Geschäftsraummiete - anders als bei der Wohnraummie-
te - eingeschränkt werden kann. Dies folgt aus einem Umkehrschluss zu § 536
Abs. 4 BGB. Eine solche Einschränkung ist grundsätzlich auch formularmäßig
möglich (Senatsurteil BGHZ 176, 191 = NJW 2008, 2497 Rn. 8).
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hält die Bestimmung in
§ 8 Ziffer 1 des Mietvertrags jedoch einer Inhaltskontrolle am Maßstab des
§ 307 BGB nicht stand.
a) Der Inhaltskontrolle vorgeschaltet ist die gegebenenfalls durch Ausle-
gung vorzunehmende Ermittlung des objektiven Inhalts der Klausel. Der Senat
ist an die Auslegung des Berufungsgerichts nicht gebunden. Allgemeine Ge-
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schäftsbedingungen sind gemäß ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn
ausgehend von ihrem Wortlaut einheitlich so auszulegen, wie sie von verstän-
digen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der typi-
scherweise an Geschäften dieser Art beteiligten Kreise verstanden werden (st.
Rspr., Senatsurteil BGHZ 176, 191 = NJW 2008, 2497 Rn. 10 f. mwN).
b) Nach dem Wortlaut der streitigen Klausel ist eine Minderung der Miete
ebenso wie die Aufrechnung und die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts
gegen die Miete ausgeschlossen. Ausgenommen hiervon sind Forderungen des
Mieters auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Aufwendungsersatz in-
folge eines anfänglichen oder nachträglichen Mangels der Mietsache, den der
Vermieter wegen Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit zu vertreten hat. Ferner
sind ausgenommen andere Forderungen des Mieters aus dem Mietverhältnis,
soweit sie unbestritten, rechtskräftig festgestellt oder entscheidungsreif sind.
Die Ausnahme für unbestrittene, rechtskräftig festgestellte oder ent-
scheidungsreife Forderungen beschränkt sich sonach ausdrücklich auf Forde-
rungen "aus dem Mietverhältnis". In Bezug auf nicht aus dem Mietverhältnis
stammende Forderungen bleibt es klauselgemäß bei dem uneingeschränkten
Aufrechnungsverbot. Danach erlaubt die Klausel keine Aufrechnung gegen die
Miete mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen aus ei-
nem außerhalb des Mietvertrags stehenden Rechtsverhältnis.
c) Mit diesem Inhalt hält die Klausel einer Inhaltskontrolle am Maßstab
von § 307 BGB nicht stand.
Nach § 309 Nr. 3 BGB ist eine Bestimmung in allgemeinen Geschäftsbe-
dingungen unwirksam, durch die dem Vertragspartner des Verwenders die Be-
fugnis genommen wird, mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten
Forderung aufzurechnen. Diese Bestimmung ist zwar im vorliegenden Fall nicht
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unmittelbar anwendbar, weil die Beklagte die Räume als Unternehmerin gemie-
tet hat (§ 310 Abs. 1 BGB i.V.m. § 14 BGB). Sie stellt aber eine konkretisierte
Ausgestaltung des Benachteiligungsverbots des § 307 BGB dar, da es sich bei
dem Ausschluss der Aufrechnung in den genannten Fällen um eine besonders
schwerwiegende Verkürzung der Rechte des Vertragspartners handelt, die
auch im Geschäftsverkehr nicht hingenommen werden kann (Senatsurteil vom
27. Juni 2007 - XII ZR 54/05 - NJW 2007, 3421 Rn. 20 mwN).
Der danach inhaltlich an § 309 Nr. 3 BGB auszurichtenden Inhaltskon-
trolle hält das in § 8 Ziffer 1 des Mietvertrags geregelte Aufrechnungsverbot
nicht stand, indem es die Zulässigkeit der Aufrechnung unbestrittener oder
rechtskräftig festgestellter Forderungen auf solche aus dem Mietverhältnis be-
schränkt. Eine derartige Verkürzung der Gegenrechte des Beklagten benachtei-
ligt diesen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und
ist daher gemäß § 307 BGB unwirksam. Der Verstoß hat zur Folge, dass die
Klausel insgesamt unwirksam ist. Eine geltungserhaltende Reduktion des Auf-
rechnungsverbots auf ein inhaltlich noch zulässiges Maß kommt nicht in Be-
tracht (Senatsurteil vom 27. Juni 2007 - XII ZR 54/05 - NJW 2007, 3421 Rn. 21
mwN).
3. Zwar ist, wenn sich eine Formularklausel nach ihrem Wortlaut aus sich
heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich zulässigen und in einen un-
zulässigen Regelungsteil trennen lässt, die Aufrechterhaltung des zulässigen
Teils rechtlich unbedenklich (Senatsurteile BGHZ 178, 158 = NJW 2008, 3772
Rn. 32 mwN und vom 14. Januar 2015 - XII ZR 176/13 - NJW 2015, 928
Rn. 23). Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Denn die klausel-
mäßige Gestattung der Aufrechnungsmöglichkeit mit unbestrittenen oder
rechtskräftig festgestellten Forderungen ist inhaltlich derart eng mit der Be-
schränkung auf Forderungen aus dem Mietverhältnis selbst verknüpft, dass
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diese bei einem Herausstreichen der Beschränkung inhaltlich umgestaltet und
mit einem anderen Inhalt aufrechterhalten würde. Gleiches gilt für die mit glei-
cher Zielrichtung in einem einheitlichen Satz vereinbarten grundsätzlichen Ver-
bote der Aufrechnung, der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts und der
Berufung auf eine Minderung der Miete.
4. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben.
Da das Landgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen zu den
von der Beklagten geltend gemachten Gegenansprüchen getroffen hat, ist der
Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen
Feststellungen nachholen kann.
Dose
Weber-Monecke
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
AG Mainz, Entscheidung vom 05.07.2013 - 79 C 112/13 -
LG Mainz, Entscheidung vom 11.03.2015 - 3 S 105/13 -
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